Kapitel 1
* Überarbeitet
In dem Moment, als Mama meinen Teller vor mich auf den Esstisch stellt, greife ich nach meinem vibrierenden Handy. Dafür ernte ich sofort einen mahnenden Blick von ihr. "Du weißt, was ich davon halte, Mia. Das da hat nichts am Tisch zu suchen, wenn wir essen."
"Aber es ist Alex!", schmolle ich und öffne unseren Chat.
Ich höre sie seufzen. "Das ist dann natürlich ein Notfall."
"Könnte es doch durchaus sein", entgegne ich achselzuckend und werde augenblicklich von guter Laune erfasst, als ich die Nachricht meiner besten Freundin lese.
Alex [07:09 Uhr]: Guten Morgen, meine Süße 😊
Alex [07:09 Uhr]: Gut geschlafen?
Mein Herz spielt unwillkürlich verrückt, während ich ihr zurückschreibe.
Mia [07:10 Uhr]: Selbstverständlich
Mia [07:11 Uhr] Und selbst? 🙃
Alex [07:11 Uhr]: Kann mich nicht beschweren. Sag mal, hat meine aller beste Freundin zufällig heute nach der Schule etwas vor? 😌
Auf der Lippe kauend schaue ich auf automatisch auf den Kalender, der an unserem Kühlschrank hängt. Dort ist nichts eingetragen. Und auf der Schnelle fällt mir auch nichts ein, das ich geplant haben könnte.
Mia [07:12 Uhr]: Ich sollte Zeit haben. Warum, hast du etwa einen guten Einfall, was wir tun könnten?
Als ich Alex' "Vielleicht" lese, grinse ich vor mich hin.
Neben mir wird der Stuhl zurückgezogen. Mein Vater setzt sich an den Tisch und bedenkt mich mit einem neugierigen Blick. "Alex?" Er lächelt, als ich nicke. "Das sieht man dir an."
Mit geröteten Wangen lege ich das Smartphone beiseite und nippe stattdessen an meinem Orangensaft.
Mama gesellt sich nun auch zu uns, nachdem sie am Herd hantiert hat. Sie stellt das gebratene Omelett vor Papas Nase und setzt sich dann ihm gegenüber. Mit hochgezogener Augenbraue schaut sie zu mir. "Heiliger Gott, du hast das Ding weggelegt!"
"Unsere Tochter ist eben gut erzogen", entgegnet ihr Ehemann und zwinkert mir zu, worüber ich schmunzeln muss. "Bist du auf den Geschichtstest gut vorbereitet?", fragt er mich dann und beginnt, sein Frühstück zu essen.
Achselzuckend wende ich mich meinem French Toast zu. "Wenn die gestrigen drei Stunden nicht ausreichen, dann schreddere ich all meine Unterlagen. Denn wenn ich danach verkacke, besitze ich wirklich nicht sowas wie Intelligenz."
"Schätzchen, du bist weder schlecht noch irgendwie dumm. Merk dir, dass wir stolz auf dich sind, solange du dein Bestes gibst", ermutigt Papa mich.
Lächelnd mache ich mich daran, zu essen. Meine Eltern unterhalten sich wie üblich darüber, wann der andere heute Abend nach Hause kommen würde. Uninteressiert kaue ich und werfe einen Blick auf das aufleuchtende Display meines Handys.
"Haben du und Alex etwas Besonderes vor?", fragt meine Mutter, als sie es ebenfalls bemerkt. Etwas in ihrer Stimme lässt mich zusammenfahren. Und auch in ihrem Blick liegt etwas, das mich misstrauisch werden lässt.
Manchmal habe ich die Vermutung, dass sie Bescheid wissen könnte, dass ich Alex mit anderen Augen sehe. Dass sie nicht nur eine Freundin für mich ist. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, deswegen lasse ich es lieber nicht darauf ankommen, Mama deswegen anzusprechen.
Das Smartphone vibriert wieder und dieses Mal nehme ich es auch.
"Mia", höre ich im selbem Moment Mama sagen, die wenig begeistert darüber ist. Doch ich befinde mich schon in meiner eigenen Welt, als ich die geschriebenen Worte vor mir habe.
Alex [07:21 Uhr]: Lass dich überraschen, meine Schöne 🤫😉
Alex [07:21 Uhr]: Ich hole dich von der Schule ab
"Schau mal, wie happy sie ist, Sarah. Gönn ihr das doch einfach", meint Papa und lächelt mich liebevoll an.
"Stellt mich mal nicht als die Böse dar!"
Ich stopfe mir den Rest meines Toasts äußerst unmädchenhaft in den Mund und stehe vom Tisch auf. "Ich bin nach der Schule mit Alex unterwegs. Keine Ahnung, wann ich dann zuhause bin", informiere ich die beiden und verschlucke mich direkt. Für Mama ist es natürlich ein gefundenes Fressen, doch ich weiche ihrer Predigt aus und verlasse die Küche.
Um die Bahn zu bekommen, muss ich mich ranhalten. Die Zeit verfliegt am Morgen immer so schnell, und ehe man sich versieht, verpasst man beinahe die Straßenbahn.
In meinem Zimmer angekommen, laufe ich von einer Ecke zur anderen, um meine Schulsachen zusammen zu packen.
Wie jeden Tag packe ich nicht schon am Abend zuvor meinen Rucksack, sondern tue es dann Frühs in aller Hektik. Ich schnappe mir meine Kopfhörer vom Schreibtisch und laufe aus dem Zimmer. In der Küche unterhalten sich die beiden weiterhin, als ich mich von ihnen verabschiede.
"Viel Glück", wünscht mir Mama. Ich werfe ihnen einen Luftkuss zu und sprinte dann aus der Wohnung.
Zu meinem Glück liegt die Haltestelle nur ein paar Meter von unserem Wohnhaus entfernt, dass ich nur über die Straße und ein paar Minuten laufen muss.
Auf dem Weg dahin stecke ich mir meine Kopfhörer in die Ohren. Einen Moment später bin ich im Takt vom K-Pop, während ich Alex zurückschreibe.
Mia [07:27 Uhr]: Gibst du mir einen Tipp, was du geplant hast?
Ihre Antwort kommt direkt.
Alex [07:27 Uhr]: Nöö
Das ist wieder mal typisch für sie. Immer möchte sie mich mit einer von ihren verrückten Ideen überraschen. Aber dafür liebe ich sie. Ihre Scherze sind zwar nicht immer die besten und meist redet sie auch nur Schwachsinn, aber sie ist trotzdem das tollste Mädchen, das ich kenne.
Ich kann mich noch an unser erstes Aufeinandertreffen erinnern. Es war in einer Buchhandlung, in die wir noch heute gern hingehen, und wollte dort nach einem bestimmten Buch für einen Vortrag suchen. Dabei trug ich noch meine alte Brille. Mama meinte, ich wäre noch zu jung für Kontaktlinsen.
Ob man das als ein dreizehnjähriges Mädchen auch so sieht, lassen wir mal offen.
Zumindest fand Alex meine Brille so amüsant, dass sie mich direkt darauf ansprach, sie mal kurz ausprobieren zu dürfen. Ich war so überrumpelt, dass jemand mich anspricht, dass sie ohne Probleme mir das Gestell von der Nase ziehen konnte und sie selbst anprobiert hatte.
"Sie steht mir deutlich besser", sagte sie damals. "Du siehst damit aus wie ein langweiliger Streber. Kein Wunder, graues Mäuschen."
Ich hätte beleidigt sein sollen. Aber etwas an ihrem Lächeln hat mich davon abgehalten. Es wirkte nicht herablassend, sondern auf irgendeine Art freundlich, was ich nicht ganz in Worte fassen kann.
Schweigend ließ ich zu, dass sie mir den Haargummi aus den Haaren zog und meine Frisur durcheinanderbrachte. "Warum versteckst du dich?", fragte sie mich. Ich wusste nicht, was sie meinte und zuckte nur mit den Achseln.
Mia [07:29 Uhr]: Das ist doch unfair!
Als ich aufschaue, habe ich die Haltestelle fast erreicht, sehe aber auch aus nicht weiter Entfernung die Straßenbahn und beeile mich, um sie noch zu erwischen.
Zufrieden, aber auch ziemlich aus der Puste steige ich dann in die Bahn ein und suche mir einen freien Sitzplatz. Beim Vorbeigehen entgehen mir nicht einige meiner Mitschüler, die ganz vertieft in ihren Unterhaltungen sind.
Die Bahn fährt weiter, als ich einen Platz gefunden habe. Prompt verliere ich das Gleichgewicht und plumpse in den Sitz herein.
Das Handy, das ich noch immer in meiner Hand halte, vibriert wieder.
Alex [07:31 Uhr] Süße, du wirst es doch wohl aushalten, bis heute Nachmittag zu warten. Warum denn so ungeduldig? So kenne ich dich ja gar nicht 😉
Alex [07:31 Uhr]: Wo ist deine Abenteuerlust?
Mia [07:32 Uhr]: Die liegt noch im Bett. Warum? Hattest du vor, mit mir Berge zu versetzen?
Alex [07:32 Uhr]: Wer weiß 😌
Mia [07:32 Uhr]: Du bist blöd 😂
Meine Brust zieht sich bei ihren nächsten Worten schmerzlich zusammen.
Alex [07:33 Uhr]: Ich liebe dich auch 💕
Wenn sie wüsste, wie sehr ich mir das wünsche.
Es ist eigentlich total bescheuert zu hoffen, dass sie jemals meine Gefühle erwidern würde. Zwischen Freunden sollte meiner Meinung nach nichts laufen. Das könnte die Freundschaft aufs Spiel setzen, wenn nicht sogar in den Sand setzen, wenn es schon mit der Liebe nicht geklappt hat.
Und wie könnte ich fünf Jahre einfach so wegschmeißen?
Ich möchte Alex nicht verlieren, sie ist mir viel zu wichtig.
Verdammt, das Schicksal ist manchmal ein echtes Arschloch!
*
An der Schule angekommen, wird aus mir das unscheinbare Mädchen, das niemand beachtet. An diesem Ort habe ich niemanden, den ich als Freund bezeichnen würde. Es sind Klassenkameraden, mehr aber auch nicht.
Es ist aber auch so, dass keiner von ihnen mit Alex mithalten könnte. Sie ist zu einzigartig, um Konkurrenz zu bekommen.
Mit eingezogenen Kopf schlängle ich mich durch die Schülermasse und bin froh, jetzt im Erdgeschoss Unterricht zu haben. Auf der Treppe wird man lediglich geschubst.
Im Klassenzimmer setze ich mich auf meinen Platz am Fenster und krame wieder mein Handy heraus.
Alex [07:44 Uhr]: Ich darf doch sicherlich bei dir schlafen, oder?
Mia [07:49 Uhr]: Denke mal schon. Gehört das auch zu deiner tollen Idee?
Alex [07:50 Uhr]: Brauche ich denn einen Grund, um zu meiner Seelenverwandten ins Bett zu steigen? 💕
Seelenverwandte.
Wenn sie nur wüsste, was dieses einzelne Wort in mir auslöst.
Sicherlich würde sie sich von mir abwenden und nichts mehr mit mir zu tun haben wollen.
Das wäre mein Untergang.
"Mia, leg dein Handy weg. Der Unterricht beginnt in wenigen Minuten und du hast noch nicht einmal ausgepackt", fordert Frau Meyer, während sie nach vorne zum Lehrerpult geht.
Augenverdrehend folge ich aber der Anweisung und krame in meinem Rucksack herum.
Ich kann nicht riskieren, dass sie mir nochmal mein Smartphone wegnimmt. Das letzte Mal hat sie einen Blick auf den Chatverlauf mit Alex erhaschen können und wirkte regelrecht verstört.
Und genau davor habe ich Angst. Vor Ablehnung.
Wir sollten in einer Zeit leben, in der es normal ist, wenn zwei Frauen Hand in Hand durch die Straßen laufen. Stattdessen werden ihnen irgendwelche Sprüche hinterhergerufen, oder noch schlimmer, sie werden körperlich angegriffen.
Schwule Männer trifft es sogar noch schlimmer.
Es ist erschreckend, in was für einer noch sehr falschen Welt wir leben.
Ich könnte niemals die Hand meiner Freundin halten, ohne dass man uns komisch von der Seite anschauen würde.
Wie sind eure ersten Eindrücke? Lasst es mich gerne in den Kommentaren wissen
Mia scheint sich ziemlich sicher über ihre Gefühle zu Alex, hat aber Angst davor, wie andere und besonders sie deswegen reagieren könnten...
Sie möchte sie nicht verlieren 😔
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