3 | Bella Thorne
Die Bäume im Blackwood-Nationalpark erhoben sich düster und bedrohlich vor der jungen Frau, die in dieser schicksalhaften Nacht eher unfreiwillig auf dem Weg zu der kleinen Lichtung mitten im Wald war. Dunkle Wolken schoben sich allmählich vor den silbern schimmernden Vollmond und verdunkelten den ausgetretenen Pfad, dem sie aus einem seltsamen inneren Drang heraus folgte.
Sie wusste nicht genau, wer oder was sie in dieser Dunkelheit hierher geführt hatte. Doch eine Sehnsucht, die sie gänzlich ausfüllte, hatte von ihrem Körper und ihrem Geist Besitz ergriffen und lenkte ihre Schritte immer tiefer zum Abgrund, den ihr Herz schon spürte, ehe sie ihn wahrhaftig zu sehen bekam.
Zögerlich blieb die junge Frau bei einem Steinkreis stehen, der die Sterne am Himmelszelt zu spiegeln schien, und sah sich beklommen um. Es war ungewöhnlich still, selbst die Käuzchen, dessen Rufe sie die letzten Minuten begleitet hatten, waren verstummt und machten dem leisen Rauschen der Bäume Platz.
Bella schlug ihre Arme um ihren schlanken Körper, als könne sie mit dieser Geste den eiskalten Schauer zurückdrängen, der wie ein wildes Tier über ihren Rücken zu kriechen begann.
Was zum Teufel wollte sie hier? Was hatte sie hierhergeführt?
Als plötzlich ein eisiger Wind durch die Bäume strich, hörte Bella in der Ferne ein markerschütterndes Heulen. Wölfe! Natürlich gab es hier Wölfe! Ihre Stiefmutter hatte sie immer davor gewarnt, auf dem Weg zu ihrer Großmutter nicht vom rechten Pfad abzukommen. Und nun stand sie hier ganz allein und war den wilden Bestien schutzlos ausgeliefert.
Bella machte auf der Stelle kehrt und sprintete den schmalen Pfad zurück, den sie gekommen war. Der feuchte Waldboden spritzte bei jedem ihrer Schritte auf, während ihr Herz wie ein Vorschlaghammer in ihrer Brust hämmerte. Sie rannte, als würde die Dunkelheit selbst sie verschlingen wollen.
Dann hörte sie es erneut – ein lang gezogenes, kehliges Heulen, diesmal unheimlich nah. Der Klang schnitt durch die Nacht und ließ Bella unachtsam werden und stolpern. Ihr Fuß verfing sich in einer Wurzel, und sie schlug unsanft auf den Waldboden. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihr Handgelenk, das blutend auf dem nassen Moos lag.
„Verdammt!", keuchte sie und biss die Zähne zusammen. Doch Zeit, sich selbst zu bemitleiden, hatte sie nicht.
Das Dickicht vor ihr brach mit einem lauten Knacken auseinander, und ein massiver Schatten trat aus der Dunkelheit. Bella sog scharf die Luft ein. Ein Wolf – größer und finsterer, als es ein normales Tier je sein konnte. Sein schwarzes Fell schimmerte im fahlen Licht des Vollmonds, der durch die Baumkronen brach. Goldene Augen glühten wie flüssiges Metall und fixierten sie unverwandt.
Bella wich auf allen vieren zurück. Sie konnte nicht atmen. Das war ihr Ende. Ganz sicher.
Um den Wolf herum tauchten weitere Schemen auf – ein ganzes Rudel manifestierte sich aus der Dunkelheit. Knurrend und lauernd umkreisten sie das Mädchen wie unheimliche Schatten.
Der schwarze Wolf trat langsam näher, schnupperte an ihr und stieß ein tiefes Schnauben aus. Dann knurrte er drohend, warf den Kopf in den Nacken und ließ ein donnerndes Heulen los. Die Tiere erstarrten und zogen sich zurück.
Bella zitterte. Was zum Teufel ging hier vor?
Plötzlich geschah das Unfassbare. Hätte Bella es nicht mit eigenen Augen gesehen, sie hätte es nicht geglaubt. Direkt vor ihr begannen die Wölfe sich zu verwandeln: Dunkles Fell wich heller Haut, klauenbewehrte Pfoten wurden zu Händen, scharfe Zähne wurden kleiner, doch die Gefahr blieb spürbar. Bella starrte entsetzt, während das Knacken von Knochen die Luft erfüllte.
Wo eben noch Raubtiere gestanden hatten, erkannte sie nun Menschen – beinahe nackt, muskulös und mit wilden Augen. Der ehemalige schwarze Wolf stand vor ihr; ein Mann mit einer Präsenz, die Bella den Atem raubte. Seine Muskeln zuckten angespannt, als würde er jederzeit explodieren. Goldene Augen glühten unter wirren schwarzen Haaren.
„Wer... bist du?", stammelte Bella, unfähig zu begreifen, was gerade geschehen war.
„Ich bin Bracken", sagte er mit einer Stimme, die wie ein tiefes Grollen klang, „Alpha dieses Rudels. Und du..." Er trat einen Schritt näher, seine Augen unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet. „Du bist meine Luna."
„Luna?" Bella schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht... Mein Name ist Bella."
„Du wirst meine Gefährtin. Mein Mate. Uns verbindet ein Band, das du bald spüren wirst." Seine Worte klangen wie ein unumstößliches Versprechen. „Du gehörst zu mir."
Bella wich zurück. Das könnte ihm so passen. „Ich gehöre niemandem!", sagte sie bestimmt.
Ein hartes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Das wirst du noch anders sehen. Deine innere Wölfin schläft noch, aber ich werde sie wecken."
„Ich bin kein Wolf!", rief Bella wütend. „Ich bin ein Mensch, und ich spüre rein gar nichts!"
Seine Augen funkelten gefährlich. „Du wirst es spüren."
„Und wenn nicht?" Bella hob trotzig das Kinn.
„Das ist keine Option", knurrte er entschieden, packte Bella und warf sie mühelos über seine Schulter. „Hey! Lass mich runter!", brüllte sie und hämmerte mit den Fäusten auf seinen Rücken.
„Ja, wenn ich dich nach Hause gebracht habe." Mit diesen Worten rannte er los, sein Rudel folgte ihm bedingungslos.
Bella stand eines Abends auf der Terrasse der Lodge, die tief im Herzen des Waldes lag und dem Rudel als Basis diente. Seit drei Wochen lebte sie nun zwischen den Wölfen und begann langsam zu verstehen, was diese Gemeinschaft ausmachte. Sie waren Familie, Volk und Einheit zugleich. Und Bracken als ihr Anführer erwartete von Bella nichts Geringeres, als ihre Rolle darin zu finden – als seine Luna.
Das bedeutete, ihm Gehorsam zu schwören, sich um die jungen Mitglieder des Rudels zu kümmern, Ansprechpartnerin für die Frauen zu sein und Verbindungen zwischen Paaren zu segnen. Später würde von ihr erwartet werden, dem Rudel Nachkommen zu schenken. Bella schnaubte bei dem Gedanken. Sie konnte sich nicht einmal vorstellen, mit dem Alpha ein Bett zu teilen, geschweige denn Kinder mit ihm zu haben.
Bracken hatte sich bisher zurückgehalten. Obwohl er sie hier gefangen hielt, war er ihr nie zu nahegekommen. Doch Bella hatte aufmerksam zugehört, als man ihr diese Welt erklärt hatte. Beim nächsten Vollmond würde Bracken das Ritual an ihr vollziehen und sie markieren. Sie würde nicht nur offiziell Teil des Rudels werden, sondern ihre Luna. Und seine Gefährtin. Das weiße Gewand, das sie bereits trug, machte unmissverständlich klar, dass sie dem Alpha gehörte.
Doch Bella hatte Zweifel. Ständig sprachen die Wölfe davon, dass ihre innere Wölfin bald erwachen würde und die Anziehung zum Alpha unvermeidlich sei. Eine animalische Macht, die alle Widerstände hinwegfegen würde, sollte von ihr Besitz ergreifen und sie lenken. Aber Bella fühlte nichts. Kein Flimmern, kein Ziehen. Weder der Mann noch der Wolf riefen irgendein Verlangen in ihr hervor. Auch die anderen Männer des Rudels, die in aller Regelmäßigkeit halb nackt durch den Wald sprinteten und trainierten, ließen sie vollkommen kalt. Wahrscheinlich hatten sie sich alle in ihr getäuscht.
Bella wollte sich gerade abwenden und ins Haus zurückgehen, als sie eine ungewohnte Aura zu spüren begann. Im Augenwinkel bemerkte sie eine Bewegung am Lagerfeuer und richtete sofort ihre Aufmerksamkeit auf die Gestalt. Eine Wölfin schlich um die Reste des Essens – eine Omega, das war offensichtlich. Mit gesenktem Kopf suchte sie scheu nach etwas Essbarem. Wahrscheinlich lebte sie weiter draußen im Wald und hielt sich von der Lodge fern.
Die Omega war kleiner als die anderen und trug ungewöhnlich buntes Fell. Bella hätte ihren Blick abwenden sollen, aber etwas an dieser Wölfin fesselte sie. Als die Fremde den Kopf hob und ihre hellblauen Augen Bellas trafen, geschah es.
Ein Feuer entzündete sich in der jungen Frau – heiß und überwältigend. Eine ungekannte Kraft durchströmte ihren Körper, fordernd und wild. Ihr Atem stockte, als das animalische Gieren von ihr Besitz ergriff. Es zog sie unwiderstehlich zu der Omega hin. Aber es war kein romantisches Lodern, es war Hunger. Rohes, pures Verlangen nach etwas, das ihr bisher fremd gewesen war. Doch ihre innere Stimme kannte das Gefühl nur zu gut.
Endlich verstand Bella, wovon die anderen immer gesprochen hatten. Dieses unsichtbare Band, das zwei Seelen miteinander verknüpfte, gab es wirklich. Doch es war nicht Bracken, der sie vor drei Wochen in dem Wald gefunden hatte, der nun diese Verbindung gebaut hatte.
Es war eine Omega.
Und sie hatte ihre Wölfin geweckt.
Klack. Klack. Klack.
Und die Welt um sie herum wurde plötzlich finster.
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