10 | Be my Mate

„Ein Pseudonym? Weil du eine neue Richtung einschlägst?"

Millie saß an Harolds Küchentisch, während sie die letzte Flasche Wein leerten, die er vom Vorabend übrig hatte. Diesmal hatte er gekocht – eine selbst gemachte Lasagne, auf die er sogar ein wenig stolz war. Sie war gut geworden. Zumindest hatte Millie sich nicht beschwert. Vielleicht durfte er sie demnächst für Isabelle machen.

„Der Verlag denkt, dass die Leute keine Dark Romance von einem Krimiautor kaufen wollen", sagte Harold und holte einen Schokopudding als Nachtisch aus dem Kühlschrank. „Besonders nicht von einem, der mit seinem letzten Werk so viel Trubel verursacht hat. Außerdem hält Josh es für wahrscheinlicher, dass eine Autorin von den Leserinnen besser angenommen wird als ein Autor. Schreibt eine Frau über Entführung, brutalen Koitus und Zwangsheirat, ist es was anderes, als wenn ein Mann dies tut. Sagt Josh."

„Hast du gerade Koitus gesagt?" Millie hob eine Augenbraue, dann brach sie in Lachen aus.

Harold seufzte. „Ist das alles, was von meiner Erklärung hängen geblieben ist?"

„Das und dass Josh ein Idiot ist."

„Ich will dir gar nicht widersprechen, aber du kennst doch Josh gar nicht."

Millie schnaubte. „Das brauche ich auch nicht. Wer meint, dass solche Sachen okay sind – egal, ob ein Mann oder eine Frau sie verharmlost – kann nur ein Idiot sein. Schau dir Alice im Wunderland an. Da ist es die Herzkönigin, die eine Armee aussendet, um alle zu versklaven. Es macht keinen Unterschied, ob das Böse ein Mann oder eine Frau ist. Es ist immer noch falsch."

Harold lehnte sich nachdenklich zurück. „Also soll ich mir kein weibliches Pseudonym zulegen?"

„Ich weiß es nicht, Dad. Vielleicht solltest du diese Dark-Romance-Sache einfach lassen. Du bist doch schon ein toller Autor. Warum deine Zeit mit etwas vergeuden, das dir nur wertvolle Lebenszeit raubt? Schreib deine eigenen Geschichten!"

Harold lachte leise, aber ohne echte Freude. „Weil diese Geschichte verdammt nochmal meine Miete zahlt."

Millie hielt kurz inne, dann zuckte sie die Schultern. „Ja. Das tut sie. Aber zu welchem Preis?"

Er antwortete nicht. Stattdessen nahm er einen Löffel Schokopudding in den Mund und schmeckte nichts davon.

Millie leerte ihr Glas und erhob sich. „Ich wünschte, ich könnte noch bleiben, aber ich muss morgen früh ins Institut. Vielleicht können wir am Wochenende was unternehmen?"

„Ja, ich schau mal, ob ich Zeit habe."

Millie stemmte die Hände in die Hüften. „Ob du Zeit hast? Dad, du hast nie was vor, außer zu schreiben. Außer..." Sie grinste vielsagend.

„Sei nicht so neugierig", meinte Harold schmunzelnd. „Dein alter Herr weiß auch noch, wie man Spaß hat."

„Oh, Dad! Zu viel Info!" Sie verzog dramatisch das Gesicht, während sie in ihre Schuhe schlüpfte. „Sag einfach Bescheid, wenn du Zeit findest. Und wegen dieser Bella-Sache: Ich bin immer noch dafür, dass sie sich verliebt. Und ich meine nicht in den Alpha!"

Harold schmunzelte und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Verstanden, Mausi. Ich glaube, ich habe da auch schon eine Idee."

Er sah ihr nach, als sie durch die Tür verschwand. Dann ließ er den Blick durch die Küche schweifen. Ein halb volles Glas Wein, ein leerer Schokopuddingbecher, Reste der Lasagne. Ein Abend, der sich gut angefühlt hatte.

Er atmete tief durch, dann stand er auf, um den Tisch abzuräumen. Vielleicht hatte Millie recht. Vielleicht sollte er aufhören, Geschichten zu schreiben, die nicht seine eigenen waren. Vielleicht war es an der Zeit, Bella endlich eine echte Wahl zu geben.

Aber während er das Geschirr in die Spüle stellte, ließ ihn ein bitterer Gedanke nicht los: Die Geschichte, die er nicht schreiben wollte, war genau die, die ihn über Wasser halten würde.

Und so sehr er Millies Idealismus bewunderte – Ideale bezahlten keine Rechnungen.

Das Gespräch mit Millie gab Harold dennoch neuen Auftrieb. Alles, was Josh wollte, war, dass der Schriftsteller sich an die gängigen Regeln hielt. Doch seine Wolf-Bella wusste noch nicht, dass sie selbst ein Alpha-Weibchen war.

Bisher hatte er ihr eine ziemlich standardmäßige Vergangenheit geschrieben: Ein verfeindetes Wolfsrudel, ein verlorener Kampf, ein Alpha-Junges, das in Sicherheit gebracht wurde und in dem Glauben aufwuchs, ein normales Mädchen zu sein. An ihrem achtzehnten Geburtstag folgte sie einem geheimnisvollen Ruf in den dunklen Wald – nur um dort dem Alpha zu begegnen, der für den Untergang ihres Rudels verantwortlich war. Welch ein Plottwist.

Aber musste es so laufen?

Alpha verliebt sich in Omega... Josh hatte gesagt, das sei möglich. Bella war eine Alpha. Und die namenlose Omega, die sie erweckt hatte... Vielleicht lag hier eine neue Geschichte verborgen. Eine, die er zumindest ausprobieren wollte.

Es war spät geworden. Der Mond schien durch das leicht geöffnete Dachgeschossfenster, und eine kühle Brise strich durch die aufgeheizte Wohnung. Harold öffnete seinen Laptop und rief das Dokument mit dem Titel Be My Mate auf. Er überflog, was er bisher geschrieben hatte – und musste schmunzeln. Selbst hier hatte sich Bella Thorne nicht von der Finsternis aufhalten lassen.

„Idiot", murmelte er und lachte leise. „Sie ist ein Werwolf. Die Dunkelheit wird sie kaum bremsen."

Neugierig, was Bella in seiner Abwesenheit angestellt hatte, scrollte er zu den letzten Sätzen. Sie war definitiv mutiger, als er selbst. Zielstrebig war sie auf die Omega zugegangen, hatte alle Blicke der anderen gekonnt ignoriert und stand nun neben dem Wolf, der fast unterwürfig von unten zu ihr aufschaute.

„Ich habe dich hier noch nie gesehen. Wie heißt du?"

Die Wölfin spitzte die Ohren, schnupperte vorsichtig.

„Mein Name ist Bella. Ich ... Ich würde dich gerne kennenlernen."

Bella kam sich kurz albern vor, mit einem Tier zu sprechen – und Harold fühlte sich ebenso albern, während er es las. Aber dann: Die Wölfin begann mit der Rute zu schlagen und ... lächelte.

Können Wölfe lächeln?

Harold verzog amüsiert das Gesicht. Wahrscheinlich konnte sie auch im Mondlicht funkelnde Smaragdtropfen aus ihren Wolfsaugen weinen, wenn sie wollte.

Bella erwiderte das Lächeln – oder das, was sie für ein Lächeln hielt – und streckte eine Hand nach der Wölfin aus. Zaghaft berührte sie ihren Kopf, strich ihr über das dichte Fell und begann, sie hinter dem Ohr zu kraulen.

Harold lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und beobachtete das verrückte Treiben auf seinem Bildschirm. Natürlich blieb Bellas Annäherung nicht unbemerkt. Der eifersüchtige Alpha hatte mit Sicherheit schon kilometerweit ihre Pheromone gewittert – und das trotz des penetranten Geruchs von mehr als drei Dutzend pubertierender Jungwölfe.

Es folgte die unvermeidliche Reviermarkierung. Der Alpha riss Bella von der Omega fort, funkelte sie besitzergreifend an und zog sie an sich, als müsse er ihr in übertrieben theatralischer Manier beweisen, dass er ihr einzig wahrer Partner war. Harold dachte kurz darüber nach, wie Hunde üblicherweise ihr Revier markierten – und schüttelte dann schnell den Kopf. Nein, das würde nicht in seinem Roman passieren.

Wobei ... die Szenen, die er für seine „Recherche" gelesen hatte, waren in den allermeisten Fällen mehr als pikant. Er hatte sie – selbstverständlich nur zu Forschungszwecken – lesen müssen. Rein beruflich natürlich.

Irgendwann hatte er nur noch mit hochgezogenen Brauen und einem Stirnrunzeln vor dem Bildschirm gesessen und sich gefragt, ob ein normaler Mensch jemals so viel über „Knoten" wissen sollte, wie er.

Doch statt direkt über sie herzufallen, brachten die Wölfe Bella in eine der Holzhütten , wo sie – ach du meine Güte – auf ihre „Hitze" warten sollte, bis die Paarung mit Bracken anstand. Harold massierte sich die Nasenwurzel. Dieses Genre war wirklich ... speziell.

Die Omega hingegen? Nun, die würde man „in ihre Schranken weisen."

Harold rieb sich nachdenklich über das Kinn. Vielleicht sollte er dem Ganzen eine Wendung geben. Vielleicht war die Omega gar nicht so wehrlos, wie alle dachten? Vielleicht würde sie sich später auf ihre eigene Art rächen – oder, noch besser, Bella retten, statt nur das hilflose Opfer zu sein?

Ja. Das gefiel ihm. Er lächelte leicht und begann zu tippen.

„Lasst mich hier raus, ihr Schweine!" Bella hämmerte wild mit den Fäusten gegen die Fensterscheibe der Blockhütte. Man hatte sie hier eingesperrt, nur, weil sie sich der Omega genähert hatte. Dabei wollte sie die Wölfin doch nur kennenlernen. Wahrscheinlich war sie dem Alpha zu sehr auf Tuchfühlung gegangen, denn er hatte ihrer Empfindung nach völlig übertrieben reagiert. „Hallo? Hört mich jemand? Lasst mich raus, oder ihr könnt euch eure Hochzeit ganz abschminken!"

Von draußen hörte sie ein dunkles Lachen. „Wenn du dich dem Alpha nicht freiwillig hingibst, dann wird er sich eben nehmen, was ihm zusteht."

Bella lief ein kalter Schauer über den Rücken. Das waren ja großartige Aussichten. Nicht!

Sie musste aus dem Wald fliehen! Doch wie konnte sie sich nur befreien? Sie war nicht stark genug, um gegen ein ganzes Rudel Wölfe anzukommen.

Und wir müssen zu unser Mate!

Bella stockte. Was war das gerade gewesen? Sie hatte deutlich jemanden sprechen gehört.

Ich will zu ihr! Du musst sie finden!

Ein leises Winseln machte sich in ihrem Kopf breit. War das ihre Wölfin?

...

Harold seufzte und starrte missmutig auf den Text, den er gerade getippt hatte. 

Er konnte es einfach nicht! 

Er fand einfach keinen Zugang zu dieser Art Geschichte. Er konnte nicht und er wollte auch nicht mehr!

Sollten die Wölfe doch ihre inneren Stimmen hören und ihre animalischen Triebe ausleben. Ihm gab das nichts! Das alles gab ihm nichts.

Josh wollte Mafia. Isabelle wollte Schloss-Romantik. Millie wollte Wölfe. Und was war eigentlich aus seiner Boss Geschichte geworden?

Und was mit dem, was Harold wollte? Er gähnte. Harold wollte ins Bett. Die Uhr in der Küche zeigte bereits halb eins.

Müde legte er die Hand auf den Laptop als sein Handy vibrierte. Wer schrieb ihm noch so spät, mitten in der Nacht? Neugierig öffnete er den Chat.

Isabelle Wright:
Wie läuft dein Schreiben? Vielleicht sollte der Schlossherr seiner Herzensdame bald einen weiteren Besuch abstatten ...

Harold grinste. Sprach sie nur von der Geschichte?

Du:
Der Schlossherr wäre hocherfreut, die holde Maid bald wiederzusehen. Wie sieht es bei ihr am Wochenende aus?

Isabelle Wright:
Hmm ... der Schlossherr mag ja gewandt mit Worten sein, aber ob er seine Herzensdame auch in der Realität erneut überzeugen kann?

Harold schmunzelte. Er würde sie gerne erneut von sich überzeugen.

Du:
Ich hoffe doch, dass seine bisherigen Bemühungen nicht so schnell in Vergessenheit geraten sind.

Isabelle Wright:
Vergessen? Ganz und gar nicht. Aber vielleicht sollte er zur Sicherheit eine weitere eindrucksvolle Vorstellung geben ...

Du:
Samstag?

Isabelle Wright:
Samstag klingt perfekt. Ich bin gespannt, ob der Schlossherr seinen Ruf aufrechterhalten kann.

Harold grinste übers ganze Gesicht. Mit diesem Gedanken konnte er definitiv gut schlafen. Auf dem Weg ins Bad tippte er eine „Gute Nacht" ins Telefon – so abgelenkt, dass er gar nicht bemerkte, dass sein Laptop noch immer offenstand ...

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