1 | Bella Bianci
Die Luft im Club D'Oro war in dieser Nacht wie immer stickig und rauchverhangen. Harte Bässe dominierten die Tanzfläche und pressten Bella Bianci den letzten Atem aus den Lungen. Wie eine Marionette trug ihr unfreiwilliger Verlobter Lorenzo Moretti die zierliche Brünette über das Parkett, eng umschlungen in einem Tango de la Muerte, bei dem sie das Gefühl hatte, kaum Boden unter den Füßen zu spüren.
Sie hätte froh sein sollen. Der einzige Erbe der einflussreichsten Mafia-Familie hatte ausgerechnet ein Auge auf sie geworfen. Viele Mädchen würden töten, um an ihrer Stelle zu stehen. Das hatte man ihr oft genug gesagt, seit Lorenzo sie vor Jahren aus dem Haus ihres Vaters geholt hatte. Eine Nacht, an die sie sich nur verschwommen erinnerte – voller Dunkelheit, Schreie und das Dröhnen seines Wagens, der sie davonbrachte.
„Du musst lächeln, Prinzessin." Seine Stimme war tief, rau wie Whiskey mit einem Hauch Bedrohlichkeit. Ein angedeutetes Grinsen spielte um seine vollen geschwungenen Lippen. Dunkles, leicht zerzaustes Haar fiel ihm verwegen in die Stirn, und sein kantiges Gesicht war wie aus Marmor gemeißelt – hart und makellos. Selbst in diesem stickigen Club wirkte er perfekt, unantastbar.
Sein Griff war fest, wenn auch nicht schmerzhaft. Viel gefährlicher war die Selbstverständlichkeit, mit der er ihren Körper kontrollierte, ihn durch die Menge dirigierte, als wäre sie nur eine Verlängerung seines Willens.
Bella zwang sich zu einem Lächeln, das ihre mokkabraunen Augen nicht erreichte. Sie hatte oft gehört, was von ihr erwartet wurde. Sei hübsch. Sei still. Sei gehorsam.
Ihr Blick wanderte durch den Club, auf der Suche nach einem Ankerpunkt. Doch alles, was sie fand, war Bewunderung oder schiere Angst vor dem Mann, der sie umklammerte.
„Ich habe wohl keine Wahl, oder?" Die Worte kamen leiser aus ihr heraus, als sie beabsichtigt hatte.
Lorenzos Grinsen wurde breiter. „Nein, Prinzessin." Seine Finger legten sich an ihr Kinn und zwangen sie, ihm in die Augen zu sehen. „Du gehörst mir. Für immer."
Das Unbehagen kroch in ihr hoch wie kaltes Wasser. Sie wollte fliehen, doch er zog sie immer weiter in seine Dunkelheit. Für einen Moment fragte sie sich, ob er wirklich glaubte, dass Besitz Liebe war. Dass Macht Bindung bedeutete.
Sie schluckte den Gedanken herunter. Das ist meine Welt, sagte sie sich. So funktionierte sie nun mal. Er war der Sturm, und sie hatte nie gelernt, gegen den Wind zu kämpfen.
Lorenzo beugte sich vor, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. „Küss mich, Prinzessin. Alle sollen sehen, dass du nur mir gehörst."
Sein warmer Atem streifte ihre Wange, und Bellas Körper versteifte sich. Sie ahnte, was passieren würde – und dass Widerstand zwecklos war. Doch bevor seine Lippen die ihren berührten, passierten gleich mehrere Dinge gleichzeitig: Eine gewaltige Explosion ließ die Wände des Clubs erzittern und riss einen Teil der Empore entzwei, auf der sie normalerweise neben Lorenzo saß, wenn er wie ein König über sein Gefolge wachte. Von der anderen Seite des Raumes knallten Schüsse. Die Menge schrie auf und stürzte panisch zum Ausgang.
Der Mafia-Erbe riss den Kopf hoch, seine Augen glänzten gefährlich. „Bleib bei mir!", befahl er und zog seine Waffe mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der gewohnt war, Kontrolle auszuüben. Sie sah auf die Pistole. Und mit der drohenden Gefahr des nahenden Tods vor Augen keimte ein ungewohnter Gedanke in Bella auf.
‚Was ist, wenn ich diesmal nicht gehorche?'
Ein gellender Schrei durchbrach die Kakofonie und löste Bella aus ihrer Starre. Während Lorenzo mit kühlem Blick auf die Angreifer zielte, duckte sie sich unter seinem ausgestreckten Arm hindurch und rannte los.
Der Haupteingang war bereits verstopft. Hunderte Menschen drängten und schubsten sich in ihrer Panik zum engen Durchlass, während sie versuchten, der Schusslinie zu entkommen. Bellas Blick flackerte zur Seite. ‚Der Lieferanteneingang im Keller!' Normalerweise war er von einem Wachmann bewacht. Doch jetzt ... frei!
Ihr Herz raste, als sie über die Tanzfläche hetzte. Trümmer der eingestürzten Empore übersäten den Boden und versperrten ihr den direkten Weg. Krampfhaft hielt sie ihr paillettenbesetztes Kleid fest, um nicht darüber zu stolpern. Ihre hohen Schuhe rutschten beim Slalom um die Trümmerteile auf den glatten Fliesen. Einmal kippte sie gefährlich nach vorne, fing sich aber im letzten Moment.
Ihre Beine brannten, als sie endlich die Tür zum Keller erreichte. Keuchend blieb sie stehen und warf einen Blick zurück.
Lorenzo stand wie ein Fels in der Mitte der Tanzfläche, die Pistole sicher in der Hand. Schüsse hallten durch den Raum, Menschen fielen zu Boden. Das flackernde Licht des Clubs malte unstete Schatten auf das kantige Gesicht, das seinen Feind fixierte. Niemand achtete auf sie. Ein Funken Hoffnung blitzte in Bella auf.
‚Kann ich dem Tyrannen entkommen?'
Dann öffnete sie die Tür. Bella rannte durch den engen Kellerflur, ihre Schritte hallten laut an den Wänden wider. Die Sirenen des Clubs dröhnten in ihren Ohren, vermischt mit den Schreien und Schüssen, die hinter ihr immer leiser wurden. Der kalte Luftzug des Notausgangs traf sie fast erlösend, als sie endlich ins Freie stolperte.
Ihr Atem ging stoßweise, während sie über die Straße rannte, deren Asphalt von flackernden Blaulichtern erhellt wurde. Das Kreischen der Sirenen war allgegenwärtig, die Welt ein pulsierendes Chaos aus Licht und Lärm. Bellas Gedanken überschlugen sich.
‚Wohin jetzt? Kann mir jemand helfen? Gibt es überhaupt einen Ort, an dem ich sicher bin?'
Doch während sie noch eine Antwort suchte, änderte sich plötzlich etwas. Die Lichter verblassten. Das Dröhnen der Sirenen ebbte ab, als hätte jemand den Ton ausgeblendet. Bellas Schritte hallten nun wie ein fernes Echo in der Leere wider. Die Welt um sie herum schien stillzustehen.
Sie blieb abrupt stehen, verwirrt von der plötzlich eingetretenen Stille. Die Straße war leer und schwarz, wie ausgelöscht. Selbst die Luft fühlte sich leblos an.
„Was zum ...?" Bellas Stimme hallte hohl in der Leere. Ihr Herz pochte wie ein einziger, verzweifelter Schlag gegen die absolute Dunkelheit.
In der Ferne hörte sie ein Klacken, das schließlich erstarb. Ein letztes lautes Klickgeräusch kündigte das Ende von etwas an.
„Was passiert hier?", rief sie in die Dunkelheit. Doch niemand antwortete ihr. Sie war allein.
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