Kapitel 2

Taehyung

Erschrocken nehme ich den Finger in dem Mund und lecke das Blut ab. Es tritt aus einer kleinen Schnittwunde an meinem Zeigefinger aus, hat zuvor sogar einen Tropfen gebildet, der gedroht hat, zu Boden zu stürzen. Dir Schnittstelle brennt leicht, doch der Schreck ist es, der mich bis ins Mark durchfährt.
‚Wie zur Hölle kommt dieses Ding in meinen Schreibtisch und wie kann es sein, dass das Glas nun zerbrochen ist?'

Ungläubig schlage ich die Schublade wieder zu, widme mich dem, was nun höhere Priorität besitzt. Über diesen Vorfall kann ich mir auch noch später Gedanken machen.
Hastig stolpere ich also an das geöffnete Fenster und greife mithilfe des Lappens, nach der leblosen Krähe. Die Blutlache des armen Tieres, sah vorhin dramatischer aus, als sie im Endeffekt nun ist.

‚Also so schnell wird nichts in die Waschküche tropfen, da bin ich mir jetzt sicher.'

Noch immer etwas unbeholfen halte ich den Körper in zwei Händen und verlasse mein Zimmer. Betend, dass ich nicht irgendwie das Gleichgewicht verlieren werde, beim Versuch die Treppen zügig hinab zu sprinten, werde ich unverhofft von einer energischen Stimme auf halber Strecke zum Stehen gebracht.

„Hast du was auf dem Herd vergessen?", fragt meine Schwester, die sich nun doch von der Couch erhoben hat und mir verwirrt ins rot angelaufene Gesicht blickt.
Ich schlucke und suche nach den rechten Worten, um sie nicht auch aus allen Wolken fallen zu lassen. Dass dies bereits einer Person dieses Haushalts bereits passiert ist, reicht für diesen Freitag.

„Also, ähm... Schrei' mir bitte nicht die Ohren voll, aber eine Krähe hat sich an meiner Fensterscheibe im Zimmer, das Leben genommen."

Natürlich fällt ihr das Gesicht herunter und sie starrt mich ungläubig an. „Eine Krähe? Eine echte Krähe? Und sie ist tot?" Ich nicke schuldig und reiche ihr den Lederlumpen samt Krähe etwas näher. Ihr Augen weiten sich und ihre Lippen verziehen sich. „Mach' und bring das aus dem Haus. Du spinnst doch! Sowas fasst man nicht an! Mensch, Taehyung. Wie alt bist du bitte?" Ihr scheint es den Magen genauso umzudrehen, wie mir.

~•~

Schnell öffne ich den Deckel der Mülltonne, die neben unserem Haus steht. Es riecht unangenehm, doch noch unangenehmer ist das tote Tier in meiner anderen Hand, dessen Blut langsam aber sich aus dem Lappen heraustropft. Ich lege den leblosen Körper sachte in der Tonne ab und lasse anschließend den Deckel mit einem lauten Knall zu fallen. Mit einem großen Satz bringe ich etwas Platz zwischen meiner Wenigkeit und der vorerst letzten Ruhestätte, der Krähe.

Einfach gehen, finde ich dem Tier gegenüber etwas unhöflich, da ihr Leben ein nicht wirklich schönes Ende gefunden hat.
„Ich würde dir ja viel Glück für das Jenseits wünschen, aber...", stammele ich und beende meine Rede. Mir ist diese Situation doch zu unangenehm, mir tut das Tier einfach viel zu leid. Mit verzogenen Lippen wende ich mich ab und trabe flott zurück ins Haus.
Im Hausflur angekommen, schlüpfe ich wieder in meine Hausschuhe und atme dann einmal tief durch.

‚Was ist das bitte für ein seltsamer Tag?'

Noch etwas aufgewühlt steuere ich Richtung Wohnzimmer. Wie ein Stein lasse ich mich auf die Couch fallen. Etwas, womit ich meine Schwester sichtlich erschrecke und auch nerve. Schnell spüre ich einen Tritt in meiner Seite. „Ich sitze am anderen Ende. Gib mir auch etwas Platz", ermahne ich sie etwas betonter, worauf sie mir überrascht in die Augen blickt.
Ich fahre mir mit den Händen durch das Gesicht und lasse mich tief in das weiche Leder sinken. Ich bemerkte dabei nicht, wie ich mein Gesicht dadurch teils Blutrot färbe. Erst das zögerliche Fragen meiner jüngeren Schwester machen mich darauf aufmerksam.

,,Tae? Hey, Tae? Taehyung, hörst du mich?" Verwirrt und nicht wirklich anwesend, schaue ich sie an. Sie runzelt die Stirn und rückt direkt an meine Seite, die Lippen zu einem dünnen Strich verzogen.
„Was treibst du denn?", murmelt sie, als sie nach meiner Hand greift und meinen leicht verletzen Finger begutachtet. Darauf lehnt sie sich rüber an den Couchtisch, worauf, neben Fernbedienungen und einer Schüssel Cracker, auch eine Taschentuchpackung steht.
Sie nimmt zwei Tücher und wischt mir damit die Blutstreifen - so gut es geht - von der Wange und Stirn.
„Du solltest die Krähe loswerden und dir nicht den Finger absäbeln. Aber so schlimm sieht's gar nicht aus. Desinfizieren muss ich es trotzdem", wirft sie mir etwas vorwurfsvoll an den Kopf und erhebt sich, um Desinfektionsmittel aus dem Badezimmer zu holen. Zuvor betrachte sie, abfällig mit der Zunge schnalzend, die feine Schnittwunde.

Kurze Zeit später ist sie schon wieder zurück. In ihren Händen hält sie eine kleine Sprühflasche, eine Packung an Pflastern, wie einen feuchten Waschlappen.
„Ich hoffe, du hast das Blut der Krähe nicht abbekommen. Was, wenn sie sonst was für Krankheiten hatte. Du bist ja schlimmer, als das größte Kleinkind." Schuldig starre ich zu Boden, denn recht hat sie ja.

Sie seufzt leidig auf und setzt sich wieder an meine Seite. „Tu' mir einen Gefallen, Tae. Wenn du das nächste Mal sowas abziehst, pass bitte etwas mehr auf dich auf, ja?", spricht sie, die Brauen gehoben. So ähnelt sie unserer Mutter auf einer beunruhigenden Art und Weise, was etwas schlucken lässt, da ich es eigentlich bin, der ihr in Aussehen und Handeln zum Verwechseln ähnlich ist.

„Ich habe mich davor an etwas geschnitten, aber ja. Ich pass' besser auf, versprochen!"

Mit dem feuchten Lappen entfernt sie den Rest des Blutes in meinem Gesicht, nachdem sie meinen Finger vorsichtig verarztet hat. Ich beiße fest die Zähne zusammen, als das Desinfektionsmittel in Kontakt mit dem kleinen Schnitt kommt.
Sie lacht dabei gehässig auf und grinst mir danach breit ins blasse Gesicht.
‚Das habe ich dann wohl verdient.'

„Sei nicht so eine Memme. Gleich hast dus' geschafft."

~•~

Draußen wird es langsam dunkel, als ich mich von der Couch erhebe, meine jüngere Schwester vorsichtig mit ihrer Decke wieder zudecke und ich mich in mein Zimmer schleiche. Sie ist bereits vor einiger Zeit eingeschlafen, doch ihre Beine haben mir den Weg versperrt, um mich endlich in mein Bett legen zu können. Wir haben an diesem Tag zusammen gekocht und die Küche ist auch wirklich heil geblieben. Etwas, worüber sich unser Vater mehr als gefreut hat, als er vor kurzer Zeit nach Hause gekommen ist.

Die Treppenstufen knirschen leise, als ich mich nach oben bewege. Ich versuche so leise wie möglich zu sein, nicht, wie der Elefant im Porzellanladen, als was mich meine Familie ab und an betitelt. In meinem Zimmer angekommen, lege ich mich endlich auf das Bett, wobei der Lattenrost ein wenig aufjault. Genervt verrolle ich die Augen, denn dieses Problem mit dem Rost hat mich schon des Öfteren genervt.

Das Fenster ist aufgrund des Vorfalls die ganze Zeit sperrangelweit geöffnet gewesen, dementsprechend ist es nun ziemlich frisch. Bibbernd kuschele ich mich unter meine Decke und schließe die Augen.
‚Dieser Tag ist wirklich seltsam gewesen', schießt es mir durch den Kopf, als ich an die Krähe, wie auch den seltsamen Spiegel denke.
‚Habe ich ihn wirklich in die Schublade gelegt? Falls nein, wie ist er denn dahin gekommen? Einfach aufgestanden kann er schlecht sein', stelle ich schmunzelnd fest.
Dass, was mich jedoch am meisten stutzig macht, ist dieser Riss. Bei dem Transport vom Haus meiner Großeltern, bis hin zu meinem Zimmer, habe ich große Acht gegeben, dass der Spiegel nicht beschäftigt wird.

Er hat zuvor einen Sturz aus circa zwei Metern direkt auf meinen Schädel überlebt, wie kann das bitte sein, dass er nun vom einfachen Herumliegen einen Sprung bekommen hat?
Vor lauter Fragen werde ich immer schläfriger und das Spekulieren wird immer schwieriger.
Ich gähne und lege mich auf die Seite, eingekuschelt in meine warme Bettdecke.

Vielleicht wird es mir morgen ersichtlicher.

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