✧.* - Kapitel 3
Samstag, 26. April
„Waren Sie die ganze Zeit zuhause? Sind Sie zwischendurch weggegangen? Kann irgendjemand bestätigen, dass Sie die ganze Nacht zuhause waren?"
Ich schüttelte den Kopf, mehrmals und dann hätte ich fast aufgelacht – wenn es nicht so unpassend gewesen wäre. Sicher, Frau Lee konnte ganz bestimmt bezeugen, dass ich keinen Schritt vor die Tür gemacht hatte, aber das würde den Beamten wohl nicht überzeugen.
„Es... gibt einen Sicherheitsmann im Gebäudekomplex", murmelte ich und überlegte, wie der Mann tatsächlich hieß, weil jeder ihn nur Jackie nannte, seiner Vorliebe für Jackie Chan Filme wegen. Ich hatte keine Ahnung, wurde mir da klar. Ich wusste nicht mal wie unser Sicherheitsmann hieß, an dem ich seit vier Jahren täglich immer wieder vorbeilief. Schnaubend wischte ich mir über die Stirn. „Er ist für den ganzen Komplex zuständig."
Auf der anderen Seite schrieb Park Seonghwa eifrig mit, tippte dann jedoch mit dem Stift auf seine Notizen und sah auf. „Der Komplex umfasst vier Gebäude, richtig?"
Richtig, und damit war auch klar, dass Jackie wohl kaum die ganze Nacht auf seinem Platz saß, sondern immer wieder eine Runde drehte.
„Ich bin sicher es gibt Kameras", sagte ich lahm, auch wenn ich mich selbst dafür nie interessiert hatte.
Auch das notierte mein Gegenüber mit einem Nicken. „Wir überprüfen das", erklärte er außerdem, verschränkte die Arme und sah mich an.
„Nachdem Sie Herrn Song verletzt aufgefunden haben – warum haben Sie da nicht die Polizei gerufen, den Krankenwagen? Warum haben Sie ihn selbst ins Krankenhaus gebracht?"
Tja warum? Erst jetzt, wo er das zur Sprache brachte, wurde mir die Absurdität meiner eigenen Handlung bewusst. „Ich weiß es nicht", murmelte ich wahrheitsgemäß. „Ich habe nicht darüber nachgedacht. Ich hatte Angst, ich wollte helfen..."
Die Kugelschreibermine glitt beinahe lautlos über das Papier, kein Kratzen, das musste wohl ein sehr hochwertiger Stift sein.
„Welche Verletzungen konnten Sie sehen und konnten Sie sie zuordnen?"
„Was?" Ich verstand die Frage wirklich nicht, schüttelte also erneut den Kopf und sah zu, wie er schrieb. Was eigentlich? Ich hatte doch gar nichts gesagt. Ich fuhr mir mit der Zunge über meine trockenen Lippen und versuchte mich zu konzentrieren. „Alles war blutig", murmelte ich. „Sein Gesicht war..." Ich vollführte eine unbestimmte Geste. „Nein, ich konnte nichts zuordnen. Was meinen Sie? Ich..." Kopfschüttelnd brach ich ab.
„Sie haben nicht nachgesehen? Sein Hemd geöffnet, seine Jacke?"
„Er hatte keine Jacke an", flüsterte ich heiser. Hatte ich das nicht schon gesagt? Leidlich genervt lehnte ich mich vor.
„Hören Sie, keine Ahnung worauf Sie hinauswollen, okay? Aber wie ich schon sagte, er lag da auf dem Boden, er war offensichtlich verletzt und ich hatte Panik. Er ist allein nach Hause gekommen, also womöglich dachte ich deswegen nicht darüber nach, ob es klüger wäre, einen Krankenwagen zu rufen. Ich habe ihn ins Krankenhaus gefahren, den Rest wissen Ihre Kollegen."
Dass er selbst meinen aufgebrachten Einwurf so gelassen hinnahm, machte mich nur noch ärgerlicher und als er tatsächlich den Stift hinlegte und die Hände verschränkte, als wären wir nur zu einer gemütlichen Plauderrunde zusammengekommen, war es endgültig aus. Konnte er überhaupt nachempfinden, wie ich mich gerade fühlte?
„Ich bitte vorab schon um Entschuldigung, wenn das indiskret sein sollte und ich möchte Sie wirklich nicht beleidigen oder Ihnen zu nahetreten, aber – wie alt sind Sie?", platzte es aus mir heraus und falls ich ihn damit verärgert hatte, zeigte er es nicht, das war schon beeindruckend.
„28", antwortete er, was mich so überraschte, dass ich ruckartig aufsah. Ich hatte nicht erwartet, dass er überhaupt auf meine rüden Worte eingehen, geschweige denn, dass er tatsächlich antworten würde. Scheinbar konnte er wohl erneut in meinem Gesicht recht deutlich lesen, was ich dachte.
Ja, okay, er war tatsächlich ein wenig älter als erwartet, aber wie viel Erfahrung brachte er denn mit – mit gerade mal 28 Jahren? Während diese Gedanken durch meinen Kopf jagten, wandte er sich um und nahm das Protokoll zur Hand, dass sein älterer Kollege zu Beginn angelegt hatte und überflog dieses. Schließlich sah er auf und ein freundlich-nichtssagendes Lächeln zierte sein Gesicht.
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Sie sind Bauingenieur?"
„Statiker", antwortete ich und nickte gleichzeitig.
„Und Sie sind angestellt bei einem Tochterunternehmen der Aecom Gruppe? Waren die nicht involviert bei der Instandsetzung der Seogang Brücke?"
„Instandsetzung und Teilaufbau, ja", antworte ich verwirrt, weil ich keinen Schimmer hatte, was das jetzt mit dem Fall zu tun hatte. War meine Arbeit von Bedeutung?
„Was für ein Zufall", murmelte er und sah mich an. „Über diese Brücke fahre ich mindestens zwei Mal am Tag. Ist sie sicher? Ich meine – unter dem fachlichen Blickwinkel eines Statikers betrachtet?"
Ich blinzelte und gleich darauf spürte ich, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg, also wich ich seinem Blick aus.
„Tut mir leid", presste ich hervor. Natürlich hatte ich die Anspielung verstanden und ganz gleich, ob es nun unpassend war oder nicht, es war jedenfalls nicht schlimmer als mein wenig verschleierter Seitenhieb bezüglich seiner Berufserfahrung.
Auf der anderen Seite lehnte sich der Beamte nun auf den Tisch und betrachtete mich aufmerksam. „Nein, schon in Ordnung", sagte er, „mir tut es leid und ich kann Sie verstehen. Also – ein Spiel mit offenen Karten. Ich habe die Polizeiakademie abgeschlossen sowie den Militärdienst, das war vor knapp fünf Jahren. Ein Jahr Schutzpolizei", zählte er an den Fingern ab, „Wechsel in die Abteilung zur Bekämpfung von schwerer Kriminalität. Zwei Jahre verschiedene Kapitaldelikte, spezialisiert, seit eineinhalb Jahren hauptsächlich mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beschäftigt. So die offizielle Bezeichnung. Also ja, weil das offensichtlich Ihre Frage ist, ich habe die entsprechende Vorerfahrung und ich kann Ihnen versichern Sie sind bei mir in guten Händen."
„Es tut mir leid", krächzte ich, erneut tiefrot im Gesicht. „So war das nicht gemeint und Sie müssen sich auch nicht erklären, das-"
„Nein, muss ich nicht", unterbrach er mich knapp. „Warum habe ich es also getan?" Er seufzte und fuhr fort „Damit Sie verstehen, dass ich aus einem bestimmten Grund mit diesem Fall betraut wurde. Kennen Sie die Zahlen zu Verbrechen mit sexuellen Übergriffen? Vermutlich nicht und wenn Sie sie kennen, dann reden wir von einer Statistik, die hauptsächlich Verbrechen gegen Frauen untersucht. Eine verzerrte Statistik also, weil männliche Opfer darin so gut wie gar nicht erfasst sind. Warum nicht, was denken Sie?"
Ich dachte gar nichts, ich starrte ihn nur an, zuckte die Schultern und sah, wie er grimmig die Stirn runzelte.
„Nicht etwa, weil es keine oder kaum männliche Opfer gibt, sondern weil so gut wie kein Mann sich zu einer Anzeige entschließt. Aber nur weil jeder dazu schweigt, heißt es nicht, dass es nicht passiert, nicht wahr?"
Nein, hieß es natürlich nicht, das hatten wir ja gerade erst mit aller Bitterkeit erfahren. Ich atmete tief durch, wischte mir über die Augen und nickte.
„Mir ist bewusst, dass das nicht einfach ist und wir stehen erst ganz am Anfang. Nicht jeder ist stark genug, um sich dem zu stellen, aber wir brauchen Ihre Mitarbeit und die Mitarbeit des Opfers, sonst sind uns die Hände gebunden. Ich bin da, um Ihnen zu helfen. Ich verstehe Ihre Wut, Ihre Angst, Ihre Sorgen. Ich verstehe, dass das alles hier", seine Geste umfasste das Büro oder gleich das ganze Gebäude, „Sie unter Druck setzt, zu viel und gleichzeitig zu wenig ist. Aber das alles gehört dazu und wie gesagt, ich bin ebenfalls da, um Ihnen zu helfen, einverstanden?"
Wieder nickte ich, gab mit einem Wink zu verstehen, dass er mit seinen Fragen fortfahren sollte und wir kehrten wieder zum Ausgangspunkt zurück.
Nach einer weiteren Stunde schwirrte mir der Kopf. Ich wusste nicht mehr, was er alles gefragt hatte, war mir aber ziemlich sicher, dass er viele Sachen mehrmals in unterschiedlichem Wortlaut abgefragt hatte und die Notizen wurden immer mehr. Jetzt waren wir wohl auf der persönlichen Ebene angekommen.
„... und Herr Song wohnt mit Ihnen zusammen unter der angegebenen Adresse."
Es war mehr Feststellung als Frage, also nickte ich nur und raunte ein leises „ja" hinterher, als er mich ansah.
„Wie ist Ihr Verhältnis zu Herrn Song?"
Ich blinzelte, spürte, wie mein Puls leicht in die Höhe jagte und antwortete so ruhig wie möglich: „Er ist mein Freund."
„Freund..." hörte ich, sah ihn schreiben, innehalten, dann sah er wieder auf. „Freund, wie...?" Er wartete, dass ich seinen Satz ergänzte und ich schnaubte leise.
Mit leicht geneigtem Kopf starrte ich zurück. „Ist das nicht offensichtlich?", knurrte ich schließlich, aber auch das war wohl nicht Antwort genug.
„Lebenspartner", zischte ich genervt, während mein Gegenüber mit keiner Regung zu verstehen gab, was er dachte. Sein Blick senkte sich lediglich wieder auf seine Notizen und dabei murmelte er „Lebenspartner".
Musste er wirklich alles wiederholen? Gerade war ich erneut kurz davor, dass mir sämtliche Sicherungen durchbrannten und ich grub die Fingernägel so fest in meine Handinnenflächen, dass es schmerzte. Der Schmerz lenkte mich von meinen aufgebrachten Gefühlen ab. Unterdessen gingen die Fragen einfach weiter. Wie lange wir uns kannten, wie lange wir ein Paar waren, wie lange Mingi bei mir wohnte. Wer die Wohnung finanziert hatte – meine Eltern – und ob die über meine derzeitige Lebenssituation in Kenntnis gesetzt waren. Oder anders: ob sie wussten, dass ihr Sohn schwul war und mit einem Kerl zusammenlebte. Ich schnaubte erneut und war drauf und dran ihn zu fragen, ob es als „nein" zählte, wenn die Eltern es zwar wussten, aber gerne so taten, als wäre dem nicht so.
„Ja", seufzte ich, starrte dabei auf meine Hände und wartete auf die nächste Frage. Und die hatte es in sich.
„Hatten Sie in den letzten 24 Stunden sexuellen Kontakt zu Herrn Song?"
Mein Mund klappte auf und ich starrte ihn an, zumindest bis er ebenfalls hersah, dann räusperte ich mich, blinzelte, wich seinem Blick aus und versuchte ruhig zu bleiben.
„Ja." Meine Stimme war unangenehm heiser. Ich dachte an gestern Morgen und spürte erneut diesen eisigen Knoten in meinen Eingeweiden. Da war noch alles in Ordnung gewesen, da hatte ich noch geglaubt, dass es wohl keine zwei Menschen geben konnte, die glücklicher waren, da... Mein Herz hämmerte hart und schmerzhaft. „Ja, ahm...", stotterte ich noch einmal. „Gestern..." Verlegen brach ich ab.
„Analverkehr?", kam es da ansatzlos.
Wieder konnte ich ihn sekundenlang nur anstarren, quetsche ein weiteres heiseres „ja" heraus, während die Hitze in meinem Gesicht stetig zunahm.
„Ungeschützt?"
Herrgott! Wollte er noch die Stellung wissen? Sollte ich es ihm vielleicht aufzeichnen? Ich ballte die Hände zu Fäusten, öffnete sie wieder und rieb über den groben Jeansstoff. „Ja..."
Park Seonghwa sah völlig ruhig auf. „War es einvernehmlich?"
Da entglitten mir wohl zum zweiten Mal während dieser Befragung sämtliche Gesichtszüge und ich schnappte nach Luft. Was glaubte er denn? Dass ich einfach über meinen Freund herfiel? Gegen seinen Willen? Weil ich – WAS? Es so nötig hatte?! Empörung überwog Scham und so fauchte ich ihn genervt an.
„Ja, verdammt! Natürlich war es einvernehmlich! Herrgott! Was bin ich in Ihren Augen?! Sehe ich aus wie ein Tier?!" Das war doch nicht zu fassen!
„Es tut mir leid", entgegnete er vollkommen ruhig, „ich muss diese Fragen stellen."
Musste er. Aha. Mit einem Kopfschütteln wandte ich mich ab, starrte auf die Tür mit dem Einsatz aus Milchglas und wünschte mich weit weg, oder einfach nur hier raus, oder in eine Zeitmaschine, damit ich diese beschissene Welt anhalten und zurückdrehen konnte.
Aber noch hatte er wohl ein paar Fragen übrig. Die kamen nun aus einer ganz anderen Richtung und erwischten mich eiskalt.
„Sind Sie damit einverstanden, dass wir Ihre Fingerabdrücke nehmen?"
Fingerabdrücke! Ich riss den Kopf hoch und starrte ihn erneut völlig entsetzt an. Ja und dann endlich wurde mir klar, was das wirklich bedeutete. Ich war kein einfacher Zeuge, ich war verdächtig – aber warum?!
„Ja", stammelte ich heiser, sah den Beamten nicken und etwas in seinen Computer eingeben.
„Sind Sie mit einer freiwilligen Abgabe einer DNA-Probe einverstanden?"
Ein seltsames Rauschen setzte sich in meinem Kopf fest, während er mich wieder anblickte.
„Ja", flüsterte ich wieder und spürte erneut meinen Herzschlag rasend galoppieren. „Sie..." Das traf mich unerwartet und ziemlich hart. „Sie denken, ich war das? Ich habe das getan?"
Da hob er den Kopf und betrachtete mich ruhig. „Das sind alles Routinemaßnahmen."
Routinemaßnahmen?! Wollte er mich verarschen? „Ja, aber Sie denken, dass ich es war, oder? Dass ich ihm das angetan habe? Warum zum Teufel sollte ich so etwas tun! Das ergibt überhaupt keinen Sinn!"
„Beruhigen Sie sich", ermahnte mich mein Gegenüber etwas lauter.
„Wie soll ich mich beruhigen, wenn mir hier unterstellt wird, ich hätte meinen eigenen Freund vergewaltigt!"
„Niemand hat das unterstellt."
„Nein!" Ich wurde so wütend, dass ich einfach nicht mehr ruhig sitzenbleiben konnte. Mit einem Satz war ich auf den Beinen und tigerte hinter dem Stuhl auf und ab. „Nein, natürlich nicht, das sagen Sie zumindest nicht, aber Sie denken es, hm?" Ich blieb stehen und starrte ihn an.
Park Seonghwa war aufgestanden und wies mit einer knappen Geste auf den Stuhl.
„Setzen Sie sich", verlangte er. „Setzen Sie sich und wir reden – vernünftig."
Tatsächlich kam ich an den Schreibtisch zurück, ließ mich schwer auf den Stuhl fallen und von dort starrte ich den Polizeibeamten wütend an. Der wiederum legte erneut alle Notizen beiseite und verschränkte die Hände auf dem Tisch.
„Was ich denke oder nicht, ist völlig unerheblich und es steht mir nicht zu, aufgrund meiner persönlichen Meinung irgendein Urteil zu fällen", begann er und hielt meinen Einwand mit einer knappen Geste auf. „Und das tue ich auch nicht. Ich bilde mir keine Meinung. Es geht hier nicht um Vorurteile", fuhr er ruhig fort, „es geht nicht um mein persönliches Empfinden oder meine Einschätzung, es geht lediglich um die allgemein gültigen Richtlinien, nach denen ein solcher Fall bearbeitet wird. Entsprechend kann ich mich nicht von Sympathie oder Antipathie leiten lassen, sondern nur von Fakten. Und Fakt ist, dass die Zahlen für häusliche Gewalt in unserem Land exorbitant hoch sind, Fakt ist auch, dass meistens nicht viel dagegen unternommen wird und ein Umdenken der Gesellschaft nur langsam voranschreitet. Fakt ist auch, dass es keine Rolle spielt, ob es sich dabei um Frauen oder Männer handelt und über die Dunkelziffer will ich gar nicht reden. Also – ganz gleich was ich denke, was Sie denken, was irgendwer denkt, wir belegen es mit Fakten und dazu gehören eben diese Untersuchungen."
„Was ist mit einer Unschuldsvermutung?", blaffte ich ihn an und erntete jetzt tatsächlich ein leises Lachen.
„Ich glaube, Sie haben zu viele Gerichtsdramen gesehen, aber Sie stehen nicht vor Gericht, okay? Wir nehmen lediglich Daten auf, vernehmen Zeugen, schließen Verdächtige aus."
„Also bin ich ein Verdächtiger!", schnappte ich beleidigt.
„Jeder ist verdächtig", sagte Park Seonghwa ruhig, steckte die Kappe auf seinen Stift und diesen in die Brusttasche seines Hemdes. „Und zwar solange, bis wir ihn ausgeschlossen haben."
Empört schnappte ich nach Luft, presste dann aber die Lippen aufeinander und sah weg. Ich versuchte mir auszumalen, was im Kopf dieses Polizeibeamten vorging, was sah er wirklich, wenn er mich anstarrte? Stellte er sich vor, wie es war, wenn ich austickte, oder was es brauchte, um mich so zu provozieren, dass ich derart ausrastete? Konnte er sich etwa problemlos ausmalen, wie ich wie ein Verrückter auf meinen Freund eindrosch und dann auch noch... Ich presste die Hände auf meine Augen und atmete tief durch.
„Okay", wandte ich mich nach einer Weile an mein Gegenüber. „Und wie geht es weiter?"
„Erst die Fingerabdrücke, dann begleite ich Sie ins Labor zur Blutentnahme", erläuterte er. „Damit wären die wichtigsten Dinge abgeschlossen. Solange die DNA-Analyse nicht vorliegt, können wir ohnehin keinen Abgleich machen. Aber sobald Ihre Angaben gesichert sind, dürfen Sie gehen. Sobald Herr Song sich dazu in der Lage fühlt, würden wir Ihn zu einer ausführlichen Befragung herbitten. Es steht ihm frei, eine Begleitperson mitzubringen, allerdings kann das verständlicherweise niemand sein, der noch in die Ermittlungen involviert ist. Ich gehe also davon aus, dass es in Ihrem eigenen Interesse ist, wenn wir das so rasch wie möglich abschließen."
Ja, und jetzt verstand ich ihn endlich.
Ohne ein weiteres Wort erhob ich mich und folgte dem Kriminalbeamten.
Nach beinahe drei Stunden tappte ich wie erschlagen zu meinem Wagen zurück, entriegelte und ließ mich auf den Fahrersitz plumpsen. Mit zitternden Fingern umklammerte ich das Lenkrad, sank mit der Stirn dagegen und dann kamen die Tränen und zwar völlig ohne Vorwarnung. Ich schluchzte und heulte wie ein kleines Kind, einfach weil mir gerade alles zu viel war und es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Dann wischte ich mir grob durch das Gesicht, fuhr mir durch die zerwühlten Haare und startete den Wagen.
Ich fuhr zum Krankenhaus, schnappte mir die Tasche, die ich für Mingi gepackt hatte und trat in das Gebäude. Niemand beachtete mich, bis ich im entsprechenden Flur ankam. Dort erkannte mich wohl eine der Schwestern, nickte mir kurz zu und kam aus der Kanzel, um mir aufzusperren.
„Er ist gerade eben erst aufgewacht", meinte sie lächelnd und öffnete die Tür. „Und keine Sorge, wenn er vielleicht noch ein bisschen verwirrt ist, das gibt sich gleich."
Still nickend folgte ich ihr, stellte die Tasche im Zimmer ab und umrundete rasch das Bett. Mingi hob den Kopf, sein Blick schlingerte irritiert durch den Raum, doch die Tür hatte sich schon wieder geschlossen, und am Ende blieb sein Blick an mir hängen.
„Hey Äffchen", flüsterte ich, berührte seine Wange und beugte mich zu ihm, um ihm einen Kuss in die Haare zu drücken.
„Tut mir leid, dass ich nicht hier war", sagte ich leise, erntete dafür aber nur ein leises Brummen. Womöglich hatte die Schwester also Recht gehabt und er war wirklich noch zu benommen.
Jetzt jedenfalls rollte er sich im Bett herum und streckte müde die Hand nach mir aus. Seine Finger legten sich auf meine Wange.
„Du siehst total fertig aus", murmelte er schlaftrunken. „Hast du geweint?"
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