✧.* - Kapitel 24


Freitag, 19, September

Ich wachte auf, tastete verschlafen auf die andere Seite und spürte nur ein kaltes Laken unter meinen Fingern. Leidlich genervt rappelte ich mich auf, sah auf Mingis Bettseite hinüber, aber dort war nur die zerwühlte Decke und sonst nichts.

Mit einem Schnauben ließ ich mich wieder zurückfallen. Warum? Das war mein erster Gedanke. Dicht gefolgt von den Bildern letzter Nacht. Ich presste die Hände auf die Augen. Zwei Mal atmete ich langsam ein und aus, dann schälte ich mich aus der Decke, stand auf und wollte nachsehen was mit Mingi war.

Dass ich ihn dann im Wohnzimmer auf dem Boden vorfand, schockiert mich nun doch. Zwar hatte ich in der Nacht das dumpfe Poltern wahrgenommen, war aber nicht mehr aufgestanden, weil ich einfach sauer gewesen war. Jetzt plagte mich das schlechte Gewissen.

Leise umrundete ich den Tisch, aber das hätte ich mir wohl sparen können, denn Mingi schlief so fest, wahrscheinlich hätte ich neben ihm staubsaugen können und er wäre nicht wach geworden. Dabei war er beinahe zwischen Tisch und Sofa eingeklemmt. Wie konnte man so schlafen? Sein Arm war über dem Kopf ausgestreckt und ich berührte seine Hand, nicht mal die Finger zuckten.

„Mingi, hey ..." Ich nahm seine Hand, drückte seine Finger, bekam aber keine Reaktion und für den Bruchteil einer Sekunde packte mich die nackte Angst.

„Mingi?!" Ich zerrte an seiner Hand, rüttelte ihn an der Schulter und endlich ließ er ein leises Stöhnen hören. Ich atmete auf.

„Steh auf", flüsterte ich. „Komm schon." Wieder zog ich an seinem Arm, versuchte ihn irgendwie zu greifen und ihn hochzuhieven, aber solange er auf dem Boden lag, wie ein nasser Sack, bekam ich ihn kein Stück bewegt. Das manifestierte eine unschöne Assoziation in meinem Kopf und ich verdrängte die aufkommenden Bilder, so gut es ging. Ich rückte den Tisch ein Stück weg, kniete mich neben ihn und zerrte ihn mühevoll ein Stück in die Höhe.

Unwillig raunte Mingi, lehnte dabei schwer in meinen Armen und ließ den Kopf auf meine Brust sinken.

„Baby steh auf. Komm schon, hilf mir."

„Lass ...", brabbelte er undeutlich.

„Dann schlaf im Bett weiter", murmelte ich, kraulte in seinen Haaren, brachte ihn immerhin soweit, dass er den Kopf hob und sein schlingernder Blick mich traf. „Auf Baby, schaffen wir dich ins Bett."

Mit etwas Mühe brachte ich den Kerl dazu aufzustehen, auch wenn er dabei schwankend gegen mich fiel.

„Wie kann man so fertig sein, hm?", murmelte ich, schleppte ihn aber dennoch ins Schlafzimmer und brachte ihn ins Bett. Nachdem ich die Decke über ihn gezogen hatte, hockte ich mich einen Moment lang an seine Seite und betrachtete ihn. Seine Augen waren schon wieder zu und Mingi wohl längst wieder eingeschlafen.

Er war fürchterlich bleich, wirkte blass und kränklich und ich spürte, wie mein Ärger von gestern nun vollständig verblasste und stattdessen der Sorge wich. Denn jetzt, wo er so still vor mir lag, fiel mir auch zum ersten Mal bewusst auf, dass er auch deutlich dünner war, sein Gesicht ganz schmal. Wie viel hatte er abgenommen und warum war mir das nicht früher aufgefallen? Ich fühlte mich schäbig. War ich wirklich so unaufmerksam gewesen? So sehr damit beschäftigt, an alles davor anzuknüpfen, dass ich nicht mitbekommen hatte, was direkt vor meinen Augen passierte?

Seufzend strich ihm die Haare aus der Stirn.

Mingi regte sich nicht.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll", flüsterte ich. „Baby, ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber ich weiß nicht mehr, was ich tun soll."

Er rührte sich auch jetzt nicht und so strich ich erneut durch seine Haare, versuchte die dunklen Strähnen zu glätten, was nur mäßig gelang. Sie waren lang geworden, wirkten ein bisschen wild und unordentlich und ließen ihn, zusammen mit dem schmalen Gesicht zusätzlich sehr jung, fast ein wenig hilflos wirken.

Für ein paar Minuten blieb ich noch neben ihm sitzen, bevor ich aufstand und das Schlafzimmer verließ. Ich bemühte mich nicht, besonders leise zu sein. Mingi schlief so fest, dass kein Mucks von ihm kam.

In der Zwischenzeit machte ich mir Kaffee und duschte, trat wieder in das Schlafzimmer um mir frische Klamotten zu holen, aber Mingi wachte auch jetzt nicht auf. Ich ließ ihn schlafen, beschloss einkaufen zu gehen, denn alles, was mich beschäftigte, hinderte mich am Grübeln und das war gut. Ich hatte keine Lust, mir über all die Dinge, die geschehen waren, den Kopf zu zerbrechen. Wir mussten reden und zwar dringend. Das nahm ich mir für heute vor und hoffte, ich würde Mingi dazu bewegen können.

*

Bis ich dann zurückkam, war es bereits nach Mittag, aber Mingi schlief immer noch. Ich weckte ihn auch jetzt nicht, wuselte dafür in der Wohnung herum, telefonierte mit meinen Eltern und mit Wooyoung und überlegte tatsächlich gerade, ob ich nicht trotz des miserablen Wetters laufen gehen sollte, immerhin regnete es gerade mal nicht, als ich ein Kratzen an der Schlafzimmertür vernahm und kurz darauf Mingi herausgeschlurft kam, immer noch bleich wie ein Gespenst, mit wilden Haaren und völlig zerknautscht. Da schlug etwas in meinem Inneren an und mein Herz klopfte plötzlich ganz laut. Es war nicht ausnahmslos ein schönes Gefühl, weil die Sorge immer im Hintergrund mitschwang, aber es war überwiegend gut und am liebsten wäre ich aufgesprungen, hätte ihn in meine Arme gerissen und einfach nur an mich gedrückt.

Stattdessen erhob ich mich langsam, kam ihm entgegen und strich nur vage über seinen Arm.

„Hey, na? Alles okay?

„Mmh", machte Mingi nur, legte dabei eine Hand auf meine Brust, weil er leicht taumelte. „Wie spät ist es?"

„Kurz nach zwei. Du hast so fest geschlafen, ich wollte dich nicht wecken."

„Shit", wurde es nun. Aber immer noch lag seine Hand auf meiner Brust, als würde er Halt suchen.

„Äffchen, hey ..." Ich strich vorsichtig durch sein Haar. „Du stehst ja noch komplett neben dir. Soll ich dir Tee machen? Hast du Hunger?"

Erst nickte er, dann schüttelte er den Kopf und rümpfte die Nase. „Kein Hunger", krächzte er dabei, machte sich unbeholfen von mir los und taumelte zum Küchentresen hinüber. Dort nahm er sich etwas Wasser aus dem Spender, öffnete die Schublade und wühlte in seinen Tabletten. Bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, hatte er zwei geschluckt. Ich wusste nicht mal welche.

„Was ist los?"

Als ich zu ihm trat, schob er die Schublade wieder zu.

„Kopfschmerzen", antwortete er krächzend. „Mein Schädel springt gleich auseinander."

„Okay, aber zu den Tabletten solltest du vielleicht doch eine Kleinigkeit essen?"

Dazu ließ er sich am Ende überreden, wenn es zum Tee auch nur ein wenig Suppe und ein paar Löffel Reis wurden, bevor er alles wieder von sich schob und halb auf dem Sofa umfiel.

„Baby ..."

„Ich krieg nichts runter", unterbrach mich Mingi schwach. „Mir ist so schlecht."

„Okay, dann ..." Ich wusste selber nicht, was ich sagen wollte und brach ab. Er hatte abgenommen, er aß nicht und jetzt, wo mir das zum ersten Mal so richtig bewusstgeworden war, machte ich mir natürlich auch darum Sorgen. Still setzte ich mich zu ihm auf das Sofa, packte seine Beine über meine und strich behutsam über seine Knie.

„Sonst alles okay? Wie war das Teamessen gestern?"

Mingi ächzte, legte einen Arm über seine Augen, schließlich murrte er „scheiße", also fragte ich nicht weiter nach. Wenn er darüber reden wollte, würde er es sicher noch ansprechen.

„Kann ich irgendwas für dich tun?"

Wieder ließ er sich Zeit mit der Antwort, doch dann wurde es ein schlichtes „ja", seine andere Hand tastete nach meiner und seine Finger schoben sich zwischen meine. Mehr sagte er allerdings nicht und wieder entschied ich mich dafür, nicht nachzuhaken. Womöglich brauchte er einfach noch einen Moment.

Aus dem Moment wurde eine gute halbe Stunde in der wir schweigend auf der Couch verharrten, ich seine Beine streichelte und seine Hand hielt, bevor er sich abrupt aufrichtete, die Hand aus meiner riss und mit einem gezischten „fuck!", auf die Beine kam. Taumelnd umrundete er den Tisch, rannte dann beinahe ins Bad und weil er es nicht mal schaffte, die Tür zu schließen, bekam ich auch mit, wie er wohl alles wieder erbrach.

Sofort sprang ich auf, blieb aber nach wenigen Schritten wieder stehen und wartete. Die Toilettenspülung rauschte, etwas rumpelte und klapperte und ich strich mir unruhig über die Stirn.

„Brauchst du Hilfe?", rief ich etwas lauter.

Wieder rumpelte es, die Tür fiel ins Schloss und wurde verriegelt. Das war dann wohl ein Nein. Seufzend kehrte ich auf die Couch zurück und ließ mich fallen.

Ein paar Minuten später kam auch Mingi zurück, steuerte erneut den Küchentresen an, kramte in seinen Medikamenten und nahm welche. Ich knirschte mit den Zähnen, verkniff mir aber dieses Mal jeden Kommentar. Er war erwachsen, er würde schon wissen, was er tat. Und wenn ihm der Ausflug zur Toilette gerade nicht gereicht hatte, brauchte es vielleicht noch einen zweiten.

Schließlich wankte er ebenfalls wieder zur Couch und ließ sich neben mich fallen. Seine Hände waren eiskalt und er roch frisch, nach Zahnpasta.

„Entschuldige", flüsterte er. „Aber mir ist so kotzübel."

Offensichtlich.

„Schon gut." Ich strich über seinen Nacken. Da fiel Mingi mit einem leisen Seufzen einfach um und bettete dieses Mal seinen Kopf auf meinen Schoß.

Sanft kraulte ich in seinen Haaren.

„Willst du noch einen Tee?"

„Mh-mh ...hab noch ..."

Nach einer halben Stunde wollte er doch einen und nach gut einer Stunde saß er auch wieder aufrecht. Immer noch blass, aber immerhin aufrecht. Essen wollte er auch jetzt nichts, aber er raffte sich auf und verschwand zumindest mal unter der Dusche. Als er zurückkam, wirkte er ansatzweise wieder wie ein Mensch.

„Besser jetzt?"

Still nickte Mingi, schnappte sich noch mehr Tee und setzte sich dann zu mir. Er schlürfte geräuschvoll, umklammerte die Tasse mit beiden Händen und ruckelte unruhig hin und her.

„Wie schlimm war es?", hauchte er, ohne mich anzusehen.

Es dauerte einen Moment, aber schließlich begriff ich, dass er wohl wirklich nach letzter Nacht fragte.

„Woran kannst du dich noch erinnern?"

Mingi zuckte die Schultern. „Daran, dass du mich heute Morgen ins Bett geschickt hast. Dann – habe ich im Wohnzimmer geschlafen? Hast du mich rausgeworfen?"

Ich sah ihn an und wenn es nicht so traurig gewesen wäre, hätte ich jetzt womöglich gelacht.

„Nein", antwortete ich schließlich. „Ich habe dich nicht rausgeworfen. Du ... warst sauer auf mich ... ahm ... Hast du echt einen kompletten Filmriss?"

Mit einem Stirnrunzeln sah Mingi mich nun an und drehte unruhig die Teetasse in den Händen.

„Wenn du mich schon so fragst ... Was habe ich denn angestellt?"

„Du ..." Ich brach ab und überlegte. War es nicht total bescheuert, dass es mir jetzt peinlich war, darüber zu reden? Ich fuhr mir durch die Haare, starrte zu Boden und schnaubte belustigt über mich selbst.

„Na ja, du ... wolltest Sex würde ich sagen. Und irgendwie, glaube ich, hat dir meine Reaktion nicht sonderlich gefallen. Auf alle Fälle bist du dann ins Wohnzimmer und ... ja ..."

Auf Mingis Miene spiegelte sich blankes Entsetzen wider und jetzt wich er meinem Blick rasch aus.

„Tut mir leid", raunte er und versenkte sich schnell in seiner Teetasse.

Also das – war doch wirklich komplett lächerlich!

„Mingi, ernsthaft, wofür genau entschuldigst du dich?", gab ich etwas schroffer als gewollt zurück und erntete prompt einen weiteren, fast schon panischen Blick von ihm.

„Sorry, aber ... Ich weiß nicht – können wir nicht mehr offen miteinander reden? Über unsere Bedürfnisse, über das, was wir uns wünschen oder vermissen?"

„Ich ... vermisse dich", warf Mingi mit erstickter Stimme ein und ich verstummte abrupt und sah ihn an.

„Ich vermisse dich auch, Baby", flüsterte ich und mittendrin begann Mingi ansatzlos zu weinen. Ach verdammt, was hatte ich jetzt wieder angestellt?

Rasch rückte ich zu ihm hinüber und zog ihn behutsam in eine Umarmung.

„Komm her." Ich wiegte ihn sacht und drückte ihm einen Kuss in die Haare. „Das ist doch nichts, weswegen man weinen muss, Äffchen. Das ist doch gut und deswegen ... sollten wir reden, hm?"

„A-aber ... Ich weiß nicht, was ich tun soll", schluchzte er unter schweren Atemzügen. „Ich will, dass es so ist wie früher, aber wie soll das gehen? Ich kann es nicht ausradieren und du auch nicht und dann ... habe ich Angst, dass du dich vor mir ekelst, oder ..."

„Herrgott Mingi", ich umfasste sein Gesicht und zwang ihn, mich anzusehen. „Das ist doch Blödsinn, warum sollte ich mich vor dir ekeln, wie kommst du darauf?"

„Weil du weißt, was geschehen ist", wimmerte er. „Weil ich es in deinen Augen sehen kann, jedes Mal, wenn du mich ansiehst. Was denkst du, warum ich beim letzten Mal wollte, dass du rausgehst, als wir bei der Polizei waren? Ich wollte nicht, dass du noch mehr Details hörst, bevor keiner von uns mehr ausblenden kann, was passiert ist."

Vermutlich wurde mein Griff nun etwas zu hart.

„Aber ich will gar nicht so tun, als wäre nichts passiert, Mingi. Verstehst du? Ich will einfach nur dich."

„Aber ich bin ... Ich fühle mich manchmal so schmutzig, so ... minderwertig und ich kann es nicht abstellen. Und wenn ich mir vorstelle, dass ... Wie soll ich deine Nähe zulassen, wenn ich mich vor mir selbst ekle." Er streifte meine Hände ab und ich nahm stattdessen seine Hand zwischen meine.

„Ist es denn so?", fragte ich leise nach. „Hast du dieses Gefühl dir selbst gegenüber?"

Er atmete ein und es schien, als wolle er etwas sagen, doch dann leckte er sich nur die Lippen und wiegelte mit einem schwachen Kopfschütteln ab.

„Äffchen, was soll ich tun, hm? Was soll ich sagen? Ich liebe dich, mit allen Schrammen und Macken. Genau so, wie du bist. Nichts an dir ist für mich abstoßend. Aber was soll ich machen, damit du das annehmen kannst?"

Plötzlich rückte er ganz an mich heran, schlang die Arme um meine Mitte und verbarg das Gesicht an meiner Brust. Sein Atem ging schwer und alles an ihm wirkte angespannt.

„Du weißt nicht, was sie mit mir gemacht haben", flüsterte er in den Stoff meines Sweatshirts, so leise, dass ich es kaum verstand. Aber eben nur kaum. Ich verstand durchaus und alle Alarmglocken in meinem Kopf sprangen an. Wusste er es? Konnte er sich etwa erinnern und hatte es bisher verschwiegen? Alles in mir drängte danach, ihn zu fragen, woran er sich erinnerte, aber ich hatte Angst, dass er sich dadurch gedrängt fühlen könnte, über etwas zu reden, worüber er noch nicht zu reden bereit war.

Nach einer Weile schien er sich jedoch zu entspannen und ich griff das Thema nicht nochmal auf.

Gegen Abend aß er endlich eine Kleinigkeit und allmählich kehrte der Mann zurück, den ich kannte. Er wirkte jetzt auch allgemein etwas gelöster und vereinzelt zeigte sich sogar ein vages Lächeln.

Erst als ich sagte, ich würde ins Bett wollen, begann er wieder nervös neben mir herumzuzappeln. Kaum stand ich jedoch auf, sprang er ebenfalls auf die Beine und griff nach meiner Hand.

„Ich komme mit."

„Mingi ..." Ich musste ungewollt lachen. „Das ... war keine Aufforderung. Wir-"

„Ich will aber", fiel er mir beinahe trotzig ins Wort, sodass mein Lachen auf der Stelle wieder versiegte.

„Ja?"

Nicken.

Plötzlich schlug mein Herz wie verrückt.

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