✧.* - Kapitel 19
Dienstag, 22. Juli
Ich war nervös. Na ja, eigentlich war ich das schon, seit Mingi mir von seinem neuerlichen Termin bei der Polizei erzählt hatte, nur war es bisher ganz gut zu verdrängen gewesen. Das hieß allerdings nicht, dass mein Verstand nicht die wildesten Blüten trieb zu all den Möglichkeiten, die sich damit ergaben. Hatten sie eine neue Spur, womöglich einen Treffer in der Datenbank und wenn ja, war das gut oder schlecht? Obwohl ich nur indirekt betroffen war, konnte ich Mingis ambivalente Haltung zu jedweder Neuigkeit dazu durchaus nachvollziehen. Natürlich wäre es eine Erleichterung gewesen, die Täter gefasst zu wissen, aber wenn es lediglich um noch mehr grauenvolle Einzelheiten ging, die uns aber in dieser Hinsicht nicht weiterbrachten, wollte man dann wirklich noch mehr wissen?
Ich hielt mich an meiner Kaffeetasse fest, lehnte am Küchentresen und verfolgte von dort, über den Rand der Tasse hinweg, wie Mingi recht kopflos durch die Räume jagte, auf der Suche nach allem Möglichen. Seinem Gürtel (warum sollte der im Wohnzimmer liegen?), seinen Unterlagen (gestern noch auf dem Schreibtisch, jetzt auf wundersame Weise verschwunden), seine Tasche – von der ich mir ziemlich sicher war, dass sie auf der Kommode im Flur stand, wo auch sein Schlüssel war. Aber ich schwieg, weil er schon seit dem Aufstehen ungewöhnlich gereizt gewesen war und ich das nicht zusätzlich forcieren wollte, indem ich hier die allwissende Mami gab. Ich war nicht seine Mutter und er würde seinen Kram ganz sicher auch alleine finden, er schaffte es ja auch, ihn alleine zu verlegen.
Obwohl, nachdem er zum vierten Mal fluchend an mir vorbeigejagt war, schlich ich doch hinaus, nahm seinen Schlüssel – der im Übrigen genau da war, wo ich ihn vermutet hatte – und drückte ihm selbigen wortlos in die Hand, als er das nächste Mal an mir vorbeischoss.
„Danke", murrte er widerwillig und bog dabei ins Schlafzimmer ab.
„Mhm." Mein Kaffee war leer, also stellte ich die Tasse im Flur ab und machte einen Schritt in den Durchgang zum Schlafzimmer.
„Hast du schon entschieden, wann du heute zur Polizei willst?"
„Nicht vor vier", bekam ich zur Antwort, während er die Decke herumschleuderte, sie fallen ließ und sich dann abrupt aufrichtete. Auf dem Absatz wirbelte er herum und starrte mich mit großen Augen an.
„Du ... kommst doch mit, oder? Bitte – ich will da nicht allein hin. Ich meine, der Kerl ist ja ganz okay, aber ..."
„Inspektor Park?" Ich wiegelte ab. „Klar, komm ich mit, wenn du das willst. Deswegen frage ich ja. Ich muss kurz auf die Baustelle, bin aber wohl die meiste Zeit im Büro, das sollte kein Problem sein."
Mingi seufzte leise. „Danke."
„Also – was ist mit Park, macht er dir Angst?"
„Ich weiß nicht, nein", murmelte Mingi vor sich hin und fuhr sich dabei mit einer Hand durch die Haare. „Es ist nur ... manchmal denke ich, wie macht er das, oder? Wie kann man sich jeden Tag mit so einer Scheiße befassen und noch ruhig schlafen. Ich könnte das nicht. Und er ist doch eigentlich noch ein junger Kerl, ob er sich seinen Job so vorgestellt hat? Irgendwie wirkt er so abgebrüht."
„Vielleicht ist das der springende Punkt?"
Mingi lächelte bitter, dann kam er plötzlich zu mir herüber, umfasste mein Gesicht und hauchte mir einen Kuss auf den Mund. „Ich bin froh, dass du kein Cop bist, ich würde durchdrehen neben so einem Kerl."
Da musste ich lachen. „Wie kommst du denn darauf?"
„Weil du das mal gesagt hast", murmelte Mingi, studierte dabei stirnrunzelnd mein Gesicht, bevor sein Blick an meinen Augen hängenblieb und zuckte schließlich schief grinsend die Schultern. „Du hast gesagt, als du klein warst, wolltest du Polizist werden."
Wieder musste ich lachen. „Da war ich fünf! Und ich fand die Sirenen ganz toll."
Es war eigenartig, aber gut, wie dieses völlig zusammenhanglose Geplänkel offenbar unser beider Nervosität dämpfte, denn jetzt ging es mir tatsächlich besser und auch Mingi wirkte mit einem Mal deutlich gelassener.
„Okay, also ...", ich schlang einen Arm um seine Mitte und zog ihn ein bisschen heran, bis er verlegen grinsend wegsah. „Halb vier an der Uni, bist du bis dahin fertig?"
„Mmhh", machte er, wirkte dabei plötzlich ganz merkwürdig schüchtern, wie er so verschämt grinste und das wiederum ließ gerade mein Herz übergehen. So viele Dinge zwischen uns hatten sich auf eine Weise verändert, dass ich nicht wusste, wie wir sie je wieder ins Lot bringen sollten, aber manche Momente waren in ihrer Unschuld auch unglaublich schön und ich war dankbar für jeden einzelnen davon.
„Gut, dann hol ich dich ab." Damit stahl ich mir noch einen Kuss, löste mich dann unwillig von ihm und machte mich auf den Weg.
In der Arbeit, wenn ich nicht gerade mit irgendwelchen komplizierten Berechnungen abgelenkt war, verfiel ich jedoch wieder ins Grübeln und merkte auch, wie ich allmählich immer nervöser wurde, je näher der Termin rückte. Bis ich Mingi abholte, war meine zur Schau getragene Ruhe nur noch Fassade und meine Nervosität erreichte ihren Höhepunkt, als wir durch die Türen des Polizeireviers traten. Im Gegensatz dazu schien Mingi unglaublich gefasst, wofür ich ihm wirklich Respekt zollte. Nur kurz griff ich nach seiner Hand, aber seine Finger waren weder kalt noch schwitzig.
Dieses Mal wurden wir direkt von Inspektor Park abgeholt, wobei ich als schmückendes Beiwerk nur wie nebenbei begrüßt wurde und seine gesamte Aufmerksamkeit und polizeiliche Fürsorge ab diesem Punkt nur noch Mingi galt. Auch das verursachte mir Magenschmerzen, weil es meine Befürchtung schürte, dass es etwas zu besprechen gab, was Mingi womöglich erneut – oder noch weiter – aus der Bahn werfen würde.
In seinem Büro angekommen, setzten wir uns und ich unterdrückte ein Seufzen, während ich mich umsah. Es war kein gutes Zeichen, wenn einem ein Büro auf einer Polizeidienststelle schon so vertraut war, dass man unwillkürlich Veränderungen darin registrierte, oder? Eine andere Anordnung der Dinge auf dem Schreibtisch, ein privates Foto im Hintergrund auf einem Regal, das ich zwar nicht richtig sehen, aber trotzdem als neu einstufen konnte. Dann wurde mein Blick von dem Mann selbst angezogen und ich musste wieder daran denken, was Mingi am Morgen gesagt hatte.
Konnte er noch ruhig schlafen? Wie kam er mit all den Dingen klar, mit denen er tagtäglich zu tun hatte?
Vielleicht bemerkte er mein Starren, denn plötzlich hob er den Kopf und sah mich an.
„Ja?", sagte er und ich schüttelte erschrocken den Kopf.
„Entschuldigung", nuschelte ich schließlich. „Ich war nur in Gedanken."
Das ließ er so stehen, breitete dafür Papiere vor sich aus, die irgendwelche Diagramme enthielten und wandte sich dann wieder an Mingi.
Schon begannen die Erklärungen, zu irgendwelchen Analysen und während Mingi von Zeit zu Zeit stumm nickte, regte sich in mir das Misstrauen. Warum redete er um den heißen Brei herum? Warum kam er nicht auf den Punkt? Er war doch sonst kein Freund von Beschönigungen. Aber noch während ich das dachte, war er wohl beim Kern der Sache angekommen, denn jetzt ging es konkret um Abstrichergebnisse und ich spürte, wie mir unangenehm heiß wurde. Ja, sicher war das dämlich, immerhin wusste er längst genügend Details, dass mir eigentlich gar nichts mehr peinlich sein brauchte, allerdings war es, so nüchtern hergesagt, doch wieder etwas anderes.
Dank meiner freiwilligen DNA-Probe konnte also eine Spur eindeutig identifiziert werden – und zwar meine. Darüber hinaus, erklärte Park Seonghwa beinahe monoton, hätte man bei der körperlichen Befunderhebung drei weitere unterschiedliche, nicht identifizierte DNA-Spuren gesichert sowie eine vierte auf der Kleidung.
Obwohl, oder gerade weil, seine Stimme so ruhig und leise war, hatte ich das Gefühl, dass die Information, die er damit weitergab, auf uns herabfiel wie ein Fallbeil.
Vier? Vier beschissene Dreckschweine, die ...?! Mein Kopf ruckte herum und ich starrte Mingi an. Vielleicht wollte ich was sagen, aber ich brachte keinen Ton heraus. Stattdessen griff ich nach ihm, streckte meine zitternde Hand nach ihm aus, doch Mingi zuckte zurück und wich mir aus, als erwarte er Schläge.
In diese unsägliche Stille hinein klangen seine Atemzüge hart und viel zu laut, bis er sich plötzlich halb zu mir umdrehte und Worte herauspresste, die ich gar nicht verstand.
„Kannst du bitte gehen?"
Was?
„Yunho ..."
„Herr Jeong ..."
Was? Mein irritierter Blick glitt von Mingi zu dem Polizeibeamten und wieder zurück.
„Geh." Urplötzlich sprang Mingi auf. „Geh raus, bitte geh!"
Gehen? Aber wohin denn? Ich verstand es wirklich nicht und ich glaube, ich begriff es immer noch nicht, als Inspektor Park aufstand und den Schreibtisch umrundete.
„Mingi?" Ich wandte mich irritiert zu ihm herum, aber er war bereits mehrere Schritte vom Tisch zurückgewichen.
„Geh einfach!", fuhr er mich aufgebracht an. „Hast du gehört?! Du sollst verschwinden!"
Jemand berührte meinen Arm und ich zuckte zusammen. Trotzdem erhob ich mich jetzt mechanisch und starrte mit wachsendem Entsetzen erneut zu Mingi. Das Begreifen setzte ein, als Park Seonghwa meinen Arm packte und mich höflich, aber auch sehr nachdrücklich zur Tür bugsierte, dabei redete er auf mich ein, aber ich bekam nur Wortfetzen mit.
„... für den Moment besser ... Warteraum ... alles in Ordnung ... nicht auf ... beruhigen ..."
Im Hintergrund hörte ich Mingi schluchzen.
WAS? Nichts war in Ordnung! Gar nichts! Aber bevor ich das sagen konnte, hatte er mich bereits aus der Tür komplimentiert und mit ein paar kurzangebundenen Anweisungen an zwei weitere Beamte übergeben, die mich flankierten wie Bodyguards und weiterdrängten.
Mein verzweifelter Blick ging über meine Schulter, aber ich sah gerade noch, wie die Tür zufiel, dann war ich mit meinen neuen Begleitern allein, dich mich resolut durch den Flur schoben, wenn ich nicht schnell genug war. War ich jetzt plötzlich der Verbrecher? Es fühlte sich beinahe so an. Sie sprachen nicht mit mir, nicht wirklich, wiegelten jede meiner atemlosen Fragen ab und meine verzweifelte Beteuerung, dass ich sofort – ganz dringend – wieder zurückmusste, versandete ungehört im Nichts.
Minuten später fand ich mich in einem abgeschlossenen Warteraum wieder, der so ungemütlich gestaltet war, dass es gut und gerne auch ein Verhörraum hätte sein können.
Ich wurde abgestellt wie ein Paket, bekam nach kurzer Wartezeit ein Wasser hingestellt, das ich nie bestellt hatte und saß ab diesem Moment völlig allein in dem kargen Raum, während die Zeit so langsam voran tickte, dass ich reichlich Gelegenheit hatte durchzudrehen.
Vier Täter. Vier! Es spielte keine Rolle, dass mir und sicher auch Mingi immer klar gewesen war, dass es mehr als einer gewesen sein musste. Mingi war ja nun rein körperlich keine zarte Elfe, ein Täter allein hätte sicher seine Mühe gehabt, einen halb bewusstlosen Kerl seiner Statur in irgendeine dreckige Seitengasse zu zerren. Dazu noch die massiven Verletzungen, aber ... vier? Etwas zu ahnen oder als Fakt vorgelegt zu bekommen, war eben nicht dasselbe. Vier verfluchte Kerle, die sich auf ihn gestürzt hatten, wie Tiere. Das wollte nicht in meinen Kopf und ließ sich auch nicht begreifen. Ich wollte mir nicht vorstellen, was in den Stunden passiert sein musste, die in Mingis Erinnerung fehlten und trotzdem fluteten abscheuliche Bilder meinen Verstand.
Nein! Ich sprang auf und begann in dem kargen Raum auf und ab zu laufen, weil still ausharren einfach unerträglich war.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Inspektor Park wieder auftauchte, in Wirklichkeit war es wohl nicht einmal eine Stunde, die ich dort allein wartete. Es war dennoch die schlimmste Stunde meines Lebens, seit diese Odyssee begonnen hatte. Mein Kopf spielte verrückt, meine Gedanken waren ein Sammelsurium aus Panik, Vorwürfen, Angst und grausamen Fantasien und den Großteil der Zeit war ich wie ein Tiger im Käfig an den Wänden entlanggelaufen. Unterbrochen von den kurzen Phasen, wo ich am Tisch saß und die Hände auf meine Schläfen presste, als könnte das irgendwelche Bilder verhindern, die mein schreiender Verstand heraufprojizierte.
Ich sprang auf, als die Tür geöffnet wurde und traf den ernsten und sehr nachdenklichen Blick des Polizeibeamten. Ein Dutzend Fragen schossen durch meinen Kopf, aber ich brachte keine einzige heraus und schlussendlich war es Park Seonghwa, der das Wort ergriff.
„Es tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten, aber-"
„Wo ist er?", unterbrach ich ihn heiser. „Geht es ihm gut?"
Er antwortete nicht sofort, das war auffallend, sondern sah einen Moment lang über seine Schulter auf den Flur zurück, bevor er schwach nickte.
„Den Umständen entsprechend", wurde es dann, was mich so wütend machte, dass ich die Zähne fest aufeinanderpresste, nur um jetzt nichts Falsches zu sagen. Ich atmete durch, nickte schwach, aber es ließ sich nicht aufhalten.
„Warum wurde ich hinausgeworfen?"
„Ich habe Sie nicht hinausgeworfen."
Blödsinn. „Stehe ich wieder unter Verdacht?"
Inspektor Park zog die Augenbrauen zusammen und fixierte mich scharf. „Nein", sagte er endlich. „Sie sollten das nicht missverstehen. Ich habe lediglich Herrn Songs Wunsch entsprochen."
Seinem Wunsch ... Blödsinn! Er war es doch erst gewesen, der Mingi so aufgebracht hatte, mit seiner Eröffnung.
„Dann können wir jetzt gehen?", fragte ich schroff.
Wieder nickte er nur und ich schob mich mit einem aufgebrachten Schnauben an ihm vorbei. Doch noch bevor ich durch die Tür abhauen konnte, hatte er mich noch einmal am Arm gepackt und hielt mich auf.
„Es tut mir leid", sagte er ruhig. „Ich weiß, Sie sind wütend und Sie fragen sich, ob das wirklich sein musste. Aber Unwissenheit ist nicht immer ein Segen, okay? Er muss Entscheidungen treffen und das kann er nur, wenn er alle Fakten kennt."
„Welche Entscheidungen denn zum Teufel?!", fuhr ich ihn an, wartete aber die Antwort nicht mehr ab. Ich wollte nur noch hier raus, stürmte entsprechend aus dem Raum und sah mich gehetzt um, da war der Polizeibeamte schon wieder hinter mir.
„Er wartet vorne im Besucherbereich", ließ er mich wissen, also wandte ich mich in entsprechende Richtung. Ich sah ihn nicht mehr an, verabschiedete mich nicht, sondern ließ ihn grußlos stehen und suchte stattdessen Mingi.
Ich fand ihn im Besucherwarteraum, wo er am Fenster stand, die Arme fest um den Körper geschlungen, als wäre ihm kalt. Er nahm sie auch nicht runter, als er sich umdrehte und mich erkannte, sondern wich lediglich meinem Blick aus.
„Mingi ...? Geht's ... dir gut?" Wie dumm. „Ich meine ...", haspelte ich hilflos voran, „bist du ...-"
„Können wir fahren?", unterbrach er mein Gestotter, ohne auf meine Frage zu reagieren.
„Sicher." Ich kam einen Schritt näher, blieb aber sofort wieder stehen, als er sich nun zu mir umwandte und dann mit gesenktem Blick an mir vorbeilaufen wollte.
„Mingi ..." Es war ein Reflex, dass ich nach ihm griff und wahrscheinlich war es im Gegenzug ebenfalls nur ein Reflex, mit dem er sich barsch befreite und mich wegstieß.
„Hör auf!", fauchte er dabei.
Stolpernd wich ich einen Schritt zurück, zu erschrocken von seiner Reaktion, aber auch von dem schroffen Tonfall.
„Tut mir leid", murmelte ich, aber Mingi war schon an der Tür. Dort wartete er zwar auf mich, drehte sich jedoch nicht um.
Schweigend liefen wir zum Wagen und auch dort hörte ich nur wie er einmal genervt durchatmete, vielleicht weil ich nicht schnell genug aufsperrte, bevor er sich auf den Beifahrersitz fallen ließ und nahezu reglos aus dem Seitenfenster starrte. Da ich nicht wusste, was ich tun oder sagen sollte, schwieg ich ebenfalls, startete wortlos den Wagen, zögerte dann aber und sah zu ihm hin. Mingi reagierte nicht auf mich, also fuhr ich leise seufzend los und wählte den schnellsten Weg nach Hause.
Wir nahmen den Aufzug und sprachen nicht, wir tappten nacheinander in den Flur und sprachen nicht. Mingi bog sofort ins Schlafzimmer ab und weil ich mir ziemlich sicher war, dass er nicht wollte, dass ich ihm folgte, wartete ich, bis er umgezogen wieder herauskam. Auch jetzt sagte er kein Wort, schob sich an mir vorbei, ohne mich anzusehen, möglichst ohne mich zu berühren und allmählich wurde es echt anstrengend. Ich rollte mit den Augen und folgte ihm mit ausreichend Abstand.
Im Wohnraum kauerte sich Mingi mit angezogenen Beinen auf den einzelnen Sessel, was an sich schon Aussage genug war, schaltete sofort den Fernseher an und irgendein Sportprogramm her. Da war ich versucht, gleich nochmal mit den Augen zu rollen. War ja nicht gerade so, als wäre das für gewöhnlich sein bevorzugtes Programm. Mit einem gut hörbaren Schnauben ließ ich mich auf das Sofa fallen, das er ja scheinbar nicht mehr mit mir teilen wollte, bekam aber auch jetzt keine Reaktion.
„Willst du reden?", fragte ich nach einer Weile. Noch war ich wirklich bemüht, diese neue Kluft irgendwie zu überwinden, aber Mingi war wohl nicht gewillt, mir diesbezüglich entgegenzukommen und ich konnte nur vermuten, dass es mit dem letzten Gespräch bei der Polizei zu tun hatte, von welchem er mich ja so rabiat ausgeschlossen hatte.
„Nein", knurrte er nur und stellte den Ton des Fernsehers etwas lauter.
Großartig, wirklich.
Mittlerweile selbst durchaus angefressen, verschränkte ich die Arme und wartete noch einen Moment, da er mich aber weiterhin komplett ignorierte, konnte ich es doch nicht lassen.
„Willst du mich also lieber weiter anschweigen?"
„Sieht so aus", raunte er nun. Okay und jetzt kochte es auch in mir. Mein Fuß wippte unruhig auf und ab.
„Willst du dann vielleicht was essen?"
„Nein."
„Willst du dich vielleicht einfach nur besaufen?"
Bääm – damit hatte ich wohl einen Nerv getroffen, denn jetzt fuhr er herum und funkelte mich verärgert an.
„Willst du mir auf den Sack gehen?"
Ach, verdammt! Ich wusste ja, dass es blöd war, was ich hier veranstaltete, aber er konnte trotz allem nicht immer das ganze Elend für sich allein beanspruchen! Ich stieß aufgebracht den Atem aus.
„Weißt du, der Tag war nicht nur für dich scheiße, okay? Ob du es glaubst oder nicht, es betrifft mich auch."
„Aber es hat mit dir gar nichts zu tun", ätzte er. „Also lass mich einfach in Ruhe."
Hatte es nicht?! Genervt richtete ich mich auf. „Glaubst du es ist mir egal oder dass ich das alles einfach so wegstecke, weil es ja nicht mir passiert ist?"
Wieder traf mich ein vernichtender Blick und ich sank in mich zusammen.
„Tut mir leid", meinte ich zerknirscht. „Ich wollte ni-"
„Natürlich wolltest du das nicht!", unterbrach Mingi mich wütend. „Du willst ja nie irgendwas! Und es tut dir immer alles leid und du bist betroffen und was weiß ich was alles – aber hey, soll ich dir was sagen? Das geht mir so auf die Nerven, ehrlich! Kannst du einfach mal – keine Ahnung! GAR NICHTS sein? Nicht so vorsichtig, nicht schuldbewusst, nicht so angegriffen, nicht ständig in Alarmbereitschaft – einfach gar nichts? Geht das? Kannst du mir zugestehen, dass ich nicht reden will? Dass ich nicht alles mit dir ausdiskutieren will, dass ich einfach mal nicht klarkommen will?"
Der überraschende Angriff traf mich unvorbereitet und im ersten Moment wusste ich auch nichts dazu zusagen. Womöglich hätte ich es auch tatsächlich still hingenommen, hätte er nicht auch noch so abfällig geschnaubt dabei und den Kopf geschüttelt.
Sicher konnte ich ihm das alles zugestehen, aber... „kannst du denn anderen Menschen zugestehen, dass es ihnen auch mal scheiße geht, oder gehört das jetzt alles nur noch dir?"
Womöglich setzte Mingi zu einer Erwiderung an, doch ich wischte das mit einer harschen Geste weg.
„Nein, ist schon okay. Was immer du sagen willst, spar's dir. Du willst deine Ruhe? Du kannst sie haben, ich habe nämlich auch keinen Bock mehr auf diese Scheiße." Damit sprang ich auf und rannte hinaus.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht mal, was ich tun wollte, doch am Ende zog ich mich an, packte meinen Schlüssel und mein Handy und stürmte aus der Wohnung. Ich war so emotionsgeladen, dass ich gar keinen klaren Gedanken fassen konnte. Und weder dachte ich darüber nach, wo ich jetzt eigentlich hinwollte, noch was ich nun mit mir und all den Dingen, die in mir arbeiteten anfangen sollte.
Am Ende stand ich vor dem Haus in dem Wooyoung und San wohnten, starrte auf das Namensschild und drückte die Klingel.
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