21 August 1936

Ich war sechs, und Nico war vier Jahre alt, als Vater das erste Mal mehrere Tage verschwand. Als er zurückkam, sah er erschöpft und gestresst aus, aber er ließ es sich nicht anmerken. Er lächelte weiterhin liebevoll, malte immer noch Bilder mit mir (sie hingen überall im Haus und machten die dunkelbraunen-grauen Wände, die teilweise mit einer dunklen Tapete überzogen waren, viel schöner und bunter) und kümmerte sich so um uns, als ob nichts passiert wäre. Aber ich hörte mehrmals wie meine Mutter ihn fragte was los sei. Er antwortete nie wirklich, er sagte immer nur dass er einen Streit mit seiner Familie hatte, dass es um irgendeine "Prophezeiung" oder so ging. Dass es bald einen Konflikt zwischen Ländern geben würde, noch schlimmer als der Weltkrieg von 1914-18.

(Ich verstand seine Worte nicht ganz, aber wenn ich heute höre, was im zweiten Weltkrieg so passiert war, bin ich froh nicht dabei gewesen zu sein.)

Die Wochen darauf kam er immer später und nervöser nach Hause, und dann, irgendwann im November, kündigte er meiner Mutter an, dass er für mehrere Wochen auf Geschäftsreise sein würde. Nico und ich löcherten ihn mit Fragen. "Wann kommst du zurück, Papi? Wohin fährst du? Bringst du uns etwas mit? Wen triffst du? Warum haben wir eigentlich noch nie wirklich jemanden aus deiner Familie kennengelernt?" Er lachte laut auf, wir lachten mit. Dann setzte er sich mit uns auf das Sofa und beantwortete unsere Fragen.

"Ich komme in zwei oder drei Wochen zurück, ich werde nicht lange weg sein."
"Ich fahre nach... Griechenland, nach Olympia. Das ist eine Stadt in Griechenland, von da stammt meine Familie."
"Vielleicht, ich werde mal sehen." Er knuffte Nico leicht in die Seite. "Aber nur wenn ihr brav mit Mama seid," sagte er und verwuschelte meine Haare. Bei der letzten Frage wurde sein Gesichtsausdruck etwas trauriger.
"Ich habe nicht so guten Kontakt zu meiner Familie... Nur mit Persephone, meiner... Nichte, Bianca, du kennst sie schon, spreche ich noch ab und zu. Und auch um die Frage zu beantworten, wen ich treffe... eben diese Familie. Ich habe sie seit Jahrhu- Jahren nicht mehr wirklich gesehen und wir werden etwas besprechen... Aber keine Sorge, ich bin bald wieder da, alles wird gut."

Von Tag zu Tag wurde Vater immer besorgter und fummelte an irgendwelchen kurzen grauweißen Stöckchen, die etwas komisch gebogen waren, rum. Mutter konfrontierte ihn mehrmals und oft hörte ich sie wie sie bis spät in die Nacht leise diskutierten. Mutter wurde nie sauer, ihre Konversationen beendeten sich oft indem sie ihm einen Kuss gab, meinte dass es nicht schlimm war und sich ins Bett legte. Aber Vaters Nervosität hörte nicht auf.

Und schließlich fuhr er am 20 Dezember weg, Weihnachten würden wir also ohne ihn feiern.

Weihnachten verging, ich erwartete Vater.
Neujahr wurde gefeiert, ich erwartete Vater.
Nico hatte seinen fünften Geburtstag, ich erwartete Vater.
Er kam nicht.

Er kam zwei ganze Jahre lang nicht.

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