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Es war ein verregneter Abend im Herbst, einer an dem man am liebsten zu Hause auf dem Sofa saß und mit einem Kakao in der Hand einige Folgen einer guten Serie sah. Allerdings hatte ich keine Zeit dafür, ich hatte meiner Tante versprochen in Ihrer Bar auszuhelfen. Hier draußen auf dem Land war so einiges Los, auch wenn die meisten das nicht gedacht hätten. Unsere Bar, das Blue Velvet, war die einzige Bar im Umkreis von einigen Meilen und daher hatten wir immer volles Haus. Es waren nicht mal die ganzen Landwirte oder Gutsbetreiber, die aus der Gegend hier her kamen – es waren Reisende, die mal einige Stunden nicht in ihren Autos verbringen wollten. Ich sah verträumt aus dem Fenster und beobachtete wie die Regentropfen ans Glas schlugen. Hier drinnen bekam man nur die schlechten Anmachsprüche, das übertriebene Kichern und den Geruch des Alkohols mit. Aber ich hielt mich an meine Versprechen und hlaf hier aus. „Avery, an die Arbeit!" hörte ich eine strenge aber warme Stimme von hinten. Tante May war in den Raum gekommen und hatte mich wohl beim Träumen erwischt. Ich formte mit den Lippen eine Entschuldigung und machte mich sofort daran einem Gast ein Bier einzuschenken. Der Abend zog sich wirklich in die Länge, ich kam mit dem Tische putzen und Getränke ausschenken kaum noch hinterher. Doch die ganze Zeit über, so viele Gäste auch kamen und wieder gingen, ein Mann blieb von Anfang an an seinem Tisch sitzen. Das war nicht besonders ungewöhnlich, besonders nicht wenn es einer der älteren Landwirte war, der mal wieder versuchte den Frust über seine Scheidung in Alkohol zu ertränken – da waren die meisten gleich. Dieser Mann allerdings war anders, ich kannte ihn nicht und er beobachtete mich. Seine Augen waren starr und grau und er lies mich nicht aus den Augen. Nicht als ich ins Lager ging, nicht als ich ihm hin und wieder einen Whiskey brachte und nicht als ich endlich eine Pause hatte. Ich half Tante May meistens von etwa sieben Uhr an bis drei Uhr, wenn die meisten gingen. Ansonsten übernahm May selbst, sie schlief in Etappen und so musste ich ihr nur bei den schlimmsten Uhrzeiten helfen. Gegen Mitternacht machte ich aber selbst meist eine Pause, ich musste nach der ganzen Zeit zwischen den vielen Menschen einfach mal wieder raus. Der Mann lief mir nicht hinterher, seine Augen verfolgten mich allerdings. Ich schüttelte nur den Kopf, ich war schon eine Weile auf, vielleicht wirkte sich das ja auf meine Wahrnehmung aus. Ich lehnte mich draußen an die Wand und atmete die kühle Nachtluft ein. Es war wirklich dunkel, die einzige Straße die an unserer Bar vorbeiführte wurde nicht beleuchtet, da sie eine einfache Landstraße war. Hier wohnten wirklich nur die größten Hinterwäldler, man war hier wortwörtlich irgendwo im Nirgendwo. Ich zündete mir mit meinem Feuerzeug eine Zigarette an und pustete den Rauch in die Luft. Im Schein der einzigen Lampe weit und breit, die das Schild mit der schlechten, blinkenden Neonröhre vom Blue Velvet beleuchte, sah ich dabei zu wie der Rauch sich langsam in der Luft auflöste. Ich brauchte diese Ruhe einfach, wenn ich etwas Pause gemacht hatte war ich auch wieder in der Lage diese vielen Menschen zu ertragen, aber zwischendurch war mir eine Auszeit wirklich ganz recht. Es war still, totenstill hier draußen. Man hörte nicht mal die Gespräche nach hier draußen dringen, das einzige Geräusch das ich nach einiger Zeit vernahm war das Miauen einer Katze, die wohl auf Mäusejagd war. Ich konnte sie gerade so erkennen, doch als sie mich sah sprang sie auch schon wieder über das nächste Feld davon. Ich musste lächeln und warf den kläglichen Rest meiner Zigarette auf den Boden um ihn auszutreten. ‚Und wieder ran an die Arbeit...' dachte ich und drehte mich um und stieg mit meinen dunkelbraunen Cowboystiefeln die kleine Holzstufe zur Tür des Blue Velvet wieder hoch. Ich hörte ein Knacken und war mir sofort sicher, das es nicht mein Absatz gewesen sein konnte. Blitzschnell hatte ich ein Messer aus meinem Gürtel gezogen und mich umgedreht. Ich sah in das Gesicht des Mannes, der mich den ganzen Abend über schon beobachtet hatte. „Denken Sie echt Sie können mich den ganzen Abend so dämlich anstarren ohne das es mir auffällt?" fragte ich ihn lachend, doch in meiner Stimme schwang ein aggressives Zischen mit, wie das einer Klapperschlange die nur noch auf den Moment wartet indem sie nach vorne schnellen und zubeißen kann. Der Mann grinste nur und zeigte dabei kurz seine weißen Zähne. Für eine Sekunde konnte ich sein Zahnfleisch erkennen, er war auf jeden Fall kein Vampir. Auch wenn May und ich hier draußen wirklich wenig mit Monstern zu tun hatten, es gab sie. Und May wusste wie man sie umbrachte. Deshalb musste ich ihr auch in der Bar helfen, bei ihrem Ehrgeiz und dem Zeitaufwand den sie in Sachen steckte die ihr wichtig waren, könnte sie die Bar auch alleine am Laufen halten. Aber oft fuhr sie mit ihrem Truck nach draußen in das nahe Reservat oder in die kleinen Dörfer, die ein gutes Stück weg waren. Hin und wieder gab es eben Schlagzeilen über seltsame Phänomene, wie zum Beispiel Werwölfe, Vampire oder Formwandler. Auch wenn die meisten nicht wussten, dass es genau diese Wesen waren. May war eine gute Jägerin und eine der wenigen die es schaffte, trotz ihrer Arbeit einen festen Wohnsitz zu haben. Die meisten Jäger packte irgendwann einfach das Gefühl, jedem Helfen zu müssen und dann fuhren sie hinaus in die Welt und reisten immer zu den Orten, wo etwas seltsames passiert war. Ja, genau für solche Leute war unsere Bar eine beliebte Anlaufstelle. Wenn May weg war, waren mein Cousin Jasper und ich alleine. Er war etwas älter als ich, allerdings gerade mal ein Jahr. Auch wenn uns May gelehrt hatte mit Waffen umzugehen, war es Jasper der sich dem Jägerhandwerk viel lieber widmete. Ich war ein Ass im Messerwerfen, konnte mit jeder Art von Machete umgehen und hatte mir mehr Messer an den Körper geschnallt, als ich Kleidungsstücke anhatte. Und trotzdem war Jasper derjenige, der mehrere Tage im Wald auf der Jagd nach einem Werwolf war und danach zurückkam und direkt den nächsten Fall annahm. Er wurde nie müde und hatte immer Spaß bei seiner Arbeit. May und ich scherzten immer wieder, dass Jasper mal wie die Jäger die im Blue Velvet saßen werden würden und mit dem Auto durchs Land ziehen würde. Und so sehr wir uns darüber auch lustig machten, wir wussten, dass es die Realität war und es nur noch ein wenig dauern würde, bis er sich verabschiedete. Da Jasper immer unterwegs war, hatte ich kaum Kontakt zu ihm. Wir mochten uns, aber mehr als ein paar Geschichten austauschen machte er auch nicht wenn er hier war. Da war mein Verhältnis zu May deutlich besser. Über meine Eltern wusste ich nichts, May hatte mir nur erzählt das sie mich aufgenommen hatte, nach dem ihnen etwas schlimmes passiert war. Irgendwann würde ich die ganze Geschichte erfahren, das hatte ich mir fest vorgenommen, aber May war zwar eine ruhige aber auch starrsinnige und kaltherzige Frau, wenn sie etwas tat oder nicht tat hatte es einen Grund.

Immer noch in aggressiver Haltung mit einem Messer in der Hand stand ich vor dem Mann. Er hatte bis jetzt noch nicht gesprochen sondern versuchte mich einfach zu am Arm zu packen. Ich wich ihm ein paar mal aus und fragte was er von mir wollte, doch er hörte nicht auf. Als er endlich meinen einen Arm gepackt hatte, stieß ich ihm das Messer in den Körper. Es war nur ein einfacher Stich in die Schulter, es war Chirurgie. Er würde nicht davon sterben, sondern nur stark verletzt sein und mich auf jeden Fall loslassen. Dachte ich zu mindest, denn das einzige was er trat, war wieder seinen Mund zu einem grinsen zu verziehen und mit seiner leicht gebräunten Hand das Messer aus seiner Schulter zu ziehen. Es war ein Silbermesser, ein Werwolf war er also auch nicht, ansonsten hätte es weitaus mehr Schaden angerichtet. Ich verzog mein Gesicht als er mich nun noch heftiger packte. Als er das Messer komplett herausgezogen hatte lies er es auf den Boden fallen und seine Augen wurden schwarz wie die Nacht die uns umgab. Ich konnte mich kaum bewegen, ein mal weil er mich so fest hielt und ein mal weil ich nicht mit einem Dämon gerechnet hatte. Ich wusste das es sie gab und May hatte mir so einiges über sie erzählt, aber für einen Dämon gab es hier draußen nichts was ihm wichtig sein könnte. Ich hatte also noch keinen gesehen, aber dieser Mann war einer, das wusste ich genau. In meiner Bewegungsstarre verharrend war es mir nicht möglich mit zu verteidigen und so bekam ich den Schlag den der Mann mir gab, voll ab. Alles um mich herum verdunkelte sich, ich sah langsam wie das Gesicht des Mannes verschwamm, seine schwarzen Augen sich mit der Umgebung vermischten und ich langsam aber sicher in Ohnmacht fiel.

Als ich zu mir kam fühlte ich als sofort, dass ich nicht mehr auf der Erde war. Die Luft hier war anders, schwerer, es roch nach einer Mischung aus feuchter Erde und Rauch, allerdings war es kein schlechter Geruch. Er lag nur schwer in der Nase und überdeckte penetrant alle anderen Gerüche, die es hier vielleicht mal gegeben hatte. Die Atmosphäre war hier, an dem Ort an dem ich war ganz anders. Ich wusste nicht wo ich war, da ich meine Augenlider schwer wie Blei waren, aber es lag etwas bedrohliches in der Luft. Ein Hauch von Anspannung, Adrenalin, aber genau diese Anspannung hatte auch etwas beruhigendes. Ich hatte nicht das Gefühl in Gefahr zu sein, nur auf alles vorbeireitet zu sein, was auch immer kommen mochte. Langsam, fast in Zeitlupe konnte ich meine Augen öffnen und als ich klar sehen konnte, erkannte ich das ich auf einem Sofa lag. Ich trug noch die gleiche Kleidung wie vorher, meine Füße die von meinen Cowboystiefeln geziert wurden waren hochgelegt worden und ich hatte ein schwarzes Samtkissen im Nacken. Das Sofa selbst war sehr bequem, aber sah alt und elegant aus. Als ich mich weiter umsah, sah es aus wie in einer alten Burg, finster aber wunderschön. Ich war wohl in einer Art Palast gelandet, allerdings war niemand hier. Es war vollkommen leer, außer mir war niemand im Raum. Langsam stand ich auf und ging zu einem Spiegel an der Wand. Er war mit Gold verziert und ich musste erst eine Weile die künstlerischen Gravierungen begutachten, ehe ich mich selbst ansehen konnte. Meine langen, braunen Locken waren verwuschelt und ich hatte einen blauen Fleck über der Augenbraue, dort wo der Mann mich geschlagen hatte. Das würde eine dicke Beule werden, musste ich seufzend zugeben. Aber ansonsten ging es mir gut. Ich hatte erwartet total verprügelt auszusehen, falls ich überhaupt wieder aufwachen würde. Aber offensichtlich lag es dem Mann eher daran mich gefangen zu nehmen, als mich umzubringen. Wo war ich hier? Ich überlegte, während ich mein kariertes Hemd gerade strich. Ein Schock durchfuhr meinen Körper als ich etwas zusammenreimen konnte: Wenn ein Dämon mich irgendwo hingebracht hatte, dann wohl doch nicht in die Hölle? Was hatte ich so schlechtes getan um hier zu landen? Und kamen Menschen nicht erst nach dem Tod in die Hölle? Mir wurde schon wieder schwindelig als ich daran dachte. Doch nun zog mich etwas anderes als der Spiegel zu sich, und zwar ein Fenster. Dieser Raum hatte große aber vergitterte Fenster, wie es alte Burgen oft hatten. Ich ging ganz nah an das Fenster heran und sah nach draußen. Erkennen konnte ich nichts aber von dort aus, aus der Schwärze raus, kam ein leichte Wind zu mir. Er roch nach verbranntem Fleisch, Rost, Feuer und Leder. Ich ging sofort einen Schritt zurück, ja, wahrscheinlich war ich in der Hölle. Und wieso war ich dann noch nicht in Brand gesteckt worden oder was man hier auch immer mit den Seelen machte die es nicht wert waren? Gerade als ich vom Fenster zurückwich, öffnete sich die Tür von zwei Männern und einem weiteren, der durch die Tür trat. Sofort hatte ich ein weiteres Messer herausgezogen, ein weiteres von meinem Gürtel. Auch wenn ich eines verloren hatte, blieben immer noch genug übrig. Ich hatte mir einige Messer mit einer Lederkonstruktion auf den Rücken gespannt und an beiden Armen trug ich zwei weitere, mit Lederriemen befestigt. An meinem Gürtel waren ebenfalls noch genügend und zur Not hatte ich sogar zwei Messer in meinen Schuhen versteckt. Ich war also bestens ausgerüstet. Die Männer machten diesmal keine Anstalten mich anzugreifen und der Mann, der nun vor mich trat auch nicht. Trotzdem hielt ich das Messer sicherheitshalber in der Hand. „Würdest du bitte das Messer aus der Hand legen, Avery, das macht mich furchtbar nervös." sagte er und in seiner Stimme klang etwas ironisches mit. Seine Stimme war tief und irgendwie kam sie mir bekannt vor. Ich musterte ihn genau, er hatte schwarze Haare, einen leichten Bart, einen schwarzen Trenchcoat an und seine Haut war von ungewöhnlich heller Farbe. „Wer bist du?" fragte ich eine Spur zu fordernd, ich kam ungewöhnlich aggressiv rüber. „Mein Name ist Crowley." sagte er und ich runzelte die Stirn. Ich brachte diesen Namen mit niemandem in Zusammenhang. „Ich bin jetzt Crowley, aber ich war mal Fergus Roderick MacLeod." sagte er und trotzdem verstand ich nichts. „Ich denke wir sollten ein bisschen reden, setzen wir uns doch." sagte er und zeigte auf zwei Sessel am Stuhl. Ich folgte ihm, hatte das Messer aber immer noch in der Hand. Als er es sah musste er lächeln. „May hat dich wohl gut erzogen." sagte er und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Was bist du?" fragte ich ihn. Ich war auf alles gefasst, Teufel, Dämon oder irgendein Wesen das ich nicht kannte. „Ich bin dein Vater." sagte er.

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