27. Träume
> Jungkook <
Ich halte gerade meinen allergrößten Schatz in den Händen – einen Schatz, von dem ich meinen Freunden und meinem Bruder noch nichts erzählt hatte. In meinen Pfoten lag ein kleiner, zusammen geknüllter Zettel, dessen Seiten ich bedächtig nach einander auffaltete. Zum Vorschein kam ein Prospekt, auf dem mit Großbuchstaben in pinkfarbener Schrift stand:
„Vorsprechen (Gesang und Tanz) für die Aufnahme in der Agentur, Mitglieder für neue Boygroup/ Girlgroup gesucht"
Letzte Woche, nachdem Taetae und ich Eomma beim Einkaufen begleiteten, hatte ich den Aushang am Schwarzen Brett gesehen. Mein Herz fing mit einmal ganz schnell zu schlagen an, heimlich griff ich nach dem Zettel und ließ ihn unauffällig in meine Jackentasche gleiten. Kaum waren wir wieder Zuhause, hatte ich das Prospekt in Jimin und mein Zimmer geschmuggelt und seit dem sorgfältig unter meinem Kissen aufbewahrt. Ab sofort hatte ich die Tage damit verbracht, meinen Schatz anzustarren und vor mich her zu träumen. Dabei dachte ich immer wieder an Jimins Worte, die er mir damals im Einkaufzentrum zu geflüstert hatte, und Stück für Stück wuchs mein Traum, aus meiner Stimme etwas machen zu wollen. Ich stellte mir vor, wie ich auf der Bühne stehen und singen würde, mir die Zuschauer gespannt zuhörten und sich von meiner Stimme verzaubern ließen. Mir wurde ganz warm ums Herz. Während ich in meinen freudigen Gedanken schwebte, bemerkte ich nicht den Schatten, der sich zu mir in das Zimmer gestohlen hatte. Plötzlich durchbrach ein lauter Schrei meine Traumblase und mit einem lauten Knall landete ich im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Boden der Tatsachen.
„Hey Kookie, was hast du denn da? Zeig mal her!"
Ich war vom perfiden Angriffsmanöver meines Bruders vollkommen handlungsunfähig, lag einfach reglos auf dem Teppich herum, während mir die Sternchen um den Kopf kreisten. Derweil nutzte Tae meine Verwirrtheit aus und griff blitzschnell nach meinem Schatz. Von einem Moment auf den anderen waren meine Hände lehr und mein Zettel, dessen Existenz ich bis eben mühsam verheimlicht hatte, wurde von Tae triumphal in die Luft gehalten. Als ich aus meiner Starre erwachte und panisch meinen Schatz zurück forderte, gab mir mein Bruder nur ein neckisches Grinsen, bevor er aus dem Schlafzimmer heraus rannte. Nein! Er darf sich meinen Schatz auf gar keinen Fall ansehen. Rasch eilte ich ihm hinterher, nahm die Verfolgung bis ins Wohnzimmer auf, wo wir auf einen ahnungslosen Chimchim und einen verwirrten Hoseok stießen. Kaum hatte mein Bruder seinen Freund erblickt, war er ihm in die Arme gesprungen, wo er jetzt siegessicher saß und meinen Zettel spöttisch vor meinen Augen hin und her flattern ließ. Noch ein letztes Mal versuchte ich, nach meinem Schatz zu greifen – erfolglos, und musste mit Erschrecken feststellen, das Taetae das Prospekt plötzlich auffaltete. Ich fühlte, wie mein Herz vor Schreck stehen blieb. Ich konnte mich nicht bewegen und nur voller Furcht zusehen, wie Taetae anfing, die Überschrift des Prospektes zu lesen. Seine Ohren und seine Hundeschwanz stellten sich auf, Jimin und Hobi-Hyung sahen immer noch ahnungslos zwischen Tae und mir hin und her, inzwischen stellte ich mich darauf ein, dass in den nächsten Sekunden mein Traum in kleine Stücke zerfallen würde. Völlig außer sich fing mein Bruder an zu schreien: „Du willst Idol werden?" Drei Paar erschrockener, weit aufgerissener Augen lagen plötzlich auf mir und gaben mir das Gefühl, mich mit ihrer Schärfe durchstechen zu wollen. Offensichtlich wollten sie eine Antwort von mir, doch mir kam kein Wort über meine Lippen. Ängstlich nickte ich, ließ dann voller Scham meinen Kopf sinken. Jedes erdenkliche Schreckensszenario spielte sich in meinen Gedanken ab und die ersten Tränen sammelten sich in meinen Augen. Meine Ohren hingen schlapp an meinem Kopf herunter, legten sich dann reuevoll auf meine nassen Augen. Stille kehrte ein. Ich wartete auf hysterisches Geschrei und die Flut boshafter Beleidigungen, doch Anstelle dessen zog mich mein Bruder in eine stürmische Umarmung. Vorsichtig lockerten sich meine Ohren, mein Blick hob sich und ich sah ein breites, herzenswarmes Lächeln, welches mir mein Bruder schenkte.
„Das ist ja eine ganz tolle Idee, Jungkookie! Ich freue mich ganz dolle für dich, ich kann es kaum erwarten, dich auf der Bühne zu sehen. Das wird großartig!", lobte mich Taetae ausgiebig.
Auch Hobi-Hyung überhäufte mich mit Glückwünschen und Lobeshymnen, so dass die ganzen Schreckensbilder in meinem Kopf nach und nach verschwanden. Wieder einmal bekam ich diese angenehme Wärme in meinem Bauch zu spüren. Das Gefühl, ich könne nun alles schaffen, wuchs und breitete sich rauschhaft aus, bis Jimins Blick meine Euphorie plötzlich zum Erliegen brachte. Jimin blieb verhalten im Hintergrund stehen. Seine ausdruckslose Miene jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken – so hatte ich den Älteren noch nie erlebt. Ohne ein weiteres Wort zu sagen verließ der Tänzer das Wohnzimmer und ließ uns drei alle mit einem großen Fragezeichen über unseren Köpfen zurück. Was ist denn plötzlich mit meinem Chimchim los? Habe ich irgendetwas Falsches gesagt? Besorgt blickte ich zu Hobi-Hyung herüber, doch der Ältere konnte mir auch keine Antwort geben. Dennoch schenkte er mir ein beruhigendes Lächeln, bevor er ebenfalls den Raum verließ und Jimin nach eilte. Mein Bruder und ich blieben im Wohnzimmer ahnungslos zurück.
(860 Wörter)
Erstmals veröffentlich am 06.10.2017
Überarbeitet am 01.01.2021
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Happy New Year!
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