10.Der nächste Morgen und ein Albtraum
> Taehyung <
„Nein Abeijo, tu das nicht! Wir wollten das nicht! Wir wussten nicht, dass wir das nicht durften. Bitte glaube uns!"
„ Ihr undankbaren Hunde, ihr dreckige Bastarde, glaubt ihr wirklich, dass es mich interessiert, ob ihr es wolltet oder nicht? Ihr werdet dafür jetzt büßen und mit dir, du kleines, nutzloses Karnickel, fang' ich an."
„Nein! Jungkoooooooooooooooooook!"
Atemlos schrecke ich hoch. Mein ganzer Körper zittert und ich schwitze vor Angst. Auf meiner Stirn hat sich gar ein Netz aus Schweiß gebildet, dessen kleine Perlen sich lösen und mir quer über mein Gesicht fließen. Eine fließt mir über die Nase, während ich schmerzhaft versuche mich, meinen Puls und meine Atmung zu beruhigen. Einen Atemzug nach dem Anderen, flüstere ich mir selbst zu, Dein Vater wird dir und Jungkook nichts mehr antun. Ihr beiden seid bei Jimin und Hoseok in Sicherheit. Meine Sicht ist ganz verschwommen und das Einzige, was ich sehe, ist ein schwarzer Raum.
Der Raum ist genauso pechschwarz wie die verdreckte Kammer, in der ich mit Jungkook schlief, als wir von diesem Scheusal tyrannisiert wurden. Sofort blitzen mir Bilder von Blut bedeckten Fließen und Tapeten auf und ich spüre, wie mir das Blut in den Adern stockt. Mein Körper fühlt sich so an, als würde er gefrieren, doch die Zahnräder in meinem Kopf kommen einfach nicht zum Stillstand. Ganz im Gegenteil, sie rattern weiter, werden immer schneller und je schneller sie werden, desto mehr Bilder kommen in mir hoch. Ich will diese ekelhaften Bilder nicht sehen. Hör auf, hör auf, hör auf! Ich sehe Blut überall über Jungkooks kleinen Körper verteilt und er liegt da, rührt keinen einzigen Finger, als wäre er eine leblose Puppe. Ich habe das Gefühl, all die Bilder, all das Blut und all das Schwarz zerren und greifen noch mir. Sie packen mich an dem Beinen und den Armen und wollen mich mit sich ziehen. Ich will das nicht, doch wehren tue ich mich nicht. Ich kann meinen gefroren Körper eh nicht bewegen und selbst wenn ich es könnte, wäre mein Geist viel zu schwach. Ich möchte schreien und vor Schmerzen weinen, als plötzlich alles verpufft.
Plötzlich spürte ich wieder etwas. Es kuschelte sich ganz fest an mich, seine kleinen Ärmchen wärmten mich und ich hatte das Gefühl, als würde mein Körper anfangen zu tauen. Ich konnte meine Beine und Arme wieder spüren und der düstere Nebelschleier in meinem Kopf beginnt sich mehr und mehr zu lichten. Deutlich entspannter und mit klaren Gedanken sehe ich mich im Raum um: Beige tapezierte Wände, helle Möbel und ein weicher Flusen-Teppich befinden sich jetzt da, wo gerade eben noch ein schwarzes Loch war. Erleichtert atmete ich durch. Das war alles nur ein böser Albtraum.
Nun war mir auch klar, wer sich gerade so fest an mich kuschelte, dass ich mich fühlte, als würde ich wie eine kleine Ameise unterm Schuh zerquetscht werden. Es war kein Geringerer als mein kleiner Jungkook.
Nachdem Jin meinen kleinen Bruder untersucht und verarztet hatte, war dieser bereits wieder eingeschlafen. Kein Wunder! Immerhin ist in den letzten paar Tagen so vieles passiert: Das Leben von Jungkook und mir hat sich um mehr als 180 Grad gewandelt, dass es meinem kleinen Kookie eben einfach etwas zu viel wurde. Ich hatte mich da einfach neben ihn gelegt und musste wohl auch dem sogenannten Schlaf-Zauber wieder fallen sein. Zum Glück hatte ich ihn damit nicht gestört, denn er schlummerte immer noch so friedlich und unbekümmert neben mir wie gestern Abend.
So langsam wurde es mir dann doch etwas warm unter der weichen Decke und der dicken Umarmung und ich versuchte verzweifelt aufzustehen, doch das erwies sich als schwerer als gedacht. Jungkook lag immer noch auf mir und ich konnte keine einzige Bewegung machen, sonst würde ich ihn wecken müssen. Als dann auch noch meine Nase zu kribbeln begann, war es um jeden guten Willen getan. Ich nieste so laut, dass ich Angst hatte, die Fensterscheiben würden zerspringen, und weckte unsanft die kleine Schlafmütze neben mir.
„Taetae?", ertönt es verträumt neben mir. Schon blickte ich in verschlafene Kulleraugen und auf wuscheliges Haar, was wirklich ziemlich niedlich aussah. Wie bei einem kleinen Kaninchen zuckte seine runde Nase, denn die ersten Sonnenstrahlen fielen bereits ins Zimmer hinein. Mit einem Grinsen auf den Lippen frage ich: „Nah, hast du gut geschlafen, Kookie?" Ich bekomme ein leichtes Nicken als Antwort, bevor sich mein Bruderherz wieder in die Kissen kuschelt. Er griff nach meiner Hand und zog mich förmlich mit sich. Nun lagen wir wieder auf den weichen Betten, mein Bruder schlief und träumte, als es plötzlich laut rumste.
Wir schreckten hoch. Ich hörte etwas zerbrechen und jemanden fluchen und schon wurde unsere Zimmertür aufgerissen. Hoseok stand in der Tür und lachte so laut, dass wir fast gar nicht verstanden, was er uns sagen wollte. Nur mit Mühe konnte ich es dann doch noch entziffern:
„Guten Morgen, ihr Zwei. Oh mein Gott, ihr hättet es sehen müssen, Jimin versucht gerade zu kochen. Ihm sind schon zwei Schalen kaputt gegangen und nun klebt das Rührei verbrannt an der Bratpfanne."
Hoseok lacht lautstark weiter und ich kann nicht anders als ebenfalls leise mit zulachen. Er hat ein wirklich ansteckendes Lachen – eines, das man nicht so schnell vergisst und einem einfach Freude macht. Es war einfach das schönste Lachen, dass ich je gehört hatte.
Ich konnte jedoch nicht mehr lange vor mich hin schwärmen. Jungkook und ich waren jetzt putzmunter, genauso wie unsere Mägen. Sie knurrten schon vor Hunger. Das hieß, wir beide brauchten sofort etwas Anständiges zum beißen, sonst könnten wir für nichts garantieren. Wir kämpften uns also aus den weichen Decken hervor und sprangen von der großen Couch herunter, bevor uns Hoseok in die Küche führte. Wir würden wieder genau so frühstücken, wie wir es gestern taten, und ich freute mich. Ich weiß nicht so recht, woran es lag, aber ich wollte unbedingt mehr mit Jimin und vor alledem mit Hoseok quatschen. Sie waren so freundlich und nett zu uns, außerdem besaß Hoseok das schönste Lächeln der gesamten Welt und ich wollte es unbedingt noch einmal sehen. Mein Herz fing dann immer ganz stark an zu schlagen und ich fühlte mich wirklich sicher.
Natürlich waren Jungkook und ich in Jimin und Hoseoks Wohnung sicher, doch wenn ich bei ihm war, auch wenn wir uns bis jetzt kaum kannten, war da noch so ein anderes Gefühl. Was das wohl ist?
Schließlich trotteten wir drei aus dem Wohnzimmer ab in die Küche, wo wir schnell das Malheur sahen, von dem Hoseok uns erzählt hatte. Die Porzellanscherben waren schon im Müll verschwunden, doch Jimin kämpfte weiter damit, das schwarze Ei von der ebenso schwarzen Pfanne zu kratzen. Auf der Theke lagen noch Speck und Würstchen, die ihm offensichtlich noch nicht zum Opfer gefallen waren. Ich schnappte sie mir und setzte mich mit Kookie an den kleinen Esstisch, von dem aus wir das Geschehen gespannt beobachten. Es war irgendwie lustig zu sehen, wie die beiden versuchten einen möglichen Küchenbrand zu verhindern, doch war ich der Einzige, der lachte. Erst dachte ich, Jimins schnelles Hampeln hätte ihn verschreckt, doch schien nicht das meinen kleinen Bruder zu bedrücken. Selbst beim Essen, Jimin, Hoseok und ich aßen die Würstchen und den Speck mit Toastbrot und etwas Butter, er kaute an den Reiskuchen von gestern, war er ziemlich ruhig. Er war schon fast zu ruhig, ruhiger als gestern und das gefiel mir ganz und gar nicht. Es machte mich irgendwie etwas traurig, ich wollte das er mit uns lachte und endlich diese schreckliche Zeit bei unserem Ziehvater vergessen konnte, immerhin hatten wir jetzt endlich Möglichkeit dazu, doch es sollte wohl noch ein steiniger Weg werden.
Lach bitte bald wieder, mein kleiner Bruder.
Plötzlich durchbohrte ein schmetterndes Klingen unsere Wohnung.
(1280 Wörter)
Erstmals veröffentlicht am 12.07.2017
Überarbeitet am 05.08.2019
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