-~2~- Eierlikör und McDonald's

,,Zwei Dinge beschäftigen Denkende ihr Leben lang: Die Gewißheit der Endlichkeit des Körpers und die Hoffnung auf ein Weiterleben der Seele."

~Werner Braun

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Schon als Vex die Bar betrat, hatte Gray ihn entdeckt. Es dauerte nicht lange, bis der Blick des Professors sieren fand, da Gray sich an ihrem Stammplatz niedergelassen hatte. Es war eine dunklere Sitzecke, recht nah an der Bar, und wurde durch Bücherregale vor unerwünschten Blicken geschützt. Gray und Vex hatten diesen Platz vor mehr als einem halben Jahrzehnt ergattert und ihn seitdem nie mehr hergegeben. Sie hatten selbst die Bedienung dazu bringen können, den Platz für sie frei zu halten, was angesichts ihrer recht geringen Prozessorleistung ein kleines Wunder war.

Vex' Blässe war das erste, was sier auffiel, als er sich gegenüber auf die rote Sitzbank setzte. Nervös griff er nach dem Pfefferstreuer auf dem Tisch und drehte ihn in seinen schmalen Fingern.
,,Hier, nimm meinen Drink. Ich bestelle mir einen neuen. Du siehst beschissen aus. Als hättest du einen Geist gesehen", sagte Gray und schob sier Glas zu dem Älteren herüber.
,,Dir auch einen schönen guten Abend", erwiderte Vex augenrollend, bedankte sich jedoch mit einem kurzen Nicken und leerte das Glas mit einem Zug. Gray gab währenddessen der Bedienung ein Zeichen.
,,Was ist mit dir heute passiert? Sonst bin ich doch sierjenige, sier vorschlägt, hierher zu kommen."
Grays Blick wurde zunehmend neugieriger. Noch nie hatte sier sieren Freund so aufgewühlt erlebt.

,,Ich habe es geschafft, Gray", erwiderte Vex. Seine Stimme zitterte noch immer und er verfluchte sich selbst dafür. Bis vor wenigen Minuten hatte er sich noch unter Kontrolle gehalten, es jedoch jetzt jemanden zu erzählen, verdeutlichte ihm doch noch einmal, was er entdeckt hatte.
,,Bist du sicher? Ich muss zwar zugeben, dass du die letzten vier Male nicht so aufgeregt warst, aber dennoch-"
,,Gray!", rief Vex etwas verärgert, bevor er sich kurz in der Bar umsah, jedoch schenkte ihnen keiner Beachtung. ,,Ich meine das wirklich ernst", fuhr er mit leiserer Stimme fort.

,,Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte die Bedienung, die plötzlich neben ihnen aufgetaucht war. Sie war schön - jung, blond, groß und schlank. Sie lächelte einladend und hatte ihren Blick aufmerksam auf die beiden Freunde gerichtet.
,,Noch zweimal das gleiche bitte", erwiderte Gray und deutete auf das Glas in Vex' Hand.
Die Bedienung nickte und sagte dann: ,,Ihre Bestellung wurde gespeichert. Kann ich Ihnen noch etwas bringen?"
,,Ja, das gleiche wie letzte Woche", sagte Vex noch.
Die Bedienung berührte mit ihrer Hand das Bedienfeld und ein heller Ton bestätigte die Übertragung der Daten.
,,Danke für Ihre Bestellung bei-"
,,Jimmy's Bar, ja ja, den Spruch kennen wir schon und müssen ihn nicht wieder hören", unterbrach Gray sie augenrollend. Ihr Gesichtsausdruck blieb unverändert freundlich.
,,Benutzerkonfiguration angepasst", bestätigte die Blondine und verließ daraufhin den Tisch wieder.

,,Der wievielte neue Android ist das jetzt schon? Der sechste? Ich dachte, dass die Preise angezogen worden sind", kommentierte Gray und sah ihr skeptisch hinterher.
,,Es scheint bei Jim gut zu laufen. Oder er hat sich bei CyberTech eingeschleimt. Das sähe ihm ähnlich", antwortete Vex. Er war froh über die Unterbrechung des Gesprächs. Sein_ Freund_ hatte recht. Er hatte noch nicht genug Tests durchführen können. Vielleicht war es nur wieder einer seiner vermeintlichen Erfolge, die ihn zwar in seiner Forschung weiterbrachten, aber nicht das gewünschte Resultat innehielten.

Gray schnaubte abwertend. Vex wusste, dass sier nicht viel von Androiden hielt. Sie waren, laut Gray, Maschinen ohne Bewusstsein, die den Menschen Arbeitsplätze wegnahmen. Vex stimmte dem ganzen nicht vollständig zu, aber er konnte Gray verstehen.

,,Wie geht es Emily?", lenkte er das Thema um, woraufhin sein_ Freund_ seufzte.
,,Verhältnismäßig gut. Ich war heute bei ihr im Krankenhaus. Sie lässt sich nichts von den Schmerzen anmerken, aber ich habe ihre Aterien gesehen, Vex. Durch ihre Haut durch. Das macht mir Angst, wenn ich ehrlich bin. Patienten in diesem Stadium haben meistens nur noch wenige Wochen..."
Vex richtete seinen Blick auf die Tischplatte. Er wusste, dass kein Wort, das er sprechen würde, Vex trösten konnte. Also schwieg er und betrachtete das hölzerne Muster vor ihm. Gray war sein_ beste_ Freund_ geworden, aber Emily hatte sich mit der Zeit fast zu seiner Tochter entwickelt. Während Gray auf Businesstrips im Ausland unterwegs war, hatte Emily immer viel Zeit mit ihm im Labor verbracht. Sie hatte viel beigetragen zu seiner Forschung und sich gleichzeitig um Vex' Gesundheit gekümmert. Sie war immer aufgeweckt gewesen, hatte Leben in das Labor gebracht. Hatte Vex' Gedanken von Jessicas Tod abbringen können.
So traf es ihn umso mehr, dass sie eine todbringende Krankheit bekommen hatte. Seitdem war sie still geworden. Und alles um sie herum ebenfalls. Genau wie die Stimmung zwischen den beiden Freunden jetzt.

,,Ich gehe sie morgen besuchen", sagte Vex leise und Gray hob sieren Blick wieder etwas. ,,Ich bringe ihr etwas von Jessicas selbstgemachtem Eierlikör mit. Es ist die letzte Flasche, aber Emily mochte ihn immer mehr als ich es getan habe..."
Gray deutete ein Lächeln an. Vielleicht aus Dankbarkeit. Vielleicht aber auch aufgrund der Erinnerung, die die Erwähnung von Jess' Eierlikör in sier hervorrief. Sie war immer so stolz auf das Rezept gewesen, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte.

,,Nächste Woche muss ich in eine Außenstelle an der Landesgrenze. Ich werde ein paar Wochen weg sein..." Gray atmete schwer aus, ,,Könntest du in dieser Zeit Emily an meinen Besuchszeiten besuchen?"
Vex nickte still. Er wusste wie schwer es Gray fiel, wegzugehen. Weg von Emily. ,,Natürlich", antwortete er.

In diesem Moment kam die Kellnerin zu ihrem Tisch zurück. Im Gesicht trug sie wieder ihr übliches Lächeln, und auf der linken Hand balancierte sie ein Tablett. Darauf standen zwei Longdrinks und eine tellergroße Pappschachtel. Sie stellte die Gläser vor die beiden Freunde und die Pappschachtel direkt vor Vex auf den Tisch.
,,Danke für Ihre Bestellung bei Jimmy's Bar." Mit dieses Worten verließ sie die beiden wieder.

Gray nahm einen Schluck von sierem Drink. ,,Scheinbar hat Jim schon wieder ein billiges Modell angedreht bekommen. Kann nicht mal die Benutzereinstellung speichern."
Vex schmunzelte leicht über die Aussage, als er den Deckel von der Schachtel öffnete. Sofort stieg ihm der Duft eines Mikrowellenburgers entgegen.
,,Ich verstehe nicht, wie du das Zeug essen kannst", merkte Gray an und musterte skeptisch den Skandal von einem Essen.
Vex zuckte unbeeindruckt mit den Schultern, nahm das traurig zusammengefallene Burgerbrötchen in die Hände und musterte es, als wäre es ein altes Fotoalbum. ,,Erinnert mich an meine Kindheit. Hat Ähnlichkeiten zu McDonald's, aber das sagt dir wahrscheinlich schon nichts mehr..." Er biss demonstrativ hinein und wartete Grays Reaktion ab.
,,Ich weiß ja, dass du im letzten Jahrtausend geboren bist, du urzeitlicher Mellennial, aber McDonald's kenne ich trotzdem noch", stichelte sier zurück, woraufhin sie beide in Gelächter ausbrachen.

Sie beide hatten die größten Tiefpunkte ihrer Leben miteinander verbracht und trotzdem schafften sie es immer noch, sich gegenseitig zum Lachen zu bringen. Die Lockerheit, die sie untereinander behielten, hüteten sie wie ihren größten Schatz. Denn sie beide wussten, am Ende waren nur noch sie beide übrig.

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Leute, was ist das mit dem ,,sier"? Ich habe keine Ahnung, wie man das dekliniert und auch Google kann mir nicht weiterhelfen xD
Ich finde mich schon noch ein - meine Autokorrektur sicher auch noch. Falls ihr öfter mal ein ,,sie" oder ein ,,er" statt einem ,,sier" finden solltet, war sie das. Weist mich auf jeden Fall wieder auf Tippfehler hin!
Ich finde es aber ehrlich gesagt sehr erfrischend so zu schreiben^^

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