8. Toilette

Keinen Zentimeter hatte ich mich bewegt, seit vier Stunden nicht. Mein Blick galt noch immer dem ausgeschalteten Fernseher, über dem eine Wanduhr hing, welche mir seit Stunden ununterbrochen die Uhrzeit zeigte. Manuel widmete sich seinem Handy, er hatte mich seit dem Vorfall mit Viktoria kein mal mehr beachtet und ich fühlte mich elendig, so wie ein Verräter. Ich verstand nicht, was ich falsch gemacht hatte und der Brünette wollte es mir auch nicht erklären. Für ihn war die Sache glasklar, ich hatte gegen seinen Willen gehandelt und wurde nun mit Schweigen dafür bestraft. Meine Verwirrtheit, die Angst und Trauer der letzten Stunden, das alles schien den Pfau kalt zu lassen und brach mir mit jeder weiteren Sekunde mehr mein Herz. Hätte ich gewusst, wie sehr ihn mein liebevoller Umgang mit der Älteren störte, hätte ich es niemals auch nur gewagt diesen Kuss zu erwidern.

"Es ist Zeit fürs Abendbrot. Ich bin gleich wieder da. Du wirst das Zimmer nicht verlassen!", sagte Manuel auf einmal kalt, so wir ich seine Stimme noch nie erlebt hatte und ohne auf eine Antwort zu warten, verließ er sein Zimmer. Tränen stiegen mir erneut in die Augen, wie schon so oft in den letzten paar Stunden und wenn auch nur leise, schluchzte ich vor mich her. Ich hatte die gute Beziehung zu meinem Herren zerstört, mit einem einzigen kleinen Fehler und er würde mir niemals verzeihen, dafür sah er viel zu verärgert aus. Meine Zukunft hatte ich mir mit nur einer Sache zerstört, unwiderruflich und der einzige Weg, um ein wenig Gnade bekommen zu können, wenn auch noch nicht sofort, war Reue zeigen. Manuel musste sehen, wie sehr ich mich für meine Tat schämte und seine Vergebung wollte. Er sollte sehen, dass ich mich anstrengen wollte, um meinen Fehler wieder zu beseitigen und sein Vertrauen zurückgewinnen wollte. Der Brünette sollte nicht jedes Mal, wenn er das Zimmer verließ, ein schlechtes Gefühl haben und mir zumindest kurz das Vertrauen schenken können, ich würde in seiner Abwesenheit nichts schlechtes tun.

Meine Fingernägel bohrten sich wie automatisch in die Haut meiner Unterarme, verursachten durch einen immer stärker werdenden Druck auf sie einen leichten Schmerz, welcher sich immer mehr verschlimmerte. Im Gefängnis hatten die Wärter zu wenig kontrolliert, ob die Nägel geschnitten werden mussten oder nicht und so hatte ich nun eine Waffe, die mich nicht großartig verletzte, mir jedoch Schmerzen zufügte. Manuel würde gleich das Zimmer betreten und anhand der Striemen auf meinen Armen sehen, ich schämte mich selbst für meine Tat und hatte gemerkt, dass mein Verhalten falsch war. Es war der Sinn und Zweck seines Schweigens, doch würde mich dieses niemals allein dazu bringen zu merken, ich hatte mich falsch verhalten. Das einzige was es brachte war, mir ein schlechtes Gefühl zu geben und es nahm mir die Möglichkeit mit meinem Herren zu kuscheln. Niemals würde ich es in seiner Gefühlslage wagen ihn zu berühren, immer würde ich ängstlich zurückweichen und den Jüngeren mit großen Augen mustern, klare Angst zeigen. Ich war ihm komplett unterlegen und das sollte er sehen. Er hatte die volle Macht über mich, konnte alles über mich entscheiden und vor allem durfte er mich bestrafen wie er es wollte, niemand konnte etwas dagegen sagen.

Tränen tropften geräuschlos auf meine Beine, wurden von meiner blauen Jogginghose aufgesogen und bildeten einen kleinen Fleck, zumindest im Kollektiv. Die Striemen auf meinem Arm schmerzten, doch machte ich immer weiter und merkte gar nicht, wie sich die Tür des Zimmers noch einmal öffnete. Kein Wort verließ die Lippen des Größeren, seine Augen waren starr auf meinen geschundenen Körper gerichtet und wie ich trotz seiner Anwesenheit fortfuhr, so als wäre ich noch immer allein. Die Schüssel Müsli in seiner Hand fiel mit einem lauten klirren zu Boden, sie zerbrach in hundert Teile und die Milch flutete den Holzboden, verteilte das Müsli im Raum, doch interessierte das den jungen Pfau kein bisschen. Er lief wie ein Wilder auf mich zu, schnappte sich meine Hände und stoppte mich so bei meinem tun. "Hör auf, Patrick! Warum machst du denn das?!", rief der Grünäugige erschrocken, während er sich neben mich in den Schneidersitz setzte und meinen Körper auf sich zog.

Verständnislos sah er mich an, betrachtete meine Arme und umschlang mich behutsam mit seinem rechten Arm, hob meinen Blick mit seiner linken Hand. Tränen liefen uns beiden über die Wangen und ich fühlte mich erneut schuldig, was sich deutlich an meinem schnell schlagenden Herzen zeigte. Meine Tat sagte ihm wieder nicht zu, doch nun wusste ich nicht mehr, wie ich ihm sonst beweisen sollte, dass auch ich den Kuss mit Viktoria falsch fand. "Warum verletzt du dich selbst?! Reichen dir deine Wunden am restlichen Körper denn nicht schon genug?", fragte mich mein Herr schluchzend, während er sich behutsam meinen linken Arm nahm und zärtlich über meine neuen Wunden strich. Der Jüngere klang verletzt, geschockt und traurig, was alles die Gefühle waren, welche ich in den letzten Stunden ebenfalls empfunden hatte. Nun sah er deutlich, was er mit seinem Schweigen angerichtet hatte und jede seiner Tränen verriet mir mehr, wie sehr es ihm leid tat.

Zitternd griff ich nach dem kleinen Block, schlug ein unbenutztes Blatt Papier auf. Mit großer Mühe begann ich einen Kreis zu malen, auf dessen Oberseite ich zwei Dreiecke zeichnete. In ihn malte ich ein Augenpaar und Schnurrhaare, dabei sah ich meinen Herren prüfend an, um zu gucken, ob er es verstand. Ruhig wartete der Brünette, bis ich ein großes X machte, welches das Bild überdeckte und gut zeigte, dass ich Viktoria niemals mehr auch nur ansehen würde. Zusätzlich schüttelte ich meinen Kopf und hoffte nun darauf, dass Manuel meine Botschaft verstand. Seine grünen Augen verfolgten mein tun automatisch, blickten mir dann direkt in meine und kurz war es still um uns. Niemand schluchzte mehr, keiner bewegte auch nur einen Muskel. Wir sahen uns gegenseitig starr in die Augen, verfolgten in Gedanken versunken jegliche Bewegung des anderen und immer mehr kam in mir die Angst auf, der Größere würde mir mein Verhalten nicht verzeihen. Ich hatte mich erneut gegen einen Befehl von ihm gewehrt, immer hin hatte der Brünette mir von Anfang an deutlich klar gemacht, ich hatte zu ruhen und meinen Körper zu schonen. Statt diesem Wunsch von ihm folge zu leisten, verletzte ich mich selbst noch mehr, als ich es schon war und erschwerte es meinem Körper noch mehr, sich zu regenerieren, um schnell wieder arbeiten zu können.

"Es tut mir so leid, Patrick...", schluchzte Manuel auf einmal laut auf. Zitternd drückte er meinen Körper näher an sich, zwang mich mit seiner linken Hand vorsichtig meinen Kopf in seiner Halsbeuge zu vergraben. Beruhigend strich er mir über den Nacken. "Ich hätte nicht so reagieren sollen, wie ich es getan habe! Es hat mich bloß so traurig gemacht, dass ich dich mit Vik so gesehen habe und wenn du sie wirklich liebst, möchte ich dir nicht im Weg stehen. Du darfst sie gerne weiterhin sehen und wenn dir so ist, küss sie ruhig. Bitte verzeih mir meine vorschnelle Handlung und fühle dich nicht dazu gezwungen jetzt Abstand zu Vik zu halten. Ich will dich glücklich sehen und nicht traurig, das wird niemals meine Intention sein!", erklärte mir der Grünäugige leise, gefolgt von meinem kleinen Kuss auf meinen Kopf. Mein Herz schien schneller zu schlagen, als jemals zuvor und doch hob ich meinen Blick nicht.

"Du hast die freie Wahl, was du mit deinem Leben anstellst. Ich werde dich nicht dazu zwingen mit mir mit zu kommen, also wenn es dir bei Viktoria wirklich besser gefällt, dann erlaube ich dir selbstverständlich hier zu bleiben! Es fällt mir echt schwer, weil ich dich gern habe und das mehr als nur das, aber um dich glücklich zu sehen, bin ich auch bereit dich loszulassen. Das würde kein Problem für mich darstellen, wirklich nicht! Lass mir dann aber bitte noch die letzten drei Tage mit dir und gib mir die Möglichkeit noch ein bisschen bei dir zu sein. Ich möchte nur noch die letzten paar Tage mit dir genießen, dann bist du mich Klette los...", murmelte der Grünäugige leise, was mich schlussendlich meine Augen aufreißen ließ. Der Brünette war bereit mich hier zu lassen, nur damit ich glücklich wurde und das, obwohl er sich deutlich dagegen sträubte. Nicht umsonst hatte er mir erst verboten die Person zu sehen, welche mich ihm wegnahm und allein schon die Erkenntnis, dass er eifersüchtig auf die junge Katze war, brachte meine Augen zum glitzern. Ein so wunderhübscher Pfau wie Manuel, mit Geld und massig Platz zum Leben, hatte mir gerade indirekt gestanden, dass er sich zu mir hingezogen fühlte und meine direkte Nähe mehr genoss, als die jedes anderen. Noch nie hatte jemand mir sein Interesse so deutlich gezeigt wie er. Der Jüngere wollte mich glücklich sehen, mit einem Lächeln auf den Lippen und auch, wenn er mich so verlieren würde, würde er mich umgehend abgeben und hier lassen. Mein Glück war dem Brünetten wichtiger als sein eigenes.

Leicht nur bäumte ich mich auf, sodass mein Kopf auf der gleichen Höhe war wie seiner, ehe ich meine Lippen hundert Mal gegen seine Wange drückte und meine Arme um seinen Nacken schlang. Mit meinen Beinen umklammerte ich seine Taille, zeigte durch meine Nähe so gut es ging, ich würde mit ihm gehen. Viktoria war mir egal, mein Herr war das einzig wichtige in meinem Leben, immer hin gehörte es von Kopf bis Fuß ihm. Niemals würde ich auch nur einen Gedanken daran verschwenden ihn zu verlassen, meinen Retter. Ich könnte ihm niemals zurückgeben, dass er mich aus meiner Hölle gerettet hatte und würde mein Leben lang in seiner Schuld stehen, egal was ich tat. Ohne den Größeren würde ich noch immer jeden Tag Angst um mein Leben haben, vor dem nächsten Tag und dass ich erneut gefoltert werden würde, damit ich endlich anfing zu sprechen. Seit ich hier war, fühlte ich mich wohl und konnte Nachts entspannen, auch wenn ich immer noch ängstlich aufwachte, immer gegen zwei und von Manuel in den Arm genommen wurde. Leise hauchte er mir beruhigende Worte ins Ohr, half mir daraufhin mit vorsichtigen Streicheleinheiten wieder zu schlafen. Wenn ich nicht einmal mehr in der Lage dazu war erneut ins Land der Träume abzutauchen, sprach der Brünette so lange auf mich ein, erzählte mir von seinen Gedanken und seinem Leben, dass mir irgendwann einfach die Augen zuklappten. Ich wäre dumm, würde ich ihn für jemand anderes aufgeben.

Schluchzend hauchte mir der Grünäugige einen Kuss auf den Hals, lehnte seinen Kopf darauf hin an meinen. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen. "Du willst bei mir bleiben?", fragte mein Herr mich vorsichtig, dabei zitterte seine Stimme leicht und sofort nickte ich, umschlang seinen Körper ein wenig stärker. Sein Herz spürte ich beschleunigt schlagen und auch meines konnte er sicher spüren, so schnell war es, was meine Freude zeigte. Er schien mir all meine Fehler zu vergeben, sich sogar zu freuen, dass ich mich trotz dem Angebot hier zu bleiben, dafür entschied ihn zu begleiten. Mir war bewusst, dass er mir diese Chance wirklich gerne gab und das nur, um mich glücklich zu sehen.

"Danke...", flüsterte der Brünette glücklich.

(...)

Zaghaft lagen Manuels Arme um meinen Körper geschlungen. Der Jüngere bewegte sich kein bisschen, schlief noch vollkommen ruhig und obwohl es sich ein wenig komisch anfühlte, strich ich behutsam durch sein langes Haar. Es glitt seidig durch meine Finger, zeigte mir, wie gut es gepflegt wurde und obwohl ich es nicht wollte, wünschte ich mir in diesen Moment auch so lange Haare. Sie störten mich für gewöhnlich nur, wären viel voluminöser als die des Pfaus und so glänzen täten sie auch nicht. Nach einer Zeit wurden sie stumpf und es bildeten sich Knoten, welche beim heraus kämmen weh taten. Meine Kopfhaut war das kämmen von Haaren nicht gewohnt, immer hin hatte ich in meinem alten Gefängnis keinen Kamm und auch hier besaß ich keinen eigenen, bekam höchstens von Manuel einen geliehen, so wie Michael und Maurice auch.

Immer länger lag ich vor dem Brünetten, versuchte den Drang auf Toilette zu gehen so gut wie möglich zu verdrängen, doch schaffte ich es nicht länger. Manuel schien so geschafft von der Welt, ich wollte ihn gar nicht aufwecken und auch, wenn ich es nicht sollte, löste ich mich langsam von dem Grünäugigen und passte so gut wie möglich darauf auf, dass er nicht aufwachte. Meine Füße berührten den kalten Boden langsam, seit fünf Tagen das erste mal wieder von selbst und sofort spürte ich durch den Verband und die Socken, wie sehr mein eigenes Körpergewicht schmerzte. Langsam nahm ich durch das regelmäßige Essen zu, was sich sofort bemerkbar machte, als ich mich langsam aufrichtete. Meine Füße waren es nicht mehr gewöhnt so viel Gewicht zu traten, fünf Tage im Bett liegen ließ die Muskeln sich zurückbilden und da ich sowieso noch nie viele hatte, erschwerte es mir das laufen extrem. Mühevoll hielt ich ein schmerzerfülltes Stöhnen zurück, welches Manuel sicher hätte aufwachsen lassen.

So leise wie ich konnte, ging ich Schritt für Schritt nach vorne, öffnete langsam die Tür und sah noch einmal das schlafende Gesicht meines Herren an. Entspannt atmete er ein und aus, suchte mit seiner rechten Hand nach etwas, was er umarmen konnte und als er schließlich das Kissen auf meiner Seite fand, umschloss er es so, wie vorher mich. Leicht lächelte ich bei diesem niedlichen Anblick, zog jedoch kurz darauf hinter mir die Tür zu und tat nun das, was Manuel mir verboten hatte, ich verließ sein sicheres Zimmer. Mir konnte auch hier nichts passieren, das Haus war zugesperrt und ich befand mich in der oberen Etage, sicher vor jeglicher Art von Fremdeinwirkung. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Einbrecher genau zu dieser Zeit, dieses Haus aussuchen würde, war mehr als nur gering und unrealistisch. Hier in der Nachbarschaft gab es noch viel teurere und hübscher aussehende Häuser, wie dieses hier und ich zweifelte daran, dass jemand dieses auswählen würde.

Während ich mein Geschäft verrichtete, betrachtete ich still meine Beine und stellte fest, dass die Kratzer auf ihnen zu heilen begannen. Eine feste Kruste hatte sie verschlossen und hielt so all den Dreck davon an, in die Wunde einzudringen, welcher mir täglich über den Weg lief. Auch meine Füße begannen damit die Kratzer zu verschließen, bald würden sie endlich verheilt sein und ich könnte mich im Haushalt nützlich machen. Manuel zuliebe auch nur ein wenig, um meine Füße an das plötzliche Gewicht zu gewöhnen, doch es wäre der Anfang alles weiteren. Bald würde ich mich für all seine netten Taten und Worte bedanken können, wenn auch nicht wörtlich und ihm meine volle Wertschätzung zeigen. Der Pfau sollte spüren, wie sehr ich seine Aufopferungen zu schätzen wusste und egal in welcher Hinsicht, er sollte glücklich werden. Er sollte alles was er wollte von mir bekommen, brauchte er Nähe, würde ich ihm diese geben. Wollte er jemandem zum reden, würde ich ihm zuhören.

Seufzend sah ich auf die weißen Fliesen, welche meine Füße abkühlten und im Schein der Deckenlampe leicht schimmerten, so wie die Schuppen eines Fisches. Ich war allein im Raum, niemand anderes war wach und konnte etwas mit mir tun, was ich nicht wollte, und das war der einzige Grund, weshalb ich den Wasserhahn öffnete und meine Hände wusch. Mein Herz klopfte unruhig, sobald das warme Wasser meine Hände berührte und doch ließ ich es zu, erinnerte mich beschämt an den Tag zurück, an dem Claus mir angeekelt erzählt hatte, dass man sich nach dem auf die Toilette gehen die Hände wusch. Für gewöhnlich hatte ich das nie gebraucht, immer hin war unsere Gesundheit größtenteils egal und wir hatten sowieso keine Möglichkeit uns selbst sauber zu halten, doch hier sollte ich immer meine Hände waschen. Es gehörte sich nicht das Bad zu verlassen, ohne sich die Hände zu waschen und diese neue Plicht hatte ich sofort akzeptiert, ohne auch nur zu widersprechen.

In Gedanken verließ ich das Badezimmer wieder, lauschte kurz in die Stille, welche mir erneut in dieser Nacht bewies, ich war im Moment komplett allein. Von unten hörte ich jemanden schnarchen, laut und deutlich, von dem ich sofort wusste, es war Claus. Niemand anderes schnarchte in diesem momentanen Haushalt, zumindest nicht laut genug, dass ich es hören konnte und der Hüne war leicht von den anderen zu unterscheiden. Seine Stimme war dunkel und tief, was meiner Meinung nach etwas mehr als beruhigendes hatte. Manuels Stimme war ebenso tief, jedoch manchmal so hoch wie die Stimme eines Kindes und das bewies eindeutig, er war noch nicht ausgewachsen und noch im Stimmbruch. Auch die Stimme von Claus überschlug sich oft, doch war das noch ganz normal. Manuel und Claus waren noch minderjährig, ihr Körper und Denken war noch nicht vollkommen gefestigt und bis dies soweit war, würde noch viel Zeit vergehen. Michael und Maurice befanden sich vom Alter her ebenso noch in der Pubertät, doch den beiden merkte man es nicht an. Sie benahmen sich ernst, alberten nicht rum und lachten nicht so oft, wie es Manuel beispielsweise tat und das lag allein an unserer Erziehung. Wir konnten niemals Spaß haben, dafür gab es keinen Grund und dieses trostlose Gefühl von Hoffnungslosigkeit, dass niemand einen auswählen und retten würde, zog sich noch durch das ganze Leben.

Eine warme und zarte Hand berührte meine nackte Schulter, ließ meinen Puls sofort in die Höhe schnellen und die Augen aufreißen. Sofort erkannte ich die braunen Haare neben mir, sah durch das Licht der offenen Tür die grünen Augen glitzern. "Ey, Patrick! Ich bin es doch nur, keine Angst haben, ich möchte nur mit dir reden...", vernahm ich die sanfte Stimme von Viktoria, doch widmete ich dieser keinen Glauben. Mein letztes Zusammentreffen mit ihr endete im Streit mit Manu, das wollte ich nie mehr wieder haben. Er war mir mein Leben wert, da könnte ich ihn niemals so sehr hintergehen und jemand anderen küssen, vor allem, da ich von seinen Gefühlen wusste. Ihn traurig zu sehen, würde mein Herz brechen und mir war bewusst, wie zerstört er nach einem weiteren Kuss sein würde.

Instinktiv wimmerte ich auf, drehte mich in ihre Richtung, nur um meinen Körper von ihr loszureißen und in Richtung Sicherheit zu gehen. Die Hand hielt mich erneut auf, umschloss mein linkes Handgelenk komplett und zog mich erneut in die Richtung, welche ich auf keinen Fall einschlagen wollte. Es wäre töricht zu denken, ich könnte mich gegen jemand stärkeren und älteren durchsetzen, welcher zusätzlich auch noch sehr viel mehr Rechte besaß, doch mich gegen diese Person wehren, konnte ich trotzdem. Manuel hatte mir mehr als oft genug erklärt, dass ich immer etwas dagegen sagen und tun durfte, wenn mir etwas nicht gefiel und da ich nicht sprechen konnte, blieb nichts anderes übrig, als mich mit meinen Händen und Füßen zu wehren.

Unruhig begann ich mich von der Katze losreißen zu wollen, schlug dabei immer wieder auf ihren Arm ein, was so gut wie nichts brachte. Könnte ich, würde ich nach Hilfe schreien, irgendwie auf meine missliche Lage aufmerksam machen, doch so blieb mir nichts anderes übrig, als fieberhaft in irgendeiner anderen Weise Lärm zu machen. Irgendjemand würde darauf aufmerksam werden, ob es nun Michael und Maurice waren, deren Zimmer sich links neben uns befanden, oder Manuel, welcher die Grünäugige sofort in ihre Schranken weisen würde, war mir egal. Mir war dieser ganze Trubel mehr als unangenehm, ich wollte eigentlich nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen, so jemand war ich noch nie, doch wenn ich in diesem Moment nichts tun würde, wer wusste schon, was die Ältere in ihrem Zimmer angekommen mit mir machen würde. Nur mit mir reden konnte nicht sein, es gab nichts zu besprechen, außer, sie wollte mich nun mit allen Mitteln davon überzeugen, dass ich hier bleiben sollte. Katzen besaßen bessere Ohren als Menschen, ich könnte niemals nachempfinden wie sie hören konnten, doch konnte es möglich sein, dass sie das Gespräch mit Manuel mitbekommen hatte. Anhand seiner Reaktionen konnte man abschätzen, wie meine Worte lauteten.

"Was ist hier los?", erklang die leicht kratzige Stimme meines Herren, weshalb ich sofort mit meinem tun stoppte und hilfesuchend in seine Richtung schaute. Finster blickte er drein, seine Augen fixierten Viktoria kalt und mein Herz wurde sofort schwerer, als mir sein grenzenloser Zorn entgegenkam. Ich wusste nicht, ob er mir nun böse war, weil ich sein Zimmer verlassen hatte oder ob diese ganze Wut der Brünetten galt, doch unwohl fühlte ich mich trotzdem. "Ich will nur mit ihm reden. Unter vier Augen!", erläuterte die Ältere ihr Vorhaben, was Manuel jedoch kein bisschen beeindruckte. Ohne einen Mucks von sich zu geben, trat er uns näher, ließ uns beide nicht aus den Augen. "Du wirst ihn loslassen. Für dich gilt mein Befehl immer noch, du hast Patrick nicht mehr zu sehen! Er selbst darf entscheiden, ob er noch Zeit mit dir verbringen will, aber wie du siehst, hat er keine Lust auf dich. Wenn er von alleine auf dich zukommt, kein Problem, aber wenn du schon so siehst, dass er sich wehrt, hast du gefälligst zu gehen und ihn in Ruhe zu lassen!"

Knurrend ließ mich die Brünette los, weshalb ich sofort auf meinen Retter zu lief und mich an ihn drückte. Schutzsuchend vergrub ich meinen Kopf in seiner Schulter, bekam einen Arm um die Hüfte gelegt. Kurz galt der Blick meines Herren mir, er suchte nach Verletzungen oder anderen Auffälligkeiten, doch wendete er sich schnell wieder der Katze zu. "Du wirst Patrick ab jetzt in Ruhe lassen, sonst werde ich härtere Geschütze auffahren und schon heute nach Hause fahren! Wir sprechen nachher noch mal, dein Verhalten kann und werde ich nicht tolerieren!", lauteten die Worte Manuels, bevor er mich sanft nach vorne drückte und Abstand zwischen mich und die Grünäugige brachte. Ihren Blick spürte ich deutlich auf mir, mein Kopf senkte sich automatisch dem Boden entgegen und ich beschleunigte meinen Schritt, um so schnell wie möglich wegzukommen. Nie mehr wieder würde ich Nachts Manuels Nähe verlassen, diese Situation hatte mir endgültig bewiesen, dass seine Befehle einen tatsächlich Sinn hatten und immer gut gemeint waren. Bisher hatte ich daran gezweifelt, es ergab einfach keinen Sinn, das Zimmer ohne ihn nicht zu verlassen und nun hatte ich die Quittung dafür bekommen.

Leise schloss Manuel die Tür hinter sich, ließ meinen Körper nun los. Mein Herz schlug noch immer so schnell, wie bei der ersten Berührung der Katze und nun wo wir wieder alleine waren, begann ich mich ängstlich kleiner zu machen. Automatisch senkte ich meinen Blick, versuchte so gut wie möglich meinem Herren zu zeigen, mir tat mein schlechtes Verhalten leid. Kein Zweifel, er würde nun auf mich einreden und mir klar machen, ich hatte gefälligst auf seine Befehle zu hören. Im Moment ging er noch liebevoll mit mir um, wollte mir ein paar Freiheiten lassen und zwang mich zu nichts, doch wenn ich es mit meinem eigenen Willen übertrieb, würde er seinen Umgang mit mir verhärten. Dann würde ich nicht mehr mit allem was er zu geben hatte beschützt werden, sondern wäre gezwungen aus meinen Fehlern selbst zu lernen.

"Willst du mir vielleicht erklären, wieso du rausgegangen bist?", erklang die Stimme des Pfaus, doch zu meiner Überraschung klang sie nicht anklagend, sondern sanft und vorsichtig. Er bemühte sich sichtlich um ein liebevolles Gefühl, wollte mir damit zeigen, dass er mir die Chance gab ihm meinen kleinen Ausbruch zu erläutern. Nicht einmal das nahm er mir wirklich böse, dass ich mich aus seiner Sicht in Gefahr gebracht hatte und wieder einmal bewies er mir deutlich, was ein lieber Kerl er war.

Schüchtern sah ich ihn an, griff nach der Tür, um sie zu öffnen und mit meinem zitternden Zeigefinger in Richtung Badezimmer zu zeigen. Mein Blick zeugte von meiner Reue und der Angst vor Ärger, das schien mein Herr zu bemerken, denn nun drückte er die Tür erneut zu und nahm meine beiden Hände in seine. Wie er es so gerne tat, kam er mir einen Schritt näher, so dass sich unsere Köpfe leicht berührten und sanft begann er nun zu lächeln. "Keine Bange, ich nehme dir das nicht böse. Aber ich bitte dich noch so lange mit dem eigenständig Zimmer verlassen zu warten, bis wir bei mir Zuhause sind, ok? Nicht, weil ich dir nicht vertraue, dass du nichts unanständiges tust, sondern weil ich Angst um dich habe. Viktoria scheint gerade wieder mal durchzudrehen, das hat sie öfter mal. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass in ein paar Tagen wieder alles normal ist, aber wenn du ihr jetzt noch einmal zu nahe kommst, wird sie sich nicht mehr so einfach von ihrem Vorhaben abhalten lassen. Sie ist nun mal zum Teil eine Katze und diese haben die Eigenschaft Rollig zu werden. Diese Symptome wie, beispielsweise das suchen nach Nähe, können durch kein Medikament aufgehalten werden und deshalb möchte ich dich nicht zu lange der Gefahr aussetzen, dass sie irgendwas mit dir tut, was du nicht willst. Bleib einfach nur diese letzten paar Tage bei mir, danach kannst du dich frei bewegen!"

~4130 Worte, hochgeladen am 10.04.2020

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