46. Zeit

Nur mit großer Mühe gelang es Maurice den kleinen Noah zu beruhigen. Er versuchte wirklich alles, machte dem Brünetten etwas zu essen, sah mit ihm zusammen seine Lieblingsserie, doch der sechsjährige verlangte nach mir und Manuel, wollte zu uns und wissen, was geschehen war. Ich wollte am liebsten nach unten gehen und dem Blonden dabei helfen den Jungen wieder zum Lächeln zu bringen, doch ich konnte nicht. So sehr ich auch wollte, ich konnte nun nicht mehr da runtergehen und einfach so tun, als wäre alles gut, nicht nachdem ich vor einer Stunde praktisch spurlos verschwunden war und Manuel dazu gebracht hatte ohne wärmende Sachen das Haus zu verlassen. Sicher fror mein Liebster draußen und suchte vergebens nach mir, wurde von der Kälte des Frühlings in seinen kurzen Klamotten zum frieren gebracht, doch trotzdem gab er es nicht auf mich zu finden und mich wieder sicher nach Hause zu bringen. Er kam nicht ein einziges Mal zurück nach Hause um zu sehen, ob ich eventuell sogar zurück gekommen war, während er mich draußen suchte und je länger er weg blieb, je öfter ich den langsam aber sicher dunkler werdenden Himmel aus dem Fenster betrachtete, desto größer wurden meine Sorgen um den Schauspieler und ich machte mir Vorwürfe. Wegen mir würde sich Manuel erkälten und krank werden, ich hatte Schuld daran, dass ihn eine riesige Menge Hybriden wie einen Verrückten durch die Straßen Hamburgs laufen und nach etwas oder jemandem suchen sah, was seinem Ansehen in der Gesellschaft sicher schaden würde. Sobald ich mich zeigen würde, würde Manuel eine unbändige Wut auf mich zeigen und mich dafür bestrafen, dass ich ihm eine solche Angst eingejagt hatte und dafür verantwortlich war, dass er sich in der Kälte eine Krankheit eingefangen hatte. So sehr ich auch wollte, ich konnte nicht mehr nach unten gehen.

Eine leise Stimme ließ mich aufhorchen. „Bist du dir sicher, Micha?", fragte Maurice seinen Freund, sie mussten unten im Flur stehen, und sofort lauschte ich interessiert. Ich hatte nicht bemerkt, dass die beiden in den Flur gekommen waren und fragte mich, wovon der Hybrid sprach. Beide waren sie die ganze Zeit über bei Noah geblieben, hatten probiert ihn zum schlafen zu bringen und ich hatte gehört, wie sie versuchten ihn mit einem Spiel von der ungewohnten Situation abzulenken, doch der sechsjährige blieb stur. Während ich irgendwann wieder zur Ruhe gekommen war, mich müde auf das Einzelbett an der linken Wand gelegt hatte, welches man sofort erblickte, sobald man den Raum betrat, weigerte sich Noah vehement dagegen einfach zu schlafen und nichts zu tun, während seine beiden Onkels in der Kälte herum irrten und vielleicht Angst hatten. „Hundertprozentig! Patrick muss sich noch hier im Haus befinden. Ich habe zwar eine Tür gehört, aber nur sehr leise und sie wurde nicht zugeschmissen, wie Manuel es gemacht hat, weil er sich beeilt hat. Das passt nicht zu Pats Verhalten, wenn er tatsächlich Panik oder Angst gehabt hat! Er hätte mit Sicherheit diese Tür voller Kraft zugeschmissen oder sogar offen gelassen, wenn er einfach von hier weg wollte. Ich gehe ihn suchen!"

Allarmiert sprang ich von dem Bett auf und sah mich im dunklen Raum um, nach einer Möglichkeit mich vor dem Hunde-Hybriden zu verstecken. Würde er mich finden, so würde er Manuel darüber informieren, dass ich hier war und wenn dieser nach Hause kam, mich eingeschüchtert und ängstlich vorfand, würde der Pfau mich für meine getäuschte Flucht bestrafen. Ich müsste mir einen müden, wütenden und enttäuschten Manuel ansehen, dem ich nie mehr wieder in die Augen sehen konnte ohne daran denken zu müssen, wie er mich das erste Mal bestraft hatte. Erwartete er danach, dass ich ihm irgendwann einmal verzieh oder mich entschuldigte, für eine Reaktion, die in meinen Augen natürlich und normal war, dann würde ich gehen und nie mehr wiederkommen. Dass er mich wirklich schlug oder anschrie glaubte ich nicht, besonders nachdem er mir immer wieder geschworen hatte mir niemals etwas an zu tun was ich nicht wollte, doch die Angst davor, dass es wieder so werden würde wie früher verfolgte mich ständig. Nicht immer zeigte ich ihm das so klar wie vorhin, doch zumindest verdeutlichte ich es ihm dann mit einem ängstlichen Zucken oder Wimmern. Meist merkte er es auch ohne dieses und wurde sofort sanfter, hauchte mir ins Ohr, es würde alles gut werden und dass er mir nichts tun würde, doch am heutigen Tag hätte selbst das nichts mehr gebracht. Zu klar hatte ich dieses Gefühl von Bedrängnis verspürt und Angst davor gehabt was passieren könnte, wenn ich mich nicht verteidigte. „Sei aber bitte vorsichtig und mach ihm nicht noch mehr Angst als er sie schon hat, ja? Wenn er noch hier ist, dann hat er bestimmt Angst und wir wissen auch nicht was zwischen ihm und Manuel vorgefallen ist! Ich glaube nicht, dass er Patrick geschlagen hat, aber wenn doch, dann musst du besonders einfühlsam sein, Micha! Bring ihn dann aber nicht runter, wenn er irgendwie eine Wunde hat oder so, das darf Noah auf keinen Fall sehen."

Gedämpft vernahm ich die Stimme des Riesen und bemerkte nicht einmal wirklich wie gut er mich eigentlich kannte, denn obwohl er die Situation zwischen Manuel und mir nicht mitbekommen hatte, vermutete er sogleich, dass der Schauspieler mich mit etwas überfordert hatte und ging nicht einmal wirklich davon aus, dass dieser mich geschlagen hatte. Auch der Blonde hielt mich sicher für psychisch krank und kaputt, wenn ich schon bei etwas eigentlich nicht Gefährlichem wie einer Umarmung eine solche Angst bekam, dass ich zu weinen begann und fliehen musste, anstatt mich beruhigen zu lassen. Niemals hatte mir das jemand gesagt, dass ich ein psychisches Problem hatte und nun, wo ich genauer darüber nachdachte, erschien mir dieser Gedanke als logisch. Die Zeit im Gefängnis hatte nicht nur Wunden an meinem Körper hinterlassen, welche mich an das schon längst vergangene erinnerten, sondern auch in meinem Kopf und diese waren zwar von außen nur bedingt zu erkennen, immer nur dann, wenn ich auf etwas unnormal reagierte, doch man bemerkte es und das machte mir Angst. Mit so etwas wie psychischen Krankheiten kannte ich mich genau so wenig aus wie mit körperlichen, ich wusste nicht einmal ob sie ansteckend waren oder nicht, doch da Krankheiten für gewöhnlich nur dann auf andere übertragbar waren, wenn man nahe bei ihnen war und sich berührte, war in meinen Augen klar anzunehmen, dass ich andere damit anstecken würde. Manuel musste doch schon bemerkt haben, dass ich mich nicht normal verhielt und würde mich nun zu einem Arzt schicken, welcher mir Medikamente verschrieb, die mir helfen sollten.

„Versuch Manuel zu erreichen und frag ihn, wann er vor hat nach Hause zu kommen! Ich liebe dich...", sagte Michael und während er die Treppe nach oben ging, ich vernahm seine langsamen Schritte, erwiderte Maurice seine Worte. Mir blieb nichts anderes übrig als mich unter dem Bett zu verkriechen und die Augen zu schließen, still darauf zu hoffen, dass mich der Grauäugige nicht finden würde. Wie auch schon das letzte Mal als ich vor Panik geflohen war, ich hatte Manuel aus Versehen sanft geschlagen, versteckte ich mich unter einem Bett und betete dafür niemals gefunden zu werden. Zwar fand mich mein Herr das letzte Mal sofort, da sein Geruchssinn besser war als der meinen und der von Maurice zusammen, doch die Hoffnung dass der Hunde-Hybrid einen schlechteren Geruchssinn hatte als Manuel, gab mir ein bisschen das Gefühl, ich könnte dieses Mal mit meinem Versteck mein Ziel nicht gefunden zu werden erreichen. Wieder liefen mir Tränen der Furcht über meine Wangen und kamen auf dem dunklen Laminat an, welches von einer dicken Schicht Staub bedeckt war und unbedingt gereinigt gehörte. Nur mit großer Konzentration konnte ich hören, wie Michael vom Badezimmer bis hier in jeden einzelnen Raum einmal hineinging und meinen Namen sagte, jedoch schon einige Sekunden später wieder aus dem Zimmer herauslief. Immer näher kam er mir und mein Atmen ging flacher, je lauter die Schritte des Größeren wurden, und als er schlussendlich die Tür dieses Zimmers öffnete, hielt ich meinen Atmen an und betete in Ruhe gelassen zu werden.

„Patrick?", fragte Micha vorsichtig, dabei merkte ich genau, wie er in die Mitte des Raumes kam und sich umsah, darauf hoffte ein Lebenszeichen von mir zu erhalten, doch keines von mir bekam. Stille kehrte ein, durch die ich dachte, der Jüngere würde meinen Herzschlag hören können, welcher in meinen Ohren zu dröhnen schien und in mir stieg die Angst auf, dass auch der andere Hybrid es hören konnte, doch dieser bewegte sich nicht vom Fleck. Auch wenn ich keinen Mucks von mir gab, schien Michael irgendwie meine Präsens zu bemerken, denn statt nach ein paar Sekunden wieder zu gehen, so wie er es bei den andern Räumen getan hatte, blieb er und seufzte traurig auf. „Ich weiß, dass du hier bist, Patrick, ich kann spüren, dass du Angst hast und es ist alles gut! Du kannst ruhig raus kommen, Manuel ist nicht hier...", versuchte mich der Brünette aus meinem Versteck raus zu locken, doch ich wagte es nicht einmal zu atmen. Mir wurde die Luft knapp und ich wusste, würde ich nicht bald atmen, würde ich umkippen oder mich selbst verraten. Michael wusste, dass er im richtigen Raum war und doch versuchte ich so zu tun als wäre ich nicht da, um einfach meine Ruhe und meinen Frieden zu bekommen. Wieso merkte er denn nicht, dass ich keine Lust hatte mit ihm zu reden? Würde ich das wollen, wäre ich schon vor Stunden aus meinem Versteck herausgekommen und hätte mir bei dem Paar Hilfe gesucht, einen Rat oder Zuneigung. Manchmal half es schon, wenn man einfach einmal von jemandem in den Arm genommen wurde, von dem man genau wusste, er würde mich nicht wegstoßen und dafür wären Michael und Maurice die beste Wahl gewesen.

„Wir haben genug Zeit, Patrick. Ich weiß zwar nicht genau was zwischen dir und Manuel vorgefallen ist, aber wenn er dir wehgetan hat, dann bekommt er es mit mir zu tun, das kann ich dir versprechen! Komm einfach zu mir und dann wird alles gut...", versuchte er es weiter und dieses Mal schaffte ich es nicht mehr mich zurück zu halten und schnappte panisch nach Luft. Ich hatte meinen Standort verraten, der Größere wusste nun genau wo ich war und könnte mich einfach unter dem Bett hervorziehen, doch stattdessen hörte ich nur, wie er langsam auf das Bett zukroch und sich mit dem Rücken an dieses lehnte. Voller Angst rutschte ich bis an die Wand und kugelte mich zusammen, wusste ich war nun gefangen. Niemals im Leben wäre ich schnell genug um zu fliehen, der Hybrid wäre schneller und dann wäre alles vorbei. „Er hat mir nicht wehgetan!", waren meine ersten Worte, die ich Michael schenkte, doch statt genauso auszurasten wie Maurice, blieb er ruhig und tat nichts. Der Brünette blieb still und ich sah, dass er seine rechte Hand auf dem schmutzigen Boden ablegte, jedoch nichts weiter machte. Sichtbar wollte er mir das Gefühl geben für mich da zu sein und er machte das ausgezeichnet, setzte mich nicht unter Druck mein Versteck zu verlassen und zwang mich nicht dazu, war einfach da und sprach mit mir. Anders als Manuel gab er mir die Möglichkeit dann unter dem Bett hervorzukriechen, wenn ich mich dazu bereit fühlte und nötigte mich nicht dazu, so wie es mein Liebster getan hatte. Dieser nahm sich einfach meine Hand und bat mich auf ihn zuzukommen, sodass ich gar keine andere Möglichkeit mehr hatte als das zu tun.

„Wieso bist du denn dann weggelaufen, Patrick? Maurice und ich haben uns schreckliche Sorgen um dich gemacht, weil wir nicht wussten ob es dir gut geht und Manuel ist sogar nach dir suchen gegangen und bis jetzt nicht wiedergekommen!", fragte mich der Grauäugige verwundert, doch eine Antwort darauf bekam er erst ein paar Sekunden später von mir. Es klang kein bisschen wie ein Vorwurf und die Worte des Jüngeren zeigen mir, wie lieb sie mich eigentlich hatten, wenn sie sich Sorgen um meine Gesundheit gemacht hatten. Obwohl wir nie viel miteinander zu tun hatten, sorgte sich das Paar um mich und wollte mich unterstützen, genau wie mein Käufer selbst. Dieser hatte einfach nur keine Ahnung davon was mir schon alles angetan wurde und konnte demnach meine Reaktionen häufig nicht verstehen, ganz anders als Michael und Maurice, welche oft sogar bei meinen Misshandlungen dabei gewesen waren und genau wussten, wie schlimm ich behandelt wurde. Schläge und Tritte waren die einfachsten Strafen, die mir verpasst wurden und obwohl ich vieles bereits verdrängt hatte, besonders die Taten, welche schon Jahre zurücklagen, erinnerten mich einige Dinge ganz unbewusst an das längst vergangene und lösten diese Panik aus. Ich wünschte, ich könnte Manuel von all den Misshandlungen erzählen, damit er meine Reaktionen verstehen und einschätzen konnte, doch vieles davon würde mich in ein ganz anderes Licht rücken und den Pfau mit Sicherheit verstören. Er wäre angeekelt, obwohl er es noch nicht einmal miterlebt oder es selbst erfahren hatte.

„Manuel hat mich umarmt, so wie er es immer tut, also ganz normal! Aber er hat mich an die Küchenzeile gedrückt und ich habe mich so bedrängt gefühlt, so wie damals...ich weiß, ich habe viel zu überstürzt gehandelt und es war falsch wegzulaufen, aber ich wollte einfach meine Ruhe haben und nicht mehr denken! Es tut mir so leid...", antwortete ich dem Jüngeren schluchzend, dabei machte ich mich kleiner und merkte sofort, wie sich erneut Tränen in meinen Augen bildeten. Nun würde mich der Brünette zwar verstehen, doch für verrückt halten, denn wer bekam schon wegen einer einfachen, lieb gemeinten Umarmung eine solche Angst, dass er wegrannte? Einzig und allein ich bekam Panik, schaffte es nicht einmal den Mut zu fassen und mir Hilfe zu suchen, sondern hoffte allein sterben zu dürfen und niemals mehr wieder jemanden mit meinen Problemen nerven zu können. Ich war feige und verstand nicht, wie Manuel jemanden wie mich wirklich so sehr lieben konnte, dass er alles für mich tun würde und mich vor allem beschützen wollte, was mir gefährlich werden konnte. Trotzdem stieß ich ihn oft einfach von mir und hielt ihn auf Abstand, doch selbst das interessierte ihn nicht wirklich. Mein Freund gab mir dann gerne Zeit und hielt Abstand zu mir, bemühte sich jedoch trotzdem durch liebevolle Gesten mir zu zeigen, dass er nicht vorhatte aufzugeben und so lange versuchen würde mich von ihm zu überzeugen, bis ich ihm endgültig klarmachte, dass ich nichts von ihm wollte, oder mich auf ihn einließ. Da war der Grünäugige wie ein kleiner Hundewelpe, welcher seiner Mutter folgte und die Hoffnung auf Liebe nicht aufgab. Und ich konnte nicht einmal leugnen, dass mir die Mühe des Langhaarigen nicht gefiel.

„Ich verstehe. Mach dir keine Vorwürfe, ja? Das war eine ganz normale Reaktion und ich weiß, dass Manuel das verstehen wird, wenn du ihm erklärst, wovor genau du Angst hattest! Du musst ihm das ganze erklären, weil sonst kann er doch niemals verstehen, warum du bei so etwas Normalem wie einer Umarmung anfängst zu weinen. Ich kann mir das ganze denken, weil ich das miterlebt habe, aber er irrt gerade da draußen rum und versteht nicht was sein Fehler war! Gib ihm zumindest die Chance zu verstehen, was er falsch gemacht hat...", lautete der Ratschlag des Hunde-Hybriden, doch ich weigerte mich meinem Freund etwas davon zu erzählen. Manuel dachte, ich wäre noch genauso wie er, unberührt und dass er mit mir zusammen neue Erfahrungen machen konnte, doch wüsste er die Wahrheit, würde er sich vor mir ekeln. Ich wollte ihm das nicht erzählen müssen, nicht von ihm angeekelt angesehen werden und den einzigen Mann verlieren, welcher mir jemals sein Herz anvertraut hatte. Kaltblütig würde er es mir wieder herausreißen, wenn er es herausfand und ich wusste wie das dann enden würde, mit einem Toten. „Das kann ich ihm nicht sagen Micha! Er wird mich doch nie mehr wieder ansehen können, ohne mich eklig zu finden, wenn er weiß, was ich schon alles miterlebt habe! Ich will nicht, dass er mich eklig findet und dann rauswirft, weil ich kaputt und eklig bin!"

Schluchzend kroch ich unter dem Bett hervor und lehnte mich mit dem Rücken an das Bett hinter mir, um meine Beine zu umschließen und allem freien Lauf zu lassen. Allein der Gedanke einfach fallen gelassen zu werden, weil ich nicht mehr so war, wie ich Manuel verkauft wurde, zerschmetterte mein Herz in hunderte kleine Splitter und ließ mich darüber nachdenken einfach wegzulaufen, um nie mehr wieder zu kommen und einfach meine Ruhe finden zu können. Von unten konnte ich ein Klingeln vernehmen und wusste, entweder war es Manuel, welcher seinen Schlüssel in Eile nicht mitgenommen hatte und so dazu gezwungen war zu klingeln, oder es war Daniela, die ihr Kind abholen wollte. Ängstlich sah ich zu der geöffneten Tür hinüber, welche Michael beim reinkommen einfach offen gelassen hatte und rutschte wie aus Gewohnheit näher an den Jüngeren heran, wurde in den Arm genommen und lehnte an der warmen Seite des Hybriden. Obwohl unsere Mischtiere eigentlich nicht miteinander klarkamen, fühlte ich mich in der Nähe des Grauäugigen wohl und sicher, was allein daran lag, dass ich ihn schon von klein auf kannte. Hunde und Katzen konnten eigentlich gut miteinander auskommen, wir beide waren das perfekte Beispiel dafür, denn würden wir uns nicht schon immer kennen, sehe das ganze anders aus. Es war eine Frage des Umgangs miteinander und die meisten Missverständnisse zwischen Hund und Katze, welche zu einem fast unmöglichen zusammenleben beider Tiere führten, waren von ihrer Kommunikation miteinander abhängig. Ein Hund verstand Dinge anders als eine Katze, wollte vielleicht spielen, während die Katze eigentlich Angst hatte und in Ruhe gelassen werden wollte. Alles war von der Kommunikation abhängig, jedoch nicht nur bei Tieren.

„Manuel liebt dich von ganzem Herzen, Patrick. Er sieht dich schon von Anfang an mit einem Blick an, den er nur bei dir hat! Du bist für ihn sowas wie eine Gottheit und glaub mir, er würde dich niemals im Leben hier rausschmeißen! Für nichts was mit deinem Körper passiert ist kannst du irgendwas und wenn er das wirklich nicht versteht, dann hat er dich sowieso nicht verdient. Sag es ihm einfach! Glaub mir, es ist besser, wenn er es jetzt erfährt und dann genau weiß, warum du Angst hast, statt es nicht zu wissen und es dann am Ende durch einen dummen Zufall herauszufinden, wo er dann enttäuscht darüber ist, dass du es ihm nicht gesagt hast. Es wäre gemein ihm gegenüber das alles zu verschweigen, vor allem weil er dich niemals im Leben dafür verurteilen würde und ein Recht darauf hat es zu wissen, wenn du wirklich mit ihm zusammenkommen willst...", redete der Brünette auf mich ein und ich wusste, wie unglaublich misstrauisch er gegenüber Manuel war, was für mich bedeutete, dass er seine Worte wirklich ernst meinte. Niemand beobachtete den Pfau besser als dieser Junge. Er ließ bis zum Ende keine Möglichkeit aus meinen Freund genaustens unter die Lupe zu nehmen und wenn er sagte, der vorsichtigste und bedachteste von uns dreien, dass Manuel mich nicht für meine Vergangenheit verstoßen würde, dann musste das auch stimmen. Ich wusste selbst, dass der Grünäugige mir niemals etwas antun würde und mich mit seinem ganzen Können beschützen würde, doch diese Angst alleingelassen zu werden, weil mir etwas angetan wurde, was ich damals nicht beeinflussen konnte, verfolgte mich schwer. Gerne hätte ich damals den Mut gehabt mich zu wehren, doch gegen mehrere ältere Hybriden wäre ich nicht einmal heute angekommen und Manuel genauso wenig, das wäre niemand.

„Kannst du mir vielleicht einen Zettel und einen Stift bringen? Ich möchte es Manuel ja sagen, aber das alles was ich gesehen und erlebt habe will ich nie mehr wieder aussprechen...", fragte ich leise und sofort nickte der Junge neben mir bestätigend, stand auf und verließ den Raum. Unten hörte ich leise die Stimme Danielas, nebenbei auch noch Maurice und Noahs, doch diese interessierten mich kaum. Nur die leise, kaum hörbare und gebrochene Stimme meines Herrn ließ mich aufhorchen, denn anders als noch vorher, zitterte sie und war schwach. Die Stunden draußen hatten ihn hörbar kaputt gemacht und ich war schuld daran, doch eine Entschuldigung konnte ich ihm erst dann geben, wenn er meine Erklärung bekommen hatte, die ich ihm nun schuldig war. Wichtig war für mich im Moment nur, dass er sicher wieder Zuhause angekommen war und dass er sich nun aufwärmen konnte, etwas zu essen und zu trinken bekam, wieder zu neuen Kräften kam. Wenn er mich nach meiner Entschuldigung noch bei sich duldete, dann würde ich ihm so viel Aufmerksamkeit und Liebe wie nur möglich schenken, vorausgesetzt, er würde mich nicht eklig finden und noch an sich heran lassen.

Einige Sekunden nachdem Michael gegangen war, kam er mit einem Block und einem Füller wieder, was er beides mir überreichte, damit ich beginnen konnte. Wie auch schon zuvor, setzte er sich wieder neben mich und spendete mir Sicherheit, das Gefühl nicht ganz allein auf der Welt zu sein und unterstützt zu werden. Ohne zu überlegen schrieb ich alles herunter was mir einfiel. Wie man mich behandelt hatte, was ich alles erlebt hatte und nie mehr auszusprechen vermochte, wieso genau ich vorhin Panik bekommen hatte und dass es mir leid tat nicht seinen Wünschen zu entsprechen. Ich beschrieb nichts näher und kämpfte gegen die Aufkommenden Tränen an, welche sich beim denken an die grausamen Dinge in meinen Augen bildeten, doch Michael war da und half mir, flüsterte mir zu, dass alles gut war und dass all das nie mehr wieder passieren würde. Es war meine Vergangenheit, welche ich niederschrieb und ich wusste nicht genau wieso, doch tat es irgendwie gut all das zu sehen, was mich seit Jahren verfolgte und belastete. Zwar hatte ich nicht mir jemandem über all das geschehene gesprochen, mir meine Probleme von der Seele geredet, doch ich schrieb es herunter und auch wenn ich es nicht schaffte mit einer realen Person zu sprechen, so vertraute ich mich dem Blatt Papier an und es hörte mir zu. Ich konnte mir alles von der Seele reden, was mich beschäftigte und bekam zwar keine Ratschläge dafür, doch zumindest hatte ich das wunderschöne Gefühl etwas loszuwerden und auch, wenn es für einige sicher albern klang, beschloss ich im Stillen mir meine Sorgen und Ängste von nun an immer aufzuschreiben.

Als ich schlussendlich zwei Seiten zusammen hatte und mir all das noch einmal durchlas, wurde mir erst richtig bewusst, wie viel Leid und Angst ich schon erlebt hatte. „Er wird dich für nichts verurteilen, Patrick, versprochen. Und wenn er dir wehtun will, bin ich immer in der Nähe und werde dich beschützen!", redete mir Michael noch einmal Mut zu, während er mich mit einem festen Blick musterte, an dem ich sofort erkannte, er meinte all das ernst. Nähe suchend lehnte ich mich an seinen Oberkörper und wurde sofort an diesen gedrückt, gehalten und der Größere kräuselte mir sogar meine kurzen Haare, um mich zu beruhigen. War Manuel nicht da, würde ich wohl von nun an immer in Michaels Nähe Schutz und Zuflucht suchen. „Gib Manuel gleich einfach den Zettel und rede mit ihm darüber! Er wird es akzeptieren, wenn du ihm keine genauen Antworten geben willst, aber bitte gib ihm zumindest die Möglichkeit dich zu verstehen und dir Fragen zu stellen. Ich weiß, du willst das alles nicht mehr aussprechen und erst recht nicht mehr daran denken, aber es würde dir sicher gut tun dich jemandem mit all dem anzuvertrauen, was du schon gesehen hast und Manuel ist perfekt dafür geeignet. Du kannst dir nämlich sicher sein, dass wenn er dich mit deiner Vergangenheit akzeptiert, dann ist er der richtige für dich und dann nimmst du ihn gefälligst an die Hand, heiratest ihn und wirst mit ihm glücklich!"

Still nickte ich und schmunzelte leicht über die Worte des Jüngeren. Es tat gut zu hören, dass selbst Michael, welcher sich bei Manuel bis jetzt immer unsicher zeigte, mir riet diesen zu heiraten und nie mehr wieder loszulassen. Ich wusste nicht wieso, doch gaben mir diese Worte ein wenig das Gefühl dass der Junge vor mir unseren Besitzer nicht aus Unmut beobachtet und analysiert hatte, sondern weil er sicherstellen wollte, dass ich bei dem Pfau in guten Händen war und ob er es wollte oder nicht, ich gab dem Grauäugigen einen Kuss auf die linke Wange und lächelte ein wenig sicherer. Überfordert zuckte der Größere ein paar Zentimeter zurück. „Danke schön Michael. Ich weiß wirklich nicht was ich ohne dich getan hätte, wärst du nicht nach mir suchen gekommen...", nuschelte ich unsicher und sofort bekam ich ebenso einen Kuss auf die Wange gehaucht, welcher mich glücklich machte. Das war wieder so eine seltsame Eigenart von mir, auf die mich niemand ansprach und die mir trotzdem jeder einfach nachmachte, ich verteilte gerne Küsse auf die Wangen derer, bei denen ich wusste, dass sie es verdient hatten. Niemand sonst tat das von sich aus, abgesehen von Manuel, doch selbst dieser tat das nur bei mir oder selten bei Claus. Ich wusste nicht wirklich woran das lag, ich hatte einfach bloß hin und wieder das Verlangen mich meinen Freunden mitzuteilen und ihnen zu zeigen, dass ich ihre Anwesenheit wertschätzte und sie gerne hatte.

„Du wärst irgendwann von selbst rausgekommen und hättest etwas gegessen oder wärst auf Toilette gegangen! Und jetzt los, ich höre Manuel unten weinen und bevor ihr beide hungrig ins Bett geht, gehst du ihm jetzt diesen Zettel geben und isst was!", wies mich Michael an und sofort wurde ich wieder unruhiger, da der Moment unseres Zusammentreffens immer näher rückte. Mich beschlich die Angst von meinem Käufer weggestoßen zu werden, so wie ich ihn weggestoßen hatte und doch wusste ich, dass ich gleich dort runtergehen musste und in die Augen der einzigen Person auf der Welt sah, welche mir mein Leben wert war. Ich würde seine Enttäuschung und Trauer sehen können, darüber dass ich ihm nicht von Gesicht zu Gesicht sagen konnte, was mich bedrückte und dass ich lieber weglief anstatt ihm zu erklären, wieso ich Panik bekam. Es war sicher ernüchternd für ihn zu wissen, dass ich nicht einmal genug Vertrauen zu ihm fassend konnte um etwas so Einfaches auszusprechen und ich wünschte, dass ich ein wenig einfacher wäre, um es auch dem Jüngeren einfacher zu machen, doch ich konnte nicht. Sich zu verändern brauchte Zeit und ich wusste nicht wie ich das tun sollte, denn alles was ich bisher gelernt hatte, hatte ich nur gelehrt bekommen um einen Hybriden möglichst glücklich zu machen und ihm nicht zur Last zu fallen. Auf einen Fall wie diesen, dass mein Wissen falsch war und dass Manuel etwas ganz anderes von mir verlangte als stillen Gehorsam und Angst, nämlich Vertrauen und Liebe, war ich niemals vorbereitet worden und ich hatte auch nie gedacht, dass ich einmal in diese Lage kommen würde.

~4440 Worte, hochgeladen am 10.12.2020

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