42. Veränderung
Gelangweilt lag ich auf der Couch im Wohnzimmer und sah in den Garten hinein, musterte das feuchte Gras, welches im Licht der Mittagssonne glänzte. Es war nicht einmal um zwölf Uhr und ich hatte schon so viel gemacht, doch hatte ich nun deshalb nichts mehr zu tun. Daniela hatte am Morgen ihren Sohn abgeholt, welcher sofort begeistert von dem leckeren Frühstück erzählt hatte und mich regelrecht angefleht hatte noch einmal solche Pfannkuchen zu machen, wenn er irgendwann wieder einmal hier schlafen durfte und sofort hatte ich schüchtern meinen Blick gesenkt, jedoch vorsichtig genickt. Ich fühlte mich geschmeichelt, dass der Kleine sich so sehr über mein zubereitetes Frühstück freute und auch Manuel stellte sich genau neben mich, umschloss im Beisein von seiner Schwägerin und Noah meine Taille und brachte mich so unbewusst dazu mich an ihn zu schmiegen. Auch, wenn ich mir dieses Verhalten nun nicht mehr gefallen lassen musste, ließ ich es einfach zu und genoss den Gedanken daran, dass der Brünette bei mir war und mich nicht mehr abwies. Seit er sich mit mir vertragen hatte, wich der Größere mir kaum mehr von der Seite und kraulte mich liebevoll hinter den Ohren, wollte mich ganz offensichtlich so gut wie möglich behandeln, mir beweisen, dass er mich pflegen und so wertschätzen konnte, wie ich es verdient hatte. Die Pfauendame betrachtete das nahezu verliebtes Verhalten Manuels sanft, schien ganz glücklich über die Tatsache zu sein, dass der Grünäugige in mir eine Person gefunden hatte, die ihn glücklich machte und ich freute mich darüber so positiv aufgenommen zu werden, auch wenn ich nichts vorzuweisen hatte und nur Ärger machte. Daniela schien sich dafür nicht zu interessieren und fragte mich stattdessen, ob ich vielleicht dazu bereit wäre von nun an Nachmittags auf Noah aufzupassen und als dieser mich mit niedlichen großen Augen anflehte ja zu sagen, konnte ich nicht mehr anders und stimmte zu.
Lächelnd setzte ich mich auf, als ich die weiße Katze hinter mir maunzen hörte und sah, wie sie vorsichtig hinter der Couch hervorguckte und mich mit ihren blauen Augen achtsam musterte. Bisher hatte sich das Tier noch nicht getraut mich näher an sich heranzulassen und war immer kurz zuvor fauchend weggezuckt, doch in diesem Moment, wo niemand anderes als ich sich im Haus befand und stören konnte, da sprang die Kleine geräuschlos zu mir auf die Couch und beobachtete mich aufmerksam. Nervös zuckte ihr flauschiger Schweif hin und her, während ich mit ihr zusammen einfach still auf der Couch saß und fernsah. Ich wollte nichts überstürzen und dem kleinen Wesen neben mir genug Zeit geben, um sich an mich zu gewöhnen, denn wenn ich zu vorschnell handelte, würde ich das Tier nur verschrecken und dafür sorgen, dass ihr sowieso recht scheues und vorsichtiges Verhalten noch schlimmer wurde. Wer wusste schon so genau was der Kater alles erlebt hatte, bevor er zu uns kam. Man könnte ihn misshandelt haben, er könnte von seinem früheren Zuhause verjagt worden sein und jedes Fünkchen Vertrauen in uns Hybriden verloren haben, was er hatte und deshalb musste ich besonders auf seine Reaktionen aufpassen, auf seine Körpersprache und wie er sich in bestimmten Situationen verhielt, um einschätzen zu können, wie er reagieren würde. Manuel sagte, der Kater durfte bleiben, wenn er niemanden verletzte und ich wollte ihm zeigen, dass ich mich um ein Tier kümmern konnte und dafür bereit war mehr Verantwortung zu übernehmen, denn wenn so etwas funktionierte, konnte er nichts mehr gegen ein eigenes Kind haben und mir vielleicht erlauben eines zu adoptieren, wenn auch erst in ein paar Jahren. Der Jüngere sollte seine Jugend genießen und noch ein wenig Spaß haben, solange es noch ging und ich wollte ihn dabei begleiten können, mit ihm zusammen ein paar schöne Erinnerungen haben und lächeln können.
Erst einige Minuten später, der Kater hatte schon ruhig seine Augen geschlossen und lag entspannt auf dem Sitzpolster der Couch, da zuckten wir beide erschrocken zusammen, als auf einmal eine laute Musik zu hören war und der Bildschirm meines Handys aufleuchtete. Sofort beschleunigte mein Herzschlag und ich griff nach dem kleinen Gerät, um mir selbst in die Augen zu sehen und kurz zu überlegen, ob ich diesen Anruf annehmen sollte. Manuels Name stand unter der Frontkamera und ich fragte mich, was der Jüngere wohl wollen könnte. Er würde erst am Nachmittag nach Hause kommen, heute begannen die Dreharbeiten für ihn zu einer neuen Serie und er hatte mir versprochen, dass wir uns diese, wenn sie fertig war, gemeinsam ansehen würden, da es sich um etwas kinderfreundliches handelte, was ich mit Sicherheit mögen würde. Ob ich vielleicht etwas für ihn erledigen sollte? Michael und Maurice waren im Moment einkaufen und würden erst in frühstens einer halben Stunde zurückkommen, da sie sich neue Klamotten kaufen gehen wollten und da keiner von beiden ein Handy besaß, blieb dem Pfau nichts anderes übrig als mich anzurufen und mir seinen Wunsch aufzutragen, damit ich diesen weiterleiten konnte. Ich selbst würde ohne Manuel oder Daniel an meiner Seite nicht mehr das Haus verlassen, nicht, nachdem ich wann immer ich draußen war nur schlechtes erlebt hatte und Manu viel Geld gekostet hatte. Der Brünette wusste das und akzeptierte meine Entscheidung widerstandslos, denn schließlich wollte er mich für sich gewinnen, was er nicht einmal mehr tun musste, denn schließlich besaß er mich nicht nur durch meinen Kaufvertrag. Er hatte mein Herz durch seine Aufmerksamkeit und Liebe im Sturm erobert, so wie noch nie ein anderer zuvor.
Unsicher schob ich einen grünen Knopf, der auf der unteren linken Seite des Bildschirms aufleuchtete nach rechts und stellte wie schon bei dem Videochat mit Marie, und sofort verschwand mein Abbild in die untere rechte Ecke des Bildschirms, während das fröhlich lächelnde Gesicht meines Freundes aufpoppte. Verwundert zog ich meine rechte Augenbraue in die Höhe, da ich anders als am Morgen einen roten Fleck auf seiner linken Wange erspähte, der mir verdächtig nach Lippenstift aussah. Sofort machte sich in mir das ekelhafte Gefühl von Eifersucht auf, auch wenn ich wusste, dass der Grünäugige mich nicht betrügen würde. Er konnte mich zwar nicht betrügen, schließlich waren wir nicht zusammen, doch anlügen würde er mich auch nicht, dass er mich liebte und niemand anderen als mich haben würde, so war der Jüngere einfach nicht. „Hey Süßer!", begrüßte mich der Pfau mit leicht verzerrter Stimme und sofort winkte ich langsam, um ihn ebenso zu begrüßen. Kein Lächeln lag auf meinen Lippen, so wie es auf den seinen lag und ich tippte mir dreimal auf die linke Wange, um ihm verständlich zu machen, dass er dort einen Fleck hatte. Mich störte es sehen zu müssen, dass der Größere nicht bei mir war und zusätzlich jemand anderen als mich geküsst zu haben schien. Zwar war ich derjenige von uns, wegen dem er mich nicht einfach küssen konnte, wenn er wollte, doch da er mir immer wieder sagte, ich wäre die einzige Person die er begehrte, fühlte ich mich in gewisser Weise betrogen von ihm und konnte nicht verhindern eifersüchtig zu werden, so sehr ich es auch wollte.
Verwundert betrachtete Manuel meine Geste und wischte sich mit der Hand über seine Wange, um festzustellen, dass er Lippenstift auf ihr kleben hatte und musterte mich sofort entschuldigend. „Das ist vom Dreh eben, keine Sorge! Nicht so traurig gucken, Süßer! Du weißt doch, das hier ist mein Job und ich muss hin und wieder Mal jemand anderen deswegen küssen, aber dich würde ich jederzeit freiwillig küssen. Sei also nicht eifersüchtig, ja? Wir wissen im Inneren beide, dass ich dich mehr liebhabe als irgendeine dahergelaufene Schauspielerin...", beschwichtigte mich der Pfau mit sanftem Blick, welcher sich kurz darauf von mir abwendete und mich erschrocken meine Augen aufreißen ließ. Im Hintergrund des Jüngeren sah ich Bäume und ich bekam Angst um ihn, schließlich könnte er wäre er allein leicht entführt werden, doch als er laut zu lachen begann und als ich etwas hinter ihm fliegen sah, was eigentlich hätte ihn am Kopf treffen sollen, begann ich mich wieder zu entspannen. Offensichtlich ging es ihm gut und er empfand das Geschehen als Spaß, was bedeutete, ich musste mir kein Sorgen machen. Irgendwo in seiner Nähe hielt sich Daniel auf, welcher wie sein Schatten agierte und den Brünetten überall hinbegleitete, auf Schritt und Tritt verfolgte, sodass ihm niemand jemals etwas antun könnte. Der Wolf würde seinen Chef mit seinem Leben beschützen und bevor der Grünäugige starb, würde sich sein Freund für ihn aufopfern und alles dafür tun, dass er fliehen konnte, selbst, wenn er deshalb sein Leben ließ. Ich liebte diese beschützende Eigenschaft an Wölfen, dass sie treue und liebevolle Wesen waren mit einem selbstlosen Charakter und alles für diejenigen tun würden, die ihnen wichtig waren.
„Sag das ja nochmal, dass jemand besser küsst als ich!", vernahm ich einem mir unbekannte Stimme und sofort begann ich meinen Herrn aufmerksam zu mustern, wollte genau sehen, wie er darauf reagieren würde. Wir hatten uns bisher nicht mehr als einmal kurz geküsst, für ein paar Sekunden und ich war mir sicher, der Brünette hatte auch mit der Schauspielerin schon öfter gearbeitet, wusste nur zu genau, wie sie küssen konnte und hatte demnach keine Möglichkeit es sicher bewerten zu können, wer von uns nun besser küsste. Ich war mit Sicherheit nicht so gut wie die mir Unbekannte, schließlich hatte ich außer Manu und Viktoria noch nie jemanden geküsst, doch mein Freund meinte, dass ihm unser kleiner Kuss gefallen hatte und dass er mich jederzeit noch einmal küssen würde, das ließ mich die leichte Hoffnung hegen, er würde nun zumindest sagen, ich wäre zumindest ein guter Anfänger. Sicher würde er mir niemals ins Gesicht sagen, dass ich nicht gut küssen konnte und es einfach hinnehmen, was ich niedlich von ihm fand, denn dadurch zeigte er mir wie sehr er versuchte mich nicht zu kränken, doch ebenso empfand ich es als falsch mir nichts zu sagen, denn schließlich wollte ich dem Größeren ein guter Freund sein und ihn zufrieden stellen. Mit ganzem Herzen wollte ich ihm das geben, was er verdiente und wenn ich mit einem einfachen Kuss bewirken konnte, dass er ein glückliches Lächeln auf seinen Lippen liegen hatte, dann würde ich alles daran setzen es zum Vorschein zu bringen und das solange, bis er es nicht mehr wollte.
„Gerne. Mein Süßer kann tausend Mal besser küssen als du und das kann ich sicher sagen, obwohl ich ihn sehr viel weniger geküsst habe als dich! Das ist auch eigentlich nicht das Thema gerade. Ich wollte dich nur fragen, ob du mir den Gefallen tun könntest und Claus und Adrien zum Abendessen mit einplanen könntest! Machst du das für mich? Die beiden wollten einmal nach dir sehen und sich davon überzeugen, dass es dir nach deiner Gehirnerschütterung wieder gut geht. Also nicht wundern, wenn es klingelt und ich noch nicht da bin, ja?", sprach der Pfau mit mir, dabei wandte er sich von seiner Schauspielpartnerin ab und ich bekam Herzrasen bei seinen Worten am Anfang, dass ich laut ihm sehr viel besser küssen konnte als das erfahrenere Mädchen, welches mit ihm zusammen arbeitete, denn offensichtlich machte mir der Brünette ein lieb gemeintes Kompliment und wollte mir unterschwellig mitteilen, dass er mich noch einmal so berühren wollte. Auch seine Worte davor, dass es sein Job war die Schauspielerin zu küssen, doch dass er mich jederzeit freiwillig küssen würde, weil er es von sich aus wollte und das zauberte mir ein verliebtes Lächeln auf meine spröden Lippen. Wie unglaublich aufmerksam der Grünäugige war und wie sehr er sich auch nach deutlichen Abweisungen meinerseits noch riesige Mühe gab mein Herz für sich zu gewinnen, ich fühlte mich dadurch geehrt und wusste, würde er so weiter machen wie im Moment, dann würde ich nicht mehr lange standhalten können und ihn einfach küssen. Das wäre seine letzte Chance, wenn er mich dann noch einmal von sich stieß, dann würde ich nicht noch einmal nachgeben und ihn nie mehr wieder so nahe an mich heranlassen. Es tat weh so verletzt zu werden, mehr als der Größere es wahrscheinlich selbst bisher in seinem Leben erlebt hatte und ich wollte diesen Schmerz nicht mehr ständig ertragen müssen, nicht, wo ich doch nun theoretisch dagegen ankämpfen konnte.
Nickend bestätigte ich meinem Herrn, dass ich seine Anweisungen verstanden hatte und wurde sogleich verliebt angelächelt. „Danke mein Süßer! Bis nachher, ja? Ich liebe dich!", verabschiedete sich der Pfau mit einem Lächeln, was mich glücklich machte und während er mir zum Abschluss winkte, begann ich zu überlegen, ob ich seine letzten Worte über das Handy erwidern sollte. Er war weit genug weg, sodass ich flüchten konnte, sollte er böse auf mich werden oder diese Worte nicht hören wollen, doch ich traute mich einfach nicht. In mir stieg die Angst auf, dass mich der Jüngere danach zu einem Kuss nötigen würde, schließlich wüsste er dann, dass ich seine Gefühle erwiderte und ich wollte nicht dazu gezwungen werden meine Gefühle so zu zeigen, oder vielleicht noch viel mehr zu tun als nur das. Wer wusste schon so genau, wie schnell der Brünette etwas von mir wollen würde, wozu ich noch nicht bereit war, wenn ich erst einmal den Schritt wagen würde und ihm seinen zweiten gewünschten Kuss mit mir gewehrte, das konnte ich einfach nicht einschätzen. Manu war noch jung und abenteuerlustig, wollte neue Dinge erleben und wenn ich die erste Person war, mit der er zusammenkam, dann würde er mit großer Sicherheit alles Mögliche mit mir machen wollen, was auch andere Partner miteinander machten. Ich verstand ihn, sogar sehr gut, denn er schien schon länger darauf zu warten, dass ich ihm ein Zeichen dafür gab, dass ich seine Gefühle für mich erwiderte, doch wenn er mich deshalb zu etwas nötigen würde, was ich nicht auch wollte, dann würde ich mich schneller wieder von ihm trennen als es ihm lieb war und von hier verschwinden.
„Ich dich auch...", nuschelte ich leise, als der Bildschirm schon wieder einen leeren Nachrichten Verlauf zeigte, statt das Gesicht meines Liebsten und ich wusste nicht einmal, was über mich kam, denn schließlich hatte ich diese Worte bisher noch nie erwidert, nur mit Hilfe von Gesten ausgedrückt. Der Pfau bekam es nicht einmal mit und so schaltete ich mein Handy einfach aus und legte es zurück auf den Tisch vor der Couch, um seufzend den Kater neben mir zu mustern und festzustellen, wie aufgeregt er zu sein schien. Sein weißes Fell hatte sich aufgestellt, so sehr hatte er sich vor dem plötzlichen Ton und den Worten der nicht im Raum anwesenden Person erschrocken und er beobachtete mein Handeln aufmerksam, war bereit zu flüchten und sofort wendete ich meinen Blick von ihm ab, um ihn nicht noch mehr aufzuregen. Stattdessen begann ich wieder fernzusehen und ignorierte das kleine Tier neben mir, versuchte ihm unterschwellig mitzuteilen, dass ich ihm nichts tun würde und dass es keine Angst zu haben brauchte. Bei zu ruckartigen Bewegungen würde er sich bedroht fühlen und ich wollte auf keinen Fall riskieren, dass sich der Kater von mir abwandte, da er Angst vor mir bekam, denn schließlich wollte ich irgendwann einmal sehen können, wie sich das namenlose Tier bei mir wohlfühlte und schnurrte, so wie ich es bei Manuel immer tat. Jeder sollte eine Person haben, die einen glücklich machen konnte und wenn auch nur für einen Moment von den Dingen ablenkte, die einen im Moment bedrückten, und wenn der Kater es zuließ, würde ich irgendwann diese Person für ihn sein, doch bis dahin war noch eine menge Zeit. Vertrauen konnte man nicht von heute auf morgen aufbauen, das brauchte Zeit und da ich nicht wusste, was das ängstliche Tier schon alles erlebt hatte, würde ich ihm so lange Zeit geben, bis es von selbst auf mich zukam.
Einige Minuten später, mein Nebenmann hatte sich fast schon gänzlich beruhigt und saß wieder entspannt neben mir, da vernahm ich, wie sich die Tür im Eingangsbereich öffnete und drehte mich langsam um, um erfreut festzustellen, wie Michael in das Wohnzimmer spazierte und ein vorsichtiges Lächeln auf den Lippen trug. Er schien die Tatsache, dass er nun nicht mehr nur ein einfacher Mensch war sondern ein Hybrid nicht so gut aufgefasst zu haben wie ich, denn am Morgen hatte er noch wie gewohnt seinen Blick in Manuels Nähe gesenkt und sich unterwürfig verhalten, fast schon eine Spur vorsichtiger als vor der Offenlegung der Tatsache, dass wir beide Hybriden waren. Maurice verhielt sich so wie immer, es veränderte sich schließlich nichts für den Blonden, doch auch ihm hatte ich sofort angemerkt, dass er ein wenig unsicher war, nun wo sein Partner nicht mehr gleichwertig war und noch nicht so recht zuordnen konnte, wie er mit mir umgehen sollte. Ich hatte ihn bevor er mit dem Hunde-Hybriden losgegangen war sanft angelächelt und mit meinen Gestiken verständlich gezeigt, ich würde nun nicht deswegen verlangen, dass er mich siezte oder anders behandelte, doch die Angst vor einer verärgerten Reaktion meinerseits schien ihn wirklich runterzumachen. Irgendwie würde ich ihm noch zeigen, dass ich es ungerecht fand, dass nur Michael und ich nun in der Gesellschaft höher geachtet werden sollten, denn schließlich kamen wir alle aus den gleichen Verhältnissen und kannten uns schon seit fast immer. Dass ich ein Hybrid war und somit in den Augen der anderen Hybriden besser war als Maurice, war meiner Meinung nach vollkommener Schwachsinn. Im Gegensatz zu mir, schaffte es der Blonde zumindest mit anderen zu sprechen und auf sich aufmerksam zu machen, was ich mich einfach nicht traute. So war es nun mal, jeder hatte seine Stärken und Schwächen, doch einzelne Gruppen deswegen runterzumachen und zu sagen, man war besser, weil man mehr konnte als sie, war das Schlimmste, was man machen konnte.
„Guck Mal, wir haben dir etwas mitgebracht, Patrick! Maurice meinte, dir würde der hier sicher gefallen...", grinste mich der Grauäugige an, während er mir einen Pullover hinhielt und ich bekam große Augen, als ich merkte, dass die beiden und besonders der Blonde an mich gedacht hatten. Er war schwarz und weich, so wie er Manuel sicher gefallen würde, schließlich mochte er diese einfachen Farben mehr als bunte, doch auf der Vorderseite war ein großer Kreis aufgedruckt, in welchem eine Mischung aus allen Farben zu sehen war, die ich kannte. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich stand von der Couch auf, wurde nebenbei aufmerksam von dem Kater und Michael beobachtet, nur um mich dankbar an den Jüngeren lehnen zu können und von diesem sanft umschlossen wurde. Ich wusste, dass die beiden genau wussten, dass ich mich dazu entschieden hatte nicht mehr ohne Manuel rauszugehen, da dieser zumindest das Selbstbewusstsein hätte sich gegen einen Angreifer zur wehr zu setzen und deshalb brachten sie mir nun solch kleine Geschenke mit, um mir zumindest ein bisschen das Gefühl zu geben, ich wurde beachtet und man dachte an mich. Im Flur vernahm ich Maurice leise summen, er schien mir genau in seinem Element zu sein und deshalb löste ich mich von Michael, welcher sanft zu mir hinüberschaute und ging mit leicht gesenktem Blick in die Richtung des Hauseingangs.
Ohne mich zu beachten kniete der Größere am Boden, hatte begonnen die Preisschilder der Klamotten zu entfernen und erst, als er meinen Schatten sehen konnte, hob der Blonde vorsichtig seinen Kopf und musterte mich unsicher, hörte sofort damit auf seiner Tätigkeit zu folgen. Es tat mir im Herzen weh zu sehen, wie der sonst recht aufgeschlossene Maurice sich unterwürfig kleiner machte vor mir und ich konnte all die Hybriden nicht verstehen, die uns Menschen dieses Verhalten antrainierten und Spaß daran hatten, dass wir uns ihnen willenlos unterwarfen, nur um keinen Ärger fürchten zu müssen, es war mir unverständlich. Ohne weiter nachzudenken, ließ ich mich einfach vor den schmächtigen Jungen fallen und lächelte sanft, versuchte so klar zu zeigen, dass ich ihm dankbar für seine Aufmerksamkeit war und nicht wollte, dass er sich so sehr unter mich stellte. Ich wusste, wie ich ihm genau zeigen konnte, dass er aufrecht vor mir stehen sollte und mich erhobenen Hauptes ansehen konnte, ich musste mit ihm sprechen, doch ich wusste nicht, ob es dafür schon Zeit war. Bei Manuel hatte ich bei weitem nicht so lange gebraucht, um genug Vertrauen dafür aufzubauen ihm meine Stimme zu offenbaren, doch Michael und Maurice kannte ich schon fast ihr ganzes Leben lang, wir waren zusammen groß geworden und es wäre ungerecht zu denken, sie hätten es sich beide nicht auch verdient endlich zu erfahren, wie wichtig sie mir waren und dass sie es mir wert waren meine Stimme ebenfalls einmal gehört zu haben.
Als der Jüngere schlussendlich unsicher seinen Kopf senkte, begann ich warm zu lächeln und sagte mit erröteten Wangen nur ein einziges Wort, was den Blick des Blonden sofort in die Höhe schießen ließ. „Danke...", murmelte ich unsicher, da ich Angst hatte nun für meine Stimme verurteilt zu werden, doch schon allein an seiner Reaktion konnte ich genau ausmachen, dass er alles andere als böse oder belustigt deswegen war. Ohne auf die vor ihm liegenden Klamotten zu achten, schmiss er sich mir um den Hals und sorgte so dafür, dass ich mit ihm zusammen umkippte, sodass der Größere auf mir lag. Erschrocken machte ich mich kleiner, da ich mit der plötzlichen Regung nicht gerechnet hatte, doch als ich in die liebevollen und glänzenden Augen von Maurice sah, war jegliche Angst vor Schlägen wieder verschwunden. Noch nie in meinem Leben hatte ich eine solche Freude in den Augen eines einfachen Menschen gesehen, wie in den seinen und auch die Tatsache, dass er mich nun von sich aus ansah und lächelte, gab mir ein gutes Gefühl. Maurice freute sich darüber, dass ich ihm meine Stimme offenbarte und schien damit kein bisschen gerechnet zu haben, so überwältigt wie er darüber war, was mich beruhigt lächeln ließ. Der Blonde verurteilte mich nicht und drückte sich so sehr an mich, wie er es nur dann tat, wenn er sich vorher große Sorgen um mich gemacht hatte, so wie nach dem Tag, den ich draußen bei Jamie verbracht hatte.
„Gerne, Patrick!"
(...)
Den ganzen Tag über behandelte mich Maurice so liebevoll, wie es sonst nur Manuel tat. Immer zu hatte er ein Lächeln auf den Lippen und kraulte mich sanft, kuschelte mit mir uns Michael, was mir das Gefühl gab nun endlich ganz in der kleinen Gruppe aufgenommen worden zu sein, ein Teil dieser zu sein. Beide behandelten sie mich zärtlich und aufmerksam, banden mich in ihre Gespräche mit ein und waren mir nicht einmal dafür böse, dass ich kein weiteres Wort hervorbrachte. Im Gegenteil, sie akzeptierten es und brachten mich stattdessen sogar mit kleinen Bemerkungen zum belustigten Glucksen, einfach dazu ihre Nähe und Wärme zu suchen, die ich eigentlich von Manuel bekommen würde. Sie übernahmen diese Aufgabe ohne sich zu beschweren, kuschelten beiden mit mir und ließen mich fernsehen, nebenbei das Abendessen vorbereiten und beide halfen sie mir dabei, setzten sich schlussendlich sogar noch einmal zu mir und lernten mit mir zusammen Schreiben, wofür ich sie beide wirklich bewunderte. Ich wusste genau, dass sie beide die Zeit auch gut dazu nutzen konnten allein zu sein und ihre Gemeinsamkeit zu genießen, doch trotzdem blieben sie in meiner Nähe und beschäftigten sich mit mir, auch wenn ich noch so still war und nur nickte oder den Kopf schüttelte. Es war vielleicht nichts Großes für sie, doch mir bedeutete es eine Menge, dass die beiden bei mir blieben und sich Mühe gaben mich zum Lächeln zu bringen.
Erst, als es schon langsam dunkel wurde, vernahm ich das Klingeln der Tür und ich nickte Maurice, welcher gerade dabei war den Tisch zu decken, vorsichtig zu, um zur Eingangstür zu laufen und noch einmal nach hinten in den Flur zu sehen, durch den gerade Michael in das Wohnzimmer lief. Ich wartete ein paar Sekunden, bis ich meine rechte Hand um die Türklinkte legte und diese vorsichtig nach unten drückte, sodass ich in fröhliche, liebevolle Augen sah, die keine eindeutige Farbe aufwiesen. So wie Manuel immer mit mir umgegangen war, stand neben Adrien und von diesem sanft umschlungen, Claus und ich bekam riesige Augen, als ich ihn mir ansah. Er sah in den Armen des Schneeleoparden glücklich aus, irgendwie zufrieden mit der Welt und ich hatte noch nie ein solch echt wirkendes Lächeln auf seinen schmalen Lippen gesehen, wie in diesem Moment. Wie ich es oft bei meinem Herrn tat, lehnte sich der Brünette schutzsuchend an den Hybriden neben ihm und schien richtig schüchtern in seiner Nähe zu werden, fast schon so, als würde er in den Größeren verliebt sein. Die beiden wirkten viel zärtlicher im Umgang, wie noch vor ein paar Tagen und bei all den Zweifeln, die Manuel deshalb hatte, den Ängsten, dass es seinem Bruder bei dem Polizisten nicht gut gehen könnte, ich wusste, es war die richtige Entscheidung den fünfzehnjährigen zu ihm gehen zu lassen. Er hatte diese Auszeit sichtlich gebraucht und schien nun um einiges entspannter zu sein, ausgeglichener und das machte mich glücklich. In dem Blonden schien Claus eine Person gefunden zu haben, die ihn von sich aus gerne unterstützte und ihm zur Seite stand, die ihn mit seinem Leben vor allen möglichen Gefahren beschützen würde und ich wäre ein Narr, würde ich das nicht sehen und Manuel genauso.
Nur eine Sache schockierte mich mehr als alles andere der letzten beiden Tagen zusammen. Die wunderschönen, langen und lockigen Haare des Braunäugigen, welche ich von ganzem Herzen bewundert hatte, um welche ich ihn beneidet hatte, waren nun nicht einmal mehr schulterlang und ich wusste, das würde auch Manuel mit Sicherheit nicht gefallen.
~4210 Wörter, hochgeladen am 21.11.2020
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