17. Alkohol und Schuldgefühle
Mit vor Schock geweiteten Augen sah ich den Arzt nun doch an, versuchte herauszufinden, ob es ein Scherz war oder die Wahrheit. Ich konnte nicht aus München kommen, mein ganzes vorheriges Leben hatte ich in Köln verbracht und sollte ich nicht am besten wissen, von wo ich kam? Irgendwo in meinem Kopf mussten sich Erinnerungen von damals befinden, ich musste irgendeinen Ortsnamen oder eine andere Person kennen, ansonsten konnte das nicht wirklich sein. Niemand kam einfach so von einer Stadt in eine andere, besonders in so jungen Jahren nicht, außer es hatte mich schon einmal jemand bei sich aufgenommen und war mit mir nach Köln gezogen, das würde zumindest meinen Chip erklären. Von allein hätten die mich niemals gechippt, sonst hätte auch Maurice schon von Anfang an einen Chip implantiert gehabt und deshalb lag es nahe, dass mir irgendjemand vor Ewigkeiten ein Zuhause geschenkt hatte. Keine Erinnerung an damals war in meinem Gedächtnis zu finden und deshalb schüttelte ich leicht meinen Kopf.
"Aus einem Heim für Hybriden? Bist du dir sicher? Zeig Mal her...", fragte Manuel seinen Bruder mit zittriger Stimme und keinen Moment später drehte er seinen Bildschirm in unsere Richtung, so dass wir auf eine Liste von Städten gucken konnten, aus denen ich nur Hamburg entziffern konnte. Mir fehlte die Fähigkeit zu lesen und doch hatte ich durch Claus schon ein paar Buchstaben gelernt, die ich mit Mühe erkannte. Der Buchstabe H war mir von allen am ehesten im Kopf geblieben, dicht gefolgt von M und A, da ich unbedingt meinem Herren eine Freude machen wollte. Ihm wollte ich von allen zuerst zeigen, dass ich bereit war zu kämpfen und zu lernen, doch bis ich mich ihm mit Worten mitteilen konnte, würde noch einige Zeit gebraucht werden. Ich musste erst das gesamte Alphabet auswendig lernen und mich mit dem Gebrauch von Stiften üben, ehe ich ihm einen Satz zeigen konnte. Claus hatte mir nicht umsonst ein paar Bücher mitgegeben, die normalerweise Kleinkinder nutzten, welche das schreiben erlernten und eine Tabelle, auf der kleine Bilder und Buchstaben zu sehen waren, um die vielen neuen Buchstaben besser einprägen zu können. Es war erniedrigend in meinen Alter noch nicht gelernt zu haben, wie man sich schriftlich ausdrückte und doch war ich dem Braunäugigen dankbar, dass er sich dazu bereiterklärte mich bei meinen Wünschen zu unterstützen.
"Hier, das ist ein Lesegerät für Chips! Wenn ich es Patrick an den Hals halte, aktiviert es seinen Chip und ich kann die Zahlen abtippen, die mir hier gleich angezeigt werden. Die ersten drei Zahlen stehen für das Land, aus dem der Chipträger kommt, die nächsten drei für die Stadt, anhand der nächsten vier kann man feststellen aus welchem Handel der Träger kommt und die letzten Zahlen sind ein Code, mit dem man das Tier oder den Menschen seinem Besitzer zuordnen kann! Pass auf...", erklärte der junge Arzt, wie das chippen funktionierte, während er das graue Gerät auf dem Tisch anschaltete und aufstand, um sich neben mich zu hocken und mir noch ein weiteres Mal mit dem Lesegerät über den Nacken zu fahren. Erschrocken quietschte ich auf, als das kalte Plastik meine Haut berührte und sofort rutschte mir Manuel näher, legte mir seine rechte Hand auf den Oberschenkel, um mir zu zeigen, dass alles gut war. Er war bei mir und beschützte mich, dafür war ich ihm mehr als nur dankbar. In seinen Augen lag Verwirrung, Angst, Trauer und Sorge, das alles allein wegen mir. Ihm war klar, sollte ich tatsächlich einen anderen Besitzer haben, dann musste er mich an diesen abgeben und das wollte er sichtlich nicht, sonst würde er nun nicht so panisch das Gerät in der Hand seines Bruders und den Bildschirm mustern.
"Siehst du das? Wenn ich diese Zahlen hier so eingebe, wie sie dort stehen...", begann Peter eine weitere Erklärung, während er Manuel das Gerät unter die Nase hielt und den Code noch ein weiteres Mal eingab, so dass der Grünäugige mit ansehen konnte, wie der Arzt auf seine Lösung gekommen war. Starr verfolgten seine Augen, wie sich mit jeder weiteren Zahl der Bildschirm leicht veränderte. Städte verschwanden von der Liste, Länder und als schlussendlich auch der Name des Heims angezeigt wurde, aus welchem ich laut diesem Chip ursprünglich kam, richtete sich der Blick meines Herren auf mich. Das alles waren für mich ganz neue Informationen, die mein Leben noch einmal von Grund auf verändern könnten. Mein alter Besitzer könnte noch viel reicher sein, als es Manuel war und vielleicht wusste er etwas über meine Eltern, wer sie waren und wieso ich in einem Heim geboren wurde. Bei ihm könnte es mir vielleicht noch viel besser gehen, als hier und doch war mir klar, ich würde in jedem Fall bei meinem Herren bleiben wollen. In seinen Armen liegen und ein bisschen Liebe spüren, das war mein Traum von Glück.
"Dann bekommen wir heraus, dass dieser Chip und somit auch Patrick, hier aus Deutschland kommen, besser gesagt München und ihm in diesem Heim eingepflanzt wurde! Googeln wir diesen Laden da, finden wir heraus, dass er schon längst geschlossen ist und auf dem Platz befindet sich nun ein weiteres Heim für Menschen, allerdings ein nobleres und besser bewertetes als das, wo du den Kleinen her hast, Manu. Die Frage ist jetzt allerdings, ob Patrick aus der Zeit vor dem Menschenheim oder während dieser Zeit geboren wurde, hier steht nämlich noch nichts davon, wann genau dieses Heim geschlossen wurde. Deine Geburtsdaten liegen irgendwo in der Mitte der Wendezeit, also kann beides zutreffen und die einzigen beiden Wege es herauszufinden sind, entweder gehen wir direkt zum jetzigen Heim und fragen, ob du von dort kommst, oder wir suchen nach deinem ehemaligen Besitzer und müssen hoffen, dass dieser überhaupt noch am Leben ist! Ich würde sagen, dass du das hier jetzt entscheidest, immer hin ist es dein Leben und deshalb ist es auch dein Recht zu entscheiden, wo deine Reise hingeht...", führte seine Erklärung zu Ende und mit einem sanften Lächeln sah er mich an, wartete nun geduldig auf meine Antwort. Ich sollte entscheiden, ob ich nach meiner Vergangenheit suchen würde und gegebenenfalls meine Eltern kennenlernen konnte, oder sie ein für alle mal ruhen ließ und bei meinem Herren blieb. Wer wusste schon so genau, was wir finden würden auf der Suche. Es musste einen Grund haben, weshalb ich nicht dazu in der Lage war zu sprechen und der Arzt war mit mir alle Möglichkeiten durchgegangen, es könnte durchaus ein Trauma sein, welches mich seit meiner Kindheit verfolgte und durch meine Bekanntschaften von damals, wer auch immer diese sein mochten, würde ich herausfinden, was mir widerfahren war. Ich wollte meine Stimme benutzen können, dem Grünäugigen mit meinen eigenen Worten mitteilen und ihm glücklich ins Gesicht sagen, dass ich ihn mochte. Für jeden im Raum war diese Fähigkeit verständlich, abgesehen von mir und ich wollte mich allen anderen um mich herum anpassen, so wie sie sein. Dafür musste ich herausfinden, was mein Trauma war und wie ich dagegen ankämpfen konnte, somit stand mein Entschluss fest.
Zitternd hob ich meine Hand und deutete auf den Bildschirm, musterte Manuels schockiertes Gesicht, dessen Wange eine einzige Träne zierte. Schmerz war in seinen Augen zu sehen, welchen ich selbst in meiner Hand spüren konnte, die er feste zu drücken schien.
(...)
Zwei weitere Federn waren dem Pfau während der Fahrt nach Hause herausgefallen. Sie lagen abgeknickt auf dem schwarzen Ledersitz und machten kaum einen Unterschied, immer hin hatte er noch weit über hundert weitere seiner geliebten Augen, doch es zeigte seine Angst und Trauer, dass es ihm nicht gut ging. Mit Tränen in den Augen hatte er die verlorene Federn in seinen Händen gehalten, auf sie herabgesehen und mein Herz war in zwei Teile gebrochen, als mir auffiel, dass ich der Grund dafür war. Der Jüngere hatte Angst davor, dass ich mich dazu entscheiden könnte bei meinen Eltern zu leben und obwohl er mir versichert hatte mir bei meiner Suche beizustehen, wirkte er von Grund auf zerstört. Es tat weh den Brünetten so zu sehen und ich fragte mich, ob diese Gefühle, die er mir gegenüber verspürte, tatsächlich nur freundschaftlich sein konnten. Der Grünäugige stellte mein Glück noch immer über sein eigenes, hatte mir angeboten zu helfen und doch wollte er mich gar nicht gehen lassen.
Mit einem Tablett, gefüllt mit einer Schüssel Müsli, Äpfeln, Zimt, Mandelmilch und einem Löffel, betrat ich das abgedunkelte Zimmer meines Herren und sah ihn so gleich in seinem Bett liegen, eingerollt in seiner Decke. Tränen waren ihm die letzten Stunden über die Wangen gelaufen, hin und wieder hatte ich ihn schluchzen gehört, doch hatte er uns verboten sein Zimmer zu betreten. Er wollte alleine sein und sich ausruhen, auch mir hatte er das gesagt und obwohl mir unwohl dabei war, ließ ich ihn still passieren. Claus hatte sich dazu entschieden bei uns zu bleiben, er würde uns zur passenden Zeit nach München fahren und ebenfalls dabei helfen meine Eltern zu finden, was nach Absprache mit Manuels Mutter kein Problem war. Sie hatte sich erst dagegen geweigert ihn hier zu lassen, immer hin war er noch jung und doch hatte es der Braunäugige geschafft sie davon zu überzeugen. Während Manuel sich also eine kleine Auszeit genommen hatte, versuchte der Langhaarige uns weiterhin das lesen und schreiben beizubringen, bis ich mich dazu entschlossen hatte für uns zu kochen. Meine beiden Freunde wollten das ganze erst für mich übernehmen, doch lächelnd bestand ich darauf uns allen einen Gemüseauflauf zu machen. Nur mein Herr bekam sein Müsli, jedoch nicht so, wie er es gerne mochte. Mir selbst schmeckte Müsli in der Variante besser, wie ich es gemacht hatte und vielleicht mochte er es auch.
Kraftlos öffnete der Größere seine Augen, blickte teilnahmslos in die meine und ich senkte leicht meinen Kopf, als mir auffiel, dass ich hätte anklopfen sollen. Es war das erste Mal, dass ich dem Pfau sein Essen gemacht und es ihm an sein Bett gebracht hatte, deshalb hoffte ich, er würde mir meinen Fehler verzeihen. "Ich habe keinen Hunger...", seufzte der Jüngere leise, ohne sich auch nur aufzusetzen und sofort begann mein Herz erneut zu schmerzen, denn allein wegen mir fühlte er sich so dreckig. Ohne sich mein Essen überhaupt anzusehen, lehnte er es ab und versuchte mich so stumm von sich zu stoßen, doch ich hatte nicht vor aufzugeben. Als ich nichts essen wollte, da hatte er leise auf mich eingeredet und mich dazu gebracht zumindest ein bisschen etwas zu mir zu nehmen, das würde ich auch tun. Was wäre ich für ein schlechter Mensch, wenn ich meinem Freund nicht zur Seite stehen würde?
Vorsichtig schüttelte ich meinen Kopf und schloss die Tür hinter mir, setzte mich in den Schneidersitz neben den Hybriden, dessen Augen mich müde verfolgten. Mein sanfter Blick war auffordernd und doch bewegte sich der Brünette kein Stück, auch dann nicht, als ich damit begann die Milch in die Schüssel zu schütten und den Löffel hineinzulegen, damit der Pfau die Nahrung auch zu sich nehmen konnte. Kein bisschen sah er begeistert davon aus, dass ich mich seinem stummen Befehl widersetzt hatte und doch ließ er mich schweigsam machen. "Lieb gemeint, aber mir ist wirklich nicht nach Essen, Patrick. Wenn du mir helfen möchtest, dann leg dich einfach neben mich und gib mir ein bisschen das Gefühl, dass du gerne bei mir bist. Und wenn nicht, dann geh bitte einfach und lass mich für heute in Ruhe...", entschied mein Herr mit trüben Augen, in welchen erneut Tränen schimmerten und obwohl es dunkel war, nur das Fenster spendete in der Nacht noch ein wenig Licht, erkannte ich den Schmerz in seiner Stimme. Leicht zitterte sie und gab mir zu verstehen, dass er wirklich litt und mein Blick senkte sich leicht, vor schweren Schuldgefühlen. Niemals hätte ich mir denken können, dass ich dem Brünetten so viel bedeutete und doch konnte ich ihn nicht einfach so verwahrlosen lassen. Um bei Kräften zu bleiben, musste er essen und sich wirklich ausruhen, ohne ein störendes Geräusch im Hintergrund. Er musste irgendwie verstehen, dass ich ihn gar nicht verlassen wollte und nur sehen wollte, ob ich noch irgendwo eine Familie hatte und wie ich von München nach Köln kam. Dieses Rätsel war vielleicht der Grund, weshalb ich nicht sprechen konnte und um meinen Herren glücklich zu sehen, wollte ich alles tun.
Überlegend stellte ich das Tablett auf den Nachttisch neben das Bett, unter wachsamen Augen und ohne zu zögern, legte ich mich zu ihm unter die Decke. Das Gefühl von Wärme kam mir entgegen und ich seufzte zufrieden, als sich die starken Arme des Pfauen um meinen Körper schlangen und mich so näher an ihn zogen. "Danke, dass du bei mir bist...", murmelte der Grünäugige mit kratziger Stimme und um ihm das Gefühl zu geben, ich wäre für ihn da, legte ich vorsichtig meinen rechten Arm um seine Taille. Sein Kopf lag nun direkt vor meinem, sodass ich in seine geröteten Augen sehen konnte, aus welchen sich hin und wieder Tränen lösten, welche seine heißen Wangen hinabliefen und auf dem weißen Kopfkissen aufkamen, von diesem aufgesogen wurden. Nur noch ein wenig mehr zu mir geneigt und die Stirn des Jüngeren würde meine berühren, so wie bei seiner Mutter Zuhause. Es war ein Zeichen von Vertrauen, Liebe und doch schien der Größere in diesem Moment distanzierter als sonst. Ihn schien die Tatsache nicht zu stören, dass er weinte und ganz offen zeigte er mir, wie sehr ihn der Gedanke an meine Anwesenheit kaputt machte, dabei brauchte er das gar nicht zu denken. Schon jetzt war mir klar, so gut ich es bei einem anderen Besitzer auch haben könnte, oder bei meinen leiblichen Eltern, in den Armen des Brünetten wollte ich für immer liegen können und da es uns beide glücklich machte, hatte ich meine Wahl schon längst getroffen.
Still lagen wir nebeneinander, hielten uns gegenseitig in den Armen und irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, schlossen sich die erschöpften Augen des Jüngeren blinzelnd. Sein leicht beschleunigter, unruhiger Atem beruhigte sich langsam wieder und als er schlussendlich keine Kontrolle mehr hatte, ganz in seinen Träumen verschwunden war, da lehnte sich sein Kopf kraftlos nach vorne und ich konnte seine Hitze noch deutlicher spüren, als sowieso schon. Auch seine Brust wies eine Wärme auf, welche für den Brünetten ungewöhnlich war und Sorge kam in mir auf, dass ihn seine Ängste um mich krank machen könnten. Er hatte sie noch nicht gesehen, doch auf dem Boden, direkt neben seinem Bett lag eine weitere Feder und ich erinnerte mich ungerne an Claus Worte, wie er sagte, dass es bei dem Hybriden ein Zeichen von physischer oder psychischer Belastung war. Bald würde seine gepflegte Federtracht langsam beginnen sich von ihm abzustoßen und ich wusste, wie sehr er seine hundert Augen liebte. Sie waren sein ganzer Stolz, er präsentierte die vielen Federn jedem mit erhobenem Haupt und wirkte anmutig, nicht so wie viele andere Pfauenmännchen, die sich an ihrem angeborenen Schmuck störten. Auch Peter hatte sich seine Federn abgeschnitten, da sie ihn beim arbeiten störten und ich konnte nur erahnen, wie schwer Manuel der Gedanke fallen musste, sich von seinem geliebten Fächer zu trennen. Er sollte ihn nicht kampflos aufgeben, die lange Pracht war ihm schließlich wichtig und ein Zeichen seines Stolzes.
Ich wartete eine ganze Weile darauf, dass sich der Körper meines Herren entspannte. Sicher lag ich eine ganze Stunde einfach nur still da, strich ihm im Takt immer wieder über seinen erhitzten Körper und beobachtete, wie schwer der Brünette zu atmen schien. Es klang jedes Mal so, als würde der Brünette röcheln und ich machte mir mehr Sorgen, als jemals in meinem Leben zuvor. Nicht einmal am Morgen klang er so krank, wie in diesem Moment und wenn ich nicht schon bald eine Lösung dafür fand, wie ich ihm zeigen konnte, dass ich bei ihm bleiben wollte, dann würde er noch eine lange Zeit mit seinen Gefühlen kämpfen und immer weiter an ihnen kaputtgehen. Dieser Kerl war für mich der Inbegriff eines liebevollen Besitzers und er hatte es nicht verdient so zu leiden, besonders nicht wegen einem einfachen und ersetzbaren Menschen wie mir. Er sollte wie ein König leben, von allen hoch geachtet und geliebt, nicht so einfach wie wir, doch das war nun mal nicht möglich. Auch wenn Manuel es mehr verdiente als die, die seit Jahren das Land regierten und es sich gut gehen ließen, wollte das Schicksal etwas anderes für ihn und vielleicht war es auch gut so. Der Grünäugige wünschte sich nicht mehr, als er hatte. Er wollte einfach nur unser Vertrauen haben und glücklich mit uns in seinem Haus wohnen, wie Freunde oder Familie. Wir sollten ihn und seine Bemühungen sehen, das taten wir.
Langsam und leise, ohne einen Ton von mir zu geben, löste ich mich von meinem Herren und nahm mir die Schüssel mit seinem Abendessen, um unbemerkt das Zimmer zu verlassen. Kaum schloss ich die Tür hinter mir, seufzte ich traurig auf und begann noch während des Laufens in die Küche das Müsli zu essen, da in meinen Augen die Verschwendung von Essen eine Straftat sein sollte. In meinem Gefängnis wäre ich niemals auch nur auf die Idee gekommen das zu verschmähen, was auf meinem Teller lag und bevor ich dieses Essen wegwerfen würde, aß ich es selbst. Für den Jüngeren hatte ich mir extra die Mühe gemacht Äpfel klein zu schneiden, die Claus mit Michael einkaufen gegangen war, da uns einige Dinge gefehlt hatten und was wäre ich, würde ich meine eigene Kochkunst nicht würdigen? Vielleicht probierte er zum Frühstück dieses Müsli, dann könnte ich ihm zeigen, dass auch ich ihn versorgen konnte. Mit dem Lebensmittel einkaufen würde es noch schwer werden, immer hin besaß ich noch kein Halsband und auch keinen Chip für dieses, anhand dessen erkannten andere Hybriden, dass man sich auch als Mensch draußen frei bewegen durfte und nicht weggelaufen war. Nur die wenigsten Menschen bekamen solch einen Chip an ihr Halsband gehängt, denn für gewöhnlich benötigte man das Vertrauen seines Besitzers, dass man nicht weglaufen würde und dieses bekamen nur die wenigsten, da viele nicht einmal bis zu dem Punkt lebten, an dem sie dieses Vertrauen hatten. Manuel handhabte das anders, er hatte zumindest meinen zwei Partnern schon einmal ein Halsband und einen Chip besorgt, damit sie in Begleitung von Claus die Gegend kennenlernen konnten und sich mit ihm lernten zu orientieren, der Jüngere lebte schon seit Jahren so frei und bot sich deshalb perfekt dafür an.
Im Wohnzimmer, welches direkt an die Küche angeschlossen war, saßen Michael, Claus und Maurice, jeweils mit einem Glas Alkohol in der Hand und leise miteinander redend. Es war ein erstaunliches Bild, denn nur der unschuldige Maurice hatte die Finger von diesem Getränk gelassen und sah nun den beiden Brünetten zu, wie sie miteinander Stein, Schere, Papier spielten und dabei immer wieder hin und her schwankten, so als hätten sie schon zu tief ins Glas geguckt. Gut konnte ich mir vorstellen, dass Claus die beiden dazu überredet hatte etwas mit ihm zu trinken, gleich nach dem ich zu meinem Herren gegangen war und es war besser so, denn im Gegensatz zu ihnen, würden mich Morgen keine Kopfschmerzen plagen. Es war der bittere Nachgeschmack von Alkohol, den ich mein Leben lang meiden würde und auch der Blondschopf schien sich dazu entschieden zu haben, richtete von allen zuerst seinen Blick auf mich.
Um die beiden kämpfenden nicht zu stören, stand er leise von der Couch auf und schlich sich außen rum, direkt zu mir in die Küche. Einer von den dreien hatte den Abwasch gemacht, welcher hätte von mir gemacht werden sollen und da die zwei Männer auf dem Sofa es nicht einmal geschafft hätten gerade aufzustehen, musste mir der Blonde unter die Arme gegriffen haben. Mit zittrigem Finger deutete ich auf die Spüle, musterte den Größeren schüchtern von unten und stellte nebenbei die Schüssel ab, die ich im Endeffekt schnell leer bekommen hatte. Ich wusste, mein Herr würde nicht viel essen und hatte von vornherein nicht so viel gemacht, wie er sonst vertilgt hätte, deshalb dauerte es auch nicht lange das fertige Essen hinunter zu schlingen. "Ich habe deinen Abwasch gemacht, als du einfach nicht wiedergekommen bist! Aber alles gut. Wie geht es Manuel? Hast du ihn zum essen bekommen?", fragte der Grünäugige mich vorsichtig, während er sich neben mich an die Küchenzeile lehnte und sanft lächelte, dabei die beiden Brünetten beobachtete. Er hatte immer ein Auge auf sie, würde es nicht wagen die beiden einen verheerenden Fehler begehen zu lassen und das fand ich wirklich toll von ihm. Der Jüngere war ein wahrer Freund, der sich selbst mit stärkeren anlegen würde, nur um seine Kumpanen zu beschützen. Auch half er ohne sich zu beschweren im Haushalt mit, obwohl es dieses Mal meine Aufgabe gewesen wäre die Küche aufzuräumen, nach dem ich sie benutzt hatte.
Deprimiert schüttelte ich meinen Kopf und betrachtete Claus, wie er einen weiteren Schluck des Alkohols nahm, welcher es allerdings war, konnte ich nicht sagen. Manuel lag wahrscheinlich schlafend im Bett, sollte er mich nicht beim rausschleichen erwischt haben und sein Magen war leer, so wie meiner noch vor zwei Wochen. Was ich mir sehnlichst gewünscht hatte, trat er mit Füßen und das allein, weil er sich elendig fühlte und den Gedanken an mein gehen nicht ertragen konnte. Der Brünette hatte versucht mir ein guter Freund zu sein, mir ein sicheres Zuhause zu geben und für mich da zu sein, doch in seinen Augen sah es so aus, als würde ich nichts davon wertschätzen. Dass ich das Gegenteil empfand, ihm nicht hätte dankbarer sein können, darüber dachte er nicht einmal nach. "Es tut mir leid, dass ich heute Morgen so sehr an dem Gedanken festgehalten habe, dass Manuel dir nicht gut tun würde. Er mag dich wirklich, das habe ich glaube ich jetzt begriffen und auch wenn Micha ihm noch nicht vertraut, würde ich mittlerweile sagen, du solltest es mit ihm versuchen. Ich wollte erst nicht glauben, dass ihr zwei wirklich so gut zusammen passt, wie es scheint, aber als ich gesehen habe, wie lieb Manu dich beruhigen wollte, da habe ich gesehen, dass ihr zusammen gehört. Und ich glaube übrigens auch nicht daran, dass du ihn wirklich verlassen möchtest, wenn du deine Eltern kennengelernt hast! Das kannst du mir nicht weiß machen. Du hast ihn viel zu gerne dafür...", sprach der Blonde leise, nun richtete er seine Augen auf mich und ich konnte nicht anders, als mit großen Augen zu nicken.
Auch Maurice hatte eine gute Auffassungsgabe, schien sein Umfeld genaustens zu beobachten und besonders auf die Personen ein Auge zu haben, die er mochte. Er hatte gesehen, dass ich mich um die Gesundheit unseres Herren bemühte und immer wieder in seine Richtung sah, versuchte ihm aufmerksam zu zeigen, dass ich es gar nicht so meinte, wie er es verstanden hatte und doch versagte ich dabei, da mir die Worte fehlten. Ich konnte ihm nicht mitteilen, dass er sich irrte und mich nicht zu missen brauchte, ich würde bei ihm bleiben und vielleicht würde er dem Blonden zuhören, dieser konnte ihm sagen, dass ich nicht gehen würde. Meine linke Hand schnappte sich vorsichtig die seine, sah den Grünäugigen mit fragendem Blick an und als er mir lieb zunickte, zog ich ihn leise mit in die Richtung des Zimmers unseres Herren. Still folgte er mir, sagte kein Wort, da auch er nun durch Claus wusste, wie schnell der Pfau aufwachte und bemühte sich deshalb ihn schlafen zu lassen, musterte mich unsicher von oben, als ich auf die dunkle Holztür deutete. Maurice sollte ihm sagen, dass ich bei ihm bleiben würde.
"Patrick, was ist denn los?", fragte mich der Blonde flüsternd, doch ich deutete weiterhin auf die Tür und blickte den Jüngeren mit großen Augen an, bat stumm um seine Aufmerksamkeit. Er war genau so wie Manuel, verstand mich nicht und doch suchte er in meinen Augen nach Antworten. "Sir Manuel will mich sicher nicht sehen...", wollte der Grünäugige mich aufhalten, ihn mit mir in das große Zimmer zu ziehen und da ich wusste, er würde in ein paar Sekunden gehen, sollte ich nicht handeln, legte ich meine Hand auf den Türknauf und drückte ihn langsam herunter. Nun konnte der Blonde kein Wort mehr sagen, mir nur noch stumm in das Zimmer folgen und allein schon bei dem Anblick, der sich mir bot, legte sich eine schwere Last auf meine Schultern. Kein bisschen schlief der Pfau mehr. Statt dessen hatte er sich aufgesetzt und starrte mit Tränen gefüllten Augen in die meine, umschloss dabei seine Knie mit den Armen. Die Augen unseres Herren waren gerötet und sahen selbst aus unserer jetzigen Entfernung enttäuscht aus, weshalb jedoch, konnte ich nicht sagen.
"Verschwindet, beide! Ich will nur noch alleine sein, warum versteht das denn niemand?! Ihr wollt mich doch eh nur alle verlassen, also los, geht schon, ist mir egal...", schluchzte der Grauäugige laut auf und wie aus dem nichts versteckte er nun auch sein Gesicht vor uns, welches nur begrenzt vom Licht des Mondes erhellt wurde. Wie sehr er doch nach unserer Aufmerksamkeit verlangte und es still unter einem Mantel an Freundlichkeit versteckte, uns Zeit lassen wollte, um uns an ihn zu gewöhnen. Wenn man sich ihn jedoch einmal genauer ansah, stellte man schnell fest, wie schwer er sich damit tat uns vorsichtig zu behandeln. Er fühlte sich einsam, von seinen eigenen Leuten verraten und vernachlässigt, dabei wusste ich genau, dass er uns drei lieb hatte. Nicht umsonst gab er auf jeden einzelnen acht, wie auf nichts anderes und auch wenn er es noch so sehr versuchte zu verstecken, wir waren ihm wichtig. Wenn man seine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte, reagierte man voreilig und emotional, sagte die Dinge, welche man für normal nicht sagen würde. Manuel war genauso und hatte sich nicht unter Kontrolle, das durfte und wollte ich ihm nicht glauben.
"Herr, wir wollen Sie nicht verlassen! Keiner von uns will das, nicht Michael, nicht ich und erst Recht nicht Patrick. Wie kommen Sie darauf? Gut, ich war nicht bei dem Gespräch dabei, welches Sie und ihr Bruder mit Patrick geführt haben, aber er will nicht von hier weg und wir anderen möchten auch gerne bei Ihnen bleiben, wenn Sie das überhaupt möchten. Es ist Ihre Entscheidung, wir werden alles akzeptieren und ohne Ärger gehen, doch bevor sie voreilig handeln, sollten Sie wissen, dass wir Sie wirklich mögen und uns Mühe geben, uns an unser neues Heim zu gewöhnen...werdet schnell wieder gesund, ich wünsche euch beiden eine erholsame Nacht!", erklärte nun Maurice, den Blick dem Boden gesenkt und als ich merkte, dass der Brünette sich nicht zu beruhigen schien, löste ich mich von dem Riesen neben mir und ging erneut auf das Bett zu, setzte mich direkt neben meinen Herren. Nur stoßweise ging sein Atem und ich reagierte instinktiv, legte meinen linken Arm um seine Hüfte und zog den Jüngeren in meine Richtung, sodass er an meiner Schulter lehnte. Liese verließ der Blonde das Zimmer, in dessen immer wieder das leise Schluchzen des Hybriden zu vernehmen war und so wie schon bei Peter, begann ich liebevoll durch die langen Haare meines Freundes zu streichen. Sie waren klebrig und ungepflegt, wirkten glanzlos und ich konnte nicht anders, als meinem Nebensitzer einen Kuss auf die Stirn zu hauchen.
"Ihr lügt doch alle...du hast es doch selbst gezeigt, dass du lieber zu deinen Eltern oder deinem vorherigen Besitzer gehen möchtest! Ist auch gut, es ist dein Leben und ich will dir nicht im Wege stehen. Geh ruhig zu den anderen und habe Spaß, ich komme schon alleine klar. Ich habe dir geschworen, dich niemals anzulügen und ich dachte, dass du mir ebenfalls niemals ins Gesicht lügen würdest, aber scheinbar habe ich mich in dir getäuscht...bitte geh!", schluchzte der Grünäugige, noch immer ohne mich anzusehen und bei seinen Worten stiegen mir Tränen in die Augen, als er mich als einen Lügner bezeichnete. Er war bitter enttäuscht von mir, dabei sagte ich die Wahrheit und versuchte ihm zu zeigen, dass ich bei ihm bleiben würde. Ich konnte seine Augen nicht sehen und wusste, dass sie Trauer, Enttäuschung und vielleicht sogar Verachtung zeigen würden, sollten sie mich ansehen und innerlich kämpfte ich mit mir selbst. Dieser Junge war ein Dickkopf, der einem nicht einmal dann zuhören wollte, wenn es wichtig war und zusätzlich besaß er die vollständige Macht über mich zu entscheiden, sein Befehl war mein Auftrag. Er wollte mich nicht mehr sehen, zu sehr hatte ich ihn in seinen Augen enttäuscht und vielleicht war es besser so. Manchmal war es besser jemandem Zeit zu geben, um Worte oder Geschehnisse zu verkraften, die einem den Verstand raubten und so löste ich mich ohne ein Wort von dem Größeren, stand auf und verließ sein Zimmer.
Sein Blick lag auf mir, als ich die Tür öffnete und mit zittrigen Händen, deutete ich zuerst auf mich, formte danach mit beiden Händen ein Herz und deutete schlussendlich auf ihn, sah ihn mit verletzten Augen ein letztes Mal an, ehe ich die Tür hinter mir schloss und ein Schluchzen vernahm, welches mein Herz in zwei Teile zerbrach.
~4810 Worte, hochgeladen am 23.05.2020
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top