Kapitel 27
Während Gabriel Kali aufsuchte, liefen wir durch das Hotel. Kaum hatten wir die Empfangshalle betreten, vernahmen wir das Schreien eines Mannes. Sam packte mich am Handgelenk und zog mich in Deckung. Auch Dean drückte sich neben uns gegen die Wand, und da kamen auch schon einige der Götter und ein Mann, den sie aus dem Kühlraum geholt hatten. Unter ihnen befand sich Odin, der mit zwei weiteren Männern die Geisel auf den Tresen drückte.
Dean wollte ihr zur Hilfe eilen, doch Sam zog ihn zurück. »Es ist zu spät«, meinte er.
Ein Beil blitzte auf und auf einmal jagte es herab. Blut spritzte, der Kopf des Mannes rollte zu Boden, und ich schnappte panisch nach Luft.
Sam packte mich am Handgelenk und zerrte mich mit sich. Dean folgte uns. Wir betraten die Küche und eilten zum Kühlraum. Sam versuchte ihn zum zweiten Mal zu öffnen, während Dean und ich mit klopfendem Herzen daneben standen. Auf einmal wurde Dean von den Beinen gerissen und durch die Küche geschleudert. Unsanft prallte er gegen ein Regel, welches scheppernd zu Boden krachte. Nun wurde Sam von dem Mann angegriffen. Er umklammerte den Hals des Winchesters mit einem festen Griff. Ich sprang herbei und schlug auf den Angreifer ein, doch der schien den Schlag kaum gespürt zu haben. Glücklicherweise hatte Dean sich bereits aufgerappelt, und so schnell er konnte, holte er einen Holzpflock aus seiner Tasche und durchbohrte den Körper des Mannes. Er zuckte unter einigen Stromschlägen und brach dann tot zusammen.
»Wo steckt Gabriel, verdammt?«, rief Dean außer Atem.
Kaum hatte er dies ausgesprochen, betraten drei große Kerle die Küche. Uns zu wehren, half nicht, und so ließen wir uns zurück in den Ballsaal führen. Gabriel saß bereits am anderen Ende des Raumes auf einem Stuhl, wir wurden unsanft neben ihn auf drei leere Plätze gedrückt.
»Wie läuft's mit der Rettung?«, stichelte Dean. Gabriel antwortete nur mit einem aufgesetzten Lächeln.
»Also«, begann Kali an die anwesenden Götter gewandt. »Überraschung, Überraschung. Der Trickster hat uns reingelegt.«
»Kali, nicht«, flehte Gabriel.
»Jetzt gehörst du mir.« Die Frau setzte sich auf seinen Schoß. »Und du hast etwas, das ich haben will.« Sie griff in seine Jackentasche und zog das Engelsschwert hervor. Ich schloss kurz die Augen und verfluchte innerlich alles, was es zu verfluchen gab. Nun war Gabriel aufgeflogen.
»Den Dolch eines Erzengels«, sagte Kali. »Und zwar des Erzengels Gabriel.« Die Frau erhob sich.
»Okay, okay, ich habe Flügel«, rief Gabriel. »Wie 'ne Airline. Aber deshalb habe ich, was Luzifer angeht, nicht weniger recht.«
»Er lügt doch«, meinte Kali ohne den Blick von dem Engel zu nehmen. »Er ist ein Spion.«
»Ich bin kein Spion«, erwiderte der Mann. »Ich bin abgehauen. Ich versuche, dich zu retten.« Er beugte sich vor. »Ich kenne meinen Bruder, Kali. Er sollte dir eine scheiß Angst einjagen. Du kannst ihn nicht besiegen. Ich hab' in die Zukunft gesehen. Ich weiß, wie diese Geschichte endet.«
»Deine Geschichte, nicht unsere.« Kali schüttelte den Kopf. »Ihr denkt, ihr seid die Einzigen auf der Erde. Ihr plündert und mordet im Namen eures Gottes. Aber ihr seid nicht die einzige Religion, und er ist nicht der einzige Gott. Ihr glaubt, ihr könnt den Planeten einfach auseinanderreißen? Da irrt ihr euch. Es gibt Milliarden von uns.« Ihre Lippen bebten, ihre Stimme wurde brüchig. »Und wir waren zuerst hier. Wenn also jemand diese Welt hier beendet«, sie trat auf den Engel zu, »dann bin ich das.« Kali beugte sich zu ihm hinunter und berührte sanft sein Gesicht. »Es tut mir leid.« Ein Flüstern, und nur weil ich das Schwert sah, konnte ich ahnen, was sie vorhatte. Doch es war zu spät - blitzschnell ließ sie die Klinge in Gabriels Brust fahren, so dass die Wunde langsam zu leuchten begann. Dann erschien ein helles, reines Licht in seinen Augenhöhlen und in seinem Mund und letztendlich fiel der Körper schwach und tot in sich zusammen.
Entsetzt starrte ich den toten Engel an. Ich wollte schreien, weinen, um mich schlagen, doch konnte ich nicht. Irgendetwas verhinderte es. Ein Gefühl, welches tief in meiner Brust saß, sagte mir, dass etwas nicht stimmte.
»Das ist Wahnsinn«, sprach der Rezeptionist in die Stille hinein.
»Sie können sterben«, hauchte Kali überrascht und fasziniert zugleich. »Und das heißt, wir können Luzifer töten.«
Ich lachte. »Luzifer? Den Teufel? Er hat Jahrtausende im Käfig überlebt. Selbst der Colt hatte ihm nichts anhaben können.«
»Der Dolch eines Erzengels enthält unglaubliche Macht«, erwiderte Kali mit einem Funkeln in den Augen. »Er wird Luzifer töten.«
Zur Antwort seufzte ich nur.
Nun erhob Dean sich - und ich wusste, dass das nichts Gutes bedeutete. »Na, schön, ihr primitiven Blechköpfe, hört zu.«
Entsetzt starrte Sam ihn an. »Hast du den Verstand verloren?«, flüsterte er seinem Bruder zu.
»Ich weiß nicht mehr weiter«, gab dieser zurück, dann wandte er sich wieder an die Götter. »An jedem anderen Tag würde ich alles dafür tun, um euch zu töten, ihr dreckigen, mordenden Schimpansen.« Dean lachte. »Aber, hey, wir haben ziemlich harte Zeiten. Also, auch wenn ich nichts lieber täte, als euch Idioten die Kehle aufzuschlitzen«, er drehten den Leuten den Rücken zu und goss sich irgendeinen Alkohol in ein Glas, »werd' ich euch helfen, helfen, den Teufel kaltzumachen.«
Mir klappte die Kinnlade vor Entsetzen hinunter und auch Sam sah seinen Bruder fassungslos an.
Dean wandte sich wieder um. »Wenn das vollbracht ist, können wir uns gegenseitig umbringen - so wie immer. Ihr wollt Luzifer? Tja, der steht nicht in den Gelben Seiten. Aber ich, Sam und Cat können ihn herholen.«
»Und wie?«, verlangte Kali zu wissen.
Dean lächelte wissend. »Erst lasst ihr die Hauptspeise gehen, dann reden wir weiter.« Die Götter schienen nicht wirklich begeistert von der Nachricht. »Wir können gemeinsam gegen den Teufel antreten. Ansonsten könnt ihr mich gleich zum Fressen gern haben - im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Dean«, zischte ich, doch der Mann ignorierte mich und trank stattdessen das Glas leer.
»In Ordnung«, sagte Kali. »Aber nur du gehst. Die anderen beiden bleiben hier.«
»Einverstanden.« Dean stellte das Glas auf den Tisch. »Sam wird in der Zwischenzeit den Teufel rufen.«
Der junge Winchester starrte seinen Bruder nun noch entgeisterter an als zuvor, doch dieser wandte sich ohne ein Wort ab und ging.
Sam erhob sich mit einem Räuspern und fuhr sich nervös durch die Haare. Hilfesuchend sah er mich an. Ich zuckte nur ahnungslos mit den Achseln.
»Lasst uns allein. Postiert euch in den Korridoren«, befahl Kali den anwesenden Göttern und nach und nach verließen sie gemächlich den Ballsaal, bis nur noch Kali, Baldur, Sam und ich zurückblieben.
Sam schlenderte zur Tür, nachdenklich und konzentriert.
»Du willst Luzifer also hierher rufen?«, fragte Kali mit einem misstrauischen Unterton.
»So ähnlich. Sie müssen mir nur was ... von meinen Rippen wegkratzen und schon kommt er gelaufen«, meinte Sam.
Kali reckte das Kinn. »Sie dir zu brechen, wäre einfacher.«
Sam wollte etwas erwidern, als die Tür aufgerissen wurde.
»Die Show ist vorbei«, verkündete Dean. »Das Schwert ist 'ne Fälschung.«
»Gabriel lebt?«, fragte ich und merkwüdigerweise machte mein Herz einen Freudensprung.
»Ja, es geht ihm glänzend«, meinte der Winchester genervt. »Kein Grund zur Freude.« Er sah zu Kali. »Ich sag's nur ungern, Süße, aber er hat dich reingelegt.«
Kali sah uns entsetzt an. Sie wollte etwas sagen, doch brachte sie kein Wort heraus.
Ein Rumpeln und Kampfgeschreie drangen aus dem Korridor zu uns. Wir sahen alle zur offenen Tür. Unruhe füllte den Saal.
»Das muss er sein«, sagte Sam.
»Wie geht das?«, wollte Kali wissen.
Panik erfüllte Dean. »Spielt das eine Rolle? Beamt uns hier raus. Schnell!«
Baldur war der Einzige, der nicht die Fassung verlor, und mit einen ernsten Ausdruck trat er vor uns. »Das können wir nicht.«
»Natürlich könnt ihr das nicht.« Luzifer trat in den Türrahmen und langsam lief er aus uns zu. »Ihr habt eure Mutter nicht gefragt.«
Panik überkam mich. Mit klopfendem Herzen und voller Angst ergriff ich Sams Hand, der genauso unruhig war wie ich.
»Sam, Dean, Cat«, Luzifer sah uns nacheinander an; seine Haut pellte sich bereits umso mehr als beim letzten Mal, »schön, euch wiederzusehen.«
»Baldur«, sagte Kali mahnend an den Mann gewandt, der sich den Teufel gegenüber gestellt hatte. »Lass das.«
»Du denkst, dir gehört dieser Planet, huh?«, stichelte der Gott ohne auf die Frau einzugehen. »Was gibt dir das Recht?« Er rannte auf den Erzengel zu und kaum hatte er ihn erreicht, hatte Luzifer seine Hand durch seine Brust geschlagen. Ich schrie und schlug mir entsetzt die Hände vor den Mund.
»Niemand gibt uns dazu das Recht«, meinte der Mann, während Baldur sterbend zu Boden sank. »Wir nehmen es uns.« Langsam wandte er seinen Blick von dem Leichnam ab und sah stattdessen zu uns.
Ich sah, wie die Wut in Kali aufstieg, und auf einmal begannen ihre Hände zu brennen. Das Feuer tanzte ihre Arme hinauf - ein fruchteinflößendes Bild. Plötzlich streckte die Frau ihre Hand aus und schleuderte eine Fontäne auf den Teufel. Gerade noch rechtzeitig packte Sam mich am Arm, und er, ich und Dean sprangen hinter einen Tisch in Deckung.
»Alles klar?«, fragte Sam uns.
»Nicht wirklich«, antwortete eine Stimme plötzlich neben mir. Wir blickten auf. Gabriel hockte neben uns. »Besser spät als nie, hm?« Auf einmal drückte er etwas gegen Deans Brust. »Bewache das mit deinem Leben.« Kaum hatte er dies ausgesprochen, erhob er sich und verschwand. Ich wollte ihm hinterherlaufen, doch zog Dean mich sogleich wieder hinunter.
Es krachte und vorsichtig lugte wir über die Tischkante hervor. Gabriel hatte seinen Bruder aus dem Raum geschleudert, so dass dieser unsanft gegen die harte Steinwand gestürzt war. Doch kaum hatte man sich versehen, hatte er sich wieder erhoben.
»Lucy«, sagte Gabriel, der seinem Bruder mit dem Engelschwert einige Meter gegenüberstand. »Ich bin zu Hause.«
Der Blick des Teufels war finster und selbstsicher lief er auf den Trickster zu. Erst als Gabriel zur Seite trat, bemerkte ich meinen Irrtum. Kali lag auf den Boden und Luzifer wollte sie zuerst töten. Gabriel hingegen hatte sich schützend vor sie gestellt.
»Dieses Mal nicht«, meinte er und half der Frau hoch. »Jungs, Kleine, bringt sie hier raus.«
Sam, Dean und ich erhoben uns und verließen den Raum. Ich jedoch drehte auf dem Korridor bei und rannte sofort zurück. Die Winchester würden es bemerken, doch ich konnte Gabriel nicht zurücklassen. Ich wollte es nicht.
»Wegen eines Mädchens, Gabriel, ehrlich?«, sagte Luzifer. »Also, ich kann ja wirklich nur hoffen, dass du dir nichts eingefangen hast.«
Gabriel hatte seine Position gewechselt, so dass er nun mit dem Rücken zu mir stand.
Der Trickster lachte. »Luzifer, du bist mein Bruder und ich liebe dich. Aber du bist ein dumpfnäsiges Arschloch.«
»Wie hast du mich genannt?« Der Mann baute sich vor ihm auf.
»Jetzt sieh dich doch mal an. Uh, Daddy war so gemein zu mir, deshalb mach' ich sein ganzes Spielzeug kaputt«, provozierte Gabriel.
»Pass auf, was du sagst.«
»Spiel das Opfer, solange du willst, aber wir beide, wir kennen doch die Wahrheit. Dad hat dich am meisten geliebt. Mehr als Michael, mehr als mich. Doch dann brachte er das neue Baby nach Hause - und das war zu viel für dich.« Gabriel begann mit seinem Schwert herumzuwedeln. Ich wollte einschreiten, ich ahnte Böses, doch war meine Luft wie zugeschnürt. »Das Ganze hier war also einfach nur ein einziger großer Wutanfall.« Der Engel hob die Klinge vor sein Gesicht. »Werd' endlich erwachsen.«
»Gabriel, wenn du das für Michael tust, dann -«
»Ich scheiß auf ihn. Wenn er hier wäre, würde ich ihm genauso in den Arsch treten.«
Luzifer seufzte und schüttelte verständnislos den Kopf. »So was Unloyales.«
»Oh, ich bin loyal«, entgegnete Gabriel. »Zu ihnen.«
»Zu wem? Diesen sogenannten Göttern?«
Die Brüder begannen im Kreis zu laufen. Ein Schritt neben den anderen, ohne den Blick von dem Gegenüber zu nehmen.
»Zu den Menschen, Luzifer.« Gabriel stellte sich wieder vor mich. Er legte seine freie Hand auf den Rücken und bedeutete mir mit einigen Zeichen, dass ich verschwinden sollte. Doch ich blieb.
»Du bist also bereit, für einen Haufen Kakerlaken zu sterben«, bemerkte Luzifer. »Wieso?«
»Weil Dad recht hatte. Sie sind besser als wir.«
»Sie sind verzweifelt, voller Fehler, Missgeburten!«, rief der Teufel.
»Richtig, sie sind voller Fehler, aber viele von ihnen versuchen, es besser zu machen. Zu vergeben. Sie haben immerhin den Playboy erfunden.«
Luzifers Miene entspannte sich ein wenig. Er schien über die Worte nachzudenken.
»Ich habe lange Zeit auf der Ersatzbank gesessen, aber jetzt spiele ich wieder mit«, sagte Gabriel. »Und ich spiele weder auf deiner Seite noch auf Michaels. Ich bin auf ihrer Seite. Hm?«
»Bruder, bitte zwing' mich nicht dazu«, flehte Luzifer leise.
»Niemand zwingt uns zu irgendwas«, erwiderte der Mann ihm gegenüber.
»Ich weiß, du denkst, du tust das Richtige, Gabriel, aber ich weiß, wo dein Herz wirklich schlägt.« Blitzschnell wandte Luzifer sich um. Erst jetzt erkannte ich ein zweites Abbild Gabriels, des wirklichen Gabriels, der auf seinen Bruder einstechen wollte. Doch dieser wehrte den Angriff ab und ließ die Klinge gezielt in Gabriels Bauch hineinfahren.
Ich schrie. Ich war unfähig, mich zu bewegen und konnte nur mitansehen, wie die Brüder den Kampf beendeten.
»Hier schlägt es«, sagte Luzifer. Das unechte Bild Gabriels verschwand. »Dilettantischer Hokuspokus. Vergiss nicht: All deine Tricks hast du von mir gelernt, kleiner Bruder.« Luzifer riss den Dolch nach oben und schreiend wurde Gabriel in helles Licht getaucht.
Mein Schreien ging in seinem Schmerzensschrei und in dem grellen Piepton unter. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten - wieder einmal. Der tote Körper des ehemaligen Erzengels sackte zu Boden. Ein Schatten von mächtigen Flügeln zeichnete diesen. Luzifer atmete unruhig. Ihm war dies wirklich schwer gefallen.
»Wie könntest du nur ...« flüsterte ich fassungslos. Meine Stimme brach ab.
Augenblicklich straffte sich Luzifers Haltung. Er fasste sich wieder. Langsam wandte er sich um. Ein Grinsen zeichnete seine Lippen, und obwohl in seinen Augen Tränen funkelten, jagte mir ein Schauer den Rücken hinunter.
»Er war nicht dein Vater, Cat«, sagte er.
Ich schüttelte den Kopf. Angsterfüllt und ungläubig presste ich die zittrigen Lippen aufeinander.
»Ich bin froh, dass wir beide endlich mal alleine miteinander sprechen können.« Luzifers Grinsen wurde breiter und letztendlich drang ein zufriedenes Lachen tief aus seiner Kehle hervor.
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