Kapitel 21

»Tut mir leid, Catherine, dass du das mit anhören musstest«, sagte Michael und sah mich an. »Ich will nicht, dass du ein falsches Bild von mir hast.«
Langsam erhob ich mich auf meine zittrigen Beine. »Keine Sorge. Das hab' ich bereits.«
Michael lächelte und ließ den Blick sinken. Als er ihn wieder hob, war das Lächeln verschwunden. »Du musstest viel durchmachen, meine Liebe. Ich wünschte, du hättest meine Brüder auf anderem Wege kennengelernt.«
»Wie ich aus deiner überschwinglichen Rede an Dean entnehmen konnte, kann man Millionen verschiedene Entscheidungen treffen und kommt dennoch zum gleichen Ziel. Egal, welcher Weg es nun letztendlich war, Ihre Brüder hätten mich so oder so gefoltert.«
Michael lachte und trat auf mich zu. »Leb wohl, Catherine. Ich wünsche dir noch eine schöne Zeit bis zu unserem nächsten Treffen.«
Mit klopfendem Herzen schreckte ich auf. Zitternd fuhr ich mir mit der Hand über die mit Schweiß besetzte Stirn, dann erhob ich mich seufzend. Ich trat auf den Flur. Stimmen drangen von unten nach oben zu mir, doch konnte ich keine Worte verstehen.
»Bobby?«, fragte ich vorsichtig. Keine Antwort. Ich zog meine Jacke enger, während ich in Schlafanzughose und auf nackten Füßen die Stufen herunterlief.
»Ich kann nicht fassen, dass du lebst«, hörte ich Bobby sagen.
Ich betrat das Wohnzimmer. Der Mann hatte mir den Rücken zugedreht, ihm gegenüber stand eine junge Frau mit kurzen Haaren.
»Bobby, wer ist das?«, verlangte ich zu wissen.
Bobby wandte sich um. Er schien nicht froh darüber zu sein, dass ich hier war. »Eine Freundin«, meinte der Mann, jedoch schwang ein eigenartiger Unterton in seiner Stimme mit.
»Und würdest du mir auch vorstellen, wer dieses liebreizende Kind ist?«, fragte die angebliche Freundin von Bobby.
»Karen, das ist Catherine. Meine Pflegetochter.«
Die Frau lächelte freundlich. »Scheint mir ein bisschen alt für eine Tochter«, meinte sie. »Na ja, ist ja auch egal. Soll ich etwas zu essen machen?«
»Das wär' wirklich nett, Liebes«, sagte Bobby ebenso lächelnd. Verwundert runzelte ich die Stirn. Noch nie hatte ich den Mann so glücklich gesehen.
Karen nickte und verschwand in der Küche. Der Mann in Rollstuhl machte kehrt und fuhr auf seinen Schreibtisch zu.
Sofort lief ich zu ihm. »Bobby, verdammt, was ist hier los?«, raunte ich ihm zu.
Ernst sah er mich an. »Wenn du auch nur ein Wort zu Dean oder Sam sagst, bring' ich dich um!«
»Wieso wundert mich das nicht«, gab ich zurück und wandte mich ab. »Ich geh' duschen, und, nein, ich werde nichts sagen. Keinen Mucks.«

Drei Tage vergingen. Karen, Bobbys angebliche Freundin, lebte nun hier, ebenso wie ich. Ich hatte Bobbys Haus seit dem Vorfall mit dem Reiter nicht mehr verlassen. Ich hatte Angst vor der Außenwelt, vor dem, was dort lauerte, und vor dem, was aus mir werden würde, wenn wieder irgendetwas geschehen würde.
Ich lief gerade die Treppe hinunter, als ich Deans wütende Stimme vernahm. »Weißt du, wie oft wir angerufen haben? Wo bist du gewesen?«
»Ich war beim Rollstuhl-Rugby«, erklärte Bobby genervt.
Sam und Dean standen im Wohnzimmer und hatten mir den Rücken zugedreht, so dass sie mich nicht bemerkten. Abwartend lehnte ich mich gegen das Geländer der Treppe.
»Wonach riecht's hier?«, verlangte Dean zu wissen. »Ist das Seife? Hast du Waschtag?«
»Wie? Bist du meine Mutter? Was soll das?«
»Bobby, jetzt mal im Ernst«, bat Sam ruhig.
»Ich hab' gearbeitet. Ich versuche irgendwie den Teufel aufzuhalten.«
»Hast du Neuigkeiten?«, wollte Dean wissen.
»Na, was denkst du?«, gab Bobby genervt zurück.
»Bobby, hör mal.« Sam lehnte sich gegen Bobbys Schreibtisch. »Da ist so ein Fall, nicht mal zehn Kilometer von deinem Haus entfernt.«
»Was? Diese Benny-Sutton-Geschichte? Geht's darum?«
»Du weißt davon?« Dean klang fassungslos.
»Na, klar. Hab' ich schon längst überprüft. Da ist nichts dran.«
»Bis auf einen Zeugen, der gesehen hat, wie ein Toter einen Mord begeht«, entgegnete Sam.
»Welcher Zeuge? Digger Wells?«
»Ja, und?«, fragte Dean.
»Er ist Alkoholiker!«, rief Bobby.
»Aber was ist mit den Gewitterstürmen?« Sam richtete sich auf. »Das scheinen Omen zu sein.«
»In Februar ist es in South Dakota nun mal stürmisch. Jungs, ich dachte auch, da steckt mehr dahinter. Manchmal ist 'ne Zigarre eben nur 'ne Zigarre.«
»Doch wer hat den Kerl getötet?«, fragte Sam.
»Was weiß ich. Dieser Benny Sutton war ein erstklassiges Arschloch, glaubt mir. Die Liste von Lebenden ist endlos, die ihm eins auswischen wollen.«
»Du willst uns also sagen, da ist nichts«, meinte Dean.
»Sieht so aus, als hättet ihr diesmal eure Zeit umsonst verschwendet.«
Bevor Dean und Sam mich sehen konnten, verschwand ich in der Besenkammer. Sie wussten nicht, dass ich hier war, und außerdem war ich nicht sonderlich scharf darauf, dass Dean mich sah.
»Wieso hast du ihnen nicht die Wahrheit gesagt?«, fragte ich, als ich das Wohnzimmer betrat.
»Welche Wahrheit?«, gab Bobby zurück.
»Die mit deiner Frau. Karen.«
Als ich dies gesagt hatte, wurde Bobby bleich. »Woher weißt du -«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Bobby, bitte, ich bin nicht bescheuert.«
»Woher?«, rief Bobby.
Ich seufzte. »Ich hab' Bilder in einer alten Kiste oben auf dem Dachboden gefunden. Karen ist deine Frau.« Ich schüttelte den Kopf. »Sie war tot, Bobby. Wie kann sie jetzt am Leben sein?«
»Was weiß ich!« Der Mann schien aufgebracht. »Das Einzige, was wichtig ist, ist, dass sie am Leben ist.«
Fassungslos sah ich ihn an. »Und du machst dir keine Gedanken darum? Dass es vielleicht ein Trick von Luzifer ist? Sam und Dean haben gesagt, dass ein Toter jemanden umgebracht hat. Irgendwas an der Sache kann nicht richtig sein!«
»Wir reden hier von meiner Frau!«, brüllte Bobby.
»Ja, und genau deswegen mach' ich mir Sorgen.« Ohne ein weiteres Wort abzuwarten, wandte ich mich um und ging hoch in mein Zimmer.

Spät in der Nacht fuhr Bobby in die Stadt und kam wenige Stunden später zurück mit Sam und Dean. Ich saß am Esstisch und wartete auf das Essen, welches Karen gerade zubereitete, als die Brüder und Bobby das Zimmer betraten.
»Erklärst du uns jetzt mal ...« Dean stockte, als er Karen sah.
»Oh, hey«, begrüßte sie die drei. »Ich wusste ja nicht, dass du Besuch hast.«
»Es ist vier Uhr morgens, Schatz. Du musst doch nichts kochen«, meinte Bobby liebevoll.
»Oh, bitte. Ich hol' noch ein paar Teller«, sagte Karen und verschwand in der Küche.
»Wer ist das?«, verlangte Dean zu wissen.
»Bobbys Frau, Karen«, erklärte ich und erhob mich. »Frisch zurück von den Toten.«
»Catherine!«, rief Bobby.
»Tut mir leid, Bobby, aber du hättest es ihnen niemals erzählt.«
Dean und Sam legten sich einige Stunden hin. Währenddessen erklärte Bobby seiner Frau, wer diese beiden Männer waren.
Am nächsten Morgen gab es etwas von Karens Kuchen. Wir saßen schweigend an dem Tisch, und Karen gab jedem von uns ein Stück.
»Das schmeckt grandios, Mrs. Singer«, schwärmte Dean nach wenigen Bissen.
»Oh, danke, Dean«, sagte Karen.
Sam warf seinem Bruder einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Was? Tut es«, verteidigte Dean sich.
»Das ist nett, Karen, danke«, meinte Bobby. »Ähm, könntest du uns einen Augenblick allein lassen?«
Karen lächelte uns noch freundlich an, dann verschwand sie. Urplötzlich schoben Dean und Sam ihre Teller zur Seite und wandten sich an Bobby.
»Bist du denn wahnsinnig? Was soll das?«, verlangte Dean zu wissen.
»Dean, lass es mich erklären«, begann Bobby.
»Was bitte? Dass du uns angelogen hast? Oder warum dieses Zombiemädchen in deiner Küche Kuchen backt?«
»Erstens ist das meine Frau, also sieh dich vor«, drohte Bobby.
»Bobby, was da auch in ihr drin ist, es ist nicht deine Frau«, versuchte Sam ihn zu überzeugen.
»Es wird nichts bringen«, meinte ich. »Ich hab's versucht. Er hört nicht auf mich.«
»Denkt ihr denn, ich bin völlig bescheuert?«, fragte Bobby rhetorisch. »Meine tote Frau steht vor meiner Tür, und ich würde sie nicht auf jede erdenkliche Art auf die Probe stellen?«
»Also, was sind sie?«, hackte Dean nach. »Zombies? Wiedergänger?«
»Als wenn ich das wüsste. Sie hat keine Narben, keine Wunden und sie reagiert auch nicht auf Salz, Silber oder Weihwasser.«
»Bobby, sie ist aus ihrem Sarg gekrochen.«
»Nein, ist sie nicht. Ich hab' sie einäschern lassen.« Entsetzt sahen wir den Mann an. »Auf irgendeine Weise ist sie zurückgekehrt.«
»Das ist unmöglich«, meinte Sam.
»Wem sagst du das?«
»Hast du ihre Asche vergraben?«
»Ja.«
»Wo?«, fragte Dean.
»Auf dem Friedhof. Da, wo alle auferstanden sind.«
»Wie viele?«
»Fünfzehn. Zwanzig. Ich hab' 'ne Liste gemacht.« Bobby zog einen Zettel aus seiner Brusttasche und reichte ihn Sam. »Da sind Karen, Clay und von Sheriff Mills ist der kleine Sohn zurückgekommen.«
»Und keinerlei Anzeichen? Keine Omen?«, fragte Sam.
»Na ja, da waren einige Gewitterstürme.«
Genervt warf Dean die Arme in die Luft. »Das wissen wir schon. Was sonst noch?«
Bobby rollte zum Schreibtisch, ergriff ein Buch und öffnete es. »Und ich sah und siehe ein fahles Pferd und der darauf saß, dessen Name hieß Tod und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen ward Macht gegeben, zu töten das vierte Teil auf der Erde, mit dem Schwert und Hunger und mit dem Tod.« Bobby sah auf.
»Der Tod«, sagte ich. »Ein Reiter der Apokalypse.«
»Der Tod-Tod? So wie der Sensenmann-Tod?«, fragte Sam.
»Ja«, antwortete Bobby und fuhr wieder zum Tisch.
»Na, toll.« Dean hielt sich die Hand vor den Kopf. »Noch ein Reiter. Ein echter Glückstag.«
Sam erhob sich. »Bobby, wieso sollte der Tod fünfzehn Menschen in einem Kuhkaff wie Sioux Falls auferstehen lassen?« Er umrundete den Tisch und ergriff Bobbys Buch.
Der Mann zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung.«
»Weißt du, wenn der Tod dahintersteckt, dann bedeutet das nichts Gutes. Das ist dir doch klar? «, meinte Dean an Bobby gewandt. »Du weißt, was wir zu tun haben?«
»Sie hat überhaupt keine Erinnerung«, sagte der Mann im Rollstuhl.
»Was meinst du?«, fragte ich.
»Dass sie besessen war ... und von mir getötet wurde. Dass sie zurückgekommen ist.«
»Bobby«, begann Dean, doch wurde er sofort unterbrochen.
»Nein, nein, nein, komm mir nicht mit »Bobby«. Hört ... hört einfach zu, okay?«
Wir schwiegen und lauschten Karens Summen.
»Sie summt, wenn sie kocht. Sie hat immer schon gesummt, wenn sie gekocht hat, ja. Sie ist völlig unmusikalisch. Ich ... ich hätte nie gedacht, dass ich es je wieder hören würde. Versteht ihr?«
Wir antworteten nicht, sondern wechselten stumme Blicke.
»Lest einfach die Offenbarung«, bat Bobby. »Da drin heißt es, dass die Toten während der Apokalypse auferstehen. Wer sagt denn, dass das was Schlimmes ist?«
»Bobby, wir reden hier von der Apokalypse. Wir reden hier vom Tod, von Luzifer«, sagte ich leise. »Das ist Grund allein, warum es nichts Gutes sein kann.«
»Ich weiß, was ihr glaubt, tun zu müssen«, meinte Bobby. »Aber ich flehe euch an. Bitte. Bitte, lasst sie mir.«

1761 Wörter

Heute ein etwas kürzeres Kapi. Eventuell kommt nachher noch eins ;)

Are you?

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