Kapitel 15
Schweigend saß ich auf der Bettkante in meinem Zimmer. Gedämpfte Stimmen drangen aus der Küche nach oben. Jemand lachte. Ich seufzte, fuhr mir mit der Handfläche über die verschwitzte Stirn und ließ mich quer auf die Decke fallen. Es war gut, dass wir alle hier waren. Besser, als alleine zu sein. Morgen war der große Tag. Luzifer selbst würden wir sehen, hoffentlich. Ich würde diesen Mistkerl liebend gern erledigen, für das, was er Sam, für das, was er mir angetan hatte. Ich war mir sicher, dass alles seine Schuld war. Dass Azazel mich zu dem gemacht hatte, was ich war, war sicher ein Befehl vom großen Boss gewesen. So wie bei Sam. Sam war seine ideale Hülle, und alles, was seit seinem sechsten Lebensmonat geschehen war, hatte zu diesem Zweck gedient.
Es klopfte. Ich richtete mich auf. Ich antwortete und langsam öffnete sich die Tür. Zu meiner Überraschung kam Dean herein. Ein ernster Ausdruck zierte sein Gesicht. »Wir müssen reden«, verkündete er. Ich schluckte. Ich spürte, wie mein Herz sich verkrampfte, und mit ansteigender Angst vor dem, was folgen würde, zog ich mich auf die Beine.
»Du hast uns angelogen. Mehrmals.«
»Ich ...« Ich schluckte schwer und versuchte die kommenden Tränen zu unterdrücken. »Dean, ich wollt' es dir erzählen, wirklich, aber ...«
»Du hattest eine Wahl«, meinte Dean. »Du hast nur die falsche getroffen.«
Nun konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten, und langsam ließ ich mich wieder auf die Bettkante sinken. »Ich wollte dich nicht verletzen«, sagte ich mit zittriger Stimme. Sein Gesichtsausdruck war starr auf mich gerichtet, er ließ sich keine Emotionen anmerken. »Es tut mir leid. Es tut mir wirklich, wirklich leid ...«
Der Mann biss die Zähnen aufeinander und spannte die Kiefernmuskeln an. Energisch schüttelte er den Kopf - er glaubte mir nicht. »Weißt du, wie sich das anhört? Du hast einen Fehler begannen, einen großen Fehler. Du hast uns nicht nur angelogen, Cat, du hast uns nicht nur etwas verschwiegen. Weißt du eigentlich, was du getan hast?« Seine Stimme wurde lauter. »Wie weit du dich von der Normalität, der Menschlichkeit entfernt hast?«
»Ich war bereit zu sterben«, sagte ich mit Tränen erfüllten Augen. Seine Gesichtszüge entspannten sich ein wenig, nicht viel, aber es reichte, um mir zu zeigen, dass er ein wenig verstand. »Ich hätte sterben sollen, aber ...« Ich sprach nicht weiter, schluckte die Worte einfach hinunter.
Dean nickte. »Dann sag mir«, begann er mit ernster Stimme, »wenn es so schlimm war, wieso hast du mich angelogen?«
»Ich dachte nicht, dass du mich verstehen würdest ...«
Er wandte sich ab und im nächsten Moment bedeckten die Sachen, die zuvor auf dem Nachttisch gestanden hatten, den Boden. Ich zuckte vor Schreck zusammen, sagte aber nichts. Mit erhobenem Finger wandte er sich wieder an mich. Sein Gesicht finsterer als zuvor. »Egal, wie die Sache morgen ausgeht, ich will dich nie wiedersehen. Nie wieder.« Das waren seine letzten Worte, bevor er den Raum verließ, und mich mit meinen Tränen und dem ganzen Schmerz alleinließ.
Der nächste Tag war grau und verregnet, zumindest in der Kleinstadt in Missouri.
»Hast du Empfang?«, fragte Sam seinen Bruder. Wir drei saßen im Impala, ich auf der Rückbank, die beiden vorne - es schien, als hätte sich nichts verändert, doch es hatte sich alles verändert.
»Nein.« Dean klappte seine Handy zu. »Richtig gespenstisch.« Er winkte einmal und fuhr an den Straßenrand. Kurz darauf hielt Ellen neben uns - in ihrem Auto saßen unteranderem ihre Tochter und Cas.
»Kommt euch das nicht ein wenig verlassen vor?«, fragte Ellen.
»Während wir bei der Polizei nachfragen, könnt ihr euch ja hier umsehen«, meinte Dean. »Cat, du begleitest sie.« Ich erwiderte nichts und stieg aus. Sofort fuhr Dean weiter. Ellen hielt nun dort, wo er zuvor gestanden hatte, und sie und ihre Tochter stiegen aus.
Joe klopfte gegen die Autoscheibe. »Hey, die Tür hat auch eine Klinke.«
»Ja, das weiß ich«, sagte Castiel, der plötzlich neben ihr stand. Auf einmal veränderte sich sein Ausdruck. Er schien etwas gesehen zu haben, und das Etwas gefiel ihm anscheinend ganz und gar nicht.
»Was hast du, Cas?«, wollte Ellen, die dies ebenfalls bemerkt hatte.
»Diese Stadt ist nicht ausgestorben«, erklärte er. »Catherine, siehst du das?«
Ich trat neben ihn. »Was meinst du?«
»Sensenmänner.«
»Sensenmänner?«, wiederholte Ellen ungläublig.
»Nein, tut mir leid«, beantwortete ich seine vorherige Frage.
»Du musst dich konzentrieren. Ich hab' es dir gezeigt. Vertraue darauf.«
Obwohl ich mir geschworen hatte, nie wieder meine himmlischen Kräfte anzuwenden, konnte ich nicht anders, als seiner Anweisung Folge zu leisten. Nun sah auch ich die schwarzgekleideten Gestalten - es mussten Dutzende sein, so viele waren es. Regungslos standen sie überall verteilt und blickten mit schneeweißen Augen, die keine Pupillen aufzeigten, starr nach vorn.
»Nur in Zeiten von großen Katastrophen versammeln sie sich so«, erklärte der Engel. »Das Feuer in Chicago, das Erdbeben in San Francisco, Pompeji.« Er kniff die Augen angestrengt zusammen. »Entschuldigt, ich muss herausfinden, wieso sie hier sind. Cat, komm mit.«
Schweigend folgte ich dem Engel, immer darauf bedacht, in keine der schwarzen Gestalten zu rennen. Sie jagten mir Angst ein. Beinahe genauso viel wie die Angst vor Luzifer und dem Kommenden.
Plötzlich verharrte Castiel. Langsam ließ er seinen Blick hoch zu einem Fenster in der ersten Etage wandern, an welchem ein Sensenmann stand. Anders als die anderen, bewegte er sich. Er war vom Fenster verschwunden, und im nächsten Moment standen Cas und ich an jener Stelle, an der der Sensenmann zuvor gestanden hatte. Der Engel ließ mich los und lief wieder voran, dem unheimlichen Mann, der in dem Zimmer am Ende des Flures verschwunden war, folgend.
Vor dem Raum verharrte er. Zu spät bemerkte ich die Gestalt, die in diesem wartete. »Hallo, ihr beiden«, war das Einzige, was ich noch hörte, bevor wir von strahlenweißem Licht umhüllt wurden.
Als ich die Augen wieder öffnete, standen Cas und ich in einem Ring aus Feuer. Ich spürte, dass es kein normales Gefängnis war - es war heiliges Feuer wie damals bei Gabriel auch. Castiel sah sich unruhig um, und aus Reflex trat ich einen Schritt näher an ihn heran. Der Engel wandte den Kopf, das helle Licht um uns herum flackerte in seinen Augen. »Luzifer«, sagte er, und ich konnte deutlich die Angst aus seiner Stimme vernehmen.
Erschrocken wirbelte ich herum. Mein Herz verkrampfte sich, als ich die Gestalt sah, die einige Schritte von uns entfernt im Schatten stand; blonde Haare, ein kantiges Gesicht überzogen von einem Drei-Tage-Bart. Er trug ein Hemd, wie ich erkennen konnte, und obwohl er wie ein gewöhnlicher Mensch wirkte, jagte mir seine Anwesenheit einen Schauer den Rücken hinunter.
»Ich nehme an, ihr seid mit den Winchesters hier«, sagte er mit ruhiger Stimme.
Ich wollte bejahen, doch Cas kam mir zuvor. »Nein, wir sind allein«, erwiderte er. Auf einmal spürte ich seine Finger um meinem Handgelenk und wie von selbst rückte ich näher an ihn heran, so dass meine Hüfte die seine berührte.
»Loyalität.« Die Hände auf den Rücken verschränkt blickte Luzifer nachdenklich nach oben. »Hm«, er sah uns an, »schön, dass es sowas in diesen Zeiten noch gibt.« Seine immer noch bestehende ruhige Stimme wirkte auf mich wie Ironie. Luzifer, der Teufel, Satan - all diese Namen, doch ein und dieselbe Person und ein und derselbe Ruf. So, wie ich den gefallenen Erzengel aus Bibelgeschichten kannte, so war er nicht einmal annähernd.
»Castiel, richtig?«, fragte er, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Der Engel zu meiner Rechten nickte langsam. »Castiel, ich hab' gehört, du bist in einem Automobil hergekommen.«
»Ja«, antwortete der Engel, unsicher, warum er dies gefragt wurde.
»Wie war das so?«
»Ähm ... Langsam ... Ziemlich eng.«
Luzifer nickte. »Was für ein eigenartiges Verhalten.«
Jetzt, da der Erzengel sich dem Feuer und uns zugewandt hatte, konnte ich sein Gesicht vollends sehen. Seine Haut blätterte sich an einigen Stellen kreisförmig ab. Es schien, als würde seine Hülle die immense Kraft im Innern nicht aufrecht erhalten können.
»Was ist mit deiner Hülle los?«, fragte Castiel in dem Moment. Ihm schien es ebenso aufgefallen zu sein.
»Ja ... Nick löst sich langsam auf, befürcht' ich. Ich werde ihn nicht tragen können, deswegen brauch ich -«
»Du!«, rief Cas und wollte den Mann angreifen, doch stockte er vor dem Feuerrand. »Das eine sag' ich dir, Sam Winchester kriegst du nicht. Das werd' ich nicht zulassen.«
»Castiel, ich kann nicht verstehen, wieso du gegen mich kämpfst. Es gibt so viele Engel.«
»Ist diese Frage dein Ernst?«, gab Cas verständnislos zurück.
»Ich hab' rebelliert, ich wurde ausgestoßen. Du hast rebelliert, du wurdest ausgestoßen. Ich bin sicher, dass jeder im Himmel mich tot sehen will, und jetzt rate mal, was passiert, wenn ihnen das gelingt.« Luzifer sah ihn ernst an. »Ja, dann bist du der Staatsfeind Nummer 1. Wir stehen auf derselben Seite, ob es dir gefällt oder nicht. Also, wieso tust du dir nicht selbst einen Gefallen, was zufällig auch einer für mich ist?«
»Er wird sich niemals Ihnen anschließen!«, zischte ich.
Luzifers Blick wandte augenblicklich zu mir und ein vergnügtes Schmunzeln zauberte sich auf seine rissigen Lippen. »Hallo, Catherine. So heißt du doch, oder nicht?«
Ich antwortete nicht, sondern funkelte den Mann hasserfüllt an.
»Du stehst auf keiner Seite, das wirst du nie, da bin ich mir sicher.« Luzifer lachte. »Nicht, wenn du dich nicht entscheidest.« Er grinste zufrieden, doch dann wurde sein Gesichtsausdruck ernst. »Wie ist es so, von jenen gehasst zu werden, die man liebt? Für die man alles geopfert hat, alles getan hat, um sie zu schützen, nur um dann letztendlich von ihnen davongestoßen zu werden wie Ungeziefer?«
»Halt die Klappe, du Mistkerl«, sagte ich nur, doch war meine Stimme erstaunlich leise. Er hatte den wunden Punkt getroffen und nun war ich mitten in seinen Klauen - und nichts, wirklich gar nichts, was ich tun und sagen könnte, würde mich aus diesen befreien können.
»Lass sie in Ruhe!«, zischte Castiel. Wieder ergriff er mein Handgelenk, doch dieses Mal zog er mich an sich.
»Selbst du wirst sie nicht lange beschützen können«, meinte Luzifer. »Irgendwann werdet ihr sie verlieren, und dann ist es zu spät.« Er sah mir direkt in die Augen. »Irgendwann wird deine Kraft dich von innen heraus auffressen, je mehr du versuchst, sie zu verbergen und zu verdrängen. Du wirst daran ersticken, bis du am Boden liegst und nach Hilfe schreist. Du wirst mich anbetteln, du wirst mich anflehen, und ich werde da sein und zusehen, wie du langsam zugrunde gehst.«
»Niemals«, zischte ich. »Dazu wird es niemals kommen. Denn du wirst tot sein und ich werde leben.«
»Das bezweifle ich«, meinte Luzifer, während er auf die Tür zuging. »Vergiss nicht, deinen Eltern von mir zu grüßen, wenn ich dich in die Hölle geschickt habt. Vielleicht statte auch ich dir einen Besuch ab.«
Nach Langem kommt wieder mal ein Kapi. Was sagt ihr dazu? Was sollte Catherine eurer Meinung nach tun? Ihre himmlische Seite durchkommen lassen, sich von den Winchesters vollkommen trennen? Schreibt es in die Kommis :)
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