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Sie standen gerade im Stall an der Box seiner Stute. Gideon hatte die Unterarme auf das Fenster in der Boxentür gestützt und beobachtete mit einem liebevollen Blick, wie sich Coco ihre Belohnung in Form von Möhren und Äpfeln schmecken ließ. Sie schwiegen sich an. Mit Maxi zu schweigen war nicht unangenehm. Er schien eh eher wortkarg zu sein. Wobei er auf Gideon einen etwas komischen Eindruck an dem Tag machte. Er wirkte so unruhig.

Gideon überlegte gerade ob er fragen sollte was los war, als er Schritte näher kommen hörte. Kräftige Schritte. Die Schritte seines Vaters.

„Erfolgreich gewesen?" Kein Hallo. Keinen Guten Tag. Nichts der Art. Gideon nickte und wies auf die beiden Schleifen. Der Alter nickte einfach und meinte etwas schroff: „Geht doch! Warum nicht gleich so!" Gideon verspannte sich. Während Maxi unsicher zwischen Vater und Sohn hin und her blickte. Gideons Blick wanderte auf den hellgrauen Betonboden. Er wollt seinem Vater nicht ins Gesicht sehen. „Morgen früh geht's weiter mit dem Training. Jetzt heißt es dran bleiben!" beschloss jener. Gideon schüttelte den Kopf „Nein. Sie brauchen eine Pause! Die haben sie sich wirklich verdient. Schau dir die scheiß Videos an! Ich will morgen nur meine Berittpferde reiten!" presste Gideon hervor. Maxi beobachtete aufmerksam wie Gunnar Laukötter eine ungesunde Farbe annahm. Was würde jetzt kommen?

„Nein! Keine Pause! Nicht jetzt. Ender der Saison können sie eine Pause haben. Wir bleiben jetzt dran! Hast du mich verstanden?" zischte Laukötter senior mit hochrotem Kopf. Gideon presste die Zähne fest auf einander und sein Blick wurde eiskalt: „Ich will eine Pause und ich bleibe dabei". „Ach ja? Vergiss nicht wer dir all das ermöglicht!" drohte ihm sein Vater und Gideon zuckte leicht zusammen. „Bis morgen früh! Wir starten mit deinem Weltenbummler" beschloss sein Vater. Maxi widmete er nur ein kurzes Nicken.

Der junge Sattler sah Gideon schockiert an „Du willst doch nicht wirklich morgen reiten oder?" „Ich will nicht. Ich muss! Eine Pause würde ihnen gut tun. Einfach nur ein ganzer Tag auf der Weide. Mehr will ich doch gar nicht!" Gideon guckte gequält. Maxi schüttelte intuitiv den Kopf. Was ein Arschloch von Vater! Gideon tat ihm so leid.

Er war kein schlechter Reiter und auch kein unfairer Reiter. Ihm lag viel an seinen Pferden, aber sein Vater sah nur den Erfolg. Das hatte Gideon nicht verdient! Wenn er mal nicht einen auf Macho machte war Gideon so ein toller Mensch. Obwohl auch als Macho gefiel er Maxi, auch wenn er dann etwas anstrengend war. Aber war das nicht so wenn man in eine Person verliebt war? Liebte man dann nicht auch jede ihrer scheiß Macken?

„Wir gehen noch was trinken!" beschloss Gideon plötzlich, stieß sich leicht von der Box ab und schloss das Fenster wieder so dass sich eine fast lückenlose Front aus metallenen Gitterstäben ergab. Für einen kurzen Moment überlegte Maxi wie es sich wohl anfühlen musste in so einer Box zu leben. Angenehm war es bestimmt nicht. „Wo?" fragte Maxi. „Die Dorfkneipe ist die einzige Option hier im Dunstkreis." Gideon zuckte mit den Schultern und fuhr sich durch die kurzen blonden Haare. Maxi Seufzte und nickte nachdenklich.

Leider war dieser Ort wirklich die einzige Option.

So kam es wie es kommen musste. Sie saßen in dieser schon etwas altmodischen Dorfkneipe unter einer dieser schrecklichen 60er Jahre Hängelampen. Leider blieben sie nicht lange unter sich. Zwei Mädchen ungefähr in Maxis Alter gesellten sich zu ihnen. Die Eine meinte Maxi sogar vom Sehen zu kennen.

Die Gespräche zeichneten sich eigentlich nur dadurch aus, dass Gideon mit der Anderen heftig flirtete und nichts ausließ um in Machomanier hervorzuheben wie erfolgreich er doch als Springreiter war. Maxi hätte gerne darüber gelacht, aber ihm war nicht zum Lachen zumute. Ihm war eher nach aufstehen und gehen.

Plötzlich standen Gideon und das Mädchen einfach auf und er und die Andere, die ihm immer noch ziemlich bekannt vorkam bleiben allein zurück.

Sie lächelte ihn an und fragte: „Warst du nicht ein Jahrgang über mir? Maximilian Bader oder?". Maxi nickte betrübt. Seine Schulzeit war ein rotes Tuch für ihn. „Du warst das doch der in der 12. Zusammengeschlagen wurde, oder?" das war vielleicht etwas übertrieben. Eigentlich hatte ihm nur ein Mitschüler die Lichter ausgeknipst und zwei Rippen geprellt. Wieder nickte er. „Oh warum eigentlich? Es ging ja damals das Gerücht rum du wärst schwul und deswegen wäre das passiert" ein mitleidiger Blick hatte sich auf ihr Gesicht gelegt. „Das Stimmt auch" murmelte Maxi und fühlte sich für einen kurzen Moment an den Tag zurück versetzt.

Es war in eine der letzten Wochen vor dem Abi gewesen. Einer mit der letzten Schultage. Ein paar Tage davor hatte er sich geoutete. Naja geoutet stimmte nicht so ganz. Er war einfach nur mit seinem ersten Freund unterwegs gewesen und einige Dorfbewohner hatten sie gesehen. Und wie das auf dem Dorf so ist, der Buschfunk funktioniert hervorragend und innerhalb von ein paar Stunden wusste jeder im Dorf Bescheid. So war es auch schnell in seiner Stufe bekannt gewesen.

Kleinstädter und Dorfbewohner gehören leider nicht zu den tolerantesten Menschen, zumindest die die er kannte. So war es nicht verwunderlich gewesen, dass er nur ein paar Tage später auf dem Schulflur von einem Mitschüler der ihn wüst beschimpfte angegriffen wurde.

Das Ganze war nun über zwei Jahre her und es war als hätte sich das Dorf dazu verschworen nie wieder ein Wort darüber zu verlieren und einfach so zu tun, als sei Maxi hetero. Darum auch diese manchmal echt anstrengenden Verkupplungsversuche einzelner Dorfbewohner.

„Das tut mir leid. Sowas ist wirklich das letzte! Wir tun immer alle so aufgeklärt und aufgeschlossen, aber trotzdem passiert noch so ein Mist! Und dann wird noch nicht mal drüber gesprochen! Wirklich Respekt an dich, dass du zurückgekommen bist!" riss ihn das Mädchen aus seinen Gedanken. „Sorry ich hab mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Charlotte. Meine Eltern wohnen am Ortsausgang auf der linken Seite in diesem gelben Haus" Jetzt wusste Maxi woher er sie kannte. Sie war immer eines dieser Mädchen aus dem Jahrgang unter ihm, die ihn angehimmelt hatten. „Damals war ja unser halber Jahrgang in dich und in Raffael Gerber verknallt" sie grinste. „Das war vielleicht eine Enttäuschung als das Gerücht auf kam du wärest schwul" Das konnte er sich vorstellen. „Naja man kann eben nicht immer alles haben. Was glaubst du, wie oft ich Typen begegne denen ich nicht abgeneigt wäre, die aber so hetero sind." Er winkte ab. „Du sprichst jetzt aber nicht von Gideon Laukötter?" harkte sie irritiert nach. Schnell schüttelte Maxi den Kopf „Nein. Wir sind nur Freunde". „Mit dem Arsch kann man befreundet sein? Ist doch bestimmt voll anstrengend." Sie verzog das Gesicht. Anscheinend hielt Charlotte nicht viel von Gideon. „Es geht. Ab und zu ist er auch mal normal und nicht ganz so triebgesteuert" Maxi musste grinsen. Charlotte schüttelte einfach den Kopf und nahm einen Schluck aus ihrem Glas „Glaub ich nicht. Sowas kann der bestimmt nicht abstellen. Dafür denkt er wahrscheinlich zu häufig mit seinem..." sie brach ab und schaute an Maxi vorbei. „Ich muss meine beste Freundin vor einem großen Fehler bewahren." Erklärte sie und stand auf. „Wir sehen uns bestimmt noch mal" Maxi nickte und drehte sich, dann ebenfalls um.

Etwas ernüchtert beobachtete er Gideons versuch Charlottes beste Freundin um den Finger zu wickeln, welcher zu Gideons enttäuschen dank Charlotte ein jähes Ende nahm. Sie war Maxi soeben sehr sympathisch geworden.

Den Restlichen Abend verbrachten sie trinkend und schweigend. Sie hingen einfach beide ihren Gedanken nach, aber es störte keinen von ihnen.

Gideons Schädel brummte noch stärker als das letzte Mal. Noch während er den Wecker ausschaltete fragte er sich wie er nach Hause gekommen war. Er hatte nicht die leiseste Ahnung.

Die wummernden Kopfschmerzen ignorierend schlug er die grau-weiß bezogene Bettdecke zurück, streckte sich und setzte beide Füße gleichzeitig auf den sich so kühl anfühlenden Laminatboden. Mit einem Schritt war er beim Fenster und zog die Vorhänge zurück. Es schien schon die Sonne, wenn auch etwas verhalten durch die Krone der großen Eiche im Garten hindurch, aber sie schien. Müde tapste er weiter bis zum Spiegel an der Tür seines Kleiderschrankes.

Sah er scheiße aus! Die blonden Haare standen in alle Richtungen ab und seine Augen zierten tief dunkle Augenringe.

Er öffnete die Schranktür und zog direkt die nächstbesten Kleidungsstücke heraus. Eine graue Reithose und ein einfaches schwarzes T-Shirt mit V-Neck. Damit bepackt lief er schnurstracks ins Badezimmer und stieß fast mit seiner Stiefmutter zusammen, die gerade selbiges verließ.

„Gideon-Schätzchen" schallte es auch sofort und er verzog entnervt das Gesicht. Zum einen weil ihre Stimme seinem Kater echt missfiel und zum anderen weil es ihn immer noch nerve, dass sie ihn so nannte. „Wann bist du gestern nach Hause gekommen?" fragte sie und blieb in der Tür stehen. Er zuckte mit den Schultern und fragte ungeduldig auf die Badezimmertür weisend „Kann ich?". „Natürlich" flötete sie und trat zur Seite „Ich mach dir Frühstück" Abrupt blieb er stehen und riss die Augen auf. Sie bemutterte ihn schon wieder! Warum konnte sie das nicht einfach lassen?! Er schüttelte den Kopf und verschwand im Bad.

Aus der Küche ertönte ein fröhliches Summen und das Klappern von Geschirr. Um das Frühstück würde Gideon wohl nicht drum herum kommen. Mist! So ließ er sich etwas widerwillig an den schweren hölzernen Küchentisch fallen und Sabrina stellt ihm mit einem zufriedenen und stolzen Lächeln ein Brötchen mit Marmelade vor die Nase. Das hätte er jawohl auch selber gekonnt! „Mit Liebe gemacht!" erklärte sie. Gideon starrte immer noch etwas irritiert auf das Brötchen. Wie konnte sie darauf so stolz sein? Er fand das etwas befremdlich.

„Hattest du einen schönen Abend?" säuselte sie und setzte sich ihm gegenüber. „Hmh" gab er als Antwort und sah immer noch nicht von dem Brötchen auf. Immer noch fragte er sich warum sie so stolz darauf war. Mit schiefgelegten Kopf nahm es in die Hand und betrachtete es weiter. Immer noch keine Antwort auf seine Frage. „Stimmt was nicht?" fragte sie mit weinerlicher Stimme. Immer noch mit den Gedanken beim Brötchen schüttelte er den Kopf „Nein alles gut" meinte er gedehnt und drehte das Brötchen etwas. War das so ein Frauending auf sowas stolz zu sein? Seine Mutter war das nie gewesen, also wahrscheinlich eher nicht. Also nur ein Sabrina-Ding. Apropos Mama. Er könnte sie wieder mal anrufen. Ja das würde er tun. Direkt nach dem Frühstück.

Irgendwie hatte er diese Brötchen doch gegessen, wobei diese Faszination an dem Stolz seiner Stiefmutter nicht abgeebbt hatte. Danach war er direkt aufgestanden und hatte sein Handy aus der Hosentasche gezogen.

Der Kies knirschte unter seinen Schritten und er wartete darauf, dass seine Mutter an ihr Handy ging. Immer wieder tutete es. Er war schon fast am Stall, da ging die Mailbox dran. Kurzerhand entschied er sich ihr auf die Mailbox zu quatschen. „Hallo Mama. Ich bin's" fing er an, wobei er sich reichlich dämlich vorkam. Seine Mutter hatte nur einen Sohn von daher war dieses ‚ich bis' total bescheuert. „Ruf mich bitte zurück" beendete er das Gespräch mit der Mailbox schnell. Warum ging sie nicht ran?

Das war die letzten Male genauso gewesen, dann hatte sie am Abend zurück gerufen, war aber immer viel zu kurz angebunden gewesen. Hatte er sie dann zu einem Turnier eingeladen, hatte sie immer abgelehnt. Sie wollte seinen Vater nach der Sache mit Sabrina nicht mehr sehen. Somit tauchte sie bei keinem Turnier auf und er hatte sie seit der Scheidung nur zweimal in Münster getroffen. Er würde so gerne wieder ihre Stimme hören und sich mit ihr unterhalten.

Betrübt trat er in den Stall und griff sich sofort Wings Halfter. Der Wallach wirkte auch nicht sonderlich motiviert, aber was sollte er machen. Laukötter Senior hatte beschlossen, dass sie heute trainieren würde, somit würden sie das auch tun. Gideon seufzte, schob die Boxentür auf und zog dem hochgewachsenen Fuchs das grüne Lederhalfter auf.

Lustlos trottete Wing hinter ihm her. Am liebsten würde Gideon ihn auf eine Weide stellen und ihn bis zum Abend da lassen. Einfach damit er durchatmen konnte und Pferd sein durfte. Aber nein! Vater wusste es ja wie immer besser.

Genervt sattelt er seinen Wallach und begab sich in die Reithalle. Er hoffte wenigstens nur Dressurarbeit machen zu dürfen. Aber sein Vater war wohl anderer Meinung. Er hatte einen kleinen niedrigen Parcours aufstellen lassen. Gideon überlegte kurz ob er sich widersetzten sollte, wollte aber keinen Wutanfall seines Vaters riskieren.

So saß er, an der in die rötlich hölzernen Bande eingelassenen, Aufstieghilfe auf und ritt am langen Zügel durch die helle mit feinem Springboden präparierten Halle warm. Er lauschte für einen kurzen Moment nur den durch den Sand gedämpften Schritten seines Pferdes und ließ seine Gedanken schweifen. Komischerweise landeten sie bei Maxi. Wieder fragte Gideon sich warum er gestern so komisch war. Irgendwie so verkrampft. Er würde ihn anrufen! Am besten wenn er auf den Weg zu seiner Reitschülerin war.

Als sein Vater dazu kam fingen sie an zu arbeiten. Immer wieder ließ der Alte seinen Sohn den Parcours springen, war aber nie zufrieden. Wo war der Junge nur schon wieder mit seinen Gedanken? So würde nie etwas aus ihm werden!

Zu allem Überfluss klingelte auch noch Gideons Handy und er stoppte um darauf zu schauen wer ihn anrief. Es war seine Mutter. „Es ist Mama" erklärte er seinem Vater und sah ihn flehend an „Lass mich ran gehen. Bitte!" „Nein du reitest weiter! Sofern das nicht der Bundestrainier ist reitest du immer weiter!" fuhr ihn sein Vater an und Gideon drückte schweren Herzens seine Mutter weg.

Froh endlich fertig zu sein wollte er gerade Wing auf die Weide bringen, da rief sein Vater „Der kommt in die Führanlage und danach in die Box! Wenn der sich jetzt verletzt! Da will man gar nicht dran denken!". Gideon seufzte und drehte wieder um. Auch Wing brummelte enttäuscht und trottete mit Gideon zur Überdachten Führanlage.

Weiter ging es mit Coco. Die Stute schien etwas Muskelkater zu haben. Zum Glück. So verlief das Training ruhiger und war schneller vorbei. Auch sie durfte nur in die Führanlage.

Sofort als die Stute in der Führanlage ihr Runden lief, rief Gideon seine Mutter zurück.

„Hallo Gideon" hörte er die warme und so liebevolle Stimme seiner Mutter an seinem Ohr und sofort überkam ihn die Sehnsucht. „Hallo Mama" er versuchte gefasst zu klingen, aber in dem Moment drohte seine ganze Momentane Lebenslage über ihm zusammen zuschlagen wie eine Welle. „Wie geht's dir mein Schatz?" fragte sie besorgt, als würde sie spüren dass es ihm nicht so prickelnd ging. „Gut" log er schnell. Er wollte ihr nicht die Ohren voll heulen. Er war ein Mann, über zwanzig und noch dazu Springreiter! Er musste stark sein. „Ich habe gelesen, dass du das letzte Turnier gewonnen hast" sofort breitete sich ein stolzes Lächeln auf seinen Lippen aus. „Ja" bestätigte er, dann musste er schwer schlucken „Wann können wir uns mal wieder sehen?". Sie seufzte „Schätzchen. Ich habe momentan nicht wirklich viel Zeit und am Wochenende bist du doch auf Turnieren." „Dann komm zu einem der Turniere! Wir haben uns das letzte Mal vor Monaten gesehen. Bitte Mama" wieder musste er schwer schlucken. „Gideon. Ich will deinen Vater nicht sehen!" sagte sie bitter. „Was wenn ich dir sagen würde er wäre nicht da? Bitte" flehte er wieder. „Gunnar wird sich das schlecht entgehen lassen!" entkräftete sie. „Ich war auf dem letzten Turnier auch mit einem Kumpel." Ließ sie ihn jetzt wirklich so hängen? „Gideon es tut mir Leid! Ich kann nicht" flüsterte sie mit brüchiger Stimme. „Ich muss jetzt auch auflegen!" verabschiedete sie sich und ließ ihn damit allein in seinem Elend.

So könnte er keine Reitstunde geben. Kurzerhand rief er seine Reitschülerin an und sagte mit der Begründung er wäre krank die Reitstunde ab. Danach rief er Maxi an.

Der junge Sattler ging zum Glück sofort ran. „Hey. Kater?" Maxis Stimme war wie Balsam auf seiner Seele. „Ja." Murmelte Gideon und sah seiner Stute beim lockeren Schritt gehen in der Anlage zu, vor der er immer noch stand. „Alles in Ordnung?" es war schön jemanden am anderen Ende zu haben, der sich wohl wirklich für ihn interessierte. „Nein. Wo bist du gerade?" Vielleicht hatte Maxi ja wenigstens Zeit. „In der Werkstatt. Willst du vorbei kommen? Ich muss zwar das Fahrgeschirr für meinen Opa fertig machen, aber das kann ich auch später noch machen." Sprang sein Kumpel zum Glück direkt darauf an. „Ja. Ich bin dann gleich da" damit legte Gideon auf.

Er blieb noch einen kurzen Moment an der Führanlage stehen und legte den Kopf in den Nacken. Er musste sich sammeln. So aufgewühlt wollte er nicht bei Maxi auftauchen. Nach ein paar Minuten senkte er den Kopf wieder und lief mit schnellen Schritten über den knirschenden Kiesweg zu seinem Auto.

Fluchtartig fuhr er vom Hof. Die Allee hinab und bog auf die Straße ins Dorf ab. Das Gedudel im Radio plänkelt an ihm vorbei, während er über die von Getreidefeldern umgebene schon etwas kaputte Straße fuhr.

Wieder stand er vor der dreckig-weißen Werkstatttür und klopfte, wie in der Woche davor. Nur öffnete ihm dieses Mal Maxi und nicht dessen Großvater die Tür.

Maxi sah Gideon einfach nur für einen kurzen Moment an, dann trat er aus dem Türrahmen und meinte „Komm rein" Gideon nickte einfach und auf seinem Gesicht lag ein komisch trauriger Schleier. Gideon fuhr sich kurz durch die blonden Haare und trat in den Werkstattraum. Ihn empfing der kräftige Geruch nach Leder, Lederfarbe und Lederpflege. Den musste man lieben, ansonsten hielt man ihn wahrscheinlich nicht lange aus. Maxi hatte sich daran noch nie gestört. Dieser Geruch hatte schon seit seiner frühsten Kindheit zu seinem Großvater gehört und der war eine der wichtigsten Personen in seinem Leben.

Gideon sah sich im komisch gelblichen nicht wirklich hellen, aber auch nicht dunklen Licht der Lampen in der Werkstatt um. Auf einem Tisch lag eine komplette Rindslederhaut in dunkelrot. Maxi seufzte und legte die Haut wieder ordentlich zusammen. Nur um sie in einen Nebenraum in ein Regal zu legen, wo Gideon im Schummerlicht noch ein paar weiter Lederhäute in den verschiedensten Farben und Schattierungen erkennen konnte.

„Kaffee?" fragte der junge Mann, als er wieder aus dem Raum kam. Gideon schüttelte den Kopf und meinte trocken „Lieber etwas stärkeres" Maxi sah ihn kritisch an „In deinem Zustand?" Gideon zeigte daraufhin keine Reaktion. Maxi zuckte kaum merklich mit den hageren Schultern und setzte sich auf die Tischkante, jenes Tisches von dem er gerade das Leder genommen hatte. „Also was ist los?" fragte er nachdem er Gideon einen Moment aufmerksam betrachtete hatte. Gideon seufzte und sah seinem Sattler kurz in die ruhigen braunen Augen. „Keine Ahnung. Meine Mutter lässt mich im Stich. Mein Vater ist ein Arsch und meine Stiefmutter eine Hohlbratze, die stolz auf ein selbst geschmiertes Brötchen ist." Das war sein Problem. Maxi sah ihn verwirrt an „Bitte von Anfang an. Aus der Aufzählung wird ja kein Mensch schlau!".

Gideon seufzte „Vor vier Jahren tauchte wie aus dem Nichts mein Vater mit meiner Stiefmutter auf. Mama hat sofort ihre Sachen gepackt, ihn angeschrien und die Scheidung gefordert. Ja so ist es dann auch gekommen. Sie hat mir die Wahl gelassen. Zu ihr oder zu Papa. Ich war zwar schon alt genug um auch alleine zu wohnen, aber ich hätte ohne meinen Vater meine Pferde nicht behalten können. Ich bin bei ihm geblieben und bei seiner Neuen. Sie ist gerade mal vier Jahre älter als ich! Sie könnte meine Schwester sein! Von dem Moment an ging dann irgendwie alles den Bach runter. Mama hatte mir immer Raum verschafft um mich zwischen dem Training noch mit Freunden zutreffen oder sonst was, aber das war mit ihrem Auszug vorbei. Mein Vater nahm mich an die Kandare. Ließ mir keinen Freiraum nichts dergleichen. Ich musste zur Uni, danach sofort nach Hause, auf das erste Pferd, das Zweite und so weiter. Tag ein Tag aus. Meine Turnierleistung war schon davor nicht ganz so konstant. Wir kamen da schon nicht mehr so gut mit einander aus. Danach waren sie dann endgültig im Keller. Ich habe dann irgendwann angefangen Reitunterricht zugeben um wenigstens noch etwas Abwechslung zu haben. Eins kam zum anderen und ich landete mit einer Reitschülerin nach dem Training in der Sattelkammer. Du glaubst gar nicht wie tröstend das war. Daraus wurde eine Affäre, dazu kamen dann noch ein paar mehr mit den verschiedensten Frauen. Sabrina, also meine Stiefmutter versucht krampfhaft den Platz meiner Mutter einzunehmen, aber das wird sie einfach nie könne. Meine Mutter habe ich seit der Scheidung nur zwei Mal gesehen. Das war so ein Krieg zwischen meinen Eltern. Beide wollten den Hof behalten. Im Endeffekt hat mein Vater sie ausbezahlt. Sie weigerte sich auch nur einen Fuß auf die Anlage zu setzten und zu Turnieren kommt sie auch nicht, da sie Papa nicht wieder sehen möchte. Ich bin ihr dabei wohl egal. Wenn wir telefonieren wird sie mit jedem Mal kurz angebundener. Damit gibt sie mir ganz ehrlich das Gefühl das alles meine Schuld wäre. Ich bin ihr Sohn. Sollte sie mich nicht sehen wollen?" verzweifelt sah er Maxi an, der sah aber einfach auf den schon etwas abgewetzten Holzboden und wirkte als müsste er alles was Gideon gerade gesagt hatte einordnen.

Nach einem kurzen Moment der Stille meinte der junge Sattler ernst „Meine Fresse bist du ein Wrack!" dann stand er langsam auf und nahm Gideon ohne ein Wort in den Arm.

Diese Geste hatte Maxi intuitiv gemacht. Bereute sie aber sofort, da sich ihm wieder seine Gefühle aufdrängten und er Gideon am liebsten gar nicht losgelassen hätte.

Sie redeten danach noch einige Zeit. Es hatte Gideon gut getan sich einer Person so zu offenbaren. Einfach mal diesen ganzen Scheiß loszuwerden, der sich in seinem Kopf stapelte. In Maxi schien er einen wirklich guten Kumpel gefunden zu haben, der ihm zuhörte und sich wirklich um ihn zu kümmern schien. Etwas was Gideon vermisst hatte. Wirkliche Freundschaft. Er war froh sich mit seinem Sattler angefreundet zu haben und ihm alles erzählt zuhaben.

Maxi konnte mit einem mal Gideons Eskapaden verstehen. Der Springreiter wollte eigentlich die ganze Zeit nur jemanden bei dem er sich ausheulen konnte und der immer für ihn da war. Nach eben jener Person hatte er verzweifelt in seinen Betthäschen gesucht. Diese Tatsache stimmte Maxi traurig.

„Nächste Woche wieder Turnier?" fragte Gideon noch bevor er ging und auf Maxis Gesicht schlich sich ein Lächeln. „Ja. Ich bin dabei!" Gideon regte die Daumen nach oben und verabschiedete sich mit einem „Wir sehen uns".

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