Scorpius Malfoy- Suche
Albus' Sicht
Am nächsten Morgen wachte ich auf. Im Bett neben mir lag niemand, weshalb ich dachte, dass Scorpius schon aufgestanden war.
Umgezogen und gewaschen rannte ich die Treppe hinunter.
Ich war von einer feierlichen Festtagseuphorie gepackt.
Von unten hörte ich Lilys freudige Rufe und beeilte mich. Als ich ins Wohnzimmer trat, bot sich mir ein friedliches Bild.
Mum und Dad standen Arm in Arm neben James und Lily, welche schon fleißig die Geschenke auspackten, welche unter dem großen, bunten Tannenbaum standen. Bunt gemustertes Papier floh durch das Zimmer und Teddy fischte gerade Lametta aus seinem Kaffee.
"Al!", wurde ich lachend begrüßt.
Lily presentierte mir stolz ihre neuen Puppen und Bastelsets. James hatte einen neuen Besen bekommen. Mum meinte, damit konnte er zu seinem Einstieg ins Quidditch-Team noch einen Grund mehr zum Feiern haben.
Lily hielt mir ein Päckchen mit meinem Namen entgegen. Ich nahm mir eine Schere und begann das Geschenkband abzuschneiden.
Es war ein lustiger Morgen, bis Teddy das Wort erhob. Er sah uns an und fragte dann: "Will Scorpius nicht mit runter kommen?"
Alle richteten ihre Blicke auf mich.
"Er...er ist doch gar nicht mehr in meinem Zimmer, ich dachte, er wäre bei euch!"
"Nein, hat sich noch nicht blicken lassen", verneinte James.
Und plötzlich brach Panik aus.
Wir liefen durch das ganze Haus und riefen nach ihm. Doch niemand antwortete. Und mit jeder Sekunde packte mich die Panik ein wenig fester.
"Hier!", rief Mum und zeigte in den Flur. Seine Jacke und die Schuhe waren verschwunden. Wir sahen uns alarmiert an. Das konnte nur Eines bedeuten: Scorpius war abgehauen!
Sofort begann die Suche. Meine Eltern waren untröstlich und hatten Angst, dass ihm etwas geschehen sein könnte.
James versuchte ein wenig Scherze zu machen und sagte: "Tja, ich würde sagen, es ist eher ungünstig ein Kind schon am ersten Tag zu verlieren, was?"
Dad sah ihn genervt an.
"James, hör auf mit den Witzen und hilf lieber suchen!"
James verdrehte die Augen, tat aber dann widerwillig, wie ihm gehießen.
Aber wir konnten ihn nirgends finden. Es gab nicht einmal Hinweise darauf, in welche Richtung er gegangen sein könnte. In der Nacht war viel Neuschnee gefallen und die Schneemaschinen waren auch schon da gewesen und hatten den Schnee von der Straße gekehrt. Nun türmten sich weiße Massen zu beiden Seiten der Straße, aber einen Hinweis auf Scorpius auf Verbleib war nicht vorhanden.
Als wir nach über einer Stunde zurück ins Haus gingen, waren alle panisch und verängstigt. Dad machte sich Sorgen, was die Malfoy sagen würden, Mum stellte eine Liste auf mit allen möglichen Dingen, die geschehen sein könnten. James fügte unnötigerweise den Stichpunkt "von einem Thestral entführt" hinzu und hörte sich dann eine Rede von Teddy über das Ungeeignetsein von Thestralen im Beruf Kidnapper.
Irgendwann brachte das ganze Diskutieren aber nichts mehr.
Dad schlug auf den Tisch und alle sahen ihn an.
"Das bringt nichts", sagte er, "Wir müssen ihn suchen, aber dafür brauchen wir Hilfe. Ich rufe Ron und Hermine an."
Bald darauf standen sie, inklusive Hugo und Rose, bei uns vor der Tür.
Ich stöhnte beim Anblick von Rose.
"Albus, ich könnte mir auch nichts Schöneres vorstellen, als Weihnachten bei dir zu verbringen und nach Malfoy zu suchen!", flüsterte sie mir schnippisch ins Ohr.
Und als niemand sonst zuhörte, drehte ich mich zu ihr um und entgegnete: "Weißt du, ich hätte wenigstens ein bisschen Mitgefühl von dir erwartet. Denn immerhin muss es ihm richtig mies gehen, nach allem, was passiert ist-"
"Ich bin über alles genaustens informiert, danke", unterbrach sie mich, "Und es ist ja wohl offensichtlich, dass ein Kind von Todessern so eine Dummheit macht."
"Rose!", sagte ich warnend.
"Was?", fragte sie wütend, "Also von mir aus kann er ruhig verrecken. Ein Problem weniger für mich. Wieso sollte ich jetzt den beiden Jungen helfen, die mir das Leben zur Hölle machen? Also mir doch egal, wenn er abkratzt. Weiß du was, ich wünsche es ihm sogar!"
Rose's Sicht
Albus Severus Potter starrte mich fassungslos an. Ich fasste mir unsicher an dem Mund. Hatte ich das gerade eben tatsächlich gesagt?
"Nein-nein! D-Das meinte ich nicht so, ich...ich wollte nur-", stotterte ich, doch das Gesagte konnte ich nicht zurücknehmen.
"Doch, du hast es genau so gesagt, wie du es gemeint hast", zischte Albus Severus Potter, "Und wahrscheinlich ist das Schlimmste für dich nur, dass du umgangssprachliche Wörter benutzt hast!"
"Nein!", versuchte ich mich zu verteidigen, "Ich war nur in Rage. Und ich hab nicht nachgedacht, ich meinte es nicht so, ehrlich!"
"Sieht aber anders aus", meinte er.
Albus Severus Potter drehte sich um, blieb stehen und drehte sich noch mal um.
Er öffnete den Mund und sagte: "Ernsthaft, wie tief bist du gesunken?"
Ich versuchte ihm nachzulaufen, aber er ließ es nicht zu. Wie ein geprügelter Hund stand ich nun da, doch ich war weitaus mehr aus dem Konzept gebracht, als man mir anmerken konnte. Und seine Worte drehten sich in meinem Kopf.
Wie tief bist du gesunken?
Ich konnte nicht aufhören, mir diese Frage zu stellen. War ich wirklich so schlimm? Was, wenn Albus Severus Potter und Scorpius Malfoy die ganze Zeit recht hatten? Was, wenn ich wirklich die Böse war?
Ich fühlte mich schrecklich und wollte am liebsten die Augen schließen und alles vergessen.
Hatte ich Scorpius Malfoy tatsächlich den Tod gewünscht? Wie konnte ich nur?!
Und würde man mir verzeihen können? War das, was ich gesagt hatte, überhaupt verzeihlich?
Ich unterderückte einige Tränen. Selbst wenn man mir nicht verziehe, müsste ich wenigsten versuchen, etwas wieder gutzumachen.
Und so überlegte ich, was passiert sein könnte.
Wenn ich in seiner Situation gewesen wäre, dann hätte ich am liebsten so weit wie möglich weggehen wollen.
Also stellte ich mich vor die Gebäude, als würde ich die Szene nachspielen.
Malfoy war sicherlich nach rechts gegangen, einfach...intuitiv.
Ich machte mich auf den Weg. Ich konnte mir gut vorstellen, dass man nicht auf den Weg achtet, wenn man in Gedanken ist.
Also ist er nicht oft abgebogen, sondern eher so lange gerade aus gegangen, bis es nicht mehr weiterging. Also begann ich, die Straße entlangzulaufen.
Die Häuser links und rechts ragten in die Höhe und hinter ihnen stand die Sonne hoch am Himmel. Es war kurz nach zwölf und trotz des Schnees ein wenig warm. Ich prägte mir die Straßennamen ein und achtete auf den Weg, um wieder zurückzufinden.
Ich bog immer wieder rechts ab. Vielleicht hatte er das auch getan, vielleicht auch nicht. Einen Versuch war es wert. Ich versuchte mir irgendwie einen logischen Grund dafür zu suchen, warum er nicht nach links abgebogen sei.
Er war immerhin Rechtshänder.
Und außerdem klingt "rechts" für die meisten Menschen irgendwie vertrauenswürdiger. Es heißt schließlich Rechtsanwalt und nicht Linksanwalt ... okay, das hatte nicht wirklich was miteinander zu tun, aber mir viel sonst nichts Besseres ein.
Ich dachte daran, dass es ein Fakt war, dass wenn man mit geschlossenen Augen läuft, irgendwann im Kreis geht. Das solle so sein, weil ein Bein ein winziges Bisschen kleiner sei als das andere oder weil wir unterbewusst eine Richtung mehr bevorzugten. Ich war mir nicht sicher, ob das stimmt, aber in dem Moment wollte ich es einfach nur glauben. Es gab immerhin eine 50-50 Chance, dass seine unterbewusst bevorzugte Richtung rechts war. Möglicherweise war das aber nur bei mir so und ich übertrug es nur subjektiv auf eine andere Person...
Mir schwirrte der Kopf vor so vielen Fakten oder Vermutungen.
Ich ging immer weiter und bereute langsam, dass ich keine Wasserflasche mitgenommen hatte. Zwei Liter täglich sollten getrunken werden, bei körperlichen Aktivitäten sogar mehr. Der menschliche Körper konnte zwei Wochen ohne Nahrung auskommen, aber nur 2 bis 3 Tage ohne Wasser.
Das hieß, wir mussten Malfoy möglichst schnell finden.
An Unterkühlung konnte man auch sterben. Ist man starkem, eisigen Wind viele Stunden ausgesetzt und dreht sich mit dem Rücken gegen Windrichtung, greift die Kälte vor allem die Nieren an. Bei Schneestürmen können sich die unterkühlten Stellen schwarz färben und absterben (ich hab mal sehr eklige Bilder davon gesehen).
Ein Großteil der Energie des Körpers wird für die Wärmeproduktion verbraucht. Finger kühlen als erstes ab, also würden sie wahrscheinlich als erstes absterben...
Ich gruselte mich lansam vor meinen eigenen Gedanken. Wissenschaftliche Fakten konnten auch ziemlich eklig und verstörend sein. Aber trotzdem ging ich alle möglichen Szenarien im Kopf durch. Es hatte eine beruhigende Wirkung auf mich, Wissen durchzugehen. Dadurch fühlte ich mich in meinem Handeln bestätigt und wusste, dass ich logische Schlüsse zog.
Es gab zwei Möglichkeiten: entweder Malfoy war bei Bewusstsein oder ohnmächtig. Ich hoffte auf Ersteres, denn Bewusstlosigkeit würde die Angelegenheit nur verkomplizieren.
Wenn er ohnmächtig war, bestand die Gefahr, dass ihm seine eigene Zunge nach hinten rutschen würde und er dadurch erstickt. Wenn er Pech hatte, wurde sein Gehirn nicht genug durchblutet, was zu schwerwiegenden Schäden und dem absterben bestimmter Hirnregionen führt. Dadurch könnte zum Beispiel die Sprachfähigkeit beeinträchtigt werden. Aber der Teil des Gehirns, der lebenswichtige Abläufe wie Atmen steuert, ist zum Glück in der Mitte des Gehirns, also ein bisschen besser geschützt, als andere Teile. Das lässt sich auf die Evolution zurückführen, weil ... und ich schweife vom Thema ab!
Ich versuchte mich zu konzentrieren.
Wie weit konnte er in einer Nacht gekommen sein? Er läuft nicht mit einer konstanten Geschwindigkeit, was mir aber auch nicht weiterhilft.
Wenn er die Strecke x in einer Zeit y geht und dabei seine Geschwindigkeit abnimmt...fehlen mir trotzdem jegliche andere Angaben und alles ist nur sinnloses Gequassel.
Ich sollte mir besser Gedanken darüber machen, was ich tun sollte, falls ich ihn wirklich fand. Wenn er ohnmächtig war, sollte ich ihn zunächst in eine stabile Seitenlage bringen und darauf achten, dass der Stoffwechselkreislauf, das heißt einatmen und ausatmen, intakt bleibt. Ich sollte Hilfe holen und schauen, ob er andere Verletzungen hat.
Ich tastete in meiner Jackentasche nach meinem Handy. Damit würde ich den Notdienst sowie meine Eltern anrufen können.
Wenn ich Herzdeuckmassage mache, müsste ich ... ih! Ich verzog das Gesicht und betete, dass er bei Bewusstsein war und ich zu keinerlei Aktionen wie Beatmung genötigt wurde. Eigentlich konnte mich auch niemand zwingen, denn Selbstschutz ist auch wichtig und Ekel eine natürliche Schutzfunktion, weswegen mich deshalb niemand verklagen konnte, wenn ich es nicht tat...
Ich schüttelte angewidert den Kopf. Egal was ich auch dachte, alles war irgendwie Ekel erregend: von abgestorbenen Fingern bis hin zu Beatmung.
Ich sollte mir echt weniger Gedanken über alles und jeden machen und einfach nur weiterlaufen. Wenn ich müde wurde, konnte er auch nicht viel weiter gekommen sein, erst recht wenn man Faktoren wie Müdigkeit und Kälte mitrechnet.
Ich wusste nicht wie lange ich gelaufen war. Die halbe Stadt musste ich schon durchquert haben. Denn langsam wurden die Abstände zwischen den Häusern größer und die Straßeb wurden unbelebter. Ich ging an einer verschneiten Landschaft vorbei. Eigentlich war es wunderschön. Ein perfekter Weihnachtstag. Aber nicht für uns.
Ich kam schließlich in ein kleines Dorf. Es war kaum bewohnt. In einem geschlossenen Gewerbegebiet stand eine leere Lagerhalle. Eine kleine Kirche gab es auch, auf dem Dorfplatz war ein mikriger Tannenbaum plaziert, denn klein und trostlos wirkte. Ich entdeckte eine Bank und setzte mich hin. Meine Beine taten weg und ich hatte langsam Seitenstechen. Ich nusste es mir eingestehen - was ich tat war sinnlos.
Es brachte nichts und ich würde Malfoy nie finden. Ich fühlte mich erschöpft und leer. Was, wenn er starb? So, wie ich es mir gewünscht hatte. Sowas hätte ich nichtmal aus Wut sagen dürfen. Wieso hatte ich mich nicht beherrschen sollen.
Ich, Oberstreberin der ganzen Jahrgangs, dachte immer nach, nur nicht, wenn es wirklich wichtig war. Wieso konnte ich nicht mein Gehirn einschalten, bevor ich redete. Was brachte es noch hier zu sitzen. Mein Blick schweifte über die Ruine der Lagerhalle. Sie war sicherlich einsturzgefährdet.
Aber was dachte ich hier über leerstehende Fabrikhallen nach?
Ich sollte mich auf den Rückweg machen, bevor ich die nächste Vermisste war. Nur noch ein wenig ausruhen, dann würde ich zurück gehen.
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