»There's a calm before the storm I know it's been comin' for some time«

Sebastian war anders als viele Menschen, doch er war in vielerlei Hinsicht ein Idiot. Außerdem konnte er nicht lügen. Das klappte vor allem nicht, wenn er es bei Jim versuchte.

„Schön", knurrte Jim, als er die Tür zu ihrem gemeinsamen Zimmer aufriss und nach einem endlosen, furchtbar langweiligen Schultag missgelaunt hineinstürzte. „Ich habe diese Trotzanfälle lang genug ertragen, Sebastian. Würdest du mir jetzt endlich einmal sagen, was zur Hölle los ist mit dir?"

Sebastian war bei Jims Auftritt vor Überraschung erstarrt, erwachte nun langsam jedoch wieder aus seiner Paralyse und legte die Blätter, die er in der Hand gehalten hatte, langsam zur Seite. Er sah Jim dabei nicht eine Sekunde in die Augen, sondern hielt den Blick auf seine Hände gesenkt, als müsste er diese ganz genau bei ihrer Arbeit beobachten. Als er schließlich doch zu Jim aufsah, ließ er seinen Blick schweifen, war unfokussiert, konzentrierte sich nie zu lang auf einen Punkt - er schaffte es nicht, Jim fest anzusehen und er schaffte es auch noch immer nicht, in seine Augen zu schauen. Und als er antwortete, kam diese Erwiderung bereits viel zu spät, als dass Sebastian auch nur in Erwägung ziehen könnte, dass Jim ihm seine Worte wirklich abnahm: „Ich weiß nicht, was du meinst. Es ist alles in Ordnung."

Jim musste sich ernsthaft zusammenreißen, seine Hände nicht um Sebastians Hals zu schließen und fest zuzudrücken; bis Sebastian nachgab oder erstickte. Wirklich, Jim hatte auch den kläglichen Rest seiner Geduld verloren. Er hatte genug Zeit dafür gehabt - Sebastian ging ihm seit über einer Woche aus dem Weg. Er sprach nur zu Jim, wenn es wirklich notwendig war, dachte sich immer neue Ausreden aus, damit sie nicht zu lang im selben Raum waren und wann immer Jim auch nur in seine Richtung sah, senkte er schnell den Kopf und tat so, als würde er den feurigen Blick nicht spüren, mit dem Jim versuchte, ihm Vernunft in sein unterlegenes Hirn zu brennen.

Ja, Jim hatte die Nase wirklich voll.

Und einzig der Gedanke, dass er Sebastian noch brauchte, und dass sein Gesicht nicht mehr ganz so hübsch anzusehen wäre, wäre er ganz rot angelaufen und die Adern in seinen blauen Augen geplatzt, hielt Jim davon ab, Sebastian wirklich einfach zu erwürgen.

Es war schwer, den Zorn, der in Jim brodelte, aus seiner Stimme zu filtern - an dem leichten Zittern konnte man es dennoch gut erkennen, obwohl Jim versuchte, möglichst leise und ruhig zu sprechen. „Für wie blöd hältst du mich eigentlich, Sebastian? »Es ist alles in Ordnung«? Wirklich?! Erwartest du, dass ich dir das glaube?"

Sebastian zuckte betont lässig mit den Schultern, legte sich endlich auf einen Punkt fest, auf den er sah: Jims Kinn. Jedenfalls vermutete dieser, dass es diese Stelle war, weil Sebastians Fokus ein wenig zu weit unten lag, um wirklich richtig auf seinem Gesicht zu liegen. „Ich erwarte gar nichts von dir, Jim. Wenn du mir nicht glaubst, ist das deine Sache. Aber ich sage die Wahrheit."

Jim stieß etwas aus, das irgendwo zwischen Lachen und Knurren lag. „Ohja, ich sehe, dass du die Wahrheit sagst", sagte er und trat kopfschüttelnd einen Schritt auf Sebastian zu, woraufhin der seinen Blick sogleich auf sein Bett richtete, auf dem er saß. „Du kannst mir nicht einmal in die Augen sehen, du verdammter Lügner! Aber das ist sicher ganz normal. Genauso normal, wie, dass du mich seit zehn verdammten Tagen ignorierst!"

„Tue ich gar nicht", protestierte Sebastian schwach, beobachtete seine Hände, wie sie sich in seine Bettdecke krallten und dann wieder losließen.

Jim wusste nicht einmal, ob das Wut oder bloße Frustration war, die ihn überkam. „Richtig. Dann habe ich wohl nur etwas falsch verstanden. Das tut mir natürlich sehr leid. Ich bin froh, dass wir darüber gesprochen haben."

Sebastian brummte zustimmend. Jim blieb weiterhin vor Sebastians Bett stehen und starrte auf ihn nieder. Eine Zeit lang ignorierte Sebastian dies einfach, knitterte konzentriert die Blätter in seinen Händen, ehe er erstarrte und sie plötzlich unter sein Kissen stopfte.

Jim runzelte verwirrt die Stirn, versuchte dann jedoch dieses seltsame Verhalten aufs Erste zu ignorieren.

Irgendwann, vermutlich als Sebastian bemerkte, dass Jim stur und nicht bereit war, die Sache fallen zu lassen, seufzte der Blonde. „Ich... Es ist nicht deine Schuld. Glaube ich. Nur... Ich habe viel, worüber ich zurzeit nachdenken muss und ich weiß immer noch nicht, was ich von all dem halten soll."

„Wovon?" Jim ließ die Arme, die er verschränkt gehalten hatte, langsam sinken, froh, dass Sebastian endlich eine vernünftige Antwort gab, aber verwirrt, was diese bedeuten sollte.

Sebastian ließ erneut ein Seufzen vernehmen. „Ich weiß nicht. Von allem. Einfach allem. Dass alles auseinander fällt. Dass Dad immer noch nicht versucht hat, mich irgendwie zu erreichen - nicht, dass mich das stört, es ist nur... seltsam. Und dann noch die Sache mit Willard. Ich habe in letzter Zeit viel mit ihm geredet und das hat auch nicht geholfen, sondern mir nur mehr den Kopf verdreht, weil er diese Idee hatte und sie wirklich schlecht ist, aber vielleicht das einzige, was ich wirklich will und-" Sebastian strich sich erschöpft über das Gesicht, „-und dann bist da noch du und ich weiß, dass ich mich wie ein vollkommenes Arschloch verhalte und du willst mir nur helfen, aber ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt Hilfe will, weil sich alles immer gegen mich wendet. Severin geht es auch nicht besser und niemand kann etwas dagegen tun und ich- Weißt du, es ist einfach zu viel. Ich kann nicht mehr. Ich-"

Sebastians Stimme war belegt, er suchte verzweifelt nach Worten, blickte zu Jim auf, der das verdächtige Schimmern sah, das über dem Blau von Sebastians Augen lag. Jim zögerte nicht lang, sondern beugte sich zu Sebastian und legte seine Lippen auf die des Anderen.

Sein Kuss wurde sofort erwidert - als wäre es genau das gewesen, was Sebastian gebraucht hätte. Jim war froh, dass Sebastian es ihm so leicht machte; bei jeder anderen Person musste er zunächst Worte finden, sie ausschmecken und proben, ehe er sich sicher war, dass er sie laut aussprechen konnte. Bei Sebastian hingegen konnte er so intuitiv handeln, wie es ihm überhaupt nur möglich war, und irgendwie schien es sogar das Richtige zu sein.

Als Sebastian versuchte, Jim näher an sich zu ziehen, stolperte dieser gegen die Bettkante und fiel halb auf seinen Freund, der sich dennoch nicht löste und Jim stattdessen auf seinen Schoß zog.

Nach einem gedankenverlorenen Moment der Ewigkeit lösten sie sich schließlich doch voneinander, auch, wenn Jim nicht sagen konnte, wer von ihnen den Kontakt brach, aber da er sowieso Sauerstoff benötigte, war es wohl egal.

Ein leises Lächeln hatte sich auf Sebastians Lippen gelegt. Er legte seine Stirn an Jims, seine Augen glücklicherweise nicht mehr so traurig wie zuvor - eher melancholisch wie immer. „Das habe ich vermisst", flüsterte Sebastian.

„Naja, ich war da. Du hättest nur auf mich zukommen müssen." Jim hoffte, dass Sebastian den Ärger darüber, dass Jim so lang von seinem Freund ignoriert worden war, nicht zu sehr heraushörte. Jim fiel es schwer, schnell zu vergeben.

„Ich weiß. Es tut mir leid." Sebastians warmer Atem prallte von Jims Wange ab und er bemerkte den Geruch von Zigarettenrauch, der von Sebastian ausging - vermutlich hatte der Blonde kurz zuvor noch im Zimmer geraucht, was Jim ihm nur erlaubt hatte, da er nicht so grausam war, dass er seinen Freund bei diesen Temperaturen nach draußen schickte, in der Gefahr, dass Sebastian ausrutschte oder erfror oder auf irgendeine andere Art und Weise starb; Jim kümmerte sich dann doch um Sebastian.

Aus der Kälte, die im Raum herrschte und die er ebenfalls erst jetzt bemerkte, schloss Jim, dass Sebastian sich an seine Voraussetzung gehalten und das Fenster beim Rauchen geöffnet hatte. Offenbar machte Wut nicht nur blind, sondern generell ignorant.

Genauso, wie Liebe angeblich blind und ignorant machte. Aber Jim war natürlich nicht verliebt. Er mochte Sebastian, das war alles.

Er wurde ruckartig aus seinen Gedanken gerissen, als Sebastian begann, seinen Kiefer entlang und hinunter zu seinen Hals zu küssen. Als Jim seine Arme um Sebastian schlang, lächelte er und seufzte ein drittes Mal. „Ich liebe dich", murmelte er gegen Jims Hals und da musste auch Jim lächeln. Allerdings sagte er nichts.

Er mochte Sebastian. Er brauchte ihn.

Das war alles.

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„Sebastian." Jim beugte sich über seinen Freund, der ruhig schlafend neben ihm lag - seine tiefen Atemzüge hallten in der Stille der Nacht beinahe gespenstisch wider. „Sebastian, wach auf. Wir müssen los."

Sebastian regte sich nicht. Ungeduldig stupste Jim ihm in die Seite, was ein Grummeln seitens Sebastian hervorrufte, den Blonden aber nicht dazu bewegte, aufzuwachen.

„Komm schon, Sebastian, wir haben nicht viel Zeit."

Sebastian murmelte etwas Unverständliches, dann sagte er ein wenig lauter: „Lass mich schlafen, Jim." Jim wusste nicht einmal, ob er während dieser Worte wach war oder ob er beim Schlafen sprach. Allerdings wusste er, dass er weder die Zeit noch die Geduld für so etwas hatte.

Ruckartig zog er die Decke von Sebastian, woraufhin dieser sich sofort zu einem Ball zusammenkrümmte und jammerte. Jim schnippste ihm genervt gegen die Schläfe. „Sei nicht so ein Baby."

Sebastian stöhnte, ehe er seine Glieder langsam zu entknoten begann und sich dann aufsetzte, die Augen nur halb offen und mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der Jim wohl in ein kleines Häuflein Asche verwandelt hätte, wäre er nicht durch Sebastians Müdigkeit verschleiert gewesen. „Ich hasse dich."

„Ist jetzt erst einmal egal." Jim griff neben sich und schmiss Sebastian die Jeans und das Hemd, welches er für ihn herausgesucht hatte, ins Gesicht, woraufhin Sebastian erneut einen unwilligen Laut von sich gab. „Zieh dich an und werd' wach; du musst gleich Autofahren."

„Ich... muss was?", nuschelte Sebastian, sein Shirt noch immer auf dem Gesicht.

„Autofahren. Es ist Donnerstag. Heute ist die Nacht."

„Welche Nacht?" Seufzend strich Sebastian sich die Klamotten doch noch von Kopf und Oberkörper und erhob sich, um in Zeitlupe in seine Hose zu schlüpfen.

Die Nacht", antwortete Jim, während er versuchte, nicht allzu ungeduldig zu sein, denn immerhin war Sebastian gerade erst aufgewacht und obwohl er geistlich etwas langsam unterwegs war, sah er dennoch irgendwie niedlich aus, wenn er so verschlafen war, was ihn wohl vor weiterem Antreiben zur Eile seitens Jim rettete.

Sebastian drehte sich halb zu Jim um, runzelte verwirrt die Stirn. „Welche- Oh."

Und da musste es ihm aufgegangen sein. Seine Züge versteinerten, er drehte sich wieder um und zog sich schweigsam fertig an. Jim beobachtete jede seiner Bewegungen.

Sebastian war angespannt - so viel konnte Jim aus seinen leicht angezogenen Schultern, dem durchgedrückten Kreuz und seinen ruckartigen Bewegungen, mit denen er seine Kleidung glatt strich, erkennen.

„Du erinnerst dich noch, was du im Krankenhaus gesagt hast?", fragte Jim sanft nach. Nicht, weil er das Gefühl hatte, dass Sebastian mit Samthandschuhen angefasst werden musste, sondern weil er ihn daran erinnern wollte, dass es Sebastian war, der das gewollt hatte. Obwohl er dies mittlerweile vergessen zu haben schien.

Als Sebastian sich weder zu ihm umwandte, noch ein Wort verlauten ließ, beantwortete Jim seine eigene Frage: „Du hast gesagt, dass du willst, dass er leidest. Dass du es nicht richtig findest, dass es ihm so gut geht, während Severin im Koma liegt."

Sebastian fuhr sich durch die Haare und drehte sich langsam zu Jim um, sah auf ihn hinunter, obwohl es Jim vorkam, als würde er eher zu ihm aufsehen - das war aufgrund des Größenunterschieds natürlich unmöglich. „Wieso weißt du das noch so genau? Es waren nur ein paar Sätze von vielen, die ich gesagt habe."

„Aber diese waren essenziell", sprach Jim, hielt Sebastians Blick mit seinem eigenen gefangen und dieser gab sich keine Mühe, ihm zu entkommen. „Du willst Gerechtigkeit, Sebastian. Und ich will dir helfen. Du wirst es nicht bereuen. Vertrau mir."

Für einen kurzen Moment flackerte Sebastians Blick zur Seite, ehe er sich wieder mit Jims kreuzte. Dann atmete der Blonde tief durch. „Okay. Ich vertraue dir."

Jim lächelte ihn an. Sebastian erwiderte dieses Lächeln nicht.

Doch er zog sich gefügig seine Jacke an, folgte Jim aus dem Zimmer und leise die dunklen Flure entlang, die Treppen hinunter, die normalerweise bei jedem Schritt ächzten, aber nicht in dieser Nacht, weil sie vorsichtig waren und ungehört bleiben wollten und weil diese Nacht so wichtig war und alles darauf hinausgelaufen war und weil es nicht an Treppen scheitern würde. Es würde gar nicht scheitern, weil Jim Moriarty einen Plan hatte und seine Pläne waren nichts, was einfach so fehlschlug.

Sebastian blieb auch stumm, als Jim ihm die gestohlenen Autoschlüssel in die Hand drückte und sie zielsicher zu dem alten Auto ihres neuen Sportlehrers führte und er hinterfragte nicht, woher Jim die Schlüssel hatte oder woher er wusste, dass die Alarmanlage sich manchmal ohne Grund beim Aufschließen des Wagens einschaltete, weshalb man das Auto erst noch einmal schließen und dann wieder öffnen musste.

Er steckte in aller Ruhe den Schlüssel ins Zündschloss und wartete ruhig ab, ob irgendwo im Lehrergebäude die Lichter angingen, als der Motor ein wenig zu laut in der Nacht widerhallte. Aber alles blieb still, so wie Sebastian.

Als sie über die verwaisten Straßen Richtung Stadt fuhren, hörte er Jim bedächtig zu, als der den groben Umriss seines Planes zu erklären begann. Nachdem Jim geendet hatte, ließ sich keine Regung auf Sebastians Gesicht ablesen, dafür zuckte sein Mundwinkel nach oben, als Jim ihm einen enthusiastischen Kuss auf die Wange drückte. Nur um sofort wieder nach unten zu wandern, als Jim sich wieder in seinen Sitz und gegen das Fenster lehnte.

Und aufgrund der heimlichen Blicke aus dem Augenwinkel und dem ernsten Ausdruck in dem Blau von Sebastians Augen, war es wohl wahrscheinlich, dass Sebastian bereits wusste, dass er es bereuen würde, Jim Moriarty jemals sein Vertrauen geschenkt zu haben.

»«

Ups, heute ist Freitag. Ich hätt's fast vergessen.

Und was soll ich groß sagen, Leute: Der letzte Akt ist angebrochen. Also, lehnt euch zurück, atmet tief durch und genießt die Show :D

LG
     TatzeTintenklecks

PS: Nächste Woche wird das Kapitel vermutlich verzögert kommen, weil ich in Spanien bin. Drückt mir die Daumen, dass ich auch wieder zurückkomme 'xD

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