»Some of them want to get used by you«
Sebastian schien genau zu wissen, wohin er ging. Jim hingegen durfte den Blonden im Dickicht nicht aus den Augen verlieren, da eben dieses sich dicht und lichtundurchlässig um sie schloss und er sich bereits nach wenigen Minuten, in denen er Sebastian blind folgte, sicher war, dass er allein nicht wieder zurückfinden würde.
Glücklicherweise schien Sebastian sich nicht darum zu sorgen, dass jemand ihm folgen könnte - er stapfte durch die lockere Erde und den Morast (hatte es heute geregnet?) und strich mit seinen Händen an der Rinde der Bäume entlang, als wäre er ein Blinder und könnte nur so den Pfad zurück ins Leben finden. Mal lief er eine Weile gerade aus, einfach in den Wald hinein, dann folgte er unsichtbaren Wegen nach rechts oder links, schien sich nur an den Bäumen, die für Jim alle gleich aussahen, zu orientieren. Jim hatte keinerlei Zweifel, dass Sebastian diesen Weg bereits oft gegangen war.
Der Dunkelhaarige hielt einige Meter Abstand, machte sich allerdings nicht die Mühe, sich zu verstecken - das würde sein Stolz nicht zulassen.
Nachdem sie ungefähr zehn Minuten durch den Wald marschiert waren, wurde der plötzlich lichter und Jims Zimmergenosse trat vor ihm auf eine kleine Lichtung. Auf eben jener stand ein morscher Unterstand mit einem Picknicktisch und zwei Bänken - alles sah aus, als würde es im nächsten Moment auseinander fallen und wirkte hier mitten im Wald mehr als nur fehl am Platz. Als Jim sah, dass jemand auf eine dieser Bänke saß und direkt in seine Richtung blickte, veränderte er seine Position doch und verharrte hinter einem dicken Baumstamm. Das war zwar ziemlich peinlich, aber er hatte das Gefühl, dass er nichts erfahren würde, wenn er gesehen werden würde.
„Du bist gekommen!", rief die andere Person unter dem Unterstand und Jim erkannte die Stimme sofort als die von Filip. Er hatte also Recht gehabt - was natürlich nicht überraschend war.
Allerdings hatte Jim Schwierigkeiten, ihn zu verstehen und das, obwohl Filip laut gerufen hatte - er musste näher heran.
So leise und unauffällig wie möglich trat Jim, nach einem kurzen absichernden Blick, hinter seinem Versteck hervor und schlich sich näher an die Lichtung. Das war gar nicht so einfach, weil Äste und Laub laut unter seinen Schuhen knackten und knirschten. Vorher hatte er sich keine Mühe geben müssen, leise zu laufen, weil Sebastian schwerer und größer und dadurch lauter als er war, aber nun war sein Zimmergenosse einige Meter vor dem Picknicktisch stehen geblieben und so waren seine Schritte die einzigen, die zwischen den Bäumen widerhallten.
Sebastian sagte etwas, das er nicht verstand. Verärgert, dass er etwas verpasst hatte, huschte er ein wenig schneller zu einem Baum, der direkt am Rande der Lichtung stand. Glücklicherweise sahen die Beiden, trotz der durch seine Eile verursachten Geräuschen, nicht zu Jim.
Sebastian lief näher an den Unterstand und setzte sich nach einer Sekunde des Zögerns gegenüber von Filip. „Wieso sollte ich kommen?", fragte er und Jim war erleichtert, dass er ihn einigermaßen verstand, da er kein besseres Versteck mehr entdecken konnte.
„Immer fällst du gleich mit der Tür ins Haus. Wie wäre es zunächst mit einem »Wie geht es dir«"?, antwortete Filip und verschränkte die Arme. Jim konnte Sebastians Gesicht von seiner Position aus nicht sehen, aber er schien ziemlich verstimmt und angespannt zu sein.
„Wieso sollte ich kommen, Filip?", presste er hervor und blickte sich einmal unruhig um, sodass Jim sich einen Moment mit dem Rücken an den Baum lehnte. Dann siegte jedoch wieder die Neugier und er linste hinter dem Stamm hervor.
„Es ist so", begann Filip und lehnte sich wieder näher zu Sebastian. Er legte seine Hände auf den Tisch und verschränkte sie miteinander, als wolle er Sebastian sogleich einen Autovertrag andrehen. „Wir beide wissen, was damals passiert ist. Du hast es niemals offen zugegeben, aber ich weiß, dass ich wegen dir in den Knast musste."
Sebastian schien darauf zu warten, dass sein Gegenüber weitersprach, aber Filip sagte nichts mehr und so zog sich die Stille eine Weile. „Was soll ich dazu sagen, Filip?", brach Sebastian schließlich das Schweigen und seine Stimme war so leise, dass Jim ihn kaum verstand. „Ich wollte dir nur helfen. Aber jetzt will ich nur noch, dass du mich endlich in Ruhe lässt."
Filip lachte laut auf und Jim sah, wie Sebastian zusammen zuckte. Vielleicht, weil das Lachen ein wenig hysterisch klang. „Du willst, dass ich dich in Ruhe lasse?", rief er laut und stemmte sich mit seinen Fäusten auf. „Ich will dir etwas erzählen, Basti." Er spuckte diesen Spitznamen geradezu aus und Jim wusste bereits, dass das hier keineswegs gut enden würde.
Was sollte er tun, wenn die Situation eskalierte?
Doch im Moment würde er sich nicht einmischen. Und außerdem hatte er Sebastian noch keine Chance gegeben, selbst zu entscheiden und er musste sehen, wie dieser in solchen Fällen reagierte.
„...den Hinweis gegeben hast, bin ich zu anonymen Treffen gegangen. Ich war auf dem besten Weg, von mir aus clean zu werden." Jim hatte den Anfang von Filips Dialog verpasst. Der Junge, der noch hellere Haare als Sebastian besaß, lief erregt auf und ab, während Sebastian wie ein gescholtener Schuljunge auf der Bank saß und ihn keine Sekunde aus den Augen ließ. „Du hast es ja nicht mitbekommen, weil du - der großartige Junge, der du eben bist - schon vorher ausgestiegen bist. Aber ich bin nicht einmal mehr zu unseren Treffen hierher gekommen. Ich hatte mich fast losgesagt. Und dann", er machte eine Kunstpause und drehte sich zu Sebastian „dann warst du der Meinung, unbedingt zur Polizei gehen zu müssen und mich zu verpfeifen, du elender Bastard." Filips harte Worte waren hinter einer lächelnden Maske verborgen. Jim wurde plötzlich bewusst, dass dieser junge Mann zu allem fähig sein könnte - er sah es ihm einfach an.
Sebastian stand ebenfalls langsam auf - noch immer stand er mit dem Rücken zu Jim. „Ich wusste nicht, dass du versucht hast, deine Sucht zu bekämpfen, Filip", sagte er vorsichtig. Zwar klang er unsicher und fast ein wenig ängstlich, doch sein Stand war fest und sein Oberkörper stramm. Er stand da wie ein Soldat, bereit für den Kampf. „Aber du verdrehst da ein paar Sachen ganz schön. Zum Beispiel, dass du Drogen an Dreizehnjährige verkauft hast und als ich dich gebeten habe, mit der ganzen Sache aufzuhören, hast du mich zur Hölle gewünscht und mir eine verpasst."
„Als hättest du es nicht verdient!", fauchte Filip. Sebastian ballte die Fäuste. „Du hattest es nämlich verdient! Du und dein Scheiß perfektes Leben! Irgendjemand musste dich ja mal von deiner rosa Wolke herunterholen!"
Sebastian sprang hinter der Bank hervor und packte Filip am Kragen. Er handelte so schnell, dass selbst Jim, der alles von Außen beobachtete, nicht richtig mitbekam, wie er zu Filip gelangte. „Ich habe ein perfektes Leben, ja?", zischte Sebastian und Jim konnte ihn nur hören, weil der Zorn seine Stimme lauter werden ließ und die Worte auf der Lichtung widerzuhallen schienen. „Du hast meinen Vater kennengelernt. Du weißt, wie es Zuhause war. Du hast mich gekannt wie kein Anderer, abgesehen von Cat. Und du sagst wirklich, mich hätte jemand belehren müssen. Und dann auch noch du?"
Sebastian war kleiner als Filip, aber in diesem Moment, in dem Sebastian über seinen ehemaligen Freund herfiel wie ein Tiger - da schrumpfte der Ältere unter seinen Blicken zusammen. Jim saugte diesen Anblick begierig in sich auf und trat sogar ein wenig hinter seinem Versteck hervor, um dem Geschehen besser folgen zu können. Doch die Beiden waren so aufeinander fixiert, dass sie ihn ohnehin nicht bemerkten.
„Lass mich los, Sebastian. Oder du wirst erleben, wie ich zuschlage, wenn ich dir wirklich etwas antun möchte." Sie standen sich so nah, dass ihre Nasen sich beinahe berührten und Sebastian hielt weiterhin den Kragen der Strickjacke von Filip gepackt.
„Möchtest du das denn?", fragte Sebastian und lachte. Doch dann ließ er ihn los und setzte sich wieder. Er überschlug die Beine und blickte Filip nicht an. „Lass uns das hier zu Ende bringen, ich habe nämlich Besseres zu tun."
Filip strich sich die Falten auf seiner Kleidung glatt, trat wieder näher an den Tisch, machte allerdings keine Anstalten, sich zu setzen. „Ich will, dass du verschwindest, Basti." Wieder dieses aufgesetzte Lächeln.
Jim zog überrascht die Augenbrauen hoch. Wieso sollte Sebastian verschwinden? Als würde er zulassen, dass Sebastian weg ging und die Langeweile ihn dann endgültig einholte.
„Wieso sollte ich gehen?", fragte Sebastian. Er saß so locker und entspannt auf der Bank, als hätte er diesen Wutausbruch eben gebraucht, um wieder er selbst zu sein.
„Weil ich dich hier nicht haben will. Weil ich kotzen möchte, wann immer ich dich sehe. Und weil du Schuld daran bist, dass ich drei Monate im Knast verschwendet habe. Die übrigens echt Scheiße waren. Sind das genügend Gründe für dich?"
Sebastian schüttelte scheinbar fassungslos den Kopf. „Nein, sind es nicht. Und außerdem muss ich bleiben, weil ich hier nämlich zur Schule gehe. Also, wenn du nur mit mir reden wolltest, weil du willst, dass ich abhaue, wo das überhaupt keine Option darstellt, hättest du dir das auch sparen können. Ich werde jetzt gehen, weil ich dein Gesicht keine Sekunde länger ertragen..."
Er wurde von Filips wütendem Aufschrei unterbrochen und dieses Mal sah Jim den Angriff sehr wohl kommen. Sebastian auch. Kurz bevor Filip sich auf ihn stürzte, holte er mit der Faust aus und mit einem hässlichen Knacken landete sie auf Filips Nase. Jim musste sich eine Hand vor den Mund halten, als plötzlich Gelächter in ihm aufsteigen wollte. Das hier war noch grandioser als erwartet!
Filip jaulte wie ein getretener Hund und drückte sich die Hand gegen die Nase, während er geschockt zurück taumelte. „Hast du sie noch alle?", rief er mit einer Stimme, die sicherlich drei Okataven höher und seltsam weinerlich war.
Sebastian schüttelte seine Hand aus. „Das sagst du?! Du bist doch auf mich losgegangen!" Jetzt schien er ganz und gar nicht mehr ruhig - eher, als würde er Filip gleich erneut an die Kehle gehen.
„Na und? Ich wollte dir ja nicht deine verdammte Nase brechen!" Filip kniff schmerzerfüllt die Augen zusammen und nahm dann langsam seine Hand herunter. Bei dem Anblick des violetten, geschwollenen Riechorgans in seinem Gesicht, aus dem unablässig Blut strömte, überkam Jim ein seltsames Gefühl der Genugtuung. Das hatte Sebastian gut gemacht.
„Stimmt. Du hättest mir wohl lieber das Genick gebrochen", spuckte Sebastian ihm entgegen. Jim konnte nicht fassen, dass ihn noch immer niemand bemerkt hatte - er bemerkte erst jetzt, dass er immer näher getreten war und nun schon fast auf der Lichtung stand.
„Das hätte ja zu deinen kleinen Briefchen gepasst", fuhr Sebastian fort. Ein grässlich verzogenes Grinsen breitete sich auf Filips missgestaltetes Gesicht aus. „Du erinnerst dich doch? Die Briefe, die du aus dem Gefängnis oder aus dem Entzug oder was weiß ich, wann, geschrieben hast. In denen du mir und Cat und meiner Familie immer wieder gedroht hast. Du kannst froh sein, dass mein Dad so ein Arschloch ist, sonst würdest du nämlich, wenn es nach mir ginge, noch viel länger im Knast hocken!"
„Gott, du warst schon immer so melodramatisch, Basti!" Mittlerweile klang dieser Spitzname wie eine Beleidigung. Jim war von Anfang an kein großer Fan von Filip gewesen - als er noch so getan hatte, als wolle er nur ein wenig mit seinen alten Kumpels bowlen. Als er gute Miene zum bösen Spiel gemacht hatte. Aber jetzt konnte er behaupten, dass er diesen jungen Mann noch weniger ausstehen konnte als Mr Feargus oder Carl Powers oder diese Kassiererin, die ihn zum Filialleiter geschickt hatte, weil er angeblich geklaut hatte. (Ja, er hatte geklaut, aber das hatte sie überhaupt nicht mitbekommen. Sie hatte nur etwas gegen ihn, weil Jim ihr erklärt hatte, wie er auf die Idee kam, dass sie ihren Mann mit dem Azubi betrog.)
Normalerweise hatten die Gründe, wieso er andere Menschen nicht leiden konnte, immer etwas mit ihm selbst zu tun. Vielleicht waren sie ihm zu laut, meistens zu schwach und noch öfter zu dumm. Aber bei Filip war es etwas Anderes. Der Typ ging ihm gegen den Strich, weil er Sebastian vertreiben wollte, obwohl Jim ihn hier behalten wollte. Weil er so respektlos und aufbrausend war. Und weil Jim sich nicht sicher war, was er als Nächstes tun würde - was ihm nicht gefiel, weil er dies sonst immer wusste. Er kannte sich gut mit Menschen aus - damit waren ihre Anatomie und die chemischen Effekte in ihren Hirnen, die Gefühle und sonstigen Mist auslösten, gemeint. Jim wusste genau, an welchem Faden er ziehen musste, damit die Menschen um ihn herum für ihn tanzten. Aber Filip schien so... unberechenbar. Irgendwie war er also eine Gefahr für Jim. Er musste weg, nicht Sebastian.
„Ich schlage dir vor, dass du jetzt gehst", sagte Sebastian und Jim bemerkte, dass er erneut einen Teil der Konversation verpasst hatte. Verärgert kniff er die Augen zusammen.
„Ich gehe erst, wenn du geschworen hast, dass du dich hier nicht mehr blicken lässt und deine hässliche Fratze aus meinen Angelegenheiten hältst."
„Ich hatte nie vor, mich irgendwie einzumischen!", rief Sebastian und klang schon beinahe verzweifelt. „Ich wusste nicht einmal, dass du wieder in der Stadt bist! Und ich habe dir schon erklärt, dass ich hier nicht weg kann, selbst, wenn ich wollte. Und das will ich. Aber ich kann auch nirgendwo anders hin, zumal ich keine Lust habe, mir von einem Arschloch wie dir etwas vorschreiben zu lassen."
„Wie hast du mich genannt?" Filip bleckte die Zähne, die ungewöhnlich weiß erschienen, weil seine Lippen und sein Kinn mit Blut verschmiert waren.
„Lass mich einfach in Ruhe, Filip", sagte Sebastian und wollte sich schon umdrehen, da packte der Andere ihn am Arm und zerrte ihn näher zu sich.
„Wie hast du mich gerade genannt?!", brüllte Filip.
Der hat sie echt nicht mehr alle, dachte Jim. Und gleichzeitig überlegte er, ob es Zeit wäre, einzuschreiten.
„Ich habe dich ein Arschloch genannt", antwortete Sebastian ungerührt. „Aber ich denke, verlogener Bastard passt noch besser."
Ja, dachte Jim und verdrehte die Augen. Jetzt sollte ich dazwischen gehen.
Bevor Filip noch einmal auf Sebastian losgehen konnte - was er ziemlich offensichtlich vorhatte - trat Jim vollständig auf die Lichtung und schlenderte in ihre Richtung.
Filip, der in seine Richtung sah, bemerkte ihn zuerst, erstarrte in der Bewegung und riss die Augen auf.
„Hey, Jungs", sagte Jim lässig, „Schönes Wetter heute Abend, nicht wahr? Ein wenig schwül, der Geruch nach Regen in der Luft. Macht ihr auch gerade einen gemütlichen Spaziergang durch den Wald?"
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Blääh, ich werde mir wohl einen Wecker stellen müssen, damit die Kapitel pünktlicher kommen. Aber hey! Noch ist es Freitag, also habe ich unsere heutige Verabredung nicht vergessen 😝
Was haltet ihr von dem Kapitel? Sieht ja aus, als hätten wir nun einen richtigen Psychopathen im Buch ;)
Leider weiß ich nicht, wie ich euch noch weiter nerven kann. Deshalb wünsche ich euch hiermit schöne Ferien/ Festtage/ Tage im Allgemeinen. ❤
Bis zum nächsten Mal!
LG
TatzeTintenklecks
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