»Silence like a cancer grows«

Ächzend hievte der Junge sich hoch und enthüllte strohblonde Haare, die in alle Richtungen abstanden. Er war ungefähr in Jims Alter, vielleicht ein wenig älter. „Ich wohne hier. Genauso wie du offenbar." Sein unerwünschter Zimmergenosse streckte die Hand aus. „Hi, ich bin Sebastian."

Jim ignorierte die ausgestreckte Hand und lief, den Koffer hinter sich her schleifend, zu seinem Bett. Sebastian ließ die Hand irritiert wieder sinken und stützte sich auf seine Ellenbogen. Er beobachtete eine ganze Weile wie Jim versuchte, seinen Koffer unter sein Bett zu schieben. Dann sagte er: „Da passt nichts drunter, hab ich schon versucht. Ich habe meinen Koffer in meinen Schrank gestellt, solltest du auch machen. Was machst du eigentlich hier? Ich dachte, der Rest dieser Schnösel kommt erst morgen?"

„Ich bin kein Schnösel", grunzte Jim angestrengt, weiterhin dabei den Koffer in den viel zu kleinen Zwischenraum unter dem Bett zu quetschen. Natürlich wusste er, dass das nicht funktionieren konnte, aber schon allein, weil dieser Sebastian das auch gesagt hatte, wollte er es weiter versuchen.

„Ich finde du siehst schon irgendwie schnöselig aus", plapperte Sebastian weiter und schwang jetzt die Beine aus dem Bett. Er durchquerte den Raum (vier Schritte genügten hierfür) und schob Jim ein Stück zur Seite. „He!", protestierte dieser wütend, als der blonde Junge seinen Koffer nahm und dann die kurze Strecke zum Schrank schleppte, der am Fußende des Bettes an der Wand stand. Sebastian öffnete ihn und stellte den Koffer hinein. Dann drehte er sich zu Jim um, als erwarte er seinen Dank.

Darauf konnte er lange warten.

„Das hätte ich auch allein geschafft", knurrte Jim und ließ sich auf sein, noch unbezogenes, Bett (bei dem Geld, was seine Eltern in das Internat investierten, hätten die ja wenigstens sein Bett beziehen können) plumsen.

„Du bist wohl nicht so der Typ, der Freundschaftsbändchen bastelt", stellte Sebastian fest und setzte sich doch tatsächlich direkt neben ihn auf sein Bett.

„Wenn ich Freunde habe, sage ich dir Bescheid", murrte Jim und rückte ein Stück von Sebastian ab. Dann bemerkte er, wie blöd diese Aussage klang und verzog das Gesicht.

Sebastian schien diese Grimasse allerdings so aufzufassen, als würde Jim gern an der Tatsache, dass er keine Freunde hatte, etwas ändern wollen. „Ich könnte dein Freund sein", grinste er und sah auf Jim hinunter. Dass der Blonde so groß war, fiel Jim erst jetzt auf und sofort fand er seinen Zimmergenossen noch nerviger.

„Nein."

„Wie nein?", fragte Sebastian verwirrt und Jim verzog ob seiner Dummheit erneut das Gesicht.

„Ich will keine Freunde. Weder dich noch sonst irgendwen. Und glaub mir, mich willst du auch gar nicht als Freund."

Sebastian zuckte mit den Schultern. „Irgendwie will ich das doch. Weißt du, ich bin schon seit einem Jahr hier und habe noch niemanden gefunden, mit dem ich mich unterhalten kann. Das hier sind alles Idioten. Und du scheinst mir nicht wie einer."

Du scheinst mir aber wie einer!", schnappte Jim gehässig.

Sebastians Augenbrauen schossen in die Höhe. „Schon gut, du willst scheinbar nicht reden", er zuckte mit den Schultern und hob ergeben die Hände. „Dann rede ich eben morgen weiter mit dir."

„Das kannst du auch gern lassen. Runter von meinem Bett."

Sebastian stand langsam auf und musterte Jim von oben bis unten, was diesem gar nicht gefiel - als würde Sebastian von oben auf ihn hinab schauen. „Wir müssen miteinander klar kommen, das weißt du, oder? Wir wohnen jetzt das ganze Jahr zusammen."

„Ich kriege dich schon aus meinem Zimmer raus", grummelte Jim und meinte das todernst; er war sich mehr als sicher, dass, wenn er es so wollte, Sebastian innerhalb von zwei Tagen seinen Koffer gepackt haben würde.

Theoretisch war ich aber als erstes hier", erklärte der Blonde und verschränkte die Arme.

Jim imitierte seine Haltung. „Weißt du was, du kannst gern mit mir reden. Aber erst, wenn du dich wie ein Erwachsener artikulieren kannst."

„Ich muss mich nicht wie ein Erwachsener artikulieren, ich bin nämlich noch keiner."

„Tja, aber du benimmst dich wie ein Kleinkind."

„Sagte der Junge, der mir noch immer nicht seinen Namen verraten und mich von seinem Bett verscheucht hat."

„Man setzt sich auch nicht einfach auf das Bett anderer", erklärte Jim und schüttelte genervt den Kopf. „Und meinen Namen verrate ich dir nicht, weil ich dich nicht mag."

„Achja?", fragte Sebastian, dessen Gesichtszüge sich verdüstert hatten. „Ich mag dich auch nicht sonderlich."

„Eben hast du noch darum gebettelt, mein Freund zu sein."

„Tja, da wusste ich aber noch nicht, was für ein Bastard du bist", spuckte Sebastian ihm entgegen, warf sich auf sein Bett und legte die Decke wieder über sich.

„Das hat mich jetzt aber verletzt", spottete Jim. Sebastian antwortete nicht. Jim rümpfte die Nase und besah sich sein unbezogenes Bett. Vielleicht hätte er netter zu Sebastian sein sollen - dann hätte er es vielleicht bezogen. Aber er hatte im Moment nicht sonderlich große Lust, nett zu sein. Hätte er gewusst, dass er sich sein Zimmer mit einem fremden Idioten teilen müsste, wäre er nie ins Auto gestiegen!

Eine ganze Weile lang war es still im Raum. Jim glaubte, Sebastian wäre eingeschlafen. Und da er seine Wut nun nicht mehr an ihn auslassen konnte (er könnte ihm allerdings sein Kissen aufs Gesicht drücken und schauen, was passiert), suchte er eine andere Beschäftigung.

Die naheliegendste Aufgabe wäre natürlich die gewesen, sein Bett herzurichten. Aber dazu hatte er keine Lust. Also öffnete er noch einmal den Schrank am Fußende des Bettes, indem Sebastian seinen Koffer gestellt hatte und zog ihn hinaus, sodass er laut auf dem Boden krachte. Aus dem Augenwinkel sah er Sebastian zusammen zucken und hatte sofort bessere Laune.

Leise summend öffnete er den Koffer und packte seine Mitbringsel aus. Er hatte viele Bücher mitgenommen, denn die Schule war mitten im Nirgendwo und so war ihm klar gewesen, dass er nicht sonderlich viel zu tun haben würde. Außerdem hatte er den Chemie-Baukasten, den er sich letztes Jahr gekauft hatte, mitgenommen. (Er hatte das Fahrrad, das seine Eltern ihm eigentlich geschenkt hatten, verkauft und sich den Kasten dann selbst ausgesucht.) (Es war keiner dieser Kinder-Lernspielzeuge, sondern ein richtiger kleiner Koffer mit Ampullen und Reagenzgläsern und Säuren, die allein zwar nicht übermäßig gefährlich waren, durch Jims Wissen aber ganz praktisch sein konnten.)

„Was hast du da?", fragte eine Stimme direkt hinter ihm und Jim schreckte zusammen. Er hatte nicht bemerkt, wie Sebastian aus dem Bett gestiegen war und nun über seine Schulter linste.

„Meine Sammlung von Giften, die ich bei Menschen ausprobiere, die mir auf die Nerven gehen. Besonders meine Zimmergenossen sind gefährdet, also halt die Klappe", sagte Jim gereizt und klappte den Koffer dann zu, ehe er ihn unters Bett schob (wenigstens passte der darunter).

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass sowas hier nicht erlaubt ist", sprach Sebastian weiter.

„Sag mir Bescheid, wenn du dir ganz sicher bist."

„Ich bin mir ganz sicher", knurrte Sebastian, der von Jim scheinbar genauso genervt war wie der von ihm.

Jim hob nur die Schultern. „Und wenn schon. Außerdem glaube ich, dass Messer hier auch nicht erlaubt sind. Und dennoch hast du eines."

Sebastians Augen weiteten sich kurz. „Woher weißt du das?", fragte er misstrauisch.

Jim drehte sich jetzt erst zu dem Blonden um und unterzog ihn ebenso einer gründlichen Musterung wie Sebastian es zuvor bei ihm getan hatte.

Sebastian war groß und blond und muskulös. Er hatte markante Gesichtszüge und Augen, die selbst dann noch ernst schauten, wenn er lächelte (allerdings schien Sebastian ihn nicht allzu bald noch einmal anlächeln zu wollen). Jims Zimmergenosse trug ein verwaschenes schwarzes T-Shirt und Jeans und das obwohl er im Bett gelegen hatte, als Jim gekommen war.
Und er stand aufrecht und stolz, als wäre er es gewohnt, sich gegen Andere aufzulehnen.

„Hör auf, mich so anzustarren!", fuhr Sebastian ihn plötzlich an und riss ihn so aus seinen Gedanken. „Das ist echt gruselig... Woher wusstest du von dem Messer?"

Jim grinste schief und wandte sich wieder dem Auspacken seiner Sachen zu. „Vermutlich siehst du einfach aus, wie einer, der ein Messer besitzt. Außerdem solltest du es nicht auf deinen Schreibtisch legen, wenn du nicht willst, dass jemand es sieht", sagte er über seine Schulter hinweg.

Sebastian drehte sich um und fluchte. Er ging zu dem hellen Schreibtisch aus Holz und steckte das zusammengeklappte Springmesser, welches dort lag, in seine Hosentasche, was vermutlich nicht der geeigneteste Ort war, um ein Messer auszubewahren. Dann wirbelte der blonde Junge zu Jim herum, der ihn wieder ansah. Sebastian blickte ihn beinahe flehentlich an. „Bitte sag niemanden was davon. Ich brauche es nur, um..." Er suchte nach Worten, aber Jim wank uninteressiert ab.

„Ist mir egal, was du damit machst. Und wenn du jemanden abstichst - nicht mein Problem."

Sebastian starrte ihn an. „Wenn man bedenkt, dass wir Beide im selben Zimmer wohnen, solltest du da dann nicht etwas besorgter sein, dass ich dich im Schlaf abstechen könnte?"

Jim schnaubte. „Versuch's ruhig. Dann darf ich aber auch versuchen, dich zu vergiften."

Sebastian runzelte die Stirn und schien zu überlegen. „Das ist doch kindisch", erklärte er schließlich und blickte Jim durchdringend an. Dieser sah ihn fragend an. „Willst du mir nicht endlich sagen, wie du heißt?"

„Wenn du das so sagst, klingt es so, als hättest du mich schon danach gefragt."

„Habe ich doch."

„Nein. Hast du nicht."

Sebastian schien eine Weile zu überlegen und verzog dann das Gesicht. „Aber ich habe mich vorgestellt. Normalerweise stellt der Andere sich selbst dann auch vor."

„Da hatte ich aber keine Lust drauf."

„Hast du jetzt Lust?"

„Nein."

„Komm schon!", jammerte Sebastian und ließ sich im Schneidersitz neben ihm nieder. „Wie heißt du?"

Jim rückte ein Stück von ihm ab. „Du nervst."

„Wie heißt du?"

Jim seufzte tief und ließ die Schultern sinken. „Jim", grummelte er. „Nenn' mich einfach Jim."

„Der Name passt", befand Sebastian und musterte Jim fachkundig, ehe er zufrieden nickte. „Ja, Jim passt zu dir. Du bist so klein und blass und... jimmisch."

„Oh, Gott. Bitte sag, dass du das gerade nicht gesagt hast", stöhnte Jim und vergrub das Gesicht in den Händen. Konnte dieser Junge noch blöder sein?

„Nur ein Scherz!", lachte Sebastian, der wieder bester Laune zu sein schien. „Ich meinte eigentlich nur, dass der Name passt, weil du so niedlich und lieb aussiehst und dann machst du den Mund auf und man möchte dich einfach nur erwürgen." Er lachte wieder und warf dabei den Kopf in den Nacken.

Jim wirbelte zu ihm herum. „Ich sehe niedlich aus?! Hast du sie noch alle?", fauchte er, woraufhin Sebastian noch heftiger zu lachen anfing. Jim würde ihm am liebsten an die Gurgel springen. Gerade als er diesen Wunsch in die Tat umsetzen wollte, sprach Sebastian wieder: „Schon gut, ich nehme es zurück! Wenn du mich so anstarrst, siehst du nicht wirklich niedlich aus. Eher wie ein Serienkiller!" Er lachte noch einmal und Jim schüttelte fassungslos den Kopf ob dieses primitiven Verhaltens. „Außerdem meinte ich damit, dass du irgendwie wie ein lieber, kleiner Bruder aussiehst."

Jim schnaubte beleidigt. „Ich bin vermutlich genauso alt wie du. Mal abgesehen davon, dass ich ein kleiner Bruder bin." Er biss sich auf die Zunge - jetzt hatte er schon wieder mehr gesagt, als er wollte.

„Du hast einen Bruder? Geht er auch hier auf die Schule?"

„Er war der Idiot, der die Tür so aufgerissen hat", antwortete Jim bevor er sich stoppen konnte. Wieso erzähle ich ihm das?!

Dabei wusste er, wieso. Und es gefiel ihm gar nicht. Sebastian war nervig und ein Trottel - um das festzustellen, hatte er keine zehn Sekunden gebraucht - aber er ließ sich auch nicht so leicht unterkriegen. Und das gefiel Jim. Er war es gewohnt, dass man ihn in Ruhe ließ, sobald er einmal den Mund aufmachte. Aber Sebastian ließ nicht locker und das war nervig, aber auch ganz unterhaltsam - es gab kaum Jemanden, der Jim etwas entgegen zu setzen hatte.

„Wie heißt dein Bruder? Ist er auch so vorlaut wie du?"

„Ich bin nicht vorlaut, sondern in der Lage meine Gedanken auszusprechen, ohne gleich ein schlechtes Gewissen zu bekommen, wie die ganzen Feiglinge da draußen."

Sebastian blickte ihn interessiert von der Seite an - sie saßen noch immer auf dem Boden und so langsam tat Jim der Hintern weh. Er hatte schon auf der Fahrt hierher genug gesessen. Also sprang er auf und schnappte sich eines der Bücher, die er auf einen Stapel auf sein Bett gelegt hatte.

„Wo gehst du hin?", fragte Sebastian und erhob sich ebenfalls. Er überragte Jim um einen halben Kopf.

„Ich weiß nicht", gab Jim zu und stopfte sich die Kopfhörer, die er noch um seinen Hals hängen gehabt hatte, in seine Hosentasche. „Vielleicht räume ich den Kiosk leer."

„Der ist noch gar nicht gefüllt", erklärte Sebastian amüsiert. Er fuhr sich mit einer Hand durch das Haar, das ihm noch immer in alle Richtungen abstand. „Aber du solltest auf jeden Fall in die Bibliothek. Dort gibt es so einen Platz, hinten rechts am Fenster, von dem kannst du das ganze Geländer überblicken. Es ist wirklich schön. Wenn du willst, kann ich es dir zeigen."

„Ich finde schon selbst hin", entgegnete Jim und verließ das Zimmer, ehe Sebastian noch etwas sagen konnte. Bevor er die Tür schloss, meinte er den enttäuschten Gesichtsausdruck Sebastians zu sehen.

Hoffentlich denkt er jetzt nicht, wir könnten doch noch Freunde werden. Das wird nämlich niemals passieren.

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Hey, Leute!
Ich melde mich zurück mit dem zweiten Kapitel. Wie gefällt es euch denn bisher? Wie ist euer erster Eindruck von Jim und den Anderen?
Bevor ihr fragt: ja, die Kapitel werden leider immer so kurz sein. Das liegt einfach daran, dass ich es viel schwieriger finde, Inspiration für lange Kapitel als für solch kurze Kapitel aufzubringen. Und bevor ihr drei Wochen auf ein fünftausend Wörter Kapitel warten müsst, veröffentliche ich lieber zweimal pro Woche ein zweitausend Wort Kapitel.
Zu meinem Update-Plan: Ihr könnt gern darüber abstimmen, wann ihr die Kapitel haben wollt. Ich überlege, ob ich meinen Plan, mittwochs und freitags zu updaten, ändere und dann immer montags und z.B. samstags ein Kapitel hochlade. Das liegt allerdings in eurem Ermessen.

Okay, das war es erst einmal von mir. Ich bin offen für Kritik und Verbesserungsvorschläge und freue mich über jeden Kommentar und Vote. ;)

Bis dann!

LG
     TatzeTintenklecks

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