»Sicker than the rest, there is no test«
Jim war froh, dass er nicht Sebastians Leben leben musste. Es gab einfach Dinge, die er auf Dauer nicht ertragen würde. Wie Severin. Oder Augustus. Oder Willard. Oder sonst irgendwen, der ihm nahe stand. Denn während Augustus ihn weiter beobachtete, wenn er dachte, Jim würde es nicht bemerken, klammerte Severin sich förmlich an seinen Bruder. So kam es auch, dass Jim am Ende am Kopf des Tisches saß, Severin und Sebastian saßen rechts von ihm und die beiden erwachsenen Männer links. Jim verstand nicht so recht, wieso Willard ebenfalls mitgekommen war, aber vielleicht hatte er sich auch selbst eingeladen. Denn so wirkte Mr Wallace; als würde er sich, wenn er von einer Veranstaltung erfuhr, zu der er nicht eingeladen war, denken: Vermutlich soll ich dennoch kommen!
Jim wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Das Restaurant war vornehm und alle Menschen waren geschmückt und er trug eine schwarze Hose und einen ebenso dunklen Pullover, weil Sebastian ihn nicht vorgewarnt hatte, dass hier scheinbar ein Ballkönig und eine Ballkönigin gewählt wurden. Dabei war es wichtig, dass die Menschen einen guten Eindruck von Jim bekamen. Und ihn nicht anstarrten, als wäre er ein Haar in ihrer überteuerten Suppe. Das konnte Jim nicht ausstehen.
„Sir, wollen Sie ebenfalls bestellen?", fragte ein höflicher Kellner und Jim bemerkte, dass er bereits seit geraumer Zeit auf die Karte starrte - indes hatten die Anderen offenbar schon ihre Bestellung aufgegeben.
Er nickte langsam und suchte sich dann die teuerste Speise auf der Seite, auf der er gerade war, heraus, weil er irgendwem eins auswischen wollte, dafür, dass er sich hier so unwohl fühlte. Doch da vermutlich Augustus Moran das Essen bezahlen würde, würde dies wohl niemandem sonderlich nahe gehen - immerhin schien die Familie genügend Geld zu besitzen.
„Gut, vielen Dank, ich werde Ihnen das Essen so schnell wie möglich bringen", sagte der Kellner, nachdem auch Jim bestellt hatte. Dann zog er von dannen und ließ den Dunkelhaarigen an einem Tisch mit einer Kombination von Menschentypen zurück, die er an diesem Abend hoffentlich noch zu ertragen lernen würde. Sonst würde es wirklich ungemütlich werden. Für ihn und alle Anderen.
„Wie ist das neue Schuljahr bisher so?", fragte Willard nach einer Weile, in der sie alle geschwiegen hatten. Jim zog eine Grimasse, die vermutlich nur Augustus Moran bemerkte, da dieser ihn weiterhin nicht aus den Augen ließ. Vielleicht auch Sebastian, weil er immer wieder zu ihm herüber schielte, als wolle er darauf achten, dass Jim nicht im nächsten Moment unter dem Tisch Deckung suchte und sich weigerte hervorzukommen. Jim warf einen prüfenden Blick an der Tischdecke vorbei zum Fußbereich, wo Hulk saß und ihn schon seit geraumer Zeit, ohne zu blinzeln, anstarrte. Irgendetwas schien der Hund an ihm zu finden. Jim überlegte, ob er vielleicht ein besserer Gesprächspartner war, denn diesem langweiligen Smalltalk wollte er eher weniger lauschen.
„Es ist in Ordnung", erklärte Severin bereitwillig, als wäre er Vermittler zwischen der jüngeren und älteren Generation, denn sowohl Jim als auch Sebastian ließen uninteressiert den Blick schweifen. „Ich habe eigentlich die meisten Lehrer behalten - bei Seb weiß ich das nicht - und obwohl sie dieses Jahr noch mehr von uns verlangen, ist es bisher ziemlich einfach." Severin hob die Schultern, während sein älterer Bruder schnaubte.
„Sprich für dich, Severin, aber ich finde, einfach sieht anders aus", murrte Sebastian und trommelte mit seinen Fingern auf dem Tisch, um seiner Unruhe Ausdruck zu verleihen.
Sein Vater ignorierte ihn. „Was ist mit dir, Jim? Bist du ein guter Schüler?" Bist du ein guter Junge, imitierte Jim den Tonfall des Verteidigungsministers mit einem kurzen Seitenblick auf Hulk, der sich mittlerweile zu seinen Füßen gelegt hatte und offenbar eingeschlafen war.
„Davon, was ich so mitbekommen habe, ist er sogar ein sehr guter Schüler", mischte Sebastian sich ungefragt ein, noch bevor Jim den Mund geöffnet und zu einer Antwort angesetzt hatte.
„Ich habe Jim gefragt, nicht dich, Sebastian. Es ist sehr unhöflich, wenn du ihn so bevormundest", sprach Augustus streng und obwohl Jim ihm zustimmte, schüttelte er den Kopf und musste grinsen, denn immerhin bevormundete Moran seine Söhne offenbar schon ihr ganzes Leben lang. „Was ist denn so lustig?" Der ältere Mann wirkte leicht verwirrt, was Jims Amüsement nur vergrößerte, doch er versuchte, sich nichts mehr anmerken zu lassen. Sein Lächeln erlosch und er lehnte sich in seinem thronartigen Eichenstuhl zurück.
„Nichts", erwiderte er, was ziemlich lahm klang, aber er hatte nicht das Gefühl, als müsse er gerade besonders tiefschürfende Antworten geben. „Es stimmt, was Sebastian sagt: meistens sind meine Noten ganz passabel. Würde ich mich mehr hereinhängen, wären sie vielleicht noch besser."
Jim fuhr mit einer Fingerkuppe die erstaunlich scharfe Klinge des Silbermessers, welches vor ihm auf einer Stoffserviette lag, entlang.
„Du bist also faul?", fragte Augustus Moran ungewöhnlich direkt heraus. Er zog seine eckige Augenbraue nach oben und Jim imitierte diese Geste.
„Nein. Nur wenig interessiert." Jim blickte um sich, um zu sehen, ob ein Kellner ihn erlösen wollte, indem er ihm ihre Bestellungen brachte, doch alles, was er sah, war die aufgetürmte, extravagante Frisur einer Frau am Nachbartisch, die ihm jegliche Sicht versperrte.
„Woran? An dem Schulstoff?" An dieser Konversation, dachte Jim und legte sich bereits eine bissige Antwort zurecht, die mit der unglücklichen Wortwahl und dem Wort »Stoff« zusammenhing, bevor er sich wieder darauf besann, dass er Moran nicht herausfordern wollte. Der Einfachheit halber.
„Ja. Ich interessiere mich eben für andere Dinge", sagte Jim und atmete genervt aus, als Sebastians Vater bereits zu einer neuen Frage ansetzte.
„Wofür? Hast du irgendwelche Hobbys?"
Auch Sebastian schien aufzugehen, dass Jim dieses Verhör nicht gefiel. „Dad-", presste er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor und schaute Jim entschuldigend an, ehe er sich seinem Vater zuwandte und den Kopf schüttelte. „Hör auf, ihn so auszufragen."
Augustus Moran setzte ein strahlend weißes Lächeln auf, das seine Rolle als Politiker nur noch weiter hervorstechen ließ. „Oh, das tut mir sehr leid, ich wollte nicht aufdringlich sein. Es ist nur so, dass ich ziemlich neugierig bin und da mein Sohn mir nichts von dir erzählt hat, muss ich es irgendwie selbst herausfinden."
Sebastian knirschte mit den Zähnen. „Fang nicht schon wieder damit an-"
„Hey! Da kommt ja schon die Vorspeise!", rief Willard freudig und ein wenig zu laut aus, klatschte in seine Hände. Sofort wandten sich alle Anwesenden den zwei Kellnern zu, die Körbe mit Brot und Schüsseln mit Salat und Dips trugen. Jims Magen zog sich bei dem Anblick zusammen, doch er wusste nicht recht, ob er hungrig oder noch traumatisiert vom Frühstück war.
Trotz der zweiten Möglichkeit griff er nach einer Baguettescheibe und biss hinein, damit niemand auf die Idee kam, ihn noch einmal in ein Gespräch zu verwickeln. Er fühlte sich so schon fehl am Platz; niemand musste ihn daran erinnern, dass er nicht hierher gehörte, indem er ihn mit Fragen löcherte.
Tatsächlich ließ man ihn für den restlichen Aufenthalt im Restaurant zumeist in Ruhe. Sebastian schien über den Tisch zu Jim herüber immer wieder zu versuchen, Kontakt mit dem Jüngeren aufzunehmen, aber Jim kannte seinen Freund wirklich noch nicht lang genug, damit er seine seltsamen Gebärden verstand.
Irgendwann sprang Hulk plötzlich auf seinen Schoß als Jim gerade einen Schluck seines Wassers trank. Jim erschrak dabei so sehr, dass er das Wasser beinahe ausspuckte und das Glas umwarf, was in lautem Gelächter seines Freundes und bösen Blicken seitens Kellner und Gäste ausartete. Da es Jim aber herzlich wenig interessierte, was andere über ihn dachten, schubste er den kleinen Hund nur wieder von seinem Schoß, woraufhin der beleidigt zu seinem Besitzer lief. Jim indes wischte sich die Tropfen Wasser vom Kinn, die ihm doch über die Lippen getropft waren.
„Du sabberst", kommentierte Sebastian hilfreich. Dann begann er wieder zu lachen und ließ sich davon auch nicht durch Jims wütende Blicke oder dem Stoß von Severins Ellenbogen in seine Seite abbringen.
„Du läufst rot an", erwiderte Jim genervt. Er fragte sich, ob das war, weil Sebastian keine Luft mehr zu bekommen schien oder aber, weil mittlerweile das halbe Restaurant auf sie aufmerksam geworden war und sie missbilligend beobachtete. Augustus war definitv Letzteres peinlich.
„Sebastian", zischte er. Sein Sohn zog fragend die Augenbrauen nach oben, versuchte sich das Grinsen von den Lippen zu wischen, nur um wieder loszuprusten. Jim hatte das Gefühl, es ging mittlerweile nicht mehr darum, dass er von einem Chihuahua überrascht worden war. Offenbar hatte er sich einfach so hineingesteigert, dass er nicht mehr aufhören konnte.
„Sei still, Sebastian", knurrte dessen Vater erneut. Willard stopfte sich unberührt einen weiteren Bissen seines Steaks in den Mund und auch Severin schwieg - Beide wollten sich wohl aus dieser Situation heraushalten.
„Okay, es reicht", befand Augustus, die Stimme gesenkt und mit zornig funkelnden Augen. Er hob seine Hand, um einen Kellner herbeizuordern, der seit geraumer Weile zu ihnen herüber schaute und nur auf dieses Zeichen gewartet zu haben schien.
„Sie wollen zahlen, Sir?", fragte er höflich und verzog das Gesicht ob Sebastians Gegluckse, das zwar langsam abklang, jedoch noch immer unnatürlich laut erklang, da der Rest des Tisches still war.
„Ja." Augustus besah sich seinen älteren Sohn wütend. „Die Rechnung, bitte."
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Augustus Moran wartete gerade bis sie zum Anwesen zurückgekehrt waren, ehe er seinen Sohn anfuhr: „Was sollte das denn werden, Sebastian?! Musst du mich immer so blamieren?"
Sebastian erwiderte den feurigen Blick seines Vaters ohne zu blinzeln. „Tut mir leid, dass ich gelacht habe. Ich werde versuchen, in nächster Zeit solche Zeichen des Frohmutes zu unterlassen, Vater."
„Hör auf, mich zum Narren zu halten", knurrte Augustus und seine Hand schoss vor, umschloss fest Sebastians Oberarm, woraufhin der zusammenzuckte. Jim kniff misstrauisch die Augen zusammen. Augustus zog seinen Sohn näher zu sich, doch der stemmte sich gegen seinen Griff und verzog das Gesicht. „Ich habe alles versucht, um dir und deinem Bruder ein Fest mit eurer Familie, mit mir, zu ermöglichen, obwohl ich wirklich viel zu tun habe und du dankst mir, indem du mir die ganze Zeit nur widersprichst und dafür sorgst, dass wir aus dem Restaurant geworfen werden!"
„Zunächst einmal: Wir wurden nicht herausgeworfen, du hast nur einen sehr dramatischen Abgang hingelegt." Sebastian formte die Augen zu Schlitzen und entriss sich dem festen Griff des Mannes. Dann zischte er voller Zorn: „Und außerdem kann ich gut darauf verzichten, mit dir irgendetwas feiern. Ich werde feiern, wenn du mich endlich in Ruhe lässt!"
Für einen Moment sah es so aus, als wolle Moran ihn schlagen. Dann atmete er nur sehr tief aus. „Geh mir aus den Augen, Sebastian. Wir reden noch einmal, wenn du wieder bei Sinnen bist."
„Ich bin bei Sinnen", grollte Sebastian. „Und es tut mir leid, dass ich so eine Enttäuschung für dich bin, aber ich denke, wir haben schon oft genug darüber geredet. Bei mir besteht kein Bedarf, das weiter auszudiskutieren."
Damit wandte er sich ab und wollte dem Streit entfliehen, doch die schneidende Stimme seines Vaters hielt ihn ein weiteres Mal zurück: „Wenn du jetzt wieder einfach so verschwindest, brauchst du gar nicht erst zurückkommen!"
Sebastian erstarrte. Severin und Willard warfen sich kurze Blicke zu, senkten sie dann und hielten sich raus.
Jim hingegen hatte genug gesehen. „Bei allem Respekt, Sir", sprach er kalt und die emotionslosen Falkenaugen wandten sich ihm zu. „Ich denke nicht, dass es nötig ist, einen solchen Aufstand zu machen. Ich bin mir sicher, Sebastian bereut sein Verhalten dank Ihrer Ausführungen, aber Tatsache ist doch, dass er nur gelacht hat. Er ist wohl kaum daran Schuld, dass den Menschen im Restaurant so etwas wie Humor fremd ist und sie jegliche Regung der Menschlichkeit nicht ausstehen können." Jim lächelte Augustus schmallippig an, dessen Auge zu zucken begann.
Gerade als Jim dachte, der Mann würde einen Fluch auf ihn wirken oder eine Pistole zücken und ihn erschießen, drehte Augustus sich ruckartig von ihm fort und wandte sich an Willard. „Ich habe für heute Abend noch etwas geplant, bitte kümmere dich solang um alles andere, Willard. Ich werde erst spät zurückkehren, also achte bitte darauf, dass meine Söhne keinen weiteren Unsinn machen."
„Natürlich", sagte Willard und kurz schien er salutieren zu wollen, kratzte sich dann doch nur am Ohr.
„Gut." Moran wandte sich abrupt ab und stapfte zurück durch den Kies auf sein Auto zu - ein tiefliegendes Sportauto, das so gar nicht zu seiner Art, aber zu seinem Vermögen passte. Als er sich in den Wagen schwang und kurz darauf losfuhr, könnte Jim schwören, dass er nachdenklich Blickkontakt mit ihm suchte.
„Gott, ich hasse ihn!", stieß Sebastian hervor, stapfte zur Haustür und riss sie auf. Jim ließ er allein mit Severin und Willard zurück, die ihn beide mehr oder minder erstaunt anblickten.
„Es ist nett von dir, Jim, dass du Sebastian verteidigen willst. Allerdings solltest du das vielleicht lassen", sprach Willard. Er wirkte schon beinahe besorgt und warf noch einmal einen Blick zu der Stelle, wo bis eben noch der Wagen seines Chefs gestanden hatte. Severin nickte nur zustimmend, die Schultern hochgezogen, als wolle er sich gern in einen imaginären Schildkrötenpanzer verkriechen.
Ein scharfer Wind kam auf, zog an Jims dunklen Haaren, ließ ihn erschaudern. Dennoch zupfte ein schiefes Lächeln an seinem Mundwinkel. „Vielleicht sollte ich das", stimmte Jim zu, stopfte die Hände in seine Hosentaschen und folgte Sebastian ins Haus.
Aber dafür macht es einfach zu viel Spaß, fügte er in Gedanken hinzu.
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Hey, Leute! :)
Nach der kurzen Pause von einer Woche endlich wieder ein Kapitel. Ich hoffe, ihr freut euch so sehr, wie ich 😜
Was denkt ihr wird als nächstes passieren? Was haltet ihr von Augustus Moran, nachdem ihr ja jetzt einige Kapitel Zeit hattet, ihn kennenzulernen?
Hier habe ich übrigens noch das Video, das ich letztens nicht hochladen konnte:
Es ist sooo schön und traurig und ich weiß nicht, wieso ich mir das immer wieder antue, aber ich komme an solchen Videos einfach nicht vorbei...
Welche Videos würdet ihr mir empfehlen? :)
Ich hoffe jedenfalls, euch hat das Kapitel gefallen. Wir lesen uns am Freitag! ❤
LG
TatzeTintenklecks.
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