»Little insane - it's just easier than dealing with the pain«
Innerhalb weniger Sekunden waren zwei Polizisten zur Stelle, um Sebastian von Filip zu ziehen, der sich nicht einmal wehrte.
Doch Sebastian war wie im Wahn. Er stieß einen Beamten einfach zur Seite, verpasste Filip einen Schlag in die Magengrube und wich den Händen eines zweiten Beamten aus. Er brüllte, als könne er nur so seiner Wut noch Ausdruck verleihen. Dabei konnte man sie in jeder Faser seines Körpers sehen, darin, wie er Filip am Kragen packte und dann seinen Kopf einmal, zweimal auf den Boden schlagen ließ.
Jim hätte eingreifen sollen, aber er konnte den Blick nicht abwenden. Zum ersten Mal hatte er freies Sichtfeld auf die Dunkelheit in Sebastian, seine Dämonen, seine geheime Waffe. Und er fand es wunderschön.
Endlich schaffte man es, Sebastian von Filip herunterzuziehen. Sebastian trat nicht um sich oder schlug erneut nach jemanden. Er ließ sich widerstandslos wegziehen, wandte den Blick nicht von Filip ab, der sich langsam wieder aufrichtete. Er versuchte es jedenfalls, denn seine Hände waren ihm mit Handschellen auf den Rücken gefesselt worden - wohl der wahre Grund, wieso Filip sich nicht gewehrt hatte - und es dauerte kurz, ehe der Junge sein Gleichgewicht gefunden hatte.
Mit der Hilfe von Inspektor McCool, der ihn zusammen mit einer blonden Frau hereingeführt hatte, richtete Filip sich auf. Er schüttelte kurz den Kopf, als versuchte er, so bei Bewusstsein zu bleiben. Was im Anbetracht von Sebastians Angriff nicht einmal so unwahrscheinlich war. Filip verzog kaum merklich das Gesicht.
Dann richtete er seinen Blick auf Sebastian, der wütend zurückstarrte und noch immer in Ó Cuilins Schraubstockgriff festgehalten wurde. „Lassen Sie ihn ruhig los, Kommissar, seine Reaktion war ja berechtigt - immerhin habe ich das Gleiche mit seinem Zwilling getan."
Er wollte Sebastian provozieren, das war offensichtlich, aber Jim verwunderte es doch, wie locker Filip über seine Tat sprach. „Sebastian, lass es gut sein", sagte er.
Filips Aufmerksamkeit richtete sich auf ihn und er legte leicht den Kopf schief. „Du schon wieder."
Jim ließ sich zu keiner Antwort herab. Stattdessen sah er erwartungsvoll zu Sebastian und dem Kommissar, der ersteren noch immer festhielt. Ó Cuilin klopfte Sebastian noch einmal auf die Schulter und raunte ihm etwas ins Ohr, ehe er ihn losließ.
Sebastian sah noch einmal zu Filip und dann zu Jim. Er setzte sich wie ferngesteuert in Bewegung und ließ sich einen Moment später wieder auf dem Stuhl neben Jim nieder.
Jim bemerkte, dass Sebastian seine Hände noch immer zu Fäusten geballt hatte, so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Sebastian bebte wie Jim am Abend zuvor - Zorn ließ sich nur schwer unterdrücken und auch, wenn man es schaffte, bemerkte man oftmals weiterhin, dass er da war.
„Ich denke, wir sollten ein Gespräch lieber nicht-", fing McCool an, wurde jedoch von Sebastian unterbrochen.
„Doch. Ich will wissen, was geschehen ist." Sebastian schaffte es gerade so, seine Kiefer auseinander zu stemmen und diese Worte hervorzustoßen.
Die Beamten warfen sich ratlose Blicke zu, während Filip zu lächeln anfing. „Und ich würde es dir gern erzählen."
Jim ließ Filip nicht aus den Augen. Der Typ roch doch quasi nach Wahnsinn - unkontrollierter Wahnsinn, der wohl durch zu viele Drogen und zu wenig Gehirnzellen entstanden war. Und vielleicht auch durch Verzweiflung. Würde man Jim fragen, sollte man diesen Jungen irgendwo wegsperren und den Schlüssel wegwerfen. Doch natürlich fragte niemand Jim.
McCool und die Frau stellten sich an den Rand, während Kommissar Ó Cuilin und Filip sich Jim und Sebastian gegenüber setzten.
„Da die Begrüßung ja ziemlich grob ausgefallen ist, werde ich sie noch einmal friedvoller wiederholen", verkündete Filip gut gelaunt. „Freut mich, dich wiederzusehen, Basti. Und deinen Namen habe ich leider vergessen. Aber wie wäre es, wenn ich dich einfach Giftzwerg nenne? Was denkst du?"
Jim sah kurz zu den drei Polizisten und beschloss, dass es besser war, nicht auszusprechen, was er dachte. „Wolltest du nicht erklären, was passiert ist?", fragte er stattdessen gereizt und Sebastian gab neben ihm eine Art zustimmenden Laut von sich.
„Wie unhöflich - ich habe euch so nett begrüßt." Filip verzog das Gesicht und Jim hatte genug von dieser Show.
„Sie müssen doch sehen, dass der Typ nicht ganz dicht ist", wandte er sich an die Beamten. „Das sieht jeder Blinde."
„Wir erhoffen uns mehr Informationen", erklärte Ó Cuilin, als hätte das wirklich etwas mit Jims Feststellung zu tun, und sah ihn und Sebastian entschuldigend an.
Filip nickte. „Informationen habe ich. Aber ich verstehe nicht ganz, wieso der Giftzwerg auch hier ist."
„Weil er darf", knurrte Sebastian, die Finger in seine Knie gekrallt, vermutlich, um Filip nicht erneut eine zu verpassen.
„Er dürfte nur, wenn er zur Familie gehörte", bemerkte Filip, was zeigte, dass er sich in dem Punkt bereits auskannte. „Und der gehört nie im Leben zu Bastis Familie."
„Cousin zweiten Grades", sagte Jim trocken.
Filip lachte. „Nie im Leben", wiederholte er.
McCool räusperte sich leicht. „Aufgrund der Beziehung, die er mit Severin führt, ist er durchaus berechtigt hier zu sein und uns im Fall zu unterstützen und da er Ihren Namen..."
Er wurde durch Filips ungläubiges Gelächter unterbrochen. „Beziehung?! Ich wusste ja, dass was nicht mit dir stimmt, Giftzwerg. Du bist also schwul, ja? Sieht man dir irgendwie an. Und Severin war ja sowieso seit jeher eher schwächlich, da überrascht es mich nicht, dass er nicht Manns genug ist, um-"
„Noch ein weiteres Wort", zischte Sebastian und sprang auf, wurde jedoch gleich wieder von Jim zurück auf den Stuhl gezogen, wovon er sich nicht ablenken ließ, „und dein Gebiss wird sich auf dem Boden verstreuen."
„Immer schon so kampflustig", kommentierte Filip. Jim ging auf, dass der Junge sich in Sicherheit wähnte. In diesem Raum gab es drei bewaffnete Erwachsene, er war gefesselt und somit der klar Unterlegene. Würde Sebastian ihn wirklich erneut angreifen, dann würde es vielleicht, jetzt, wo man darauf vorbereitet war, eher schlecht für Sebastian sein. Immerhin war sein Opfer wehrlos.
„Wenn wir nun zur Klärung der polizeilichen Angelegenheiten kommen könnten", mischte Kommissar Ó Cuilin sich ernst ein.
„Natürlich." Filip überschlug die Beine. Plötzlich wurde auch er ernst. „Ich will nicht lügen, Basti. Ich wollte das eigentlich nicht. Ich hatte zu viel getrunken und außerdem hatte ich... Naja, du weißt schon"- er zwinkerte Sebastian zu und tat, als würde er sich eine Spritze in den Arm geben, tat, als wäre das ein geheimer Code, als wüssten die Polizisten und jeder andere nicht, was das bedeutete - „und ich war wütend. Du hattest nicht auf meine Nachricht reagiert. Du hast mich ignoriert."
Jim runzelte irritiert die Stirn. Eine Nachricht? Sebastian hatte keine weitere Nachricht bekommen. Als er sich zu Sebastian umwandte, erwartete er, dass sich auf seinem Gesicht ebenso die Verwirrung abzeichnete, aber der biss nur fest die Zähne aufeinander.
„Und deshalb hast du beschlossen meinen Bruder beinahe zu Tode zu prügeln?", stieß er hervor und ballte seine Hände wieder zu Fäusten.
Filip verzog das Gesicht und diese Grimasse sah schon beinahe gequält aus. „Nein, Basti. Ehrlich, ich wollte ihm kein Haar krümmen. Dir hingegen..."
Jim verstand. „Zwillinge", sagte er und nach einem kurzen Moment ging auch Sebastian der Zusammenhang auf.
Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Du hast Severin so zugerichtet, weil du dachtest, er wäre... Wie- Wie konntest du das tun?! Du kannst uns auseinanderhalten!"
Filip hob die Schultern, aber Jim hatte den Eindruck, dass es ihn nicht wirklich so wenig interessierte, wie er vorgab. Vermutlich war das seine Art, damit umzugehen - so zu tun, als wäre man sich keinerlei Schuld bewusst. Seine verteidigenden Worte passten dazu allerdings nicht: „Es war dunkel, Basti. Und ich war, wie schon erwähnt, nicht ganz zurechnungsfähig."
„Hör auf, mich Basti zu nennen!", fauchte Sebastian, als wäre das der Grund, wieso er so wütend war. Als wäre das ein größeres Problem.
Filips Bewältigungsstrategie war es offenbar, zu tun, als interessierte ihn das alles gar nichtsl und er spielte die Ereignisse herunter. Sebastians war es, sich auf unwichtige Sachen zu konzentrieren, sie nicht mehr loszulassen und so zu tun, als wäre es das einzige, was gerade zählte.
„Ich habe ihn geschlagen", erzählte Filip stumpf weiter. „Ich hatte eine Flasche und einen Stein. Und als er umgefallen ist, habe ich ihn getreten. Ich habe nur auf den Kopf gezielt. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist..." Wenn Filip sich nicht darauf konzentrierte, das Geschehen zu verdrängen (denn Jim vermutete, dass er das versuchte), dann klang er relativ vernünftig. Achtete man nicht darauf, wovon er erzählte.
Ó Cuilin notierte sich etwas. Sebastian wirkte, als wollte er gleich seine eigenen Finger zerquetschen und dazu noch Filips Herz. „Er liegt im Koma", sagte er leise und dann lauter: „Er liegt im Koma wegen dir und wird vielleicht nicht mehr aufwachen!"
Ó Cuilin erhob sich. „An diesem Punkt sollten wir das hier wohl abbrechen."
„Glaub mir, ich würde es rückgängig machen, wenn ich könnte-", setzte Filip an.
„Das kannst du aber nicht!" Sebastian sprang erneut auf und diesmal hielt Jim ihn nicht zurück. McCool und die Frau stürzten vor und hielten Sebastian fest. „Wenn er stirbt, dann habe ich niemanden mehr! Und das ist ganz allein deine Schuld!"
Filip schüttelte den Kopf. „Nettes Gespräch." Dann wandte er sich an dem Polizeikommissar: „Ich würde gern gehen."
Der Mann warf dem schweratmenden Sebastian einen mitleidigen Blick zu, zog Filip dann am Arm hoch und begleitete ihn aus dem Raum.
Jim saß auf seinem Stuhl, beobachtete, wie Sebastian plötzlich an Kraft verlor und in den Armen der Polizisten schon beinahe zusammenbrach. „Ich muss zu meinem Bruder; er könnte sterben." Als würde er dies erst jetzt vollends realisieren. „Bitte, bringt mich zu ihm! Ich will zu Severin."
Als Jim Sebastian so sah, regte sich irgendwas in ihm. Er trat vor und reichte Sebastian die Hand, die er sofort ergriff wie einen Rettungsring. Dann zog er ihn hoch und in seine Arme.
Er versuchte die Polizisten zu ignorieren und Sebastian davon abzuhalten, ebenso tief zu fallen wie er selbst. Doch nachdem er Sebastians Dunkelheit erblickte hatte, fragte er sich, ob er nicht bereits zu spät war. Nicht einmal er könnte Sebastian vor sich selbst retten.
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Sebastian blickte gedankenlos auf seinen Bruder nieder, der seltsam verloren unter der dicken weißen Decke wirkte.
Severin war blass, als stände er bereits mit einem Fuß im Grab und nur das stetige Piepen der Maschinen brachte Leben in den sterilen Raum - Sebastian und sogar Jim schwiegen, als sie auf den Jungen niederblickten, der vielleicht für immer so daliegen würde: als würde ihn nur die schwere Decke daran hindern, in den Himmel aufzusteigen.
Jim wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Sebastian stand mit dem Rücken zu ihm und seine Schultern zuckten unregelmäßig nach oben und unten - er weinte - aber kein Laut kam über seine Lippen. Jim räusperte sich leise: „Soll ich gehen?"
Das war das einzige, was ihm in dieser Situation einfiel. Vermutlich stellte er sich einmal mehr komplett dämlich an. Oh, wie er das hasste. Die ganze Zeit benahm er sich so lächerlich unwissend. Vor Sebastian. Weil er unwissend war und es nun nicht verbergen konnte. Vor Sebastian.
Aber er versuchte dennoch, es richtig zu machen.
„Nein, bitte bleib", sagte Sebastian irgendwann leise und seine Stimme war rau und brach am Ende des Satzes. Unschlüssig lief Jim durch das Zimmer und setzte sich dann auf den Stuhl neben Severins Bett, den Sebastian ignoriert hatte. Als hätte er kein Zeichen der Schwäche zeigen wollen, brach jetzt auch Sebastian zusammen und ließ sich auf das Bett seines Bruders fallen. Er nahm Severins Hand und flüsterte ihm irgendetwas zu, das Jim nicht verstand.
Dann blickte er mit geröteten Augen zu Jim auf: „Weißt du, wir haben uns geschworen, für den jeweils anderen dafür zu sorgen, dass niemals jemand eine Rose auf unser Grab legt."
„Wieso?", fragte Jim und er war selbst überrascht, wie sanft seine Stimme dabei klang. Sebastian scheiterte kläglich an dem Versuch eines Lächelns.
„Ich weiß, es klingt lächerlich, aber... Die Rose ist das Sinnbild der Liebe und des Lebens und Sevvy und ich kamen darin überein, dass wir so etwas nicht auf unserem Grab liegen haben wollen. Weil es nicht sonderlich viele Menschen in unserem Leben gibt, die wirklich für uns da sind oder uns kennen. Uns lieben... Es würde einfach falsch sein. Verstehst du das?" Er lachte verlegen und versuchte die Tränen wegzublinzeln.
Jim nickte langsam. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein, aber das muss ich auch nicht."
Sebastian hob einen Mundwinkel. „Ja, du hast Recht..."
Eine Weile schwiegen sie, während Sebastian sich unauffällig die Tränen von den Wangen wischte und Jim überlegte, was er tun sollte. Er vermutete, dass man ihnen nicht mehr lang Zeit mit Severin geben würde - die Polizisten warteten vor dem Zimmer. Nach Sebastians Zusammenbruch hatten sie sie tatsächlich sofort ins Krankenhaus gefahren - vermutlich hatten sie Mitleid gehabt. Aber Jim war sich nicht sicher, ob das Sebastian wirklich half oder alles schlimmer machte. Und die Befragung war sicherlich auch noch nicht beendet.
„Sebastian?", fragte er schließlich leise und Angesprochener nickte und warf ihm einen kurzen Blick zu. „Severin lebt. Er lebt."
Sebastian blinzelte und nickte dann.
„Ich kann ihn nicht einfach so davonkommen lassen", murmelte er dann völlig unzusammenhängend.
Jim sah ihn verwirrt an: „Was? Wen?"
Sebastian blickte auf und sah ihm fest in die Augen. „Filip. Ich kann und werde ihn nicht einfach so davonkommen lassen. Er... er hat es nicht verdient, dass ihm nichts passiert ist und Severin..." Er sah auf seinen leblosen Bruder nieder und dann wieder zu Jim. Jim erwiderte seinen Blick nachdenklich.
„Ich kann dir helfen."
„Wirklich?" Sebastian wirkte plötzlich verzweifelt hoffnungsvoll. Er sah Jim an, als wäre er die Lösung aller Probleme - bei jedem Anderen hätte es Jim wohl gefallen, wenn derjenige ihn so ansah; beinahe huldigend. Aber bei Sebastian fühlte es sich seltsam an.
„Ich weiß, es ist falsch. Aber ich will, dass er leidet." Sebastians Stimme war leise und gebrochen.
Jim wiederholte: „Ich kann dir helfen."
Und es würde ihm ein Vergnügen sein.
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Heute bin ich wieder für euch da - absolut pünktlich (diesmal) und mit einem neuen Kapitel! :D
Okay, also ehrlich gesagt, gefällt mir dieses Kapitel nicht so. Ich weiß eigentlich gar nicht, woran es liegt, aber, sollte ich je die Motivation zu einer solchen aufbringen, wird es in der Überarbeitung vermutlich völlig umgeschrieben werden.
Naja, ich hoffe ihr hattet Spaß daran.
Übrigens scheint meine Schreibblockade endlich gelöst zu sein! Das ist großartig, weil ich schon dachte, das würde wieder so eine Geschichte werden, die ich nicht beende, aber noch gebe ich nicht auf!
Hm... Was gibt es sonst noch zu erzählen? Heute war endlich der letzte richtige Schultag! Jetzt kommen nur noch die Projekttage und dann heißt es: Sechs Wochen Sommerferien! Wuhu!
Auch, wenn ich echt nicht weiß, wie ich die verbringen soll... Naja.
Ach, und übrigens: Das Schicksal oder irgendwas anderes hasst mich. Definitiv.
Und mit diesen fröhlichen Abschlussworten: Ein schönes Wochenende an euch alle! :D
Eure
TatzeTintenklecks.
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