7. Freunde?

"Sag mal, was hältst du von der ganzen Sache mit Schniefelus und Hermine?", fragte James Harry leise, als sie tags drauf in Richtung Astronomieturm unterwegs waren. Einige Meter vor ihnen liefen Hermine, Remus, Sirius und Lily und unterhielten sich angeregt, während Peter ihnen mit einigen Schritten Abstand still folgte. "Sie hat sich zwar entschuldigt, aber sie glaubt immer noch, dass wir alle überreagieren."
Nachdem Hermine sich für ihren Ausbruch entschuldigt hatte, war zwischen ihnen wieder alles beim Alten. Sirius war wieder dazu übergegangen sie mit ihrem verhassten Spitznamen zu ärgern und suchte immer wieder ihre Nähe, legte einen Arm um sie, den sie aber jedes Mal recht schnell wieder abschüttelte. Der Sirius aus ihrer Zeit war Hermine irgendwie lieber, als der aus dieser Zeit.
"Ich will ja nur nicht, dass er sie auch verletzt", schob James noch hinterher.
"Ich verstehe eure Intention, aber da wirst du bei Hermine gezwungenermaßen auf taube Ohren stoßen. Sie lässt sich nicht gerne irgendetwas sagen, sie macht sich lieber selbst ein Bild", erklärre Harry. "Außerdem sieht sie immer in jedem das Gute, solange, bis sie vom Gegenteil überzeugt wird."
"Was bei Snape mit hundert prozentiger Sicherheit irgendwann der Fall sein wird. Ich hab gesehen, wie er sie immer ansieht. Jetzt mag er sie interessant finden, aber irgendwann kommt sicher ein Moment, in dem er wieder sauer wird und dann verletzt er sie vielleicht auch, das will ich ihr ersparen", gab James ärgerlich zurück. "Ihr kennt ihn nicht so wie ich. Er ist nicht gut für sie."
"Das solltest du ihr gegenüber in Zukunft wohl lieber für dich behalten. Außerdem kannst du nicht sicher wissen, dass du Recht behalten wirst", meinte Harry ausweichend. "Ich denke sie hat einfach Mitleid mit ihm, weil er immer alleine ist. Sie kennt das. Als sie noch jünger war, da hatte sie auch keine Freunde."
"Aber Schniefelus ist kein Vogel mit gebrochenem Flügel, den man bemuttert und gesund pflegt.. Aber was hältst du nun davon? Denkst du das gleiche wie sie?", fragte er.
"Ich kann mir in dem Fall echt kein Urteil erlauben, so gut kenne ich ihn nicht, ich hab noch nicht mal mit ihm gesprochen", meinte er diplomatisch, er wollte nicht zwischen den Stühlen sitzen. "Lass sie das einfach selbst herausfinden, ob er gut für sie ist oder nicht."

"Wo bleibt ihr denn?", rief nun Lily von vorne. "Jetzt kommt ihr beiden Klatschtanten, nur weil ihr so trödelt kommen wir noch zu spät."
"Bin schon da, mein Schatz", rief James, raunte Harry noch ein "Vielleicht hört sie ja auf dich" zu und beschleunigte seine Schritte, während Harry noch über das eben geführte Gespräch nachdachte. Auch er hielt es in gewisser Weise für gefährlich, dass Hermine so interessiert an Snape war, aber Hermine war nun einmal Hermine.
Er wusste, dass Snape ihr Leid tat, auch wenn sie nichts dazu gesagt hatte, er wusste, dass seine Erinnerungen, die er ihm in seiner Todesnacht überlassen hatte, ihre komplette Meinung über ihn geändert hatten. Wobei das vielleicht nicht ganz richtig war. Wie oft hatte sie ihm und auch Ron davon überzeugen wollen, dass Snape eigentlich auf ihrer Seite stand, dass er nicht der Schurke war, für den sie ihn hielten? Unzählige Male und wie immer hatte sie Recht gehabt. Mit allem. Aber es war dennoch gefährlich, nicht weil es Snape war, sondern allein aufgrund der Zeitlinie. Das hatte er gestern bereits versucht ihr zu sagen. Was würde sich ändern, wenn er auf einmal mit Hermine befreundet wäre? Er wollte es besser nicht herausfinden. Snape war wichtig für den Verlauf der Dinge, er musste zum Spion werden, sonst würde alles anders laufen. Auch konnte er ihren Einwand verstehen, was seine Verbindung zu den Rumtreibern anging, wobei er bei ihnen weniger Sorge hatte, etwas zu verändern. Wie viel Unterschied machte ein Rumtreiber mehr oder weniger schon?
"Alles okay?", flüsterte Hermine ihm zu, nachdem der Unterricht bereits begonnen hatte und er nickte. So ganz glaubte sie ihm das jedoch nicht, sie konnte sehen, dass ihn etwas beschäftigte.

Auf dem Weg zurück zum Gemeinschaftsraum, den sie nebeneinander und in einigem Abstand zu den anderen gingen, blieb Harry mit einem Mal wie angewurzelt stehen.
"Mine, heute ist Montag", flüsterte er.
"Ja, den ganzen Tag schon", meinte sie perplex.
"Nein, ich meine heute ist der neunzehnte September, du hast heute Geburtstag", sagte er und sah sie entschuldigend an.
"Wenn man nach dem Datum geht, dann ja, aber vergiss nicht, wir sind vom zweiten Mai aus hier gelandet", erinnerte sie ihn. "Genaugenommen hab ich dann erst im Februar Geburtstag, aber du..", sie überlegte kurz. "Du hättest bereits im Dezember Geburtstag. Ich muss im Gemeinschaftsraum mal auf den Kalender schauen", überlegte sie und lächelte.
"Moment mal, du hast den Zeitumkehrer das ganze dritte Jahr benutzt, müsste sich dein Geburtstag dann nicht damals schon verschoben haben?", fragte er. "Wie viele Stunden hast du doppelt erlebt?"
"Oh, gute Frage", sie dachte nach und fing an zu rechnen. "Ich hatte zwei Fächer, die sich überschnitten. Muggelkunde und Wahrsagen lagen zur gleichen Zeit wie Zaubertränke und Runen."
"Also vier Stunden die Woche?", folgerte er.
"Nicht ganz, irgendwann hatte ich Probleme die Hausaufgaben alle zur gewünschten Zeit zu erledigen und bin vor lauter Müdigkeit häufig eingeschlafen, also musste ich zurückreisen. Irgendwann hab ich das dauerhaft gemacht, um dennoch genügend zu schlafen", gab sie verlegen zu. "Ich schätze es waren eher sieben Stunden die Woche bis ich Wahrsagen geschmissen habe."
"Sieben Stunden die Woche, multipliziert mit knapp zehn Monaten Schuljahr, jeweils mit etwa vier Wochen pro Monat, das sind..", er runzelte die Stirn und rechnete. Hermine lächelte, denn der Anblick, wie ihr bester Freund versuchte die Zahlen im Kopf zu multiplizieren,war göttlich. Wie ein Hund, dem man gerade einen Kartentrick zeigte.
"280 Stunden, plus minus", kam Hermine ihm schließlich zuvor, "Also fast zwei Wochen."
"Du lieber Himmel, das ist viel", stellte Harry fest.
"Aber nicht so viel Zeit, wie wir hier verbringen", merkte sie an. "Und nichts im Vergleich zu den zwanzig Jahren, die uns vielleicht bevorstehen."
"Ich wünschte Ron könnte auch hier sein", sagte Harry plötzlich traurig. Sie hatten bereits seit einigen Tagen nicht mehr von ihm gesprochen.
"Ich auch, es fühlt sich so falsch an ohne ihn. Was würde er wohl sagen, wenn er jetzt hier wäre?", fragte sie und lächelte, aber auch ihr Gesicht zeigte Trauer.
"Keine Ahnung, aber eins ist sicher, wir würden jetzt lachen", meinte er und grinste schief.
"Ob nun darüber, dass der Witz gut oder schlecht war, sei jetzt mal dahingestellt", erwiderte sie und musste nun auch grinsen.
"Es sind noch keine drei Wochen und ich hab schon das Gefühl, als würde es nicht ohne ihn gehen."
"Ich trage jede Nacht eins seiner Oberteile, einfach nur, um die Illusion zu haben, dass er bei uns wäre. Albern, ich weiß", gestand sie etwas peinlich berührt.
"Nein, das ist nicht albern, ich mache nämlich genau das gleiche", gestand er und jetzt mussten sie doch laut lachen.
"Ron würde sich scheckig lachen, wenn er das wüsste", japste Harry. Es tat so gut an ihn zu denken und lauthals zu lachen, ganz so, als wäre er noch bei ihnen.
"Er wird das niemals erfahren", meinte Hermine eher halbherzig und wischte sich eine Lachträne aus dem Auge.
"Merlin bewahre, er wäre danach unausstehlich, er würde uns das bis an unser Lebensende vorhalten und uns damit aufziehen."

*

Einige Tage später stand wieder Zaubertränke auf dem Stundenplan und Hermine freute sich darauf. Die Zusammenarbeit mit Snape gefiel ihr. Er war genauso ehrgeizig wie sie und sie ergänzten sich beim Brauen, nach anfänglichen Reibereien, inzwischen sehr gut. Wenigstens was das Brauen anging, schien er ihren Fähigkeiten inzwischen zu vertrauen. Auf persönlicher Ebene war sie sich noch nicht vollends sicher. Aber den Sonntag Nachmittag mit ihm in der Bibliothek hatte sie sehr genossen. An diesem Tag, waren sie fast wie Freunde gewesen. Sie hoffte, dass sie an der Stelle vielleicht irgendwie wieder ansetzen könnten.

Sie wartete schon mit Lily und Alice vor der Tür des Klassenraumes, als James, Sirius und Remus mit Harry im Schlepptau den Gang herunter kamen. Als James' Blick auf Snape fiel, der ebenfalls, etwas entfernt von ihnen, vor der Tür wartete, mal wieder ein Buch vor der Nase aber heimlich immer wieder Blicke zu Hermine rüber werfend, wurde sein Blick ärgerlich. Genau diesen Blick hatte er Harry gegenüber gemeint und wenn Hermine nicht hören wollte, dann vielleicht er. Auf weitere Streitereien seinetwegen konnte er getrost verzichten. Er hatte zudem Sirius' Worte nicht vergessen, als er meinte, dass Snape das alles mit Absicht täte und Zwietracht zwischen ihnen säen würde. Ohne darüber nachzudenken, dass ein offensiver Angriff in ihrer Gegenwart vielleicht kontraproduktiv sein könnte, blieb er nicht wie sonst bei Lily stehen, sondern ging, gefolgt von Sirius, dem die Blicke ebenfalls nicht entgangen waren und in seinen Motiven nicht ganz so uneigennützig wie James war, immerhin hatte er ein Auge auf sie geworfen, direkt auf ihn zu und schlug ihm das Buch aus der Hand. Remus verdrehte die Augen und Lily und Harry hielten Hermine gleichzeitig jeweils am Arm fest, als sie schon dazwischen gehen wollte.
"Misch dich da jetzt bloß nicht ein", mahnte Lily sie eindringlich. Sie konnte sich noch gut an Severus' verletzende Worte erinnern, als sie selbst das letzte Mal Partei für ihn ergriff. Das wollte sie Hermine nach Möglichkeit ersparen. Unterdessen hatte Sirius Snape, der den verteidigend Zauberstab gezogen hatte, entwaffnet und immer weiter an die Wand gedrängt und war dadurch zwangsläufig auf das am Boden liegende Buch getreten. Allein das war für Hermine schon ein Verbrechen. James raunte Snape irgendetwas zu und Sirius unterstützte die Worte nochmal mit einem leichten Ellenbogenstoß in die Rippen, der Severus schmerzhaft aufkeuchen ließ. Alle versammelten Schüler lachten.
"Hört auf!", forderte Hermine laut und wandte sich aus Lilys und Harrys Griff.
"Halt dich da raus, Mine", gab Sirius zurück.
"Dann lass du ihn in Ruhe!", zischte sie. "Er hat euch doch gar nichts getan."
"Er ist hier, das reicht mir schon", sagte James, schubste Snape noch einmal gegen die Wand, woraufhin Severus sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zusätzlich zu den Rippen noch den Kopf hielt. Noch ein letzter vernichtender Blick und emdlich ließ James von ihm ab. Sirius steckte den Zauberstab in die Umhangtasche des Slytherin zurück und zischte ihm noch etwas zu, bevor auch er sich zurückzog.

"Was sollte das?", fauchte Hermine und stieß absichtlich hart mit der Schulter gegen James' und Sirius' Arm, als sie an ihnen vorbeiging, hinüber zu Snape. Eigentlich hatte sie nicht übel Lust, erst James und dann auch Sirius eine runterzuhauen, aber damit wäre sie nicht besser als sie, also beließ sie es bei dem Rempler und wandte sich wieder Severus zu.
Der sah sie wütend an, als sie auf ihn zukam.
"Severus, ist alles in Ordnung?", fragte sie besorgt und legte den Kopf schief.
"Lass. Mich. In. Ruhe.", zischte er sie durch die Zähne an und betonte dabei jedes Wort. Sie fühlte sich von diesen Worten gekränkt und das zeigte sicher auch ihr Gesicht.
"Aber..", wollte sie protestieren, aber Snape ließ sie gar nicht erst ausreden.
"Ich meine es ernst. Immerhin hätten sie das ohne dich gar nicht erst getan."
Statt zu antworten bückte Hermine sich kurzerhand, säuberte mit einem Zauber das Buch von James' Fußabdrücken, reparierte die Seite und reichte es ihm. Ohne sich zu bedanken riss er es ihr aus der Hand und sah demonstrativ an ihr vorbei.
"Severus, was war das da eben?", fragte sie und berührte ihn an der Schulter, aber er schüttelte ihre Hand ab. Sein abweisendes Verhalten verletzte sie, immerhin hatte sie gehofft, dass nach ihrem gemeinsamen Nachmittag in der Bibliothek jetzt vielleicht alles anders wäre. Auch wenn sie ihm eine Lüge nach der anderen aufgetischt hatte, was ihre Person betraf, war da eine Verbundenheit gewesen. Sie beide hatten diesen Nachmittag genossen. Das konnte sie sich doch nicht eingebildet haben.
"Mine, lass doch Schniefelus und komm wieder zu uns!", rief Sirius zu ihr hinüber.
"Ganz sicher nicht. Was hast du hier überhaupt zu suchen, Sirius? Du belegst Zaubertränke nicht mal", entgegnete sie genervt und drehte sich wieder zu Severus.
"Freistunde", hörte sie Sirius noch sagen, vermied es aber darauf zu reagieren.
"Geh einfach zu deinen Freunden", flüsterte Severus ihr nicht minder genervt zu. "Dann lassen sie mich vielleicht wieder in Frieden."
"Sag nicht, das ging eben um mich?", meinte sie geschockt.
"Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, Graham", gab er nur ironisch zurück.
"Merlin, langsam spinnen doch echt alle", fluchte sie und überlegte ob sie ihnen nicht doch noch eine verpassen sollte, aber glücklicherweise öffnete in dem Moment Slughorn die Tür zum Kerker und hielt Hermine so davon ab, ihren Freunden den Kopf abzureißen.

Kaum hatten alle ihre Plätze eingenommen, begann Slughorn auch sogleich den Unterricht und erlaubte es Hermine somit nicht, sich für ihre Freunde bei Severus zu entschuldigen. Das Thema der heutigen Stunde hieß Veritaserum und Slughorn war gerade dabei die Zutaten abzufragen.
"Jobberknollfedern", zählte Remus gerade eine weitere Zutat auf.
"Sehr schön, was ist das Besondere am Jobberknoll? Warum verwendet man diese Federn?"
Zeitgleich schoss sowohl Hermines als auch Snapes Hand in die Höhe. Slughorn sah einige Sekunden zwischen ihnen hin und her, bevor er Severus aufrief. Mit einem triumphierenden Lächeln an Hermine begann er zu erklären.
"Der Jobberknoll gibt in seinem ganzen Leben nur einen einzigen Laut von sich und zwar erst in seiner Todesstunde, da wiederholt er in umgekehrter Reihenfolge sämtliche Geräusche, die er während seines Lebens gehört hat. Man könnte also sagen, dass er ein sehr gutes Gedächtnis hat, was das Wahrheitsserum stärkt."
"Sehr gut, fünf Punkte für Slytherin", lobte er und wollte schon weiter fortfahren und ergänzen, als er bemerkte, dass Hermine die Hand erneut erhoben hatte.
"Ja, Miss Graham?", fragte er.
"Aufgrund dessen, dass der Jobberknoll dieses unglaubliche Gedächtnis hat und alle Geräusche wirklichkeitsgetreu wiedergeben kann, benutzt man seine Federn nicht nur für Wahrheitselixiere sondern auch für gedächtnisfördernde Tränke."
"Wunderbar, auch für Sie fünf Punkte, Miss Graham."
Jetzt war es an Hermine den Jungen neben sich triumphierend anzugrinsen, woraufhin er theatralisch die Augen verdrehte. Sie liebte diesen Wettbewerb mit ihm, sie liebte es, sich gegen ihn zu behaupten, ihn mit ihrem Wissen zu übertrumpfen. Was sie nicht wusste, war, dass Severus das insgeheim ebenfalls sehr genoss. Den Wettstreit und die kleinen Neckereien. Aber das würde er niemals zugeben. Niemand hatte ihn je so herausgefordert wie sie, sowohl intellektuell als auch auf zwischenmenschlicher Ebene. Sie reizte ihn, er wollte mehr über sie wissen, ihr näher kommen, aber gleichzeitig wollte er sie auch von sich wegstoßen, so weit wie nur möglich und sei es nur um den Sticheleien der Rumtreiber zu entgehen. Es war eine Zwickmühle.
Als Slughorn sie schließlich aufforderte mit dem Brauen des Veritaserum zu beginnen, wollte Snape direkt los zur Vorratskammer eilen, aber Hermine hielt ihn zurück.
"Warum haben James und Sirius das vorhin gemacht?", fragte sie flüsternd, es wurmte sie und sie könnte nicht eher mit dem Brauen anfangen, bevor er ihr die Frage beantwortete.
"Um mir zu drohen", gab er nur emotionslos zurück. "Ich soll mich von dir fernhalten, sie denken ich bin nicht gut für dich."
"Willst du das denn? Dich von mir fernhalten?", fragte sie nur.
Er sah sie forschend an. Sie wirkte flehentlich und hielt ihn so fest am Arm, dass er dachte, wenn sie ihn losließe, er davon sicher einen blauen Fleck bekommen würde. Aber ihre Frage war berechtigt. Wollte er, dass sie sich fern hielt? Er fand sie anziehend und interessant, aber war es die Gemeinheiten der Rumtreiber wert? Warum fingen sie überhaupt jetzt wieder an ihn so zu bedrängen? Lange Zeit hatte er, bis auf einige bissige und hämische Kommentare, seine Ruhe gehabt, das taten sie alles nur ihretwegen.
"Willst du das denn? Immerhin manipuliere ich dich ja angeblich", gab er die Frage zurück und kam ihrem Gesicht mit seinem immer näher, so nah, dass sie seinen Atem spüren konnte. Und ihr Körper reagierte prompt. Sofort bekam sie eine Gänsehaut und ihr Herz schlug schneller.
"Warum sollte ich das denn wollen?", hauchte sie.
"Keine Ahnung, aber ich fange mir den Zorn von Black und Potter sicher nicht ohne Grund ein", meinte er nur und grinste. "Obwohl ich am liebsten ganz drauf verzichten würde."
"Warum hast du dich nicht gewehrt? Ich hab dich im Unterricht gesehen, ich wette du wärst besser und schneller als sie."
"Der klügere gibt nach, Graham", sagte er schlicht, entwand sich ihrem Griff und ging Richtung Vorratskammer, ließ Hermine Zeit über seine Worte nachzudenken. Ließ sie entscheiden, ob er ihr wichtig genug war, um sich weiterhin mit Potter und Black zu streiten. Es würde einiges über sie aussagen, egal wie ihre Entscheidung ausfiel.

Wie er in der Vorratskammer stand, war er dann doch ein wenig überrascht von sich selbst, nie war er jemandem und schon gar nicht einem Mädchen, offensiv so nah gekommen. Zudem fragte er sich, welcher Teufel ihn da geritten hatte, das so öffentlich und auffällig während des Unterrichts zu tun. Black und Potter hatten ihm relativ klar gemacht, was sie von ihrer Freundschaft, wenn man das denn so nennen konnte, hielten. Sie hatten gedacht er würde mit ihr spielen, dass er sie gegen sie aufhetzte und dass er sie schlussendlich verletzen würde, mit voller Absicht. Was dachten sie wer er war? Der Teufel persönlich? Aber er hatte es einfach wissen müssen, er musste in diesem Moment einfach wissen, wie sie reagieren würde, wenn er ihr so nah käme. Er war sich nicht sicher gewesen, welche Intentionen sie wirklich verfolgte, ob das alles nicht ein abgekartetes Spiel gewesen war, um ihn zu demütigen. Zu seiner Überraschung, war sie von seiner Nähe nicht überrumpelt gewesen, noch schien sie ihr unangenehm gewesen zu sein. Dass sein eigener Körper in ihrer Nähe aber so verrückt spielen würde, damit hatte er allerdings nicht gerechnet. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatte er sich noch gefragt, ob er sie überhaupt leiden konnte und jetzt stand er hier mit wild pochendem Herzen, völlig aus der Bahn geworfen von ihr. In ihm stieg ein Gefühl auf, eins von dem er geschworen hatte, es nie wieder zuzulassen. Erst als er alle Zutaten zusammengesucht hatte, hatte sich sein Herzschlag wieder etwas beruhigt und er fühlte sich wieder sicherer auf den Beinen. Es war ihr Geruch gewesen, ihr Atem in seinem Gesicht und dieser eindringliche Blick, der ihn völlig unvorbereitet getroffen hatte.

Als er zurückkam, stand Hermine noch an derselben Stelle wie zuvor und starrte auf die Tischplatte. Er grinste und trat zu ihr. Auch sie dachte noch über den Grund für ihren erhöhten Puls und das kribbelige Gefühl nach, das dafür gesorgt hatte, dass sämtliche Haare ihres Körpers sich aufgestellt hatten.
"Du hättest wenigstens schonmal Wasser erhitzen können", wiederholte er scherzhaft ihren Vorwurf aus der ersten Stunde und sie erschrak beim Klang seiner Stimme. Er lachte leise in sich hinein und reichte ihr den kleinen Kupferkessel. Selbst wenn sie mit ihm spielen sollte, auch sie hatte die Nähe scheinbar verwirrt, das konnte er ganz deutlich sehen.
Kaum hatte Hermine den Kessel mit Wasser gefüllt und auf den Brenner gestellt und Severus die Zutaten vor ihnen ausgebreitet, trat ihr eben geführtes Gespräch in den Hintergrund und die Routine, die sie inzwischen beim Brauen hatten, stellte sich ein. Sie arbeiteten im Einklang und sehr präzise, trotzdem waren beide nicht ganz bei der Sache, ihnen spukte diese Situation von eben, die plötzliche Nähe und die daraus resultierenden neuen Gefühle, noch im Kopf herum.
"Warum starrt dein Bruder ständig so hier rüber? Er wirkt nicht wirklich begeistert", stellte Severus nach einiger Zeit, in der sie still gebraut hatten, fest. Er hatte schon seit Beginn der Stunde seinen Blick gespürt.
"Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, er vertraut meinem Urteilsvermögen nicht, er hört lieber auf die Dinge, die andere ihm sagen", sagte sie, ohne aufzusehen.
"Dinge worüber?", wollte er interessiert wissen.
"Dich. James hat ihm von einem Vorfall mit Lily erzählt."
"Und du tust das etwa Glauben was James sagt?", stellte er die nächste Frage.
Natürlich wusste sie von Snape höchst selbst, dass James die Wahrheit gesagt hatte. Harry hatte ihr außerdem noch am selben Abend von dem Gespräch mit seinem Vater erzählt, als die anderen bereits im Bett waren. Er meinte erneut, dass er es verstehen könnte, dass sie nett zu ihm war, aber dass es vielleicht nicht die beste Idee wäre, das fortzuführen. Immerhin führte das ständig zu Reibereien mit James, Sirius und ihr. Daraufhin hatte sie gesagt, dass ihr das egal sei und sie es gemein von Sirius und James fände, wie sie zu ihm waren und sie jetzt sicher nicht ihre Prinzipien über Bord werfen würde, nur weil die beiden sein Vater und sein Pate waren.
"Ich vertraue meinem eigenen Urteil, aber ganz sicher nicht irgendwelchen Lästereien", wich sie der Frage nun geschickt aus. "Auch wenn ich mir recht sicher bin, dass er in diesem Fall die Wahrheit sagt", setzte sie nach kurzem Zögern doch noch hinten dran. Sie wusste nicht warum, aber sie wollte ihn nicht noch weiter anlügen, wollte ihm nicht verschweigen, dass sie es wusste. Sie hatte ihn schon genug angelogen, seit sie hier war.
"Und das schreckt dich nicht ab? Müsstest du mich jetzt nicht auch verachten?", wollte er überrascht wissen.
"Tut es dir denn leid?", fragte sie.
"Ja.. sehr", seine Stimme war nicht mehr als ein flüstern, so leise, dass sie ihn gerade noch so verstand.
"Warum sollte es das dann? Außerdem ist das eine Sache zwischen dir und Lily. Abgesehen davon, ohne Erlaubnis in meinen Kopf schauen zu wollen und dann und wann unfreundlich zu sein, hast du mir ja nichts getan. Jeder sagt mal etwas, was er nicht so meinte und bereut es später."
"Ich hab dich wohl doch falsch eingeschätzt, Graham", sagte er und lächelte.
"Ich hoffe, ich dich nicht, Snape", gab sie ebenfalls lächelnd zurück.
"Jetzt sieht er aus, als würden ihm vor Überraschung gleich die Augen herausfallen", kommentierte Severus Harrys Blick und Hermine kicherte leise. Vermutlich hatte Harry Snape nie lächeln sehen und war deswegen ganz geschockt. Sie warf noch einen kurzen mahnenden Blick zu Harry und widmete sich anschließend wieder ganz ihrer Aufgabe.

Auch dieses Mal stellten sie den Trank in Rekordzeit fertig, sehr zur Freude ihres Professors, der sie nach der Stunde noch kurz sprechen wollte.
"Miss Graham, Mister Snape", begann der Professor, nachdem alle Schüler den Raum verlassen hatten. "Ich muss schon sagen, zusammen scheinen Sie mir im Brauen ein unschlagbares Team zu sein."
Hermine errötete unter dem Lob und auch Snape wirkte etwas verlegen, aber vor allem stolz.
"Ich veranstalte immer mal wieder kleine Abendgesellschaften. Sie, Mister Snape, wissen das ja bereits, haben mich aber zu meinem Verdruss nie mit ihrer Anwesenheit beehrt", erklärte er, "Ich hoffe doch sehr, dass Miss Graham Sie diesmal überreden kann und Sie beide mir beim nächsten Mal Gesellschaft leisten." Er überreichte sowohl Hermine als auch Snape ein Pergament mit der Einladung und entließ sie zu ihrem nächsten Unterricht.
Auf dem Korridor hielt Hermine Severus erneut am Arm zurück, als er schon losstürmen wollte, um pünktlich zur nächsten Stunde, Verwandlung bei Professor McGonagall, zu kommen.
"Severus? Bitte, versprich mir, dass du mich jetzt nicht wieder bis zur nächsten Stunde meidest. Mir ist es egal, was die anderen dazu sagen. Ich kann dich-", sie räusperte sich verlegen,"- echt gut leiden. Und ich rede gerne mit dir."
Er sah sie lange an, fragte sich ob er ihr und ihren Worten trauen könnte, nickte dann aber und beschloss es darauf ankommen zu lassen. Immerhin hatte sie diese unglaubliche Wirkung auf ihn, der er nachgehen wollte.
"Hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber ich kann dich auch ganz gut leiden", sagte er und lächelte.
"Freunde?", fragte sie hoffnungsvoll und hielt ihm die Hand hin.
"Freunde", bestätigte er und schüttelte ihre Hand, die er, kaum dass er sie ergriffen hatte, am liebsten nicht wieder loslassen wollte. Dieses warme Gefühl, was ihre Worte und ihre Berührung in ihm auslöste, verwirrte ihn. Sie war wirklich ein ganz außergewöhnliches Mädchen, nie zuvor war er jemandem wie ihr begegnet.

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