6. Annäherung

Am Sonntag war das erste Quidditchspiel im Schuljahr, allerdings ein Freundschaftsspiel. Diese hatte der Professor, der zu dieser Zeit Flugstunden gab und Quidditch betreute, eingeführt. Zu Beginn des Schuljahres spielte jede Mannschaft ein Freundschaftsspiel und die Gegner wurden unter den vier Häusern ausgelost. So spielte heute Gryffindor gegen Slytherin und nächste Woche Hufflepuff gegen Ravenclaw. Eine andere Regel, die zu dieser Zeit galt und auch rigoros durchgesetzt wurde, war die Verpflichtung, dass jedes Team das gleiche Besenmodell benutzen musste, um eine Chancengleichheit herzustellen und niemanden zu übervorteilen. Auf Grund dieser Regel benutzten alle die Schulbesen. Hermine fand das gut - Harry, James und Sirius eher weniger, die drei diskutierten schon seit einigen Tagen darüber, so auch jetzt, nur eine halbe Stunde vor den Spiel. Sie saßen zu viert zusammen in der Bibliothek und erledigten ihre Hausaufgaben, jedenfalls tat Hermine das, die Jungs tuschelten nur aufgeregt miteinander.
"Müsst ihr nicht langsam los und euch umziehen?", fragte Hermine und klang dabei ein kleines Bisschen genervt, immerhin störten die drei ihre Konzentration.
James sah auf die Uhr: "Tatsächlich sollten wir bald los", meinte er, bewegte sich aber kein Stück von der Stelle und Hermine seufzte.
"Und du willst ernsthaft hier bleiben, Kätzchen?", fragte Sirius und lächelte sie an.
"Ja", fauchte sie, "Und zum letzten Mal, nenn mich nicht Kätzchen!"
Diesen blöden Spitznamen hatte er sich vor einigen Tagen angewöhnt und sie hasste ihn jetzt schon.
"Ach komm schon", quengelte jetzt James. "Das macht Spaß und wir brauchen euch, um uns anzufeuern. Lily und die anderen Mädels kommen auch."
"Verzichte", sagte sie wieder.
Sie hatte sich noch nie wirklich viel aus Quidditch gemacht, war früher nur zu jedem einzelnen Spiel gegangen weil Harry, Fred, George und später auch Ron und Ginny, ihre Freunde, spielten. Sie musste zugeben, dass auch die Weltmeisterschaft etwas für sich gehabt hatte und sie sich nur zu gerne von der Begeisterung ihrer Freunde hatte anstecken lassen. Aber hier, in dieser Zeit, hatte sie wirklich kein Interesse daran.
"Lasst sie einfach", meinte Harry und erhob sich. "Wenn sie nicht mag, dann mag sie nicht. Und jetzt lasst uns Slytherin fertig machen." Harry sagte das so enthusiastisch, als würde er selbst spielen, womöglich vergaß er gerade, dass er in dieser Zeit nur auf der Tribüne sitzen würde.
Die Jungs packten ihre Sachen und sie wünschte James und Sirius viel Erfolg. Harry fragte nochmal, ob sie nicht doch Lust hätte mitzukommen, aber sie schüttelte den Kopf, sie wollte einfach alleine sein. Harry nickte und folgte seinem Vater, ihm gefiel es gar nicht, dass Hermine sich swit sie hier waren häufig so abkapselte. Er machte sich Sorgen. Zwar verstand sie sich mit allen gut und hatte Freundschaften geschlossen aber dennoch wirkte sie immer so verschlossen, auch ihm gegenüber.
Auf ihrem Weg aus der Bibliothek kam ihnen Snape entgegen und James und Sirius konnten sich einen gemeinen Kommentar ihm gegenüber nicht verkneifen. Severus reagierte aber nicht weiter darauf und ging einfach weiter. Er war inzwischen gut darin solche Sticheleien auszublenden.

Severus war ebenso dankbar wie Hermine für dieses blöde Spiel, weil jetzt endlich einmal für einige Stunden Ruhe im Schloss herrschen würde. Er ging in den hinteren Teil der Bibliothek, zu dem Tisch, an dem er sonst auch immer saß . Dort fand er zu seinem Missfallen allerdings Hermine vor. Genervt stand er vor ihr und sah sie sauer an.
"Severus", begrüßte sie ihn tonlos und schrieb ungerührt weiter auf ihr Pergament. "Kann ich dir helfen?" Sie hob den Blick und sah seinen entnervten Gesichtsausdruck und seufzte erneut. War es denn niemals möglich nur eine ruhige Minute zu haben? Sie wollte einfach für einige Zeit hier sitzen und in den Hausaufgaben versinken und damit alles andere, das ihr unweigerlich immer wieder durch den Kopf ging, ausblenden.
"Du sitzt auf meinem Platz, Graham", teilte er ihr mit zusammengebissenen Zähnen mit.
"Wirklich? Ich wusste nicht, dass du den Platz hier reserviert hast", gab sie ironisch zurück. "Womöglich hättest du ein Schild anbringen sollen."
"Willst du mich jetzt wieder veralbern?" Seine Stimme war gespickt von Ärger.
"Wer hat denn angefangen?", fragte sie zuckersüß. Sie wusste inzwischen, dass er auch ganz anders sein konnte, warum also musste er immer so auf Angriff getrimmt sein?
"Also entweder du suchst dir 'nen anderen Platz oder setzt dich zu mir, ich werde hier jedenfalls nicht so bald weggehen. Deine Entscheidung", teilte sie ihm mit.
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und Hermine richtete den Blick wieder auf ihre Bücher.
Kurz dachte er über ihre Worte nach, erinnerte sich an die gestrige Begegnung mit ihr im Buchladen, bei der sie schon so schlagfertig gewesen war. Sie forderte ihn heraus, mit ihrem ganzen Sein und sie hatte irgendwelche Geheimnisse, dem war er sich sicher. Irgendwie hatte sie eine Wirkung auf ihn, mehr als jede Person, die er vorher getroffen hatte und er war sich nicht sicher ob er das als gut oder schlecht empfand. Aber jetzt hatte er die Möglichkeit, vielleicht einige seiner Fragen beantwortet zu bekommen. Also setzte er sich doch, wenn auch ein wenig widerwillig, zu ihr. Hermine quittierte das mit einem Lächeln, hob aber nicht erneut den Blick. Severus war auch in dieser Zeit ein großes Rätsel für sie und sie freute sich darauf, es zu lösen. Es war so ziemlich das einzige, was sie in dieser Zeit reizte.

"Verwandlung?", fragte Severus und deutete auf ihren Aufsatz.
"Ja, ich schreibe über permanente und temporäre Zauber." Er nickte und schlug nun auch sein Buch auf, er musste ebenfalls noch den Aufsatz schreiben.
"Sag mal, warum hast du gestern wirklich nach Büchern über Zeitumkehrer gesucht?", fragte er. Diese Frage, von der sie ihn gestern so geschickt abgelenkt hatte, spukte seit dem immer wieder in seinem Kopf herum. Er war sich sicher, dass da mehr war, als sie zugab.
"Es gehört zwar nur bedingt in den Kurs Geschichte der Zauberei, aber ich habe mich nach Binns' Erwähnung der Zeitumkehrer in der Mysteriumsabteilung des Ministeriums einfach gefragt, ob die Zeit veränderlich oder konsistent ist", erläuterte sie ihm. Natürlich hatte sie das aus anderen Gründen herausfinden wollen, aber der Vortrag von Binns kam ihr da jetzt gerade gelegen.
Severus blinzelte überrascht, mit einer solchen Antwort hatte er weniger gerechnet. Aber es war wirklich eine interessante Frage.
"Und was denkst du darüber?", fragte er.
"Schön, dass du diesmal fragst, statt es selbst herausfinden zu wollen", stichelte sie und er verdrehte die Augen. Wollte sie ihn damit jetzt wieder ablenken?
"Ich denke sie ist konsistent", sagte Hermine. "Dieser Meinung sind auch viele Forscher. Ich finde den Gedanken an Zeitschleifen und alternative Universen auch ehrlich gesagt ziemlich beängstigend und verwirrend."
"Fragt sich nur ob es beruhigend oder eher beunruhigend ist, daran zu glauben, dass alles endgültig ist", sagte er sofort ohne nachzudenken.
"Siehst du, wenn du so bist wie jetzt, dann mag ich dich", bemerkte Hermine völlig aus dem Nichts heraus. Severus runzelte die Stirn. So eine Bemerkung hatte sie schon mehrmals gemacht und auch jetzt wusste er nicht, was er damit anfangen sollte. Konnte er sie denn leiden? Er fand sie interessant und sie war beeindruckend in ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten, aber mochte er sie? Er schüttelte den Kopf, vertrieb den Gedanken.
"Also, warum bist du nun so plötzlich hier aufgetaucht?", stellte er die nächste Frage, die ihm unter den Nägeln brannte. Außerdem hatte sie selbst gesagt er sollte sie einfach fragen, wenn er etwas wissen wollte. Wobei es ihm immer noch lieber gewesen wäre, einfach in ihren Kopf zu schauen, denn Menschen konnten lügen, Gedanken nicht.
"Wird das jetzt ein Verhör? Ich dachte du kennst die Gerüchte", sagte sie nur, legte die Feder beiseite.
"Offensichtlich nicht", kommentierte er trocken.
"Aber du hast von dem Angriff auf Edgar Bones und seine Familie gelesen, oder?", fragte sie und setzte ein betroffenes Gesicht auf.
"Sie wurden alle getötet", sagte er und nickte. "Von Todessern sagt man."
"Ja, von Todessern..", flüsterte sie. "Eine reinblütige Familie, die sich gegen den dunklen Lord stellt, verwandt mit Blutsverrätern - meinen Eltern."
"Ihr seid also hierher geflohen?", fragte er überrascht.
"Unsere Eltern wollten uns in Sicherheit wissen. Wir wurden bis jetzt von Privatlehrern zuhause unterrichtet, mein Bruder und ich", setzte sie auch Harrys Lüge vom ersten Abend hinterher.
"Das- Ähm, das tut mir leid", meinte er verlegen, jetzt schämte er sich ein wenig so an ihr gezweifelt zu haben. Wobei ihm jetzt auch das Interesse an der Zeit ein wenig mehr einleuchtete.
Sie wollte wissen, ob man es hätte verhindern können, jetzt im Nachhinein noch, überlegte er. Wer würde sich diese Frage nicht stellen, nachdem ein Teil der Familie ausgelöscht wurde und der andere auf der Flucht ist und eventuell das gleiche Schicksal zu fürchten hat? Diese Erkenntnis warf ein ganz anderes Licht auf alles, was er dachte über sie zu wissen. Er hatte ihr wohl doch etwas zu voreilig misstraut. Dennoch würde er seine Zweifel jetzt noch nicht sofort über Bord werfen, sie war immer noch die Schwester von Harry und, ebenso wie er, mit den Rumtreibern befreundet.
"Danke", flüsterte sie, riss ihn aus seinen Überlegungen.
"Hast du überlegt, ob du sie retten kannst?", sprach er seinen Gedanken aus. "Falls die Zeit doch veränderlich ist."
"Wer würde das nicht?", stellte sie eine Gegenfrage. "Außerdem fühle ich mich schuldig. Meine Cousins wären vermutlich nicht gestorben, wenn ich an diesem Tag nicht so getrödelt hätte. Ich sollte sie zuhause abholen und wir wollten in die Winkelgasse. Ich bin bereits volljährig und wollte uns apparieren, aber ich kam zu spät. Wir wären gar nicht mehr dort gewesen, wenn sie gekommen wären."
Sie senkte den Kopf, die Geschichte war nur zum Teil gelogen, Ron war tatsächlich ihretwegen gestorben, weil sie zu spät reagiert hatte. Warum sie das jetzt aber gerade ihm erzählte, wusste sie nicht. Sie hatte diese Schuld bisher verschwiegen, nicht darüber gesprochen, noch nicht einmal mit Harry, mit niemandem. Warum also gerade mit ihm? Vielleicht weil er sich später auch die Schuld an Lilys Tod geben wird, überlegte sie, vielleicht würde er es verstehen, auch wenn das jetzt noch nicht passiert ist. Vielleicht wollte sie ihm nur zeigen, dass jeder Fehler machte und die Folgen manchmal schier unmöglich zu ertragen waren, sie aber zum Leben dazu gehörten. Aktion und Reaktion, Ursache und Wirkung.

"Ich denke nicht, dass es deine Schuld ist. Woher hättest du das wissen sollen?", sagte Severus nach einiger Zeit und seine Stimme klang so tröstend und ruhig. So hatte sie ihn noch nie sprechen hören. Er empfand Mitleid mit ihr, fand es schrecklich, dass sie sich für etwas verurteilte, worauf sie überhaupt keinen Einfluss hatte.
"Dennoch hätte ich früher da sein müssen", sagte sie traurig und zuckte die Achseln. "Aber lass uns bitte einfach über was Anderes reden."
Severus konnte ihren Wunsch nach einem anderen Thema gut nachvollziehen, sie wollte nicht weiter über den Verlust ihrer Familie nachdenken. Aber dass sie weiter mit ihm reden wollte, das überraschte ihn. Er hatte erwartet, dass sie nun gehen oder ihn wegschicken würde, wegen seiner Neugier.
"Also..", begann er, durchforstete seinen Kopf nach einem unverfänglichen Thema. "Du hattest keine Lust auf Quidditch?", fragte er schließlich das erstbeste, das ihm einfiel. Es klang total banal und brachte sie auch deswegen tatsächlich zum Lachen.
"Also ein besonderes Talent für Smalltalk hast du nicht", sagte sie lachend.
"Schuldig im Sinne der Anklage", er hob abwehrend die Hände und konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Er hatte tatsächlich keine Übung darin. Heute Abend würde er sich darüber wundern, dass er so ungezwungen und freundschaftlich mit ihr geredet hatte, dass er sich einfach dazu hinreißen lassen hatte, alle Vorsicht in den Wind zu schlagen und ihr einen Vertrauensbonus eingeräumt hatte, als wäre sie nicht eine Gryffindor oder die Schwester des neuesten Rumtreibers. Aber jetzt verbrachten sie den Rest des Nachmittages zusammen mit Hausaufgaben und Diskussionen über verschiedene Zauber, als wäre es nie anders gewesen. Es tat ihr gut und sie vergaß dabei die Zeit und alles Andere um sich herum. Sie freute sich, einmal so angeregte Gespräche über anspruchsvollere Themen als Quidditch, den Schultratsch und Streiche zu philosophieren. Das hatte ihr immer gefehlt, jemand in ihrem Alter, der ihr intellektuell das Wasser reichen konnte und dem sie nicht erst erklären musste, wovon sie sprach. Jemand, der an neuen Theorien genauso interessiert war wie sie. Was hätte sie dafür gegeben, wenn jemand wie Severus auch zu ihrer Zeit in ihrem Jahrgang gewesen wäre. Natürlich liebte sie ihre Freunde und verbrachte sehr gerne Zeit mit ihnen und fühlte sich ihnen verbunden wie Geschwistern, aber das hier hatte ihr dennoch immer gefehlt. Sie hoffte, dass diese Vertrautheit, die sich an diesem Nachmittag zwischen ihnen entwickelt hatte, von Dauer war und er nicht am nächsten Tag wieder abweisend wäre.

Bester Laune betrat sie später den Gemeinschaftsraum. Ihr schlugen direkt verärgerte Stimmen entgegen. Verwundert sah sie ihre Freunde an, die sich in einer Ecke des Femeinschaftsraumes um einen kleinen Tisch versammelt hatten. "Mine, du scheinst im Gegensatz zu den Jungs einen schönen Nachmittag gehabt zu haben", begrüßte Lily sie vergnügt.
"Sie ist ja auch die einzige, die Spaß an Hausaufgaben hat", witzelte Sirius.
"Habt ihr etwa verloren?", versuchte Hermine sofort von sich abzulenken und sah sich forschend im Gemeinschaftsraum um. Alle schienen aufgebracht und diskutierten aufgeregt.
"Trotz dessen, dass Krone den Schnatz gefangen hat", meinte Remus.
"Sie haben total unfair gespielt", meckerte Harry.
"Wir mussten mit zwei Mann weniger spielen. Ohne Hüter und mit nur einem Jäger!", mischte sich Sirius wieder empört ein.
"Erst haben sie Eddie, den Hüter, mit einem Klatscher abgeschossen und dann Helen in den Schwitzkasten genommen und zum Absturz gebracht", erklärte Lily.
"Und Professor Mitchell hat das durchgehen lassen?", fragte Hermine entgeistert und setzte sich zu Remus aufs Sofa.
"Klar! Der war parteiisch", fluchte James.
"Aber ich dachte es war ein Testspiel, es zählt doch eh nicht", sagte Hermine. "Das ist doch völlig unnötige Härte."
"Dennoch haben wir verloren", sagte Sirius niedergeschlagen.
"Aber dafür war euer Streich wirklich super", meldete sich zum ersten Mal Peter zu Wort, der sich so weit im Hintergrund gehalten hatte, dass Hermine ihn glatt übersehen hatte.
"Streich?", fragte sie und sah Sirius und Harry an.
"Sie haben die Besen der Slytherin so verzaubert, dass sie rote und goldene Sterne hinter sich hergezogen haben", erklärte James und wirkte ungeheuer stolz auf seine Freunde. "Alle haben gebrüllt vor Lachen!"
Sie haben sie lächerlich gemacht und da wundern sie sich, dass sie unfair spielen?, dachte Hermine kopfschüttelnd.
"Und im nächsten Spiel seid ihr dann auch auf ihre Gemeinheiten vorbereitet und gewinnt", fügte Harry noch begeistert hinzu.
"Sind Helen und Eddie denn okay?", erkundigte sich Hermine.
"Eddie hat eine geprellte Rippe vom Klatscher, sonst nur blaue Flecke, Dumbledore hat ihren Fall zum Glück rechtzeitig gebremst", warf Lily ein.
"Merlin sei Dank! Quidditch ist doch echt barbarisch!", sagte Hermine und alle sahen sie geschockt an.
"Hey! Beleidige nicht unsere Religion!", protestierte Sirius.
"Oh, Entschuldigung", meinte Hermine und hob ergeben die Hände. "Wusste nicht dass das für euch so ein Sakrileg ist."
"Es sei dir verziehen, Kätzchen", sagte Sirius und verbeugte sich. "Du bist halt nicht von hier."
Alle begannen schallend zu lachen und die Stimmung wurde etwas aufgelöster.

"Und was hast du noch Schönes gemacht?", fragte Remus und lächelte sie wiedef mit diesem wissenden Ausdruck in dem Augen an.
"Ich war die ganze Zeit in der Bibliothek und hab Hausaufgaben gemacht", sagte sie fröhlich.
Sirius schüttelte den Kopf: "Und da hast du so gute Laune?"
"Ich habe mich dabei sehr angeregt mit Severus unterhalten, wenn du es genau wissen willst."
"Nicht ernsthaft?", warf James sofort ein. "Mine, wir haben dir doch gesagt, dass er.."
"Gemein und gefährlich ist?", fuhr sie ihm dazwischen. "Und ich hab euch schon gesagt, dass ihr echt übertreibt. Ich kann ihn ganz gut leiden und er hat mir nichts getan!"
"Ja, jetzt noch nicht", Sirius verengte die Augen zu Schlitzen. "Sei vorsichtig bei ihm, Kätzchen!"
"Hör verdammt nochmal auf mich Kätzchen zu nennen!", sagte sie aufgebracht. "Und du James, bist blind vor Hass! Du weißt doch gar nicht, wie er wirklich ist."
"Und du schon?", fragte er. "Du kennst ihn gerade mal einige Wochen, wir kennen ihn sechs Jahre."
"Und wie oft in diesen sechs Jahren hast du dich mal ernsthaft mit ihm unterhalten?", fragte sie und funkelte ihn wütend an. James öffnete ein paar mal den Mund, sagte aber nichts.
"Dachte ich mir", sagte Hermine schnippisch. "Dann solltest du dir vielleicht auch kein Urteil erlauben! Ich bin es echt leid, alle paar Tage diese Diskussion zu führen. Ich will mir mwine eigene Meinung bilden."
"Hermine, er meint es doch nur gut", versuchte Lily die Diskussion abzukühlen. "Wir alle meinen es nur gut."
"Ja klar, erzählt das der fetten Dame", wetterte sie. "Ihr seid einfach nur eingefahren in eurer Meinung, die meisten von euch haben ihm nicht einmal eine Chance gegeben. Und du hast dich von ihm abgewendet, nur weil er nicht so war, wie du ihn gerne gehabt hättest."
"Er hat sie beleidigt!", verteidigte James seine Freundin sofort.
"Und es tut ihm sicher leid, aber keiner von euch hat ihm überhaupt die Chance gegeben sich zu entschuldigen. Außerdem hast du, soweit ich weiß, schon vorher angefangen ihn zu meiden. Eine tolle Freundin..", redete sie sich weiter in Rage und alle sahen sie geschockt an, das bekam sie allerdings nicht mehr mit. Während ihrer Rede war sie bereits aufgestanden und hatte sich danach direkt auf dem Absatz umgedreht und war in Richtung der Schlafsäle verschwunden.
"Was zum Merlin war das denn?", fragte Sirius und sah ihr verwirrt hinterher.
"Warum ist sie so sauer?", wunderte sich Lily. "Wir haben ihr doch gar nichts getan."
"Ich werde Schniefelus den Arsch aufreißen!", drohte Sirius sauer. "Der hetzt sie doch mit Absicht gegen uns auf!"
"Lasst ihr erstmal fünf Minuten, dann rede ich mal mit ihr", sagte Harry und sah zu der Treppe, die zu den Schlafsälen hinauf führte. Was war nur mit seiner besten Freundin los? Sie hatte zwar schon immer ein ausgeprägtes Gefühl für Recht und Unrecht gehabt, aber normalerweise wurde sie dabei nicht so wütend und laut.

Hermine saß auf ihrem Bett, die Hände neben sich abgestützt, die Augen geschlossen und atmete tief ein und aus. Warum hatte sie so aufbrausend reagiert? Sie strich sich durch die zerzausten Haare, ließ nochmal alles vor ihrem inneren Auge ablaufen. Am meisten hatte sie geärgert, dass ihre Abneigung zum Großteil auf vorgefertigten Meinungen über ihn beruhten und nicht daher rührten, dass sie ihn, abgesehen von Lily, wirklich kannten. Aber wer war sie zu behaupten, dass sie ihn kannte? Die Anderen hatten schon recht gehabt, ein wenig jedenfalls. Sie kannte nur den Professor Severus Snape, der sie sechs Jahre unterrichtet hatte. In diesen sechs Jahren hatte sie ihn häufig als zynischen und unfreundlichen Menschen kennengelernt, als einen Einzelgänger, verschlossen und geheimnisvoll. Woraus er aber nie ein Geheimnis gemacht hatte, war seine Abneigung gegen drei gewisse Gryffindors, zu denen auch sie gehörte. Dennoch hatte er sie alle so oft gerettet und beschützt, hatte immer auf ihrer Seite gestanden, heimlich und unerkannt. Erst seine Erinnerungen hatten ihr gezeigt, dass in ihm ein verzweifelter und verletzlicher Charakter steckte und dass die Summe seiner Erfahrungen ihn erst zu dem Menschen gemacht hatten, den sie kannte. Hier hatte sie aber den Teenager Severus Snape vor sich, der auch jetzt schon ein wenig von dieser abweisenden Art nach außen trug, aber bei weitem noch nicht so ausgeprägt. All das, was ihn zu dem Professor aus ihrer Zeit machen würde, würde er erst noch erleben. Sie fragte sich, ob das alles von den Hänseleien der Rumtreiber und dem Vorfall mit Lily herrührte, oder ob es da noch andere Faktoren gab. Diesen Severus kannte sie tatsächlich nicht so gut, wie sie dachte. Sie hätte die anderen nicht so anfahren sollen. Vermutlich meinten sie es wirklich nur gut und wollten sie beschützen, aber das war wirklich der falsche Weg.
Sie seufzte, sie hatte nun mal eine schwäche für Charaktere, die auf den ersten Blick stoische, unnahbare Idioten waren, bis sich herausstellt, dass der Grund dafür darin liegt, dass sie einfach schlechte Erfahrungen gemacht haben und dadurch völlig unbeholfen sind, was soziale Interaktionen angeht. Wie die Helden in ihren Jane Austen Romanen, die sie so liebte.

"Mine?", vorsichtig betrat Harry den Mädchenschlafsaal.
"Es tut mir leid, dass ich eben so..", sie gestikulierte wild, "Naja.."
"Aufbrausend warst?", fragte er und setzte sich zu ihr. Sie nickte. "Ja, das trifft es ganz gut."
"Da solltest du dich aber nicht bei mir entschuldigen", sagte er.
"Oh Gott, ich hab Lily ganz schön vor den Kopf gestoßen, oder?", fragte sie und vergrub das Gesicht in den Händen. "Was ist nur in mich gefahren?"
"Tja, genau das wollte ich eigentlich dich fragen", sagte er und löste ihre Hände vom Gesicht.
"Ich hab keine Ahnung, Harry", flüsterte sie. "Ich glaube diese Zeit hier macht mich einfach wuschig."
Sie schwieg einen Moment, sammelte ihre Gedanken.
"Severus hat mich gefragt, warum wir hier sind und ich hab ihm eine Lüge nach der Anderen aufgetischt. Ich hab mich so furchtbar dabei gefühlt. Ich konnte das Bedauern und Mitleid in seinen Augen sehen.."
"Hast du deswegen so reagiert?", fragte er. "Weil alles eine Lüge ist?"
"Auch.. Ich denke es war die Gesamtheit von allem. Wahrscheinlich weil ich alle vermisse und weil ich mich schuldig fühle, vor allem gegenüber Ron, weil ich ihm ebenfalls zuletzt keine gute Freundin war..", sie schluckte und schüttelte den Kopf. "Und dann höre ich jedes mal, wenn sie so über ihn reden meine Klassenkameraden von früher, ihre Hänseleien und die schrecklichen Spitznamen.. Ich hatte das Glück dann in Hogwarts dich und Ron zu haben, aber wen hat er? Er hat niemanden."
Harry legte beruhigend einen Arm um ihre Schulter.
"Ich werde dieses Bild einfach nicht los, wie er weinend in dem zerstörten Haus kniet und verzweifelt den leblosen Körper deiner Mutter umklammert. Die einzige Person, die er jemals geliebt hat. Ich hab gesehen, wie er sein kann, dass da so viel mehr in ihm ist, wenn man es nur versucht und.."
"Du kannst es einfach nicht ertragen, dass es sonst niemand sieht, dass das alles sein soll", beendete er ihren Satz, fühlte einen leichten Stich im Herzen als Hermine seine Mutter erwähnte.
"Ich frage mich immer, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich damals nicht im Mädchenklo von diesem Troll angegriffen worden wäre. Wie wäre meine Schulzeit dann wohl verlaufen? Wenn wir nie Freunde geworden wären?"
"Vermutlich wären Ron und ich bereits im ersten Jahr gestorben", sagte Harry, versuchte auf eine morbide Art die Stimmung etwas aufzuhellen. Aber sein Lächeln war traurig, es erreichte seine Augen nicht.
"Aber was wäre mit mir passiert?", fragte sie. "Wäre ich wohl auch so geworden? Allein und verbittert?"
"Ich weiß es nicht, Mine. Und wir werden es auch, Gott sei Dank, nie erfahren. Es ist bereits so passiert und das ist gut so."
"Ja, aber das hier vielleicht nicht."
"Ich verstehe deinen Gedanken, aber ich halte es für gefährlich, wenn du mit ihm befreundet bist, es könnte alles ändern", sagte Harry. "Wir können nicht wissen, ob Dumbledore mit der Zeit recht hat."
"Das gleiche könnte ich bezüglich deiner Eltern, Remus und Sirius sagen", erwiderte sie, "Auch das könnte alles verändern."

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