5. Warnung und Misstrauen
Langsam vergingen mehrere Tage und Harry und Hermine gewöhnten sich langsam an den Gedanken, zwanzig Jahre in der Vergangenheit festzusitzen. Beide freundeten sich nach und nach immer mehr mit den Rumtreibern, Lily und Hermines anderen Zimmergenossinnen an. Nur Severus verhielt sich Hermine gegenüber außerhalb des Zaubertränkeklassenzimmers wieder eher argwöhnisch und fast unfreundlich. Was aber vielleicht auch daran lag, dass sie immer mit einem ihrer Gryffindorfreunde unterwegs war. Zudem hatten James und Sirius es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht, ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor allen lächerlich zu machen. Bisher hatte sie noch nichts dazu gesagt, waren ihre Streiche doch bisher recht harmlos, aber jedes Mal juckte es sie in den Fingern, den beiden Hauskameraden dasselbe zurückzugeben.
"Du und Severus, was ist das?", fragte Lily eines Abends, als sie gerade in ihrem Zaubertrankbuch las.
"Was meinst du?", fragte sie, verwirrt von der Frage, die so völlig aus dem Nichts kam.
"Naja, du siehst ihn immer so komisch an. Ich kann diesen Blick gar nicht beschreiben, irgendwie neugierig. Du redest bereitwillig mit ihm, obwohl er meistens zu jedem unfreundlich ist, fast als würdest du dich unbedingt mit ihm gutstellen wollen. Aber in Zaubertränke scheint ihr euch dagegen ziemlich gut zu verstehen", erklärte sie. "Und du hast auch immer diesen bösen Blick, wenn die Jungs einen Scherz über ihn machen."
Einen Scherz?, dachte sie, für sie sind das nur kleine Scherze? Für mich ist das gezieltes Mobbing! Sie spürte wie sie sauer wurde, schluckte ihren Ärger aber herunter und versuchte ihr ruhig und sachlich zu antworten.
"Ich finde nur, dass Severus..", wollte sie gerade zu einer Erklärung ansetzen, als James sie unterbrach.
"Hab ich dich gerade von Schniefelus reden hören?", fragte James, ließ sich neben Lily aufs Sofa fallen und legte einen Arm um sie.
"Warum nennt ihr ihn so?", fragte Hermine und klappte das Buch zu.
"Weil er ein Idiot ist, außerdem hat er einen Riesenzinken", meinte dieser Schulterzuckend.
"Das ist echt gemein. Ich nenne dich doch auch nicht Maulwurf oder Brillenschlange", gab sie schlagfertig zurück.
"Merlin ist das süß", meinte er gespielt verzückt. "Habt ihr das gehört Jungs? Mine hier verteidigt den guten Schniefelus", rief er und drehte sich zu seinen Freunden um, Sirius und Peter lachten, während Harry und Remus, völlig in ihr Kartenspiel vertieft, nicht einmal reagierten.
"James, lass das!", mahnte Lily ihn angesäuert.
"Wieso? Sie sollte wissen, dass sie sich damit keinen Gefallen tut."
"Was soll das denn heißen?", warf Hermine nun wütend ein.
"Ach Minchen, du musst noch viel lernen", meinte Sirius und ließ sich neben ihr nieder, legte, ebenso wie James eben bei Lily, einen Arm um ihre Schultern. "Der gute Schniefelus ist nicht so unschuldig wie du denkst."
Hermine verdrehte die Augen und schüttelte seinen Arm ab.
"Er hat schon Recht, Hermine", warf nun Lily zögernd ein. "Ich war auch mal mit ihm befreundet."
"Wer sagt denn, dass wir Freunde sind, ich habe vielleicht zwei Mal mit ihm gesprochen. Ich halte es nur für gemein ihm solche Spitznamen zu geben", verteidigte sie sich.
"Er hat Lily Schlammblut genannt", platzte es nun aus Sirius heraus, "Wie würdest du das finden?"
"Hat er?", fragte sie gespielt unwissend und alle drei nickten. "Das wusste ich nicht und ich will das auch sicherlich nicht entschuldigen, dieses Wort ist furchtbar, aber-"
"Was aber?", fragte James herausfordernd.
"Mir hat er nichts getan und deswegen müsst ihr ihn auch trotzdem nicht quälen", sagte sie. "Ja, ich hab das gesehen, eure ganzen kleinen Gemeinheiten!"
"Die er mehr als verdient hat", schoss Sirius zurück.
"Warum? Weil er einen 'Riesenzinken' hat? Weil er einmal etwas Falsches gesagt hat? Damit seid ihr nicht besser als er."
James und Sirius sahen ihre neue Freundin geschockt an.
"Lasst sie einfach!", forderte Lily und scheuchte die Jungs weg.
"Hermine, bitte sei einfach vorsichtig", bat sie sie. "Ich hab ihn auch immer verteidigt und wo hat das alles hingeführt, er nennt mich ein Schlammblut und widmet sich trotzdem weiter der dunklen Magie. Ich will nur nicht, dass er dich auch so verletzt."
Hermine nickte nur resigniert und schlug ihr Buch wieder auf.
Vorsichtig sein, dachte sie, kommt mir aufgrund dessen, was passiert ist, ein wenig überzogen vor. Was hatte Severus schon getan? Er hatte sie ja nicht verflucht oder körperlich angegriffen, er hatte etwas gesagt, was für Menschen ihrer Herkunft nicht schön war, aber deswegen gleich komplett mit ihm brechen? Wie oft hatte Malfoy sie während ihrer Schulzeit so genannt? Wahrscheinlich öfter als sie sich jetzt erinnern konnte und dennoch, zum Schluss war er nur ein Opfer seiner Erziehung und der Angst gewesen, keinesfalls durch und durch schlecht. Zugegeben, sie mochte ihn nicht besonders, aber dennoch war sie mit ihm ausgekommen, aber Lily vermied es sogar nur ein 'Hallo' zu ihm zu sagen. Was hätte sie selbst getan, wenn beispielsweise Ron oder Harry sie ein Schlammblut genannt hätten? Natürlich war die Situation nicht vergleichbar, immerhin waren Lily und Severus schon vor Hogwarts befreundet, aber was hätte sie getan? Wahrscheinlich hätte es sie verletzt und sie hätte die beiden vorerst gemieden, aber sie waren doch trotzdem Freunde gewesen. Würde man so etwas einfach wegschmeißen? So oder so, wahrscheinlich hätte sie ein Gespräch gesucht, nachdem sie sich beruhigt hätte und sicher hätten sie sich dann entschuldigt und schließlich hätte sie ihnen verziehen, oder? Es kam ja auch immer auf die Umstände und die Situation an, in der jemand sich so verhielt. Wer hatte nicht schon einmal im Affekt und überwältigenden Emotionen heraus wtwas gesagt, was einem später leid tat? Und schon bevor Severus Lily so genannt hatte, hatte sie sich von ihm distanziert, das wusste sie aus seinen Erinnerungen, und warum? Weil er die dunklen Künste faszinierend fand. Eine Faszination, die sie durchaus nachvollziehen konnte. Wichtig war doch nicht, dass er sich dafür interessierte, wichtig waren nur die Intention und der verantwortungsvolle Umgang mit dem Wissen. Anders als Lily hatte sie durchaus Verständnis dafür und auch ein wenig für seinen Wutausbruch, bei dem er sie schließlich als Schlammblut beschimpfte. Er war eifersüchtig und gekränkt gewesen, ebenso wie Ron damals im vierten Jahr, also sie mit Viktor Krum zum Weihnachtsball ging. Auch Ron hatte ihr daraufhin verletzende Dinge an den Kopf geworfen, aber sie hatte ihm verziehen. Warum konnte Lily das nicht auch bei Severus? Oder lag es an dem Druck, den ihre Freunde auf sie ausübten? Immerhin hassten die Rumtreiber Snape nicht erst seit diesem Vorfall. Seufzend schob sie die Gedanken von sich. Das hier war nicht ihre Zeit, sie konnte und dirfte ohnehin nichts verändern. Warum also sollte sie auch versuchen, ihre Meinung zu ändern?
*
Am Donnerstagmittag hatte der Schulleiter sie und Harry zu sich gerufen. Leider hatte er ihnen mitteilen müssen, dass die Aufzeichnungen über die Forschungen zum Zeitumkehrer im Ministerium unter Verschluss waren und nicht einmal ein hochrangiger, dort angestellter, Freund da herangekommen war. Er hatte nun einen weiteren Freund und Forscher kontaktiert und hoffte, dass dieser ihm helfen konnte. Auch Hermine hatte heimlich in der Bibliothek Nachforschungen angestellt, aber leider nicht mit herausragendem Erfolg. Sie hatte nichts erfahren, was sie nicht bereits gewusst hatte.
Sie waren ihrer Rückkehr in ihre Zeit also keinen Schritt näher gekommen und langsam schwand Hermines Hoffnung, dass sie überhaupt ohne Probleme zurückreisen konnten. Nur Harry war in seinem Glauben an den Schulleiter und seine Fähigkeit, für alles eine Lösung zu finden, nach wie vor unerschütterlich.
Als sie nach der Mittagspause und dem Gespräch mit Dumbledore in den Klassenraum für Verteidigung gegen die dunklen Künste kamen, steuerte Harry sofort den Platz neben Sirius an und ließ sie einfach wie bestellt und nicht abgeholt in der Tür stehen.
Wunderbar, fluchte sie innerlich.
Sie sah sich um und seufzte. Ihr blieb keine andere Möglichkeit, als sich neben Severus zu setzen, der sie seit der Doppelstunde Zaubertränke vor zwei Tagen wieder gemieden hatte.
"Hallo Severus", begrüßte sie ihn leise und holte ihr Buch aus der Tasche.
"Hermine", antwortete er ohne irgendeine Emotion in der Stimme und genauso leise, sah sie dabei nicht mal an.
"Wie geht es dir?", versuchte sie Small-Talk zu machen.
"Kann dir doch egal sein", gab er kalt zurück.
"Wow. Und ich dachte wir würden ab jetzt freundlich miteinander umgehen.", sagte sie ein wenig gekränkt.
"In Zaubertränke, weil wir dort zusammen arbeiten müssen", erklärte er und brachte es fertig, sie noch immer nicht anzusehen.
"Was habe ich dir denn getan?", fragte sie wieder und sah ihn flehentlich an. Es war ihr unbegreiflich, wie er einfach so zwischen diesen beiden Persönlichkeiten hin und her wechseln konnte. Als wäre er ein komplett anderer Mensch, sobald er das Zaubertränkeklassenzimmer betrat und wieder verließ.
"Nichts, was du ändern könntest", meinte er kryptisch und etwas verspätet. Noch immer sah er sie nicht an.
Severus hatte wirklich keine Lust, mehr als unbedingt nötig mit ihr zu reden, das würde nur Angriffsfläche für weitere Sticheleien und Gemeinheiten der Rumtreiber bieten. Und sie war immerhin mit Potter befreundet. Ihre Frage war zudem völlig falsch gestellt gewesen, es ging ihm nicht um etwas was sie getan hätte, sondern darum wer sie war und wer ihre Freunde waren.
Hermine wollte gerade etwas erwidern, als die Lehrerin, Professor Hawthorne, den Raum betrat. Harry und Hermine erhoben sich und stellten sich ihr vor, sie stellte einige Fragen zu ihrer bisherigen Ausbildung in dem Fach, dann durften sie sich wieder setzen und sie begann unbeirrt mit der Stunde.
Immer wieder warf Hermine Severus Seitenblicke zu und die ganze Zeit wich er ihnen aus, behielt den Blick stets beharrlich auf die Tafel gerichtet. Einzig als die Professorin eine Frage stellte, bewegte er sich um zu antworten, nur um daraufhin wieder wie eine Statue dazusitzen.
Was hab ich ihm bloß getan?, fragte Hermine sich die ganze Stunde, in Zaubertränke ist er inzwischen immer so nett. Und was sollte 'nichts was du ändern könntest' heißen?
Das Läuten zum Ende der Stunde weckte Severus wieder aus seiner Starre und er war schneller zur Tür heraus gestürmt, als Hermine hätte Niffler sagen können. Sie schüttelte traurig den Kopf, packte ihre Sachen wieder ein und ging mit Harry und Lily zur nächsten Stunde in die Gewächshäuser. Auch hier traf sie wieder auf Severus, aber diesmal hielt sie sich lieber von ihm fern und blieb bei Lily stehen. Eine Abfuhr am Tag reichte ihr.
"Ärger im Paradies?", stichelte James, der gerade zur Tür herein kam, an Hermine gewandt und nickte zu Severus hinüber.
"Ach, sei doch ruhig!", meckerte Hermine und behielt ihren Blick starr auf die Pflanzen vor sich geheftet.
"Er hat dich vorhin nicht mal angesehen", bohrte James weiter.
"Warum hat dich das bitte zu interessieren, wer mich ansieht und wer nicht?", fragte sie.
"Wir wollen ja nur nicht, dass du dir was vormachst und am Ende verletzt wirst."
"Interessant, du traust mir also nicht zu das alleine einschätzen zu können?", gab sie sauer zurück und brachte James damit tatsächlich zum Schweigen. "Ob du es glaubst oder nicht, ich bin schon groß."
Severus hatte, ohne dass sie es bemerkt hatte, die Szene beobachtet. Vielleicht hatte er ja doch ein wenig überreagiert, vielleicht war sie doch anders als die Rumtreiber. Immerhin hatte sie sich gegen James verteidigt und war für ihre Meinung eingetreten. Aber das hatte Lily früher auch getan, jedenfalls bis er angefangen hatte, sich für die dunklen Künste zu interessieren. Immer wieder hatte sie auf ihn eingeredet, sich immer weniger mit ihm getroffen und schließlich, was das Fass zum überlaufen brachte, hatte sie sich immer mehr Potter angenähert, den sie eigentlich vorher nie hatte leiden können. Am Ende waren ihm alle Sicherungen durchgebrannt und er hatte sie in seiner Kränkung beschimpft, was der größte Fehler seines Lebens war. Sie hatte nicht mal mehr mit ihm reden wollen.
Ob Hermine wohl auch so reagieren würde? Würde sie ihn für sein Interesse an den dunklen Künsten ebenso verurteilen?
Warum denke ich eigentlich darüber nach?, schalt er sich selbst, Ich brauche keine Freunde und wer sagt, dass sie mich überhaupt leiden könnte. Aber sie war so nett.. und ich? Ich war abweisend und kalt.
Er mochte es sich beim besten Willen nicht eingestehen, aber sie hatte ihn damals im Unterricht bei Slughorn und seit dem auch in jedem anderen Unterricht, beeindruckt. Sie war genauso ehrgeizig wie er selbst, war intelligent, hübsch, hatte trotz der kurzen Zeit hier schon viele Freunde gewonnen und hatte allgemein eine sehr herzliche Art an sich. Alles was er nicht war, abgesehen von der Intelligenz vielleicht. Es wäre lächerlich zu glauben, dass sie ihn wirklich leiden könnte. Wahrscheinlich tat er ihr nur leid. Aber er kam nicht umhin, sich zu wünschen, mehr über sie zu erfahren. Sie war ihm ein Rätsel, was ihn reizte es zu lösen.
*
Am Wochenende begleitete Harry seine Freunde, die ihn inzwischen schon als fünften Rumtreiber ansahen, zum Quidditchfeld, während Hermine mit Emma und Mary-Louise nach Hogsmeade ging. Lily und Alice wollten beim Training der Jungs zusehen und blieben ebenfalls in Hogwarts. Nach einigen Stunden in dem kleinen Zaubererdorf, hatten sie einiges an neuer Kleidung für Hermine gekauft, da diese nur die wenigen Sachen aus ihrer Perlenhandtasche dabei hatte - und zum Glück auch noch einige Galleonen.
Harry hatte gemeint, er bräuchte nichts, denn die Sachen von Ron passten ihm schließlich auch. Allerdings, war es Hermine aufgefallen, hatte er bisher vermieden sie anzuziehen, was sie nur verstehen konnte. Ihr fehlte ihr bester Freund immerhin genauso sehr und die Kleidung würde sie beide nur an seinen Tod erinnern. Es kam nicht selten vor, dass sie des Nachts in sein Shirt, das sie nach wie vor zum Schlafen trug und immer nur mit einem Zauber reinigte, weinte. Aber sie hatte sich geschworen stark zu sein und das hier als das Abenteuer anzusehen, für das Ron es zweifellos gehalten hätte. Einige Male hatten die Mädchen sie auf ihr nächtliches Weinen angesprochen und jedes Mal hatte sie gelogen und behauptet, sie sorge sich nur um ihre Familie, die ja angeblich auch auf der Flucht war. Aber sie weinte nicht nur weil sie ihn vermisste, sondern auch, weil sie sich an allem die Schuld gab. Wäre sie nur aufmerksamer gewesen, hätte schneller reagiert - irgendetwas - dann wäre er jetzt vielleicht noch am Leben. Womöglich wäre im in dem Falle sie selbst gestorben, aber das wäre vielleicht auch besser gewesen.
Vielleicht hätte er dann die Schuld gefühlt, die du jetzt spürst, protestierte eine Stimme in ihrem Kopf und sie schüttelte traurig den Kopf, versuchte die Gedanken wieder in ihrem Geist zu verschließen.
"Kommt, lasst uns noch ein Butterbier im drei Besen trinken", schlug Emma vor und warf ihr langes blondes Haar über die Schulter, lenkte Hermine von ihren düsteren Gedanken ab.
"Gute Idee", stimmte Mary ihr sofort zu und steuerte schon zielstrebig auf das Lokal zu.
"Ich würde gerne noch kurz in die Buchhandlung", warf Hermine ein. "Aber geht doch ruhig schon vor."
Gesagt getan, die Mädchen verschwanden hinter der Tür des Lokals und Hermine betrat den Buchladen nebenan. Eine silberne Glocke über der Tür erklang, als sie die Tür öffnete und eine kleine rundliche Frau stürmte, davon alarmiert, auf sie zu.
"Kann ich dir helfen, mein Kind?", erkundigte sie sich.
"Ähmm.. ja, vielleicht. Haben Sie etwas zu Zeitumkehrern?", fragte sie. "In der Bibliothek in Hogwarts konnte ich leider nicht gerade viel dazu finden."
"Oh Kindchen, ich fürchte in der Hinsicht sind wir auch nicht besonders gut aufgestellt, aber schau mal da hinten nach, da dürften vielleicht zwei oder drei Bücher dabei sein", sagte sie bedauernd, deutete aber auf ein Regal im hinteren Teil des Ladens.
Severus, der hinter einem Regal stand und gerade in einer Lektüre zu Verwandlungen blätterte, horchte auf.
Zeitumkehrer? Warum interessiert sie sich denn für Zeitreisen?
Ungesehen schlich er am Regal entlang und beobachtete sie dabei, wie sie, an der genannten Stelle angekommen, über die Buchrücken strich und schließlich ein ziemlich dickes, in Leder gebundenes, Buch herauszog und aufschlug.
"Hallo Severus", vernahm er auf einmal ihre zarte Stimme und erschrak. Wie hatte sie ihn bemerken können? Ertappt kam er hinter dem Regal hervor und sah sie argwöhnisch an.
"Du bist mir nicht so unauffällig hinterher geschlichen wie du denkst", teilte sie ihm mit, ohne vom Buch aufzusehen.
Aber diese Fähigkeit wirst du in den nächsten dreizehn Jahren perfektionieren, fügte sie in Gedanken hinzu.
"Warum schleichst du mir überhaupt hinterher?", fragte sie ihn, da er immer noch schwieg.
"Warum interessierst du dich für Zeitreisen?", stellte er sofort eine Gegenfrage.
"Die Zeit und ihre Manipulation und Tücken sind einfach faszinierend, findest du nicht?", gab sie nur schulterzuckend zurück und er schüttelte perplex den Kopf.
Sie interessierte sich einfach nur dafür? Als ob, dachte er, da muss noch mehr dahinterstecken.
"Ja, durchaus", gab er zu und trat näher an sie heran, er wollte wissen, was sie da las. "Aber ist das schon alles?"
"Natürlich", meinte sie unschuldig. "Was hast du denn gedacht? Dass ich ins Ministerium eingebrochen bin und einen dieser wertvollen und streng bewachten Zeitumkehrer gestohlen habe und jetzt denke 'ach, die goldenen Zwanziger, das muss herrlich gewesen sein, reise ich doch mal eben dahin'?"
"Veralbern kann ich mich alleine", gab er patzig zurück.
"Tatsächlich?", fragte sie grinsend und sah ihn über das Buch hinweg an. Sie hatte es geschafft ihn unauffällig von den Zeitreisen abzulenken, innerlich klopfte sie sich dafür anerkennend auf die Schulter.
"Du bist also doch genauso wie die", meinte er kalt und wollte wieder gehen, als sie ihn am Arm zurückhielt.
"Und wer bitte sind die?", fragte sie und er drehte sich wieder zu ihr herum.
"Potter und seine kleinen Freunde, die ja offensichtlich auch deine Freunde sind."
"Hmm.. Und deswegen bin ich zwangsläufig genauso wie sie?", fragte sie, "Bist du denn wie deine Freunde?"
"Ich habe k..", wollte er automatisch erwidern, brach dann aber ab.
"Keine Freunde?", beendete sie seinen Satz, ließ es aber wie eine Frage klingen.
"Und wenn schon. Niemand braucht Freunde und schon gar nicht so welche, wie du sie hast. Die jeden um sich herum nieder machen, nur weil ihnen die Nase nicht passt."
Ganz klasse, Severus, das klang jetzt verbitterter als beabsichtigt, ärgerte er sich über sich selbst.
"Jeder braucht Freunde", entgegnete sie nur, schlug das Buch zu und stellte es wieder ins Regal, "Menschen die einen verstehen und die füreinander einstehen, die an einen glauben und sich gegenseitig motivieren."
Jetzt wirkte er wie vor den Kopf gestoßen.
"Weißt du, wenn du nicht so abweisend bist, kann ich dich echt gut leiden."
Augenblicklich wirkte er noch eine Spur mehr überrumpelt.
Sie kann mich leiden? Und das obwohl die blöden, selbsternannten Rumtreiber ihr wahrscheinlich alles mögliche über mich erzählt haben? Oder ist das hier nur wieder ein gemeiner Trick um mich zu demütigen? Er musste es wissen.
Schlagartig spürte Hermine einen leichten Druck im Kopf und war sofort in Alarmbereitschaft. Nachdem Harrys und Snapes Okklumentikunterricht damals so katastrophal schief gelaufen war und nach wenigen Stunden ein Ende fand, hatte sie es sich nicht nehmen lassen, alle Bücher, die es zu dem Thema in der Bibliothek gab, zu verschlingen. Auf eigene Faust hatte sie, wenn auch nur die Grundlagen, sowohl Legilimentik, als auch Okklumentik gelernt und versucht, Harry selbst zu helfen. Aber da war wirklich Hopfen und Malz verloren gewesen. Ähnlich verhielt es sich ja immerhin bis heute bei nonverbalen Zaubern. Harry hatte einfach nicht die Geduld, Konzentration und Willensstärke gehabt, sich derartig zu Fokussieren, wie es dafür nötig war. Aber glücklicherweise hatte sie es gelernt und so konnte sie sich auch gegen seinen jetzigen Angriff auf ihren Geist wehren. Nicht auszudenken, was er sonst alles in ihrem Kopf finden würde. Wobei sie dabei von Glück sprechen konnte, dass Snape in dieser Zeit noch nicht so gut darin war, wie er es einmal sein würde. In ihrer eigenen Zeit wäre sie gegen einen Angriff auf ihren Geist von ihm nicht gewappnet gewesen.
"Lass das! Es ist unhöflich ohne Erlaubnis in anderer Leute Geist herumzustochern", tadelte sie ihn und konzentrierte sich auf ihre Okklumentikwände.
"Du.. du beherrscht Okklumentik?", fragte Snape sowohl beeindruckt als auch überrascht, als er bemerkte, dass er nicht durch ihre Abwehr gelangen konnte. Also zog er sich wieder aus ihrem Geist zurück. Hermine atmete erleichtert auf. Es kostete jetzt schon viel Energie und Konzentration ihn auszusperren. Es erhärtete ihren Verdacht, dass sie in ein paar Jahren und mit mehr Übung machtlos gegen ihn wäre.
"Offensichtlich", meinte sie trocken und musste fast lachen, als sie daran dachte, wie Snape siebzehn Jahre später genauso auf die Frage von Umbridge antworten würde, wenn sie ihn nach seiner, immer wieder von Dumbledore abgelehnten, Bewerbung im Fach Verteidigung gegen die dunklen Künste fragen würde.
"Was ist daran jetzt so amüsant?", fragte er scharf und wirkte wieder auf Angriff getrimmt.
"Ich musste nur an etwas denken", gab sie erklärend zurück. Für Snape ließen diese Worte ihn jedoch etwas Anderes vermuten.
Sie macht sich über mich lustig, dachte er, erneut.
"Aber du kannst dir sicher sein, dass ich das eben ernst meinte. Du hast also keinen Grund, einfach ungefragt in meinen Kopf zu sehen. Zumal du es ziemlich auffällig gemacht hast", fügte sie noch grinsend hinzu. Sie war stolz darauf, dass sie so sicher auftrat und ihn nicht ahnen ließ, wie sehr es sie angestrengt hatte ihn auszusperren.
Wieder dieser Seitenhieb auf seine Fähigkeiten, langsam machte sie ihn wütend. "Zugegeben, meine Fähigkeiten in Legilimentik sind ausbaufähig", zischte er. "Aber meinen Zweifel an deiner Ehrlichkeit kannst du mir, bei deinem Freundeskreis und eurem plötzlichen Auftauchen hier, wohl kaum verübeln."
"Doch, das kann ich. Ich habe dir eben bereits erklärt, dass deine Freunde nichts über dich selbst aussagen", gab sie schnippisch zurück. "Und was unser 'plötzliches Auftauchen' angeht, hättest du einfach fragen können, aber nein, du schleichst mir nach und versuchst mit Legilimentik an Antworten zu kommen. Vielleicht ist es dir entgangen, aber nicht alle Menschen sind berechnend und unehrlich."
Wow, das klang jetzt zickiger als beabsichtigt, dachte sie, was hat er nur an sich, dass er mich immer so reizt?
"Weißt du was? Es ist mir auch egal, halt dich einfach von mir fern!", fauchte er und sie konnte sich ein kurzes auflachen nicht verkneifen.
Sie lachte? Über ihn? Das war ja wohl der Gipfel.
"Genau genommen bist du doch mir 'gefolgt' und hast mich ausspioniert, beziehungsweise hast es versucht", stellte sie klar, woraufhin er sich verärgert umdrehte und davon rauschte. Diesmal entschied sie sich dazu, ihn nicht zurückzuhalten und tat es ihm nach einigen Minuten gleich und verließ den Buchladen, um zu ihren Freunden ins Drei Besen zu gehen.
*
Als sie abends wieder in den Gemeinschaftsraum kam, fand sie nur einen lesenden Remus und ein paar jüngere Schüler vor. Emma und Mary hatten nach ihrer Rückkehr aus dem Dorf noch eine Verabredung mit zwei Freundinnen aus Hufflepuff. Sie hatten sie eingeladen mitzukommen, aber sie hatte abgelehnt. Für sie war heute genug los gewesen, sie wollte lieber in Ruhe ihren Gedanken nachhängen.
"Hey, wo sind denn die anderen alle?", fragte sie und ließ sich auf das Sofa fallen.
"Lily und James sind irgendwo im Schloss, vermutlich knutschend. Harry und Sirius sitzen in der Bibliothek, was einen schon mal direkt stutzig machen sollte. Aber nachdem ich aus Sirius' Mund den Satz 'das wird lustig' gehört habe, dachte ich mir ich frage lieber nicht nach u d lasse sie allein", er lächelte schief "Sollen sie alleine Nachsitzen, wenn sie sich erwischen lassen."
Hermine schüttelte den Kopf. Von allen Rumtreibern war ihr Remus in dieser Zeit der Liebste, da er immer der Vernünftige war und sich aus den meisten Streichen raus hielt. Charakterlich war er ihr am nächsten und sie verbrachte gerne Zeit mit ihm.
"Und Peter?", fragte sie.
"In der Eulerei bei Zeus, seiner Eule. Soweit ich weiß, wollte er seinen Eltern schreiben", er klappte sein Buch zu. "Also, sind nur wir beide übrig. Was Schönes in Hogsmeade gefunden?"
"Wenn man von Severus absieht", scherzte sie, "dann ja."
"Was war denn mit ihm?", fragte er neugierig und sah sie forschend an.
"Keine Ahnung, in Zaubertränke verstehen wir uns ja eigentlich immer ganz gut, aber in der restlichen Zeit ist er immer so.. so..", sie suchte nach den richtigen Worten.
"Abweisend und unterkühlt?", schlug Remus vor.
"Ja, genau. Er misstraut mir, weil ich mit euch befreundet bin, dabei hab ich ihm doch nichts getan", erklärte sie seufzend.
"Das überrascht mich leider nicht, er kann, soweit ich weiß, niemanden wirklich leiden. Weißt du, diese ganze Fehde zwischen ihm und James fing bereits im ersten Jahr an, seit dem meiden ihn ohnehin fast alle. Er ist dieser ungesellige, wortkarge Typ und James war schon von Anfang an beliebt, alle haben ihm nachgeeifert", er zuckte die Schultern. "Im Endeffekt ging sein Hass gar nicht mal gegen Severus persönlich, er war eifersüchtig, weil Lily ihn immer verteidigt hat und sie ihn gleichzeitig immer wieder abwies. Ich glaube James hatte vom ersten Tag an eine Schwäche für sie und war neidisch auf die Verbindung, die Lily und Severus von Kindheit an hatten."
Also hassen sich die beiden aus den gleichen Gründen, weil sie beide Gefühle für Lily haben, folgerte sie, irgendwie traurig.
"Wie siehst du das Ganze? Hältst du ihn auch für 'einen schlechten Menschen' und meinst, dass 'man sich von ihm fernhalten' sollte?", fragte sie direkt, malte dabei Anführungszeichen in die Luft.
"Ich denke, dass es ihn gekränkt hat, als Lily sich immer weiter von ihm entfernt hat. Er hat einen Fehler gemacht, als er sie für ihre Herkunft beleidigt hat, aber nein, ich glaube nicht, dass er per se ein schlechter Mensch ist. Wir haben doch alle unsere Fehler, oder nicht?", fragte er und lächelte traurig.
"Warum machst du dann bei ihren ganzen Schikanen gegen ihn mit?", sie war ehrlich interessiert, machte ihm keinen Vorwurf.
"Ich halte mich zumeist im Hintergrund, ich befürworte das in keinster Weise, was sie tun, aber.. Sie sind meine Freunde und haben so viel für mich getan, ich glaube, ich fühle mich ihnen einfach verpflichtet", gestand er und Hermine nickte, sie konnte sich denken, auf was er anspielte. Sie waren für ihn heimlich Animagi geworden, um ihm in den schwersten Zeiten, seiner monatlichen Verwandlung, zu unterstützen. Sie hatten ihn als den, der er war, angenommen und standen zu ihm.
"Danke für deine Ehrlichkeit, Remus", sagte sie und lächelte.
"Immer doch. Hat es dir etwas weitergeholfen?"
"Ich denke schon. Weißt du, egal was die anderen sagen, ich glaube einfach, dass da mehr hinter seiner Art steckt. Ich glaube, dass er, wenn man ihm die Chance dazu gibt, ein sehr netter, großherziger Mensch ist", erklärte sie.
"Und du hast vor ihm die Chance dazu zu geben?", fragte er grinsend.
"Was soll dieser Blick?", fragte sie und deutete auf sein Grinsen.
"Ach, gar nichts", wiegelte er ab. "Ich finde nur, dass du ein sehr besonderer Mensch bist. Eigensinnig und siehst, soweit ich das beurteilen kann, in allem und jedem das Gute. Bewahre dir das."
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