27. Nicht vorhandene Trauer

Heute war sie in Zaubertränke allein gewesen, hatte mit Harry und Remus gearbeitet und erstaunlicherweise viel Spaß gehabt. Remus war nicht nur in Verteidigung gegen die dunklen Künste sehr gut, sondern scheinbar auch recht geschickt mit Zaubertränken. Trotzdem vermisste sie Severus, fragte sich, wie es ihm wohl ging und ob es ihm schwer fiel, sich von seinem Vater zu verabschieden. Sie hatte inzwischen eine recht gute Vorstellung davon wie er dachte und fühlte und vermutete daher, dass es ihm ungeheuer schwer fiel, mit dieser Situation umzugehen. Sie selbst jedoch kannte das Gefühl nicht, jemandem aus der Familie nicht nahe zu stehen und diesen dann zu verlieren, weswegen sie sich nicht anmaßen würde darüber zu urteilen.
Jetzt saß sie im Gemeinschaftsraum, ein Buch auf dem Schoß, aber lesen tat sie nicht, sie starrte eher durch das Buch hindurch und dachte nach. Lily war vor wenigen Minuten zur Eulerei aufgebrochen, nachdem sie ihr den Brief, den sie Severus schicken wollte, gezeigt und sie nach ihrer Meinung dazu gefragt hatte. Das hatte sie auch wieder zu den jetzigen Gedanken zurück gebracht.

"Hey, Kätzchen. So nachdenklich?", fragte Sirius, der soeben aus dem Schlafsaal hinunter kam. Scheinbar hatte er sich sogar etwas zurechtgemacht, die dunklen Locken waren gebändigt und er trug statt der sonstigen ausgeblichenen Jeans und T-Shirt, eine schwarze Stoffhose und ein Poloshirt.
"Nenn mich nicht Kätzchen", gab sie ihm ihre Standardantwort und Sirius lachte, setzte sich auf das Sofa neben sie.
"Es geht um Schniefelus, oder?", fragte er.
"Ehrlich gesagt ja, aber ich glaube nicht, dass ich mit dir über ihn sprechen sollte."
"Ich gebe zu, dass ich ihn nicht mag und daraus nie ein Geheimnis gemacht habe und dass ich nicht verstehe, was du an ihm findest, aber wenn dich etwas bedrückt, dann..", er brach ab und zuckte die Schultern, schlug indirekt vor, dass sie sich ihm anvertrauen konnte, weil sie ihm wichtig war.
Sie sah ihn kritisch an, wusste nicht, was sie von der Aussage halten sollte. Zwar war irgendwie wieder alles wie vorher zwischen ihnen, aber trotzdem käme es ihr komisch vor, auf einmal mit Sirius über so etwas zu reden. Aber er kannte die Situation seinen Eltern nicht wirklich nahe zu stehen, vielleicht konnte er ihr doch irgendwie helfen zu verstehen, was Severus gerade durchmachte und woe sie am besten für ihn da sein konnte. Denn sie kannte diese Gefühle nicht und wusste nicht, was sie nun tun sollte. Sie kannte das Gefühl jemanden zu verlieren, den man liebte und jemanden zu verlieren den man zwar mochte, aber nichts wirklich mit ihm zu tun hatte und wenn Menschen starben, die man nicht mochte. Aber ein Mensch, der einem eigentlich sehr, sehr nah stehen sollte, mit dem man sich aber nie vertragen hatte, das war ihr neu.
"Ich hab eine Frage, vielleicht kannst du mich ja erleuchten. Harry sagt, dass du und deine Eltern nicht gerade ein gutes Verhältnis habt, stimmt das?"
Sirius wirkte überrascht über diese Frage, er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit einer Frage über seine Eltern.
"Nicht gerade ein gutes Verhältnis ist da noch milde ausgedrückt", sagte er schnaubend, "Aber warum interessiert dich das?"
"Ich.. Ach, nicht so wichtig", wiegelte sie ab und sah wieder auf ihr Buch, vielleicht war es wirklich keine gute Idee mit ihm darüber zu reden.
"Doch, es scheint irgendwie wichtig für dich zu sein, aber ich verstehe nicht, was das mit Schnief.. Oh, geht es um seine Eltern?", ging ihm plötzlich ein Licht auf, "Ist es das,was du uns nicht sagen wolltest?"
Würde Severus sauer sein, wenn sie Sirius davon erzählte? Bestimmt sogar. Sie hatte schon zu viel gesagt.
"Wenn es wirklich um seine Eltern geht, ich schwöre, ich werde dazu nichts weitersagen oder mich darüber lustig machen", versprach er, hob die linke Hand und legte die andere auf sein Herz. Hermine lachte über diesen gespielt ernsten Ausdruck und buffte ihm leicht gegen den Arm. "Witzbold", meinte sie.
"Ich meine es wirklich ernst. Die Eltern sind nichts, worüber man Witze macht", meinte er aufrichtig und Hermine war erneut überrascht. So hatte sie Sirius in dieser Zeit noch nie erlebt. Ernst und vernünftig, einfühlsam, so erinnerte er sie schon eher an den Mann, der er später einmal sein würde.
"Also gut, aber wenn du den Anderen irgendetwas darüber sagst oder zu ihm, dann.."
"Kriege ich deine Krallen zu spüren, schon klar", unterbrach er sie.
"Ich wollte eigentlich sagen, dass dann die blutende Nase, die du von Harry hattest, harmlos war, aber wenn du es so ausdrücken willst.." Sirius schluckte, aber er hatte tatsächlich nicht vor sich lustig zu machen oder ihn damit zu ärgern. Außerdem fühlte er sich immer noch schuldig, weil er und James sie mit ihrer fälschlichen Anschuldigung verletzt hatten und er wollte es wieder gut machen, wenn das dabei half, umso besser. Also nickte er und symbolisierte ihr, dass er verstand.
Sie sah ihn noch einmal kritisch an, begann dann aber doch zu erzählen, was sie sich fragte.
"Also, du meintest ja schon, dass du und deine Eltern nicht gerade bestens miteinander klarkommt", begann sie und Sirius nickte.
"Für sie bin ich eine Schande für die Reinblüterschaft", bestätigte er, "Ein Gryffindor, der mit Blütsverrätern befreundet ist und sich gegen die Ideale der Todesser stellt, ist für sie ein harter Affront."
"Du kennst ein Wort wie 'Affront'?", fragte sie und grinste.
"Hey, ich habe eine ausgezeichnete Kinderstube genossen", sagte er und schüttelte den Kopf, konnte sich ein Lächeln aber ebenfalls nicht verkneifen. "Ich wurde dazu erzogen, mich derart auszudrücken, denn das sah man als angemessen für einen stolzen Reinblüter an."
"Der du aber nie warst?"
"Nein, der war ich nicht", bestätigte er, "Aber rebelliert habe ich erst so richtig als ich nach Hogwarts kam. Seit dem bin ich für meine Mutter und meinen Vater ein Schandfleck in ihrem Stammbaum."
"Das tut mir leid", sagte sie ehrlich.
"Ich hab ja Krone und seine Eltern haben mich aufgenommen wie ihren eigenen Sohn. Sie sind viel eher Eltern für mich, als es meine je sein könnten." Er lächelte wehmütig.
"Aber wie stehst du zu ihnen? Was wäre, wenn einer von ihnen plötzlich versterben würde, wie würdest du darüber denken? Was würdest du fühlen?", fragte sie und hoffte, dass sie ihm mit der Frage nicht zu nahe trat und er das Versprechen von vorher ernst meinte.
"Das ist eine schwierige Frage", erklärte er, dachte sehr lange darüber nach.
"Ich denke ich wüsste nicht, was ich fühlen sollte. Natürlich sind sie meine Eltern und trotz allem habe ich sie als Kind sehr geliebt und sie mich auf ihre Weise sicher auch, aber heute..", er zuckte die Schultern, "Ich weiß es nicht."
Hermine nickte, es deckte sich mit dem, was Severus ihr bereits geschrieben hatte.
"Hat Schniefelus denn einen Elternteil verloren und hatte eine ebenso schwierige Beziehung zu ihm oder ihr? Ist er deswegen so plötzlich abgehauen?", fragte er vorsichtig.
"Ja, es geht um seinen Vater", bestätigte sie seine Vermutung, "Was würdest du jetzt von mir erwarten, wenn du er wärst?"
"Wenn ich er wäre, würde ich zuallererst mal lieber ich sein", schickte er einen halbherzigen Witz vorneweg, auch wenn es eine Sache gab, um die er den Slytherin tatsächlich beneidete und das war Hermines Zuneigung, aber die hatte er verspielt und das musste er akzeptieren. Hermine verdrehte die Augen über seinen Kommentar und sah ihn auffordernd an.
"Ich glaube, ich würde nur wissen wollen, dass ich jederzeit mit dir sprechen kann, mehr nicht, nur dass du da wärst", gab er ihr nun tatsächlich einen richtigen Rat.
"Aber was soll ich sagen?", fragte sie, "Ich kann mir dieses Gefühl einfach nicht vorstellen."
"Ich denke ich würde vielleicht schon irgendwie trauern, aber da ich keinen positiven emotionalen Bezug mehr zu ihnen habe, würde ich vielleicht auch gar nichts fühlen. Als würde man einen entfernten Verwandten verlieren, den man nur einige Male in seinem Leben gesehen hat. Vielleicht würde ich mich für meine Gleichgültigkeit schämen, es könnte helfen ihm zu sagen, dass er sich dafür nicht schämen muss, das seine Gefühle normal und berechtigt sind", erklärte er seine Gedanken. "Hilft dir das irgendwie?"
"Ich denke schon, jedenfalls ein wenig", sagte sie und lächelte, "Danke, Sirius."
"Dafür sind Freunde doch da", meinte er sofort und grinste schief.
"Ja, schon, aber wir haben noch nie so miteinander geredet wie jetzt."
"Woran ich sicher nicht ganz unschuldig bin. Ich gebe zu, die meiste Zeit ein Kindskopf zu sein, aber ich weiß, wo die Grenze ist, auch wenn ich sie öfter mal ausreize."
"Ich mag diese Seite an dir, die Vernünftige", sagte sie, "Hätte nicht gedacht, dass sie existiert."
"Das kann ich dir wohl auch nicht vorwerfen", bestätigte er, "Aber sei dir gewiss, das ich das hier für mich behalte und das ohne Hintergedanken gesagt habe. Die Familie ist tabu, darüber macht man keine dummen Witze."
"Gut zu wissen", meinte sie und lächelte, "Dann werde ich deinen Rat annehmen und einfach nur für ihn da sein, mir darüber bewusst sein, dass ich nichts mehr tun kann, um ihm zu helfen, als zuzuhören und ihm zu sagen, dass seine Gefühle berechtigt sind."
"Das wird er sicher sehr zu schätzen wissen", bestätigte Sirius.
"Schon komisch, mit dir so über ihn zu reden", merkte Hermine an.
"Wie gesagt, egal ob ich ihn leiden kann oder nicht, du bist mir wichtig und er ist dir wichtig, also sollte ich da meine persönlichen Differenzen mit ihm mal runterschlucken können."
"Wo du gerade von persönlichen Differenzen sprichst", hakte Hermine ein und dachte an die Erzählung von Lily, über den Grund von Peters ständiger Abwesenheit. "Lily hat mir erzählt was Peter euch erzählt hat, warum er ständig weg ist. Was haltet ihr davon?"
Sirius seufzte und verzog ein wenig das Gesicht. "Ich habe keine Ahnung, was ich davon halten soll und ich finde es echt nicht gut, dass er uns das verheimlicht hat, nur weil er dachte wir wären dann sauer", erklärte er, "Deswegen glaube ich, dass da noch mehr dahintersteckt. Lily hat dir sicher von der sexuellen Präferenz meines Bruders erzählt?"
"Dass er Jungs Mädchen vorzieht? Ja, das hat sie und auch dass ihr denkt, Peter könnte in ihn verliebt sein."
"Das ist dabei noch das logischste Szenario. Ich verstehe nicht, was er glaubt, wie wir auf sowas reagieren würden. Ich meine allein schon bei der Sache mit Remus, da haben wir ihn doch auch nicht verurteilt."
"Nein, ihr habt es verstanden und seid heimlich Animagi geworden, um ihn zu unterstützen", bestätigte sie. Die Rumtreiber hatten sie und Harry noch am selben Tag, an sie eröffnet hatte, dass sie wusste was Remus war, ins Vertrauen gezogen. Wobei sie sich fragte, wie sie denken konnten, dass Harry niemals mitkriegen würde, wie sie immer das Schloss verließen und die ganze Nacht nicht wiederkämen. Wobei sie sich, seit Harry bei ihnen schlief, auch häufig aufteilten und immer nur zwei von ihnen verschwanden, während der Dritte zur Not eine Ausrede parat hatte, bis sie es nach vier Monaten herausgefunden hatte und dies nicht mehr nötig war.
"Ich wünschte einfach, er würde mit uns reden. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass Regulus es ihm verboten hat. Vielleicht hat er Angst, ich könnte ihn bei unseren Eltern verpetzen, damit ich wieder besser dastehe. Auch frage ich mich ehrlich gesagt, was mein Bruder an Peter findet, ich kenne sein Beuteschema und sie passen so gar nicht zusammen."
"Das sagt ihr auch über Severus und mich", warf sie ein, "Dass wir nicht zusammenpassen. Ihr habt euch auch gefragt, was ich an ihm finde."
"Das tue ich manchmal heute noch", warf er schmunzelnd ein.
"Aber du würdest deinen Bruder nicht verraten, oder?", kehrte sie zu seiner letzten Aussage zurück, "Weiß er denn, dass du von seiner sexuellen Orientierung weißt?"
"Das ist dabei die entscheidende Frage. Er hat es mir nie direkt gesagt, aber es war ziemlich offensichtlich für mich", erklärte er, "Aber ich würde ihn nie verraten. Ich bin der Meinung, dass jeder das sein darf, was er ist, ohne sich dafür rechtfertigen oder schämen zu müssen. Und es ist seine Sache, wann er damit rausrückt."
"Interessant, dass du dann so gegen Severus feuerst, wenn jeder sein darf, was er will."
"Ihn mag ich nur einfach aus verschiedenen Gründen nicht", wehrte Sirius ab, "Das ist was anderes. Deswegen darf er ja trotzdem sein wer er will und meinetwegen auch nackt auf Einhörnern reiten, wenn es ihm beliebt." Er lachte und Hermine schüttelte den Kopf.
"Na vielen Dank für das Bild, das vergesse ich jetzt sicher nicht so schnell", stimmte sie schließlich doch in sein Lachen ein.

"Das ist mal ein ungewohnter Anblick", kommentierte Lily, die soeben wieder den Gemeinschaftsraum betrat. "Ihr beide könnt ganz normal reden, ohne zu sticheln? Das streiche ich mir rot im Kalender an."
"Glaubt eigentlich jeder, dass ich nicht Vernünftig sein kann?", fragte Sirius gespielt gekränkt und Lily und Hermine ließen unisono ein "Ja" hören.
"Na vielen Dank auch", meinte er.
"Tja, das hast du dir selbst zuzuschreiben", meinte Lily, "Aber was machst du eigentlich noch hier? James meinte du hättest ein Date mit Greta Preston aus Ravenclaw."
"Oh, hast Recht, ich bin spät dran, hoffentlich geht sie dann trotzdem noch mit mir zum Ball. Unser Kätzchen hier wollte ja nicht", meinte er wieder in seiner normalen unbekümmerten Art und sprang auf. "Ich seh' euch später", rief er und verließ den Gemeinschaftsraum, woraufhin Lily Sirius' Platz auf dem Sofa einnahm.
"Worüber habt ihr gesprochen?", fragte sie neugierig und strich ihren Rock glatt.
"Seine Eltern", informierte Hermine sie und Lily schien überrascht.
"Wegen Severus?", fragte sie.
"Ja auch, ich weiß einfach nicht, wie ich ihm helfen soll."
"Du hilfst ihm, indem du einfach nur an ihn denkst und für ihn da bist", meinte Lily sofort.
"Ja, das meinte Sirius auch. Ich kann mir nur dieses Gefühl einfach nicht vorstellen."
"Ich vielleicht schon. Ich habe ein ähnlich schlechtes Verhältnis zu meiner Schwester. Ich habe dir das nie erzählt, aber sie war neidisch, als ich meinen Brief bekam. Ich habe an Dumbledore geschrieben und ihn angefleht, sie auch aufzunehmen, aber natürlich ging das nicht, weil sie nicht solche Fähigkeiten hatte. Seit dem ist sie sauer auf mich, meidet mich und nennt mich teilweise sogar eine Missgeburt."
"Das klingt furchtbar", meinte Hermine, war aber natürlich nicht überrascht darüber. Sie wusste, wie Petunia Dursley Harry immer genannt hatte und wie sie ihn behandelte, weil er ihr Sohn war und die gleichen Fähigkeiten hatte.
"Es ist nicht einfach und auch nicht schön, aber trotz allem ist sie meine Schwester und ich liebe sie."
"Du willst damit sagen, egal wie sauer und verletzt er von der Art seines Vaters ist, er liebt ihn insgeheim, weil er sein Vater ist?"
"So ungefähr meinte ich das, ja", sie nickte, "Aber dennoch ist jeder Mensch anders, nur weil ich vermutlich Trauer empfinden würde, muss das nicht auch auf ihn zutreffen. Aber egal wie er auch fühlen sollte, es ist okay und richtig."
"Danke, dass du mir das erzählt hast. Das muss schwer für dich sein."
"Ach, schon gut. Es ist eine Tatsache, dass sie nur sauer und eifersüchtig ist und es sicher eigentlich nicht so meint. Severus hat mir das mal erklärt, als wir noch klein waren."
Hermine nickte, Harry hatte ihr einmal erzählt, was Petunia zu ihm sagte, bevor sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn am Vorabend seines siebzehnten Geburtstags das Haus im Ligusterweg verließ. Sie sagte, dass sie genau wüsste wozu die Todesser fähig wären, dass nicht nur Harry damals in Godric's Hollow eine Mutter verloren hatte, sondern sie auch eine Schwester.
"Ich denke auch, dass sie dich sehr liebt, auch wenn sie es nicht zeigen kann", versicherte sie Lily.
Sie hatte das Gefühl, dass sie, seit sie hier war, immer häufiger mit dem Phänomen des Ungesagten konfrontiert war. Menschen, die Dinge nicht sagten, als sie die Chance dafür hatten und es dann schlussendlich nie mehr konnten. Man redete sich immer ein noch so viel Zeit zu haben, aber das war eine Lüge. Niemand wusste, wie viel Zeit er oder sie wirklich noch hatte. Sie hatten nur das Hier und Jetzt, das war das einzige, dem sie sich sicher sein konnten.

*

Severus saß mit seiner Mutter beim Abendessen, als der Brief von Lily samt Schuleule hereinflatterte. Eigentlich hatte er erwartet, dass Hermine ihm schrieb, umso überraschter war er, als er Lilys Handschrift erkannte.
"Von deiner Freundin?", fragte Eileen ihren Sohn und schielte auf den Brief. Heute ging es ihr schon etwas besser, sie hatte nicht mehr geweint und sich nur auf die Vorbereitungen der Trauerfeier fokussiert und auf ihren Sohn. Hatte ihn beobachtet und versucht herauszufinden, wie es ihm mit der Situation ging.
"Ja und nein, er ist nicht von Hermine, sondern von Lily."
"Das Evans-Mädchen, das ein paar Straßen weiter wohnt?", fragte sie, "Von ihr hast du lange nichts erzählt."
"Wir waren zerstritten, Mum. Ich habe etwas sehr Dummes zu ihr gesagt und sie verletzt", sagte er und Eileen konnte das Bedauern in seiner Stimme hören.
"Und jetzt habt ihr euch wieder vertragen?", fragte sie interessiert und schnitt die restlichen Kartoffeln auf ihrem Teller klein.
"Dank Hermine nähern wir uns wieder an."
"Ich freue mich schon sehr darauf, sie bald zu treffen. Sie scheint mir ein außergewöhnliches Mädchen zu sein."
"Das ist sie", bestätigte er lächelnd, legte Lilys Brief vorerst zur Seite und widmete sich wieder seinem Essen.
"Schade, dass dein Vater das nicht mehr miterleben wird. Er wollte sie auch so gern kennenlernen."
"Tatsächlich?", fragte Severus überrascht.
"Ja, er hat es mir selbst gesagt. Wobei wir immer dachten, dass Lily Evans dir den Kopf verdreht hätte."
"Bevor ich Hermine traf, hätte ich dir da vielleicht zugestimmt, aber wir sind nur Freunde. Hat Dad wirklich gesagt, dass er sie kennenlernen wollte?"
Eileen lächelte ihrem Sohn leicht zu, freute sich über die Tatsache, dass nach Jahren einmal wieder das Wort 'Dad' über seine Lippen kam und nickte.
"Weißt du", sie legte ihr Besteck beiseite und wandt sich ihrem Sohn nun komplett zu. "Ich weiß, dass er kein einfacher Mann war und viele Fehler gemacht hat, dir und mir gegenüber, aber er hat dich auf seine Weise sehr geliebt."
"Und mich zu schlagen, wenn ich unabsichtlich gezaubert und etwas kaputt gemacht habe, war dann seine Art das zu zeigen?", fragte Severus etwas angesäuert.
"Nein, natürlich nicht. Seine aufbrausende Art war ein großes Problem für ihn, die er nicht immer kontrollieren konnte, aber er hatte auch seine guten Seiten. Er war froh darüber, als er las, wie gerne du dieses Mädchen hast und er war stolz auf deine schulischen Erfolge."
"Wenn das so ist, warum konnte er mir das dann nie sagen? Warum hat er mich glauben lassen, ich sein ihm gleichgültig oder höchstens eine Last."
"Ich weiß es nicht, Sev. Ich habe es auch nie verstanden", erklärte sie traurig und legte eine Hand auf seine.
"Ich weiß einfach nicht mehr was ich denken soll, geschweige denn fühlen."
"Das ist mir aufgefallen. Die ganze Zeit kümmerst du dich nur um mich und meine Gefühle, mir war klar, dass du das machst, weil du deine nicht verstehst", sagte sie mitfühlend, "Möchtest du mir erklären, was dir durch den Kopf geht?"
Auch Severus schob nun seinen Teller von sich und wandte sich ganz seiner Mutter zu. Hermine hatte ihm geraten über seine Gefühle zu sprechen und an diesen Rat würde er sich halten, auch wenn es ihm nicht leicht fiel.
"Als du damals in die Schule kamst und sagtest, Dad wäre tot, da habe ich darauf gewartet, dass ich Trauer oder Schmerz fühlen würde, aber diese Gefühle kamen nicht, es war eher Gleichgültigkeit, vielleicht ein vages Bedauern, aber nicht das, was ich erwartet hatte. Ich hab mich deswegen schlecht gefühlt. Du warst so traurig und ich wollte dir das eigentlich auch deswegen nicht erzählen, dass es mich fast gar nicht betraf", er machte eine kurze Pause, sammelte seine Gedanken, "Macht mich das zu einem gefühlskalten Monster, weil ich nicht in der Lage bin zu trauern und ihn wirklich zu vermissen?" Tränen sammelten sich in seinen Augen, er verurteilte sich dafür so zu fühlen, beziehungsweise eben nicht zu fühlen.
"Nein, mein Schatz", sagte Eileen sofort, beugte sich zu ihm herüber und nahm ihren Sohn fest in den Arm, "Natürlich macht dich das nicht zu einem Monster."
"Aber er war doch mein Dad..", flüsterte er.
Müsste da nicht genug angeborener Kindesliebe da sein, um Trauer zu ermöglichen?
"Natürlich war er das und als Kind warst du von ihm abhängig und hast ihn deswegen geliebt, aber ihr habt euch entfremdet als du älter wurdest, das hebt solche Bindungen schonmal auf. Es ist in Ordnung, dass du so fühlst und ich werfe dir das nicht vor. Gefühle sind nie etwas Falsches, egal wie sie sein mögen."
Severus war erleichtert über die Worte seiner Mutter, dass sie ihn verstand und ihm versicherte, dass an ihm nichts falsch war. Ihn hatte dieses schlechte Gewissen sehr gequält.

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