23. Auf den Zahn fühlen

"Ich würde in den Ferien gerne mit zu dir und deinen Eltern kommen", sagte Hermine am nächsten Morgen, als Severus vor der großen Halle auf seine Freundin wartete.
"Wirklich?", fragte er mit strahlenden Augen.
"Ja, wirklich", versicherte sie ihm und küsste ihn zärtlich. "Ich freue mich schon darauf sie kennenzulernen."
"Ich hoffe nur mein Vater hält sich mit seiner Verachtung gegenüber der magischen Welt ausnahmsweise ein wenig zurück", sagte er zweifelnd, aber Hermine winkte ab.
"Mein Vater kommt auch aus einer Muggelfamilie, vielleicht hilft das ja", redete sie ihm gut zu.
"Du bist nicht reinblütig?", fragte er überrascht, "Aber ich dachte die ganze Familie Bones.."
"Ja, mein Onkel und meine Tante, aber mein Dad nicht, deswegen werden sie ja gejagt. Wir sind Blutsverräter", unterbrach sie ihn.
"Das wusste ich nicht", meinte er und schüttelte entschuldigend den Kopf.
"Ist doch auch keine große Sache. Naja, jedenfalls sollte es keine große Sache sein.."
"Morgen ihr beiden", grüßte Harry sie, der ebenfalls auf dem Weg zum Frühstück in die große Halle war und spontan auf sie zukam, als er sie dort stehen sah.
Severus blinzelte perplex. Bisher hatte Harry nicht ein einziges Wort mit ihm gewechselt. Insgeheim hatte er immer noch damit gerechnet, dass er die Beziehung zwischen ihm und seiner Schwester nicht so locker sah, wie Hermine ihm weis machte.
"Morgen", gab Hermine freudig lächelnd zurück, "Schön, dass du zu uns gekommen bist und ihr euch auch einmal richtig kennenlernt."
"Hey", Harry hielt seinem zukünftigen Professor die Hand hin, die dieser zögernd schüttelte.
"Hat sie es dir schon gesagt?", fragte er an den Slytherin gewandt.
"Was hat sie mir gesagt?", fragte er perplex.
"Dass meine werte Schwester-", er legte einen Arm um ihre Schultern, sah Severus gespielt anklagend an, "-mich hier eine komplette Woche alleine lässt, um sie mit ihrem neuen Freund zu verbringen."
Mit weit aufgerissenen Augen sah Severus den Bruder seiner Freundin an. War er etwa nicht einverstanden?
"Alles gut, ich mach nur Spaß", sagte Harry lachend und klopfte seinem Gegenüber auf die Schulter. "Konnte nicht widerstehen", meinte er noch entschuldigend. Severus stieß zischend die Luft aus, die er automatisch angehalten hatte.
"Ich freu mich wirklich für euch", versicherte er nochmal.
"Komm schon, Harry, nicht du auch noch!", hörten sie James' Stimme hinter sich.
"Sympathisierst du jetzt auch schon mit dem Feind?", fragte Sirius und Remus schüttelte augenverdrehend den Kopf.
"Jetzt hört endlich auf mit den kindischen Sticheleien!", forderte Hermine sauer.
"Tja, Tatze, ich schätze Liebe macht tatsächlich blind", scherzte James und zog seinen besten Freund in die große Halle. Vermutlich weil er sich deswegen nicht wieder mit Lily streiten wollte. Seit Severus und sie sich wieder annäherten, ging James den Konfrontationen meistens aus dem Weg und ließ sich nur noch selten zu bissigen Kommentaren, wie dem eben, hinreißen.
"Merlin, langsam nervt es echt", schimpfte Hermine, "Warum können sie es nicht endlich gut sein lassen?"
"Ich hätte da eine Idee", warf Harry murmelnd ein und sah den drei Rumtreibern hinterher. Hermine sah ihren besten Freund fragend an und Severus zog die Augenbrauen zusammen. Was meinte er? Dann ging Severus ein Licht auf. Hatte Black etwa ein Auge auf seine Freundin geworfen? So musste es doch sein, immerhin suchte er in seiner Gegenwart ständig ihre Nähe.
"Kommt ihr mit Essen?", fragte Harry und lenkte von seiner vorherigen Bemerkung ab.
"Ja, klar", meinte sie verwirrt und ließ sich von ihm mitziehen.
"Wisst ihr was? Lasst uns doch heute mal zusammen sitzen", schlug Harry vor und ließ den Blick durch die Halle gleiten, "Ich würde dich tatsächlich gerne besser kennenlernen." Überall saßen die Schüler gemischt durcheinander, unabhängig von ihrem Haus. "Oder hättet ihr gerne eure Ruhe?", fragte er.
"Nein, ich würde mich freuen", warf Severus ein, auch wenn es ihn insgeheim nervös machte mit dem Bruder seiner Freundin zu frühstücken und sich seinen Fragen, die er sicherlich hatte, zu stellen. Aber er wollte das für Hermine tun, sicherlich wäre es ihr wichtig.
"Sehr gut", Harry klatschte begeistert in die Hände, "Ich will schließlich mal sehen, wer meiner Schwester so den Kopf verdreht hat."
Hermine sah Harry fragend an. Was sollte das denn jetzt? Auch wenn er ihre Gefühle für ihren zukünftigen Professor inzwischen akzeptierte und ihr so oft gut zugeredet hatte, hätte sie nie gedacht, dass er ihn jetzt plötzlich besser kennenlernen wollte.
"Muss ich jetzt Angst haben?", fragte Severus seine Freundin nervös und sie schüttelte den Kopf und lächelte.
"Nein, er ist nur neugierig", sagte sie und zog ihm mit sich und folgte Harry, der einen freien Platz weiter hinten am Gryffindortisch ansteuerte, ein ganzes Stück von Hermines Zimmergenossinnen und den Rumtreibern entfernt.
Sie setzten sich, Hermine neben Severus und Harry ihnen gegenüber. Sofort fing Harry an sich eine Scheibe Toast mit Marmelade zu beschmieren, während Severus sich und Hermine schwarzen Tee einschenkte und Hermine einen schluck Milch in beide Tassen goss. Sie alle ignorierten geflissentlich die neugierigen Blicke, die nicht nur die Rumtreiber und Hermines Freundinnen ihnen zu warfen.
"Also, du hast Hermine zu deiner Familie eingeladen", begann Harry und biss in seinen Toast, kaute gemächlich und sah Severus dabei prüfend an.
"Das habe ich", bestätigte Severus und griff nach seiner Tasse.
"Ziemlich große Sache", kommentierte Harry, "Also ist es dir ernst mit meiner Schwester?"
"Au!", meckerte Harry und sah Hermine beleidigt an, die ihn unter dem Tisch getreten hatte. Severus konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen. Auch wenn ihm die ganze Situation nicht ganz geheuer war, konnte er verstehen, dass er sich um seine Schwester sorgte. Er freute sich, dass er die anfänglichen Vorurteile, die er unweigerlich von den Rumtreibern übernommen haben musste, beiseite schob und ihm selbst auf den Zahn fühlte. Er musste also unbedingt einen guten Eindruck machen.
"Ist schon gut", meinte er an Hermine gewandt, nippe an seinem Tee, stellte die Tasse zurück und stützte die Ellenbogen auf den Tisch und lehnte sich ein wenig vor, sah Harry fest in die Augen, "Ja, es ist mir ernst. So ernst wie nie etwas zuvor."
Harry zog überrascht die Augenbrauen hoch, so viel Schneid hatte er nicht erwartet, wirkte Snape in dieser Zeit doch sonst eher defensiv auf ihn, was in hartem Kontrast zu dem Mann stand, den er als elfjähriger kennengelernt hatte.
"Das ist gut", sagte er zufrieden und nickte. "Hast du denn noch Geschwister oder so?", fragte er gespielt unwissend.
"Nein, hab ich nicht. Es gibt nur meine Mum, meinen Vater und mich. Mein Vater ist nicht gerade der netteste Zeitgenosse, aber meine Mum ist ein sehr herzlicher Mensch."
"Ja, Mütter haben das so an sich", flüsterte Harry, warf einen wehmütigen Seitenblick auf Lily, die nie erfahren würde, wer er wirklich war, die sterben würde um ihn zu beschützen.
"Oh, tut mir Leid, ich wollte nicht..", entschuldigte er sich sofort, als er Harrys Blick sah, "Ich.. weiß ja, dass das mit euren Eltern gerade schwierig ist."
Hermine und Harry nickten traurig, dachten beide an ihre jeweiligen Eltern. Hermine daran, dass ihre Eltern vielleicht niemals wieder wissen würden, dass sie existierte und Harry an Lily und James, die ihm hier so nah, aber gleichzeitig so unglaublich weit entfernt waren, weil sie nicht wussten, wer er einmal für sie sein würde.
"Danke", sagte Harry mit belegter Stimme, "für deine Anteilnahme."
"Jedenfalls ist mein Vater ein Muggel und meine Mutter eine Hexe", versuchte er das Gespräch wieder zu drehen und holte Harry damit tatsächlich aus seinen Gedanken.
Das ganze Frühstück über fragte Harry seinen zukünftigen Professor aus, was diesem sichtlich unangenehm war, aber Harry konnte sich nicht helfen, er wollte wissen, was wirklich hinter dem zukünftigen, mysteriösen und mürrischen, Professor steckte und was Hermine in ihm sah. Je länger sie sich unterhielten, desto mehr wurde ihm klar, was sowohl seine Mutter als auch seine beste Freundin in dem dunkelhaarigen, sonst so wortkargen Mann sahen. Er war wirklich unglaublich intelligent, ohne dabei überheblich zu sein - nur dann und wann liebte er die kleinen Wettbewerbe mit Hermine. Er war bescheiden und wirklich sehr nett. Er tat Hermine gut, das war noch das Wichtigste. Nur noch selten konnte er die Traurigkeit in Hermines Augen sehen, wenn sie zurück dachte, an alles was sie verloren hatte. Snape sorgte irgendwie dafür, dass sie nicht mehr in allem Schmerz ertrank, er zog sie wieder an die Oberfläche, ließ sie wieder atmen. Das rechnete er ihm wirklich hoch an, denn er selbst hatte das nicht geschafft. Natürlich hatte sie es nur selten zugegeben und alles immer mit einem Lächeln überspielt, um auch ihn nicht zu sorgen, aber er kannte seine beste Freundin lange genug, um zu sehen, dass sie tief drinnen litt. Dass sie die letzten Monate in einem reißenden Fluss aus Schmerz und unberechtigter Schuld getrieben hatte, kurz davor unter die Oberfläche gezogen zu werden und schließlich diese Panikattacke, die ihm erst klar gemacht hatte, wie sehr es sie wirklich belastete. Sie hatte ihn nicht an sich herangelassen, aber ihm schien das, wie auch immer, fast Mühelos gelungen zu sein.
Er grinste breit waährend er ihrer Diskussion über Slughorns letzte Stunde und die Verwendung von verschiedenen Kräutern in der psychologischen Heilung lauschte. Er verstand kein Wort, aber dennoch folgte er interessiert ihrem Schlagabtausch und den gelegentlich warmen Blicken, die sie sich zuwarfen. Er hörte Hermines glockenhelles Lachen, wenn Snape versuchte etwas ins Lächerliche zu ziehen oder einen Witz machte und es ließ ihm das Herz leichter werden. Unwillkürlich stellte er fest, wie dankbar er dem dunkelhaarigen Slytherin vor sich wirklich war.
"Was wirst du denn in den Ferien machen?", fragte Severus und riss Harry erneut aus seinen Gedanken.
"James fragte, ob ich mit zu seinen Eltern fahren möchte. Sirius ist wohl auch dort, weil er zu seinen Eltern nicht gerade das beste Verhältnis hat. Wir werden, denke ich, viel Quidditch spielen", sagte er schulterzuckend und Hermine freute sich sehr, dass er Zeit mit seinem Vater und seinem Paten verbringen würde, statt hier alleine zu sein.
"Klingt toll", meinte Hermine. Sie freute sich darüber, dass der Streit zwischen ihnen allen scheinbar komplett hinter ihnen lag, vergeben und vergessen.
"Ich weiß, du magst sie nicht, was ja auch auf Gegenseitigkeit beruht", sagte Harry zu Snape, "Aber seit wir hier sind, sind sie mir wirklich gute Freunde."
"Ich verurteile das keinesfalls", sagte er schnell. "Sie waren zwar zu mir nie wirklich nett.. Aber Freunde sind wichtig." Er sah Hermine an, formte seine Mundwinkel zu einem leichten Lächeln und griff nach ihrer Hand, die auf ihrem Oberschenkel lag. "Ja, das sind sie", sie drückte seine Hand und nickte, sah kurz zu Harry hinüber der ebenfalls nickte.

*

"Probier doch das mal an", schlug Lily vor und hielt ein ärmelloses dunkelrotes Kleid hoch. Sofort schüttelte Hermine vehement den Kopf. Dann konnte sie sich ja gleich in die große Halle stellen, ihren Ärmel hochkrempeln und 'Seht her, genau das bin ich: Ein Schlammblut!' brüllen. Nein, auf keinen Fall, in diesem Kleid könnte sie niemals ihre Narbe verstecken und Handschuhe zu tragen käme ihr ein wenig übertrieben vor. Natürlich könnte sie die Narbe sicher irgendwie erklären, aber das wollte sie nicht, niemand sollte sie sehen. Seit zwei Stunden war sie in dem Geschäft, das einer Dame mittleren Alters und mit leichtem französischen Akzent gehörte. Die anderen Mädchen hatten sich relativ schnell für ein Kleid entschieden, aber sie selbst haderte noch.
"Gibt es nicht irgendwas, das weniger Haut zeigt?", fragte sie kritisch und rieb sich den Oberarm.
"Ach komm schon, du hast so eine schöne Figur und einen tollen Teint, das darf man doch nicht so verhüllen!", protestierte Lily.
"Was meinst du zu dem, Mine?", fragte Alice und hielt ihr ein hochgeschlossenes, langes und enganliegendes Kleid entgegen.
"Schon eher, aber kein gelb", sagte sie. "Außerdem meinte ich das nicht so extrem."
"Hast recht, da können wir dich auch gleich in einen Bettlaken wickeln, das würde genauso viel Haut zeigen", lachte sie und hängte es zurück.
"Welche Farbe hättest du denn gerne?", fragte Mary, "Dann könnten wir es schonmal eingrenzen." Hermine überlegte, dann grinste sie. Sie dachte an den Weihnachtsball in der vierten Klasse und an das Gespräch mit Snape auf dem Gang, da hatte sie ein eisblaues Kleid mit Rüschen am Rock getragen, vielleicht sowas in der Art? Vielleicht würden Severus die Parallelen später auffallen, vielleicht würde er dann alles verstehen und nicht ganz so sauer sein. Aber konnte sie das wagen? Wahrscheinlich hat er mich bis dahin eh schon erkannt, dachte sie und beschloss, es darauf ankommen zu lassen.
"Eisblau", sagte sie schließlich und Lily klatschte begeistert in die Hände.
"Das würde so toll zu deiner hellen Haut und den braunen Locken aussehen", pflichtete Emma ihr bei und begab sich wieder auf die Suche.
"Also Eisblau, nicht zu viel Ausschnitt und mit langen Ärmeln. Aber etwas Bein könntest du schon ruhig zeigen", fasste Lily zusammen und wühlte sich durch die unzähligen Kleider.
Nach einigen Minuten quietschte Lily begeistert auf. "Ich hab's!", rief sie aus und sie hatte Recht, Hermine war direkt hin und weg gewesen und das, obwohl sie eigentlich schon aufgeben wollte.
"Es ist wirklich perfekt", flüsterte sie. Es hatte die gewünschte Farbe, war schulterfrei und hatte lange Ärmel aus Spitze. Bis zur Taille schmiegte es sich eng an den Körper und lief in einer leichten A-Linie aus und würde ihr bis zu den Knien reichen.
"Probier das sofort an", forderte Alice begeistert.
"Severus werden die Augen aus dem Kopf fallen", meinte Lily kichernd.
"Nicht nur das, der kriegt sicherlich 'nen Herzkasper", lachte Mary und schob Hermine in die Umkleidekabine.
Als sie einige Minuten später wieder hinaus trat lächelten die Mädchen begeistert.
"Das ist es", meinte Lily und trat hinter sie, fasste ihre Haare leicht zusammen und steckte sie mit einer Spange fest.
"Wahrscheinlich kann ich mir das gar nicht leisten", meinte Hermine legte den Kopf schräg und strich über den leichten, fließenden Stoff.
"Oh, Kind'schen, das passt wie angegossen", meinte Madame Mercier, die Verkäuferin.
"Will ich wissen, was es kostet?", fragte sie vorsichtig.
"Alors, eigentlich war das eine Spezialanfertigung für eine Kundin. Sie wollte es zu ihrer Verlobungsfeier tragen, aber ihr zukünftiger hatte einen Unfall und sie wollte es nicht mehr, es war wohl zu schmerzhaft", erklärte sie der Schülerin.
Das ist wirklich traurig, dachte sie, aber es kam ihr irgendwie passend vor, immerhin würde sie Severus auch bald verlassen, ohne ein Wort, ohne großen Abschied, als wäre sie nicht mehr existent.
"Sie hat mir damals die Arbeitsstunden bezahlt, also kann ich es dir für den Materialwert verkaufen, sechs Galleonen und zwei Sickel, was meinst du, mein Kind?", plapperte die Verkäuferin auch sogleich weiter.
Hermine rechnete, das waren nicht mal fünfunddreißig Pfund, ein Schnäppchen, würde ihre Mutter sagen. Sie konnte sich nicht vorstellen ein solches Kleid für so einen niedrigen Preis zu bekommen.
"Das wäre zu gut um wahr zu sein", sagte sie daher.
"Das bedeutet dann wohl sie nimmt es", sagte Alice lachend und klatschte in die Hände.
Wenn Hermine das Kleid kaufte, blieben ihr und Harry noch weitere fünf Galleonen und ein paar Sickel und Knuts. Harry bräuchte glücklicherweise keinen Anzug, sie hatte den, den er bei Bills und Fleurs Hochzeit getragen hatte, immer noch in der kleinen Tasche in ihrem Schlafsaal. Sonst bräuchten sie ja sicher kein Geld, also nickte sie und beschloss das Kleid zu kaufen. Als Emma von Schuhen anfing schüttelte sie aber den Kopf, sie hatte noch silberne Pumps und eine kleine Handtasche in ihrer Tasche, ebenfalls von der Hochzeit, die würden sehr gut dazu passen.

Nachdem sie alle ihre Kleider bezahlt hatten, genehmigten sie sich noch ein Butterbier im drei Besen.
"Lily sagte, du fährst in den Ferien zu den Snapes?", fragte Alice sie nach einiger Zeit.
"Ja, das stimmt", bestätigte sie, errötete etwas unter den Blick, den die Mädchen ihr zu warfen.
"Glaubst du ihr werdet.. na du weißt schon?", fragte Emma und grinste.
"Wird er das denn erwarten?", fragte sie nervös, dachte an die Narbe auf ihrem Unterarm. Was würde er denken wenn er sie sah und wie sollte sie sie erklären? Daran hatte sie bisher noch nicht gedacht. Sie würde sich eine glaubhafte Geschichte zurechtlegen müssen, denn wenn sie ehrlich war, dann wollte sie ihm nah sein, sie wollte, dass er der erste für sie wäre und sie wollte die erste für ihn sein und irgendwann hoffentlich auch die letzte.
"Warum sollte er dich sonst offiziell seinen Eltern vorstellen und mit nach Hause nehmen, wenn er nicht etwas Zweisamkeit für euch wollte?", fragte Mary und zuckte die Schultern. Hermine sah zu Lily und diese schüttelte den Kopf.
"Etwas Zweisamkeit zu haben, schaffen die beiden auch hier sehr gut", sagte sie und kicherte, "Außerdem ist es nicht wie bei euch Reinblütern, Mary, wo mit nach Hause bringen bedeutet, dass man die Person vorzugsweise direkt nach dem Schulabschluss heiraten will und deswegen Intimitäten schon fast erwartet werden."
Hermine war überrascht, war das bei Reinblütern wirklich so? Was musste dann Molly Weasley immer gedacht haben, so oft wie sie über die Ferien bei den Weasleys war.
"So extrem ist das bei uns nun auch nicht", beruhigte Mary Hermine die leicht ängstlich aussah, "Aber sie hat recht, wir sind da wohl schon noch etwas altmodischer, was das Vorstellen des Partners angeht."
"Und Severus würde dich nie dazu drängen. Er ist nur so glücklich und seine Mutter bedeutet ihm sehr viel, er will sein Glück teilen", versicherte Lily ihr leise flüsternd.
"Wie ist seine Mutter so? Hast du sie mal kennengelernt?", fragte Hermine interessiert nach.
Lily überlegte einen Moment. "Sehr herzlich und elegant, unheimlich klug und gütig", sagte sie, "Ich mag sie sehr. Nur sein Vater ist etwas eigen. Sehr zynisch, häufig mal unfreundlich. Aber sie werden dich sicher mögen."
"Aber glaubst du, dass es trotzdem dazu kommt?", bohrte Alice weiter und wackelte mit den Augenbrauen.
"Was ist denn mit dir und Frank?", gab sie die Frage zurück und Alice errötete stark.
"Sie genießt und schweigt, dabei sind wir ihre besten Freundinnen", sagte Emma leicht eingeschnappt.
"Das ist ja auch sehr privat", verteidigte sie sich sofort.
"Aha, aber bei mir nicht?", stichelte Hermine lachend.
"Okay, wir haben es verstanden, du wirst keine Spekulationen aufstellen!"
Alle lachten und stießen mit dem Butterbier auf ihre Kleider an und unterhielten sich über weniger intime Themen.

Als Hermine später noch mit Emma den kleinen Buchladen betrat, während die anderen Mädchen kurz im Honigtopf vorbeischauten, fühlte sie sich beobachtet. Aufmerksam schlich sie durch die Regalreihen. Sie suchte nach etwas, was es in der Bibliothek von Hogwarts nicht gab und ihr womöglich bei ihrem Gegengiftdilemma helfen konnte. Als sie gerade das Inhaltsverzeichnis eines vielversprechenden Buches durchsah, konnte sie aus dem Augenwinkel einen Viertklässler aus Gryffindor sehen, der sich hinter einem Regal herumdrückte und jetzt, da sie ihn ansah, ihr leicht zuwinkte. Sie runzelte die Stirn, stellte das Buch zurück und ging hinüber zu dem Jungen.
"Entschuldigung, aber Professor Dumbledore hat mir aufgetragen dir das hier zu geben, aber nur wenn du allein bist, ich folge euch nun schon seit eurem Weg zum Drei Besen", entschuldigte der Viertklässler sich und hielt ihr ein Pergament entgegen, das zusammengefaltet und mit Wachs versiegelt war. Sie bedankte sich und nahm dem Jungen das Pergament ab, der daraufhin schnurstracks wieder die Buchhandlung verließ. Sie sah sich nach allen Seiten um, brach dann das Siegel und entfaltete das Blatt, es standen nur wenige Worte darauf:

Oxyuranus microlepidotus, Ophiophagus hannah, Bitis gabonica und Malayopython reticulatus

Er hatte es also tatsächlich herausgefunden, Dumbledore wusste, welche Schlangenarten Nagini vereinte, dass es so viele sein würden, das hatte sie allerdings nicht erwartet. Sie ging hinüber zu einem Regal, das immer noch außerhalb von Emmas Sichtfeld war, die in einem anderen Teil des Ladens in einem Roman schmökerte und zog das Tierartenlexikon hervor. Im Index sah sie nach und wurde schnell fündig.
Inlandtaipan, Königscobra, Gabunviper und Netzpython. Immerhin waren nur drei davon giftig, aber dafür auch in höchsten Maße. Allein der Inlandtaipan zählte als gefährlichste Giftschlange der Welt. Das würde einen ganz schönen Giftcocktail abgeben. Und Nagini hatte nicht wie bei Mister Weasley nur einmal, sondern mehrmals zugebissen, was eine höhere Giftkonzentration im Blut bedeutete und dann hatte sie auch noch am Hals zugebissen. Der Weg des Giftes durch die Blutbahn zum Herzen und von da aus in den ganzen Körper war nicht weit. Dieses Gegengift musste also höchst potent sein. War ihr die Aufgabe, ein Gegenmittel zu finden, bisher schon schwer vorgekommen, so kam es ihr jetzt fast unmöglich vor. Die Zaubertrankforschung im Bereich der Gegengifte war in dieser Zeit wirklich ausbaufähig und dann waren es auch noch so exotische Schlangen, die es hier nicht gab. Ein wenig zweifelte sie wieder daran, dass das alles ein gutes Ende nehmen und sie Severus retten könnte, aber sie musste einen Weg finden, alles andere würde sie nicht akzeptieren.

*

"Na, was schönes für den Ball gefunden?", begrüßte Remus sie, als sie später wieder mit den Mädchen den Gemeinschaftsraum betrat. Emma grinste. "Du wirst Augen machen", versprach sie.
"Du gehst also mit Remus? Das ist der geheimnisvolle Typ, von dem du uns nichts sagen wolltest?", meckerte Mary.
"Jetzt weißt du es ja", gab sie schnippisch zurück, ließ sich neben Remus aufs Sofa fallen, der sie glücklich anlächelte.
Für Hermine war es komisch, den Werwolf mit einer anderen Frau als Tonks zu sehen, aber das war ja auch irgendwie klar, immerhin war sie jetzt nicht einmal alt genug um nach Hogwarts zu gehen, sie kannten sich jetzt noch gar nicht. Sirius steuerte auf die Mädchen zu - bis eben hatte er noch einige Meter entfernt neben Harry und James gestanden, die völlig in einer Partie Zauberschach versunken waren. Bein ihnen angekommen legte einen Arm um Hermine und versuchte irgendwie einen Blick in die Tüte zu erhaschen. Einerseits freute sie sich, dass er alles, was zwischen ihnen war, so einfach vergessen und wieder wie vorher zu ihr war, aber diese ganzen Annäherungen von ihm, darauf hätte sie doch verzichten können, denn sie hatte keine Ahnung, wie sie sie einzuordnen hatte.
"Hey!", schimpfte sie, "Auch du wirst unsere Kleider nicht sehen."
"Ich hatte gehofft, dass du mir sagst welche Krawatte ich tragen sollte, damit es zu deinem Kleid passt", neckte er sie.
"Soll das gerade eine Einladung gewesen sein?", fragte sie und verdrehte die Augen.
"Ja und dazu noch eine ziemlich plumpe", kommentierte Lily und schüttelte den Kopf, "Sie hat schon eine Begleitung, Sirius, du bist zu spät dran."
"Aber vielleicht bin ich besser als deine Begleitung", meinte er und spielte mit ihren Locken.
"Pfoten weg, Black!", sagte sie, "Und nein, das bist du nicht, tut mir leid."
Hermine entwand sich seinem Griff und zog Lily mit sich zum Schlafsaal. Hier in dieser Zeit kam sie mit Sirius nie wirklich auf einen Nenner, hier war er ihr zu angeberisch und zu sehr von sich überzeugt, ganz anders als in ihrer Zeit, in der sie Sirius und seine Selbstironie sehr gemocht hatte.
"Ist das zu fassen?", fragte sie, als sie die Tür schloss.
"Irgendwie schon", meinte Lily, stellte ihre Tüte auf dem Bett ab und schälte sich aus der Jacke.
"Inwiefern?", fragte Hermine und tat es ihr nach.
"Ich hab es dir doch schon gesagt, du bist für die anderen sehr interessant. Allein die Gerüchte um dich und Harry und du bist auch nicht gerade hässlich. Sirius ist nun mal schon immer darauf versessen gewesen, das zu kriegen, was er nicht haben kann. Und du gibst ihm immer wieder Kontra, was für ihn eine Herausforderung darstellt", erklärte sie sachlich, "Aber auch Harry wird sich vor Einladungen kaum retten können."
"Würde mich wundern wenn er eine davon annimmt", sagte Hermine, "Er hat zuhause eine Freundin, die er sehr liebt und vermisst."
"Oh, das wusste ich gar nicht", meinte Lily, "Wie ist sie so?"
"Sie ist toll. Furchtlos und mutig, verständnisvoll und wunderschön. Sie hat die gleichen Haare wie du", sagte sie und wirkte kurz traurig, sie vermisste ihre beste Freundin.
"Ihr seid gut befreundet, oder? Ich sehe dass sie dir auch fehlt", mutmaßte Lily.
"Ja, sie ist meine beste Freundin. Aber es ist sicherer für sie, gerade nicht mit uns in Verbindung zu stehen. Sie ist reinblütig und das schützt sie", log Hermine.
"Verstehe", meinte die Rothaarige, "James hat von seinen Eltern gehört, dass Dumbledore wohl Leute rekrutiert. Auroren und so, um gegen ihn zu kämpfen. Vielleicht schließen wir uns nach dem Abschluss an. Sirius und James wollten ohnehin eine Aurorenausbildung machen. Ich habe es so satt, dass wir alle Abstriche machen und dass unser ganzes Leben durch ihn beeinträchtigt wird. Schau dir allein dich und Harry an. Getrennt von eurer Familie und den Freunden, alles nur seinetwegen!"
Hermine sah sie überrascht an. So waren sie also zum Orden gekommen? Sie wollten nicht mehr weiter zusehen und haben sich aktiv Dumbledore angeschlossen? Und das auch noch teilweise ihretwegen?
"Aber das macht ihr doch nicht nur wegen unserer Geschichte?", fragte Hermine zweifelnd.
"Nicht nur, ich mache es auch für mich, immerhin bin auch ich wegen meiner Herkunft Dreck für ihn, aber eure Geschichte hat mich nochmal bestärkt und ich will das Richtige tun, für die ganze Zaubererwelt. Wenn nicht einmal Reinblüter mehr sicher sind, weil sie mit Muggeln sympathisieren.. Wo soll das noch enden?"
"Das ist wirklich mutig", meinte sie und setzte sich neben Lily aufs Bett, "Ich wünschte mehr Leute würden so denken und handeln." Sie strich wieder über ihren Unterarm, wo unter dem Pullover die Narbe verborgen war, die ihr sagte, was sie in den Augen der meisten Reinblüter auch in ihrer Zeit noch war: Abschaum!
Sie wünschte dieser Idealismus hätte schon jetzt geholfen, hier in dieser Zeit. Aber es würde noch über zwanzig Jahre dauern, bis die Schreckensherrschaft von Lord Voldemort endete. Wobei hier in Hogwarts davon wenig zu merken war, es war, als wären sie hier in einer Blase. Hier waren sie alle sicher, lasen nur dann und wann im Tagespropheten von den Grausamkeiten, die außerhalb dieser perfekten kleinen Welt und der Blase um sie herum passierten.
"Was ist mit dir und Harry?", fragte Lily, "Werdet ihr euch vielleicht auch anschließen?"
"Harry würde es ohne nachzudenken sofort tun", sagte sie und fügte Ron und Ginny in ihrem Kopf zu der Aussage hinzu.
"Du denn nicht?", fragte Lily und legte den Kopf schräg.
"Doch schon, ich würde alles tun um die zu schützen, die ich liebe, ohne wenn und aber", sagte sie bestimmt, "Wenn es sie schützen würde, dann würde ich kämpfen. Aber wegen unserer Eltern ist es momentan sicherer den Kopf unten zu halten."
Und genau genommen hatten Harry und sie das schon - ohne wenn und aber gekämpft, sie waren vor nicht allzu langer Zeit erneut ein riesengroßes Risiko eingegangen, wenn in ihrem Fall auch nur zögerlich und waren in der Zeit zurückgereist, für eine Chance ihre Lieben zu retten. Nach all der Zeit, kämpften sie auch jetzt noch.

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