11. Zu nah

"Ich glaub's nicht, dass er mir tatsächlich vorschreiben will, was ich zu tun und zu lassen habe", wetterte Lily, als die drei auf den Ländereien angekommen waren und den Weg zum schwarzen See einschlugen. Raureif hatte sich im Morgengrauen über die Ländereien gelegt und hatte überall im Gras und an den Bäumen wunderschöne Eiskristalle gebildet. Seit Tagen fielen die Temperaturen immer weiter, nur geschneit hatte es bisher noch nicht, sehr zu Hermines Bedauern.
"Ich denke, eigentlich will er dich nur, aif seine Art, vor einer potentiellen Enttäuschung beschützen", warf Harry ein.
"Aber doch nicht so! Er ist zwar mein Freund, aber wir haben doch nicht mehr 1950. Er hat kein Recht es mir zu verbieten."
"Diesbezüglich sind wir uns, denke ich, alle einig", meinte Hermine. "Hat Severus sich wirklich bei dir entschuldigt?"
"Sowas in der Art", meinte sie und verschränkte die Arme leicht vor der Brust, um sich vor der Kälte zu schützen. "Er sagte, dass es ein Fehler war und es niemals wirklich so meinte. Er war aufgewühlt und hat sich gedemütigt und bloßgestellt gefühlt und irgendwie ist ihm dabei dieses Wort rausgerutscht."
"Was fängst du jetzt mit dieser Information an?", fragte Harry zweifelnd.
"Keine Ahnung. Ich hab in letzter Zeit viel darüber nachgedacht und ich möchte ihm ja verzeihen, andererseits war es wirklich schmerzlich für mich, dieses Wort aus seinem Mund zu hören. Wir sind uns über so viele Dinge uneins, ich habe Angst, dass es wieder zu einer Auseinandersetzung kommt."
"Aber befreundet zu sein, heißt nicht, dass man immer einer Meinung sein muss", warf Harry ein. "Wenn es ihm wirklich leid tut, ist das doch schon mal ein guter Anfang."
Auch wenn Harry ihr, Severus betreffend, gerade gut zuredete, insgeheim fürchtete er die Folgen für ihre Zeit, sollten sie sich wirklich wieder vertragen. Würde Snape sie dann überhaupt noch verraten, wenn sie wieder befreundet wären? So gerne er wollte, dass dies der Fall gewesen wäre und er sie nicht verriet, weil er dann vielleicht nie zu den Todessern gehen würde, wusste er doch, dass es so kommen musste. Es schmerzte ihn, dass er so darüber denken musste, dass er hoffen musste, dass seine Eltern dennoch starben, damit alles wieder so kam, wie es gekommen war. Diesen Schmerz, den er fühlte, er war nicht in Worte zu fassen. Gleichzeitig war es schwer in den beiden Personen seine Eltern zu sehen, denn genau genommen waren sie das nicht - noch nicht.
"Es wäre wahrscheinlich nie dazu gekommen, wenn du nicht wärst, Hermine", wandte sich die Rothaarige an ihre Freundin, "Die Tatsache, dass du darüber hinwegsehen konntest, was er getan hat und trotzdem mit ihm befreundet bist, hat mich dazu gebracht von meinem hohen Ross zu steigen und das Gespräch zu suchen."
"Das freut mich sehr", sagte Hermine gezwungen lächelnd, meinte es aber nur halb ernst.
Natürlich hatte sie sich genau das für ihren zukünftigen Professor gewünscht: Vergebung und eine zweite Chance, Freundschaft. Aber es machte ihr schmerzlich bewusst, dass jetzt, wo Lily wieder in sein Leben treten würde, sie wieder daraus verschwinden würde. Er brauchte sie nicht mehr, wenn er Lily hatte. Aber es war besser so, sie würden immerhin irgendwann wieder zurück gehen, dann hätte sie ihn ohnehin verlassen müssen und sie sollte ihm vermutlich sowieso nicht so nahe stehen, wie sie es tat. Sie sollte froh sein, aber irgendwie konnte sie das nicht. Sie war eifersüchtig. Anders konnte sie den Stich in ihrem Herzen nicht erklären, der auf ihre Überlegungen folgte. Sie mochte ihn und das vielleicht schon jetzt viel zu sehr, als gut für sie und die Zukunft war.
"Jedenfalls danke, Harry, dass du auf meiner Seite warst", wandte Lily sich nun an Harry und drückte kurz seine Hand.
"Immer wieder gern", sagte er und grinste.
"Aber was wirst du jetzt zu James sagen?", fragte Hermine und Lily schwieg, war in Gedanken versunken, wie sie alle.
Den Ganzen Weg zum Schloss zurück hing jeder seinen Gedanken nach, sie sprachen nur noch wenig. Lily dachte darüber nach, was James wohl sagen würde und wie sie ihm alles erklären wollte, fragte sich, ob er dazu in der Lage war, über seine persönlichen Differenzen mit Severus hinwegzusehen und sie den Streit beilegen konnten. Hermine überlegte, wie es zwischen ihr und Severus nun weitergehen würde, was eine neu aufkeimende Freundschaft zwischen Severus und Lily für ihre Freundschaft mit ihm bedeuten würde und für die Zukunft. Und Harry dachte darüber nach, wie seltsam ihm das alles vorkam. Er hatte hautnah einen Streit seiner Eltern mitbekommen, zwei Personen, die in dieser Zeit nicht älter waren als er selbst und bei denen es ihm zunehmend schwer fiel, in ihnen tatsächlich seine Eltern zu sehen, statt nur seine Freunde. Es war surreal für ihn. Siw hatten keine Ahnung wer er einmal sein würde, wie alles kommen würde.

*

Als sie eine halbe Stunde später wieder den Gemeinschaftsraum betraten ließen sie Lily und James erst einmal alleine über alles reden, während die anderen etwas entfernt zusammen saßen.
"Mine, ich wollte dich vorhin nicht angreifen, falls das so gewirkt haben sollte", meinte Sirius nach einiger Zeit. Überrascht blinzelte sie, Sirius entschuldigte sich nie für seine Worte, vor allem nicht, wenn sie eigentlich gegen Snape gingen. Sie sah kurz zu Remus und Harry, erster zwinkerte ihr zu und zweiter zuckte die Schultern. Ah, daher wehte also der Wind. Remus hatte Sirius offenbar ins Gewissen geredet. Sie wüsste zu gerne, wie er das geschafft hatte und was er wohl gesagt hatte.
"Weil du meintest ich sei beratungsresistent?", fragte sie nun wieder an Sirius gewandt und lachte. "In gewisser Weise hast du da vielleicht Recht."
"Mine war schon immer sehr willensstark", warf Harry schlichtend ein, aber Hermine konnte ganz klar die Zuneigung dahinter heraushören. Er hatte ihr einmal gesagt, dass er sie dafür bewundere, dass sie immer bereit war, beharrlich für das einzustehen, was sie für richtig hielt, auch wenn amdere das nicht verstanden - und obwohl sie Harry und Ron damit mehr als einmal fast auf die Palme gebracht hatte.
"Du bist mir nicht böse?", fragte Sirius nun hoffnungsvoll.
"Nein, alles gut. Du hast mir schon ganz andere Sachen vorgeworfen. Stur zu sein ist da ja noch recht harmlos", beruhigte sie ihn. "Ich würde mir nur wünschen, dass ihr Severus eine Chance gebt. Ihr müsst ja nicht mit ihm befreundet sein, aber würde es euch umbringen, ihn nicht ständig zu ärgern?"
"Ja, ich denke das würde es", meinte er, "Ich wüsste nicht wohin mit meiner ganzen überschüssigen Energie, dann würde ich womöglich explodieren."
"Das war ein Scherz", erklärte Remus hastig.
"Das hoffe ich doch", warf sie ein.
"Dir zu liebe werde ich drüber nachdenken. Mögen werde ich ihn trotzdem nie", erklärte Sirius.
"Das verlangt ja auch keiner", meinte Harry beruhigend.
"Ich hoffe nur, Mine, dass du ihm nicht zu Unrecht vertraust", warf Sirius noch ein und wandte sich an Peter, flüsterte ihm etwas zu, woraufhin der verschwörerisch grinste und nickte. Auf die fragenden Blicke ihrer Freunde hin meinte Sirius aber nur: "Nicht so wichtig."
"Oh, darf ich ihn wenigstens noch Schniefelus nennen?", fragte Sirius und wirkte wieder komplett unbekümmert.
"Tu was du nicht lassen kannst", meinte Hermine genervt und schüttelte den Kopf. Man sollte nicht zu viel Einsicht auf einmal erwarten.
Sie warf einen Blick zu Lily und James, die sich inzwischen wieder innig küssten und Harry lächelte zufrieden, bevor sein Blick etwas traurig wurde.

"Ginny?", fragte Hermine leise und er nickte.
"Sie fehlt mir", flüsterte Harry zurück.
In gewisser Weise ähnelte Ginny Lily, überlegte Hermine, aber das sollte sie ihrer besten Freundin gegenüber wohl besser nie erwähnen. Sie erkannte die gleiche Stärke in Lily, wie Ginny sie hatte, die Beharrlichkeit und Courage. Außerdem hatten sie beide das gleiche rote Haar. Auch sie vermisste Ginny, fragte sich, was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, was hier gerade vor sich ging. Wahrscheinlich würde sie zuerst einmal herzlich darüber lachen, dass sie gerade dabei war, sich in ihren, in ihrer Zeit so verhassten, Zaubertränkeprofessor zu verlieben, bevor sie ihr erklären würde, dass sie total verrückt wäre.
Ja, es war verrückt und töricht und unklug diese Gefühle zu haben, aber sie konnte sie nicht mehr leugnen, noch konnte sie sie einfach wegwünschen. Sie dachte an die blaue Rose, die oben auf ihrem Nachtschränkchen stand. Er war unerreichbar für sie, würde es immer sein. Sein Herz gehörte Lily, würde es immer, bis in den Tod und vielleicht auch darüber hinaus, da war kein Platz für sie. Jedenfalls wenn die Konsistenz hier griff und sie seine Erinnerungen von Anfang an richtig gedeutet hatte. Denn das würde bedeuten, dass seine Gefühle für sie höchstens freundschaftlicher Natur waren und sie musste dafür sorgen, dass dies so blieb. Vielleicht dürfte sie nicht mal das weiterführen, denn sie konnte es nicht mehr länger ertragen, sich weiter zu verlieben und gleichzeitig zu wissen, dass er niemals so für sie empfinden würde. Außerdem war da Ron, der vielleicht, aber vielleicht auch nicht, Gefühle für sie hatte, der gestorben war, bevor sie das herausfinden konnte. Den sie retten musste, um jeden Preis. Sie sollte sich nur darauf fokussieren, dachte sie, bei Severus würde sie sowieso an verlorener Front kämpfen, wenn sie denn überhaupt hätte kämpfen dürften. Sicher war sie für ihn auch nur ein Trostpflaster gewesen und wenn sie mal ganz ehrlich war, musste sie genau darauf hoffen, denn mehr dürfte sie nicht sein, so gerne sie das auch wäre. Aber jetzt näherte Lily sich ihm wieder an, sie würde ihn zwar nie auf die gleiche Weise lieben, wie er sie, aber sie würde irgendwie für ihn da sein. Er braucht mich dann nicht mehr, wenn er sie hat. Aber was bedeutete eine Annäherung von Severus und Lily für die Zukunft? Diese Frage schwirrte ihr immer wieder durch den Kopf und sie vermochte sie nicht zu beantworten.

"Na, alles wieder im Lot?", fragte Remus, als Lily und James wieder zu ihnen kamen.
"Soweit so gut", meinte James.
"Halleluja", entfuhr es Peter, "Merlin sei Dank." Ihm bereiteten solche Spannungen jedes Mal Unbehagen und Bauchschmerzen.
"Da stimme ich Peter zu, es ist immer nervig wenn Mum und Dad sich streiten", witzelte Sirius und alle mussten sich ein Lachen verkneifen.

*

"Er hat also eine Vermutung wie wir zurückkommen?", fragte Harry, als sie nach dem Abendessen alleine in einem verlassenen Korridor standen.
"Ja, die muss aber erst noch genauer geprüft werden", meinte Hermine ausweichend. "Außerdem werden wir, wenn sie sich als richtig herausstellt, üben müssen."
"Üben? Was denn?", fragte Harry verwirrt.
"Wir müssen an deiner Konzentration arbeiten. Denn wenn wir bei der Visualisierung nicht im Einklang sind oder sich einer von uns ablenken lässt, könnte es passieren, dass wir wieder irgendwo landen, wo wir nicht hin sollten."
"Glaubst du echt ich schaffe das?", fragte er zweifelnd. Er wusste ja selbst, dass er Defizite hatte, was Geduld und Fokussierung anging. Ein Wunder dass er damals das Apparieren erfolgreich gelernt hatte.
"Es braucht nur genug Übung, wie damals mit dem Patronus, das hast du auch irgendwann geschafft und brauchte auch Konzentration und Visualisierung", sagte sie zuversichtlich, "Vielleicht sollten wir mit Meditationsübungen anfangen."
"Du meinst im Schneidersitz rumsitzen und komisch zu atmen?", fragte Harry nicht gerade begeistert.
"Warum war mir klar, dass sowas kommt?", stöhnte sie.
"Du kennst mich einfach zu gut", meinte Harry lachend.
"Probiere es bitte einfach. Sonst bleiben wir hier und sitzen weiter fest."
"Schon klar, versprochen", meinte Harry und nickte. "Aber was ist mit der Alterung?"
"Er glaubt die können wir umgehen, aber ganz sicher kann man sich da nie sein."
"Warum hat er eigentlich nur dich sprechen wollen?", fragte er. "Das hätte er doch uns beiden sagen können."
"Er hatte Angst, es käme wieder zu Meinungsverschiedenheiten zwischen uns", meinte sie nur und Harry zog die Augenbrauen zusammen.
"Ein komischer Grund, oder? Passt gar nicht zu ihm", meinte er zweifelnd.
"Er ist zwanzig Jahre jünger, wer weiß schon, ob es ihm in dieser Zeit nicht doch ähnlich sieht."
"Wahrscheinlich hast du Recht", meinte er. "Wie lange bis wir zurück können?"
"Kann man noch nicht sagen, erstmal muss er sich sicher sein, du musst das mit der Fokussierung lernen und außerdem brauchen wir einen narrensicheren Plan für die Rettung aller. Willst du denn nicht mehr bleiben?"
"Doch schon, immerhin ist es meine einzige Chance bei meinen Eltern und Sirius zu sein, aber ich will gleichzeitig auch zurück. Außerdem ist mir das alles nicht ganz geheuer. Ich hatte schon Angst, das mit Snape würde meine Eltern auseinander bringen. Ich will echt nicht herausfinden, ob wir uns, was den Verlauf der Zeit angeht, nicht doch geirrt haben und ich am Ende gar nicht erst geboren werde."
"Ich glaube da kann ich dich beruhigen, immerhin reisen wir nur deinetwegen zurück, das wäre nicht möglich wenn du auf einmal nicht mehr geboren wirst. Du weißt schon, Großvater Paradoxon", erinnerte sie ihn.
"Trotzdem, ich will es nicht herausfordern", meinte er bestimmt. "Wer weiß, was jetzt überhaupt passieren wird, wenn Mum und Snape sich wieder vertragen."
"Ich denke, das wird keinen übermäßigen Einfluss haben", meinte Hermine und hoffte, dass sie Recht hatte. "Er wird sich sicher dennoch der schwarzen Magie widmen, oder den Todessern durch seine Zaubertrankforschung auffallen und am Ende unwissentlich.."
"Meine Eltern zum Tode verurteilen", beendete Harry den abgebrochenen Satz.
Hermine sah ihn bedauernd an.
"Ist schon gut, Mine. Ich hatte achtzehn Jahre Zeit mich an den Gedanken zu gewöhnen und mich damit abzufinden, sie nie wirklich kennenzulernen. Das hier ist also ein großes Geschenk und ich bin dankbar dafür und es ist okay, dass ich nur das hier bekomme. Ich mache auch Snape keinen Vorwurf, er konnte sicher nicht ahnen was passieren wird."
"Das ist ungewohnt versöhnlich von dir", stellte Hermine überrascht fest.
"Vielleicht macht das diese Zeit mit mir", meinte er schulterzuckend. "Glaubst du es gibt das Schicksal? Sowas wie Vorsehung?"
"Ich weiß es nicht, Harry. Aber wenn ja, dann frage ich mich, wie das alles hier da hineinpasst."

*

In den nächsten Tagen verbrachten Hermine und Harry viel Zeit im siebten Stock, im Raum der Wünsche. Hermine wollte, dass Harry so schnell wie möglich die Sache mit der Fokussierung seiner Gedanken und Wünsche lernte, auch fand sie, dass ihr selbst ein wenig Übung nicht schaden konnte. Sie begannen mit einer Technik, die Hermine einmal in einem Meditationskurs in den Sommerferien, zusammen mit ihrer Mutter, gelernt hatte. Der Schlüssel war, seinen Körper komplett zur Ruhe kommen zu lassen, sich auf sich selbst zu besinnen, die Atemzüge gleichmäßig zu machen und sich auf sie zu konzentrieren und so den Geist zu leeren. Die ersten Male hatte Harry das Ganze nach wenigen Minuten aufgegeben, da er es albern fand, aber sie hatte sich schließlich an Lupins Unterricht mit Harry zum Patronus erinnert, wie er es geschafft hatte, dass Harry sich nur auf eine Einzige Erinnerung konzentriert hatte und dass er sich von ihr durchströmen lassen sollte.
Dahingehend hatte sie die Vorgehensweise ein wenig angepasst und langsam schien es zu klappen. Sie hatte es geschafft, den Wunsch, auf den er sich konzentrieren sollte, soweit für ihn greifbar und anschaulich zu machen, dass er ihn Visualisieren konnte. Ein Ziel half Harry erheblich mehr, als die Aufgabe den Geist komplett zu leeren. Natürlich war sie noch lange nicht zufrieden mit seinen Fortschritten, aber es war ein Anfang.

In diesen Tagen, hatte sie auch beobachtet, dass Lily und Severus sich immer häufiger zwischen den Unterrichtsstunden unterhielten, jedenfalls solange weder Sirius noch James anwesemd waren. Sie wusste zwar nicht worüber, aber  sie war dennoch sofort auf Abstand zu ihm gegangen, zum einen, weil sie dieses Gefühl der Eifersucht nicht ertrug und zum anderen, weil es das Richtige war. Wenn sie plötzlich wieder verschwanden, sollte es nicht zu viel Wirbel erzeugen. Sie war sich sicher, dass er nachforschen würde, er war nun einmal misstrauisch und neugierig. Er würde nicht glauben, dass sie plötzlich wieder in Sicherheit wären und einfach wieder nach Hause zurückgegangen waren. Diese Lüge hätte er schneller durchschaut, als dass man sie ihm erzählte. Er musste glauben, dass er ihr nicht mehr wichtig war, das würde alles leichter machen, oder jedenfalls redete sie sich das erfolgreich ein. Wie sehr sie sich damit selbst in die Tasche log, ignorierte sie. Denn dann hätte sie von Anfang an nicht mit ihm befreundet sein dürfen und wenn sie gedacht hätte, dass es da wirklich eine Gefahr für die Zukunft bestand, hätte sie sich doch ohnehin von ihm ferngehalten.

Severus war klar, was Hermine da tat, dass sie sich absichtlich immer mehr von ihm distanzierte, er konnte sich aber beim besten Willen nicht erklären warum. Zumeist gab er sich die Schuld daran, überlegte fieberhaft, was er getan haben konnte, um sie von sich wegzutreiben. Zwischenzeitlich hatte er auch wieder die Rumtreiber im Verdacht gehabt, immerhin hatte er immer häufiger eine Ratte in seiner Umgebung bemerkt und er wusste, dass Peter Pettigrew sich in eben jene verwandeln konnte. Dagegen sprach aber, dass er Hermine inzwischen ziemlich gut kannte und was sie sagten oder taten, um sie von ihm zu distanzieren, hatte sie bisher auch nicht interessiert, also würde es das sicher auch jetzt nicht. Zumal ja Lily sich jetzt sogar langsam wieder mit ihm versöhnte. Wobei langsam dabei auch genau das richtige Wort war. Ihre Gespräche waren nicht wie früher, sie waren steif und oberflächlich. Als würden sie einen Eiertanz umeinander aufführen, aber ihm war es so lieber, als dass sie ihn noch immer ignorieren würde.
Seit dem waren auch die Gemeinheiten, die er sich von den Rumtreibern anhören musste, weiter auf ein Minimum gesunken und sie hatten ihn auch nicht mehr körperlich angegriffen. Er war sich mehr als sicher, dass Lilys Annäherung und die ausbleibenden Streiche auf Hermine zurückzuführen waren, was ihn vermuten ließ, dass sie ihn immer noch mochte und beschützte, dass er ihr nicht plötzlich egal war. Aber warum ging sie dann auf Abstand? Oder war es gerade dieser Umstand, der zum Ausbleiben der Gemeinheiten führte, weil sie sich von ihm fernhielt? Aber tat sie es deswegen?
Oder hatte er sich womöglich verraten? Wusste sie, was er fühlte, wenn sie in seiner Nähe war? Dass er plötzlich schwitzige Hände bekam und sein Herz sich überschlug, wenn sie ihn ansah? War sie deswegen auf Abstand gegangen, weil sie nicht das gleiche fühlte und ihn nicht zurückweisen wollte? Aber woher sollte sie das wissen? Er konnte sich diese Gefühle ja kaum selbst eingestehen.
Er hatte keine Antworten auf diese Fragen und sie wich immer aus, wenn er sie fragte ob etwas wäre. Ihm war nur klar, dass er sie nicht verlieren wollte und daher nicht zulassen konnte, dass sie sich von ihm entfernte.

"Hey", begrüßte er sie und setzte sich auf einen Sessel ihr gegenüber. Sie sah von ihrem Buch auf, dann panisch auf ihre Uhr.
"Oh, so spät schon, Severus tut mir leid, aber..", wollte sie sich schon rausreden und sprang auf, aber auch er reagierte schnell und hielt sie zurück.
"Bitte Hermine, geh nicht. Lauf nicht ständig vor mir weg", flüsterte er flehend und sah sie bittend an.
"Nein wirklich, ich..", setzte sie wieder an und wollte ihm ihren Arm entwinden.
"Was habe ich getan? Warum meidest du mich?", fragte er und wirkte dabei so verletzt, dass sie in der Bewegung inne hielt.
"Das mache ich doch gar nicht", wehrte sie automatisch ab, schloss dann aber für einen Moment gequält die Augen. Sie konnte ihn einfach nicht verletzen, wollte ihm das nicht antun. Scheinbar bedeutete ihm die Freundschaft mit ihr doch mehr, als sie geahnt hatte.
"Doch das tust du, erklär mich nicht für blöd, indem du etwas anderes behauptest. Seit über einer Woche meidest du mich immer wieder, ständig sagst du du hast irgendwas zu tun und gehst."
Hermine atmete tief durch, sie hatte eigentlich gehofft, dass durch ihr häufiges Fernbleiben und die gleichzeitige Annäherung von Lily, sich einfach alles von alleine lösen würde, dass er sich wieder mehr mit ihr beschäftigte und sie vergaß. Einfach ein Austausch seiner Bezugspersonen, etwas, von dem sie dachte, dass er es begrüßen würde, hatte er doch Gefühle für die rothaarige Gryffindor. Aber das schien nicht der Fall zu sein. Es half nichts, sie musste ihn verletzen, sie musste die Worte sagen, die sie nie hatte sagen wollen, denn sie waren genauso eine Lüge wie vieles andere, was sie ihm aufgrund der Situation erzählen musste.
"Ich denke, dass diese Freundschaft nicht mehr funktioniert", flüsterte sie dann schließlich und fühlte den Stich in ihrem Herzen, der ihre Worte Lügen strafte.
"Aber warum? Sag mir doch was es ist und ich..", begann er sofort auf sie einzureden aber sie ließ ihn mit einem Kopfschütteln verstummen.
"Nein, es tut mir leid, du kannst nichts dafür, das liegt nur an mir. Ich kann das nicht mehr.. Ich will das nicht mehr." Der Schmerz in ihrer Brust wurde mit jedem Wort größer und sie fühlte brennend heiße Tränen, die sich in ihren Augen sammelten und es verlangte ihr alles ab, sie zurückzuhalten.

Ich hab mich wirklich in ihn verliebt, stellte sie fest, zuerst langsam, schleichend und dann doch mit voller Wucht. Und Harry hatte Angst, er könnte irgendwann Gefühle für mich haben, dachte sie, wie falsch er doch lag. Knapp vier Monate, mehr hatte es nicht gebraucht, vier Monate um sich Hals über Kopf und gegen jede Vernunft in Severus Snape, ihren zukünftigen Professor, zu verlieben.

"Das kannst du doch nicht ernst meinen", versuchte er wieder sie umzustimmen.
"Bitte, akzeptiere es einfach", bat sie ihn eindringlich.
"Wie sollte ich das akzeptieren können? Komplett von jetzt auf gleich und ohne Grund."
"Du wirst sicher einen Weg finden", beharrte sie, versuchte dabei ihre Stimme möglichst hart und entschlossen klingen zu lassen und wollte nun endgültig gehen, aber erneut hielt er sie zurück, drehte sie schwungvoll zu sich herum und umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen.
Sanft strich er mit den Daumen über ihre Wangen und ließ ihr Herz fast aussetzen, bevor es in doppelter Geschwindigkeit weiter schlug. Schneller als sie es erfassen konnte, lagen seine Lippen auf ihren.
Da war es - das Feuerwerk, die Schmetterlinge - alles, was sie bei dem Kuss mit Ron vermisst hatte. Ihr Puls rauschte in ihren Ohren und sie ließ sich ganz automatisch fallen, erwiderte den Kuss. Seine Lippen fühlten sich weich und warm auf ihren an, sie spürte seine Verzweiflung aber auch die bisher unterdrückten Gefühle in diesem Kuss. Der Geruch seines Rasierwassers stieg ihr in die Nase, vermischte sich mit dem von den alten Büchern und Ledersesseln um sie herum und gab ihr sofort ein Gefühl von Geborgenheit.
Langsam löste er sich von ihr, aber sie konnte immer noch seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren.
"Ich musste es einfach wissen", flüsterte er, als sie ihre Augen langsam öffnete.
Sofort fand ihr Blick seinen und sie verlor sich in seinen dunklen Augen, die sie vermeintlich bis in seine Seele blicken ließen. Sie spürte die Anziehung, die er auf sie ausübte, das wilde schlagen ihres Herzens, ein Kribbeln in ihrem ganzen Körper, wie Funken eines Feuerwerkes, das sie innerlich wärmte. Wie von selbst wanderte ihre Hand an seinen Hinterkopf und sie zog ihn erneut an sich, küsste ihn stürmisch und verlangend.

So schnell, wie sie ihn wieder an sich gezogen hatte, so schnell kam auch die Erkenntnis, dass das hier falsch war. Als ihr Rücken leicht gegen das Bücherregal stieß, wurde es ihr klar. Dass sie ihn begehrte war falsch. Dass er sie küsste, war falsch. Er durfte nicht so für sie empfinden, er musste Lily lieben, damit er den Todessern beitreten und sie mit der Prophezeiung verraten würde, damit er Dumbledores Spion wurde und sie alle rettete. Für sie war in seinem Herzen und dieser Zeit kein Platz vorgesehen. Eine Freundschaft mit ihm hatte sie ja bisher noch irgendwie verantworten können, aber Gefühle dieser Art, das wäre zu viel. Sie hatte ihm doch gerade klarmachen wollen, dass er ihr nichts mehr bedeutete und was tat sie? Sie küsste ihn.
Als hätte sie sich verbrannt stieß sie ihn von sich, griff nach ihrer Tasche und bevor Severus überhaupt klar wurde, was da gerade geschah, war sie schon davon gerannt. Severus stand völlig perplex und reglos im Raum. Er konnte noch die Berührung ihrer Lippen auf seinen fühlen, hatte noch ihren blumigen Geruch in der Nase, konnte noch die Wärme ihres Körpers an seinem spüren, aber sie war weg.

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