Kapitel 5
Das Meeting mit der Werbeabteilung dauerte fast zwei Stunden. Ich war ausgelaugt. Irgendwie fix und fertig. Aber das lag nicht an dem angeregten Meeting, sondern vor allem an Mr Hunter. Seit unserem Treffen heute Morgen fühlte ich mich unbehaglich in seiner Gegenwart, weshalb ich versuchte, ihn so gut wie möglich mit meinen Blicken zu umgehen.
Ich meinte, was wollte er denn von mir? Machte er sich nur lustig über mich? Wollte er mich ärgern? Provozieren?
Ich hatte keine Ahnung.
Vielleicht sollte ich diese kleine Episode einfach abhaken und vergessen. Wir waren beide von den äußeren Umständen beeinflusst. Erst das ... Sahneschnittchen, dann der Kuss. Das würde sowieso nie wieder passieren, also konnte ich es ebenso gut in einer Schublade verstauen, diese abschließen und den Schlüssel wegwerfen.
Ich packte meine Tasche zusammen, fuhr meinen Computer herunter und ging nach draußen. Vor dem Eingang warteten schon Jesse und Lucas, und ich begrüßte die beiden mit einer Umarmung.
»Herzlichen Glückwunsch, Kleine!« Jesse grinste mich an.
»Danke!« Ich freute mich schon darauf, jetzt mit meinen Freunden essen zu gehen. »Wo sind Sophia und Carl?«, wollte ich wissen.
»Hier, wir sind hier!«, hörte ich Sophias abgehetzte Stimme hinter mir, bevor sie mir um den Hals fiel und mich an sich drückte. »Tut uns leid, wir hatten gerade noch Megastress«, erklärte sie ihr Zuspätkommen.
»Hat mal wieder was nicht funktioniert und ihr musstet Retter in der Not spielen?«, fragte ich amüsiert. Die IT-Abteilung hatte manchmal ziemlichen Zeitdruck. Wenn etwas auf der Website nicht lief wie geschmiert, musste das Problem auf der Stelle wieder behoben werden. Und zwar am besten schon gestern.
Carl verdrehte nur die Augen. »Du kennst das ja.«
»Hi, alle zusammen.« Ich drehte mich zu der mir wohlbekannten Stimme um.
»Hey, Dylan!«, begrüßte ich ihn, während ich einen Blick zu Sophia warf, die plötzlich verstummt war. Ich wollte Dylan unbedingt heute dabeihaben. Es war schon blöd genug, dass Tess nicht da war, um auf meinen neuen Job anzustoßen. Soweit ich wusste, hatte Sophia noch immer nicht mit Dylan geredet, also wollte ich ihr mal einen kleinen Arschtritt verpassen. Und sie konnten sich beide ja wohl wie Erwachsene benehmen.
Während Dylan die anderen begrüßte und sogar auch Sophia umarmte, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Mr Hunter das Gebäude verließ. Er setzte eine Ray Ban auf und drehte den Kopf in unsere Richtung. In meine Richtung.
Ich konnte nicht sehen, ob er mich ansah, ob er mich überhaupt gesehen hatte. Ich aber hatte ihn gesehen. Verdammt, er war so gut aussehend. Ich konnte nicht anders, als ihm hinterherzusehen. Wie er wohl seine Abende verbrachte? Hatte er eine Freundin, zu der er nach Hause fuhr? Vielleicht sogar eine Frau? Kochte er selbst? Machte er sich einen Wein auf? Warf er sich auf sein Sofa und sah sinnlose Fernsehprogramme? Oder doch eher interessante Dokus? Las er ein Buch? Oder arbeitete er von zu Hause aus weiter?
Mr Hunter machte mich neugierig.
»So, können wir?«, fragte Jesse in die Runde.
»Hey, und was ist mit mir?«, ertönte plötzlich Damians Stimme, und wir drehten uns alle zum Gebäudeeingang.
»Für dich ist doch längst Schlafenszeit«, ärgerte ihn Carl.
»Haha, lustig wie eh und je«, kommentierte unser Auszubildender trocken. »Wenn ihr mich nicht dabeihaben wollt, sagt es einfach.«
Damian tat mir irgendwie leid, und ich bereute, ihn nicht gefragt zu haben, ob er mitkommen wollte. Bevor Lucas oder Carl ihn weiter ärgern konnten, legte ich einen Arm um ihn.
»Ach, hab dich nicht so. Die anderen haben einfach Angst, dass du die ganze Aufmerksamkeit auf dich ziehst.« Ein selbstsicherer Zug schlich sich auf seine Lippen.
»Die Angst ist berechtigt, ich kann sie verstehen. Aber jetzt bin ich ja da. So schnell werdet ihr mich nicht los.« Der Junge hatte so viel Selbstvertrauen, er dürfte mir davon gern etwas abgeben. Ich sah in die lachenden Gesichter der anderen und wusste, dass keiner etwas dagegen hatte, wenn er mit von der Partie wäre.
»Dann komm mit«, sagte ich herzlich und wuschelte ihm durch die Haare.
»Wir werden dich so unter den Tisch trinken, dass du die nächsten zwei Wochen nicht zur Arbeit kommen kannst.«
Mein Kopf schnellte zu Carl. »Bloß nicht!«, rief ich entsetzt. »Wir brauchen ihn!«
Selbstgefällig grinste Damian. »Wir können dich unter den Tisch trinken, Carl. Dich würde keiner vermissen.«
Das Gespräch ging ungefähr in dem Stil weiter, während wir in der warmen Abendluft zu unserem Stammgriechen schlenderten. Wir hatten nicht lange überlegt, wo es heute hingehen sollte; der Deal war, uns einfach in Gyros und Ouzo zu wälzen!
Gut gelaunt quetschten wir uns im Lokal an einen Tisch, bestellten Getränke und diverse Gerichte. Garnelen, Tintenfisch, Zaziki, Fladenbrot, Oliven und zur Hauptspeise Fleisch, Fleisch und noch mehr Fleisch mit Beilagen.
»Also, auf Hayley und ihren neuen Job!« Jesse hob sein Ouzoglas.
»Auf Hayley!«, antworteten die anderen.
»Die Arschkriecherin!«, fügte Damian kühn hinzu, und ich verpasste ihm dafür einen kleinen Klaps auf seinen Hinterkopf.
»Wie arbeitet es sich als Mr Hunters rechte Hand?«, fragte Lucas laut, als alle ihren Shot geext hatten.
Warum musste einfach jedes Gespräch bei Mr Hunter landen? Jeder fragte mich über ihn aus. Mr Hunter hier, Mr Hunter da. Mr Hunter ist so heiß. Bla, bla, bla.
Aber meine Freunde meinten es ja nur gut. Und ich konnte es ihnen nicht verdenken, wenn sie etwas über meine neue Position wissen wollten.
Bevor ich antwortete, trank ich lieber noch mal einen zweiten Ouzo.
»Bis jetzt ist einfach mächtig viel zu tun«, erklärte ich dann und hoffte, dass sie sich damit zufriedengaben.
Taten sie natürlich nicht.
»Sie arbeitet für das Sahneschnittchen«, gab Sophia von sich, und alle sahen erst zu ihr, bevor wieder alle Blicke auf mir lagen. O ja, mit Sophia hatte ich noch ein Hühnchen zu rupfen.
»Madame, du weißt noch gar nicht, was ich mir wegen dir anhören durfte.« Ich lehnte mich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. Ich wusste, dass sie das nicht mochte. Sophia sagte immer, sie fühle sich dann so, als hätte sie etwas angestellt, wenn ich sie mit diesem Blick ansah. Aber gerade jetzt wollte ich exakt das erreichen.
»Ich hab doch gar nichts getan?« Sie klang schon ein wenig kleinlauter.
»Du errätst nie, wer gestern Abend eine kleine Racheaktion gestartet und sich vor meiner Familie als mein Verlobter ausgegeben hat.« Der Sarkasmus in meiner Stimme war kaum zu überhören, und Jesse neben mir verschluckte sich beinahe. Alle starrten mich an.
»Er hat bitte was?« Lucas sah mich mit großen Augen an. Ich nickte nur zur Bestätigung, dass sie mich schon richtig verstanden hatten.
Kurz war es mucksmäuschenstill am Tisch, während alle diese Information verdauten. Und dann brach ein schallendes Gelächter aus. Wir waren so laut, dass sogar die Leute vom Nebentisch zu uns herübersahen.
Auf das Drängen meiner Freunde hin, erzählte ich die ganze peinliche Episode von gestern Abend so bildhaft, dass meine Freunde das Gefühl hatten, selbst dort gewesen zu sein.
»Und er hat dir wirklich einen Kuss auf die Wange gegeben?« Carl rutschte vor Lachen fast schon unter den Tisch.
»Unmöglich, ich weiß. Und vor allem absolut unpassend!«, echauffierte ich mich.
»Pass auf, der Kerl wird dir irgendwann noch zum Verhängnis.« Jesse amüsierte sich köstlich neben mir.
»Pff, von wegen. Ich mach meine Arbeit ordentlich, daran kann er nichts auszusetzen haben.«
»Das meinte ich nicht. Ich dachte da eher ... privat.« Er grinste mich frech an, und ich spürte, wie ich leicht rot wurde. Vor lauter Empörung, verstand sich.
»Nur über meine Leiche! Er ist mein Chef, Jesse! Was denkst du denn von mir?«
Er sagte daraufhin nichts, sondern nahm nur einen weiteren Schluck von seinem Bier, während er mich noch immer amüsiert über den Glasrand hinweg anfunkelte. Jesse hatte sie doch nicht mehr alle.
»Da hat er wohl mehr Humor als gedacht«, sprach Damian seine Überlegung laut aus.
»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du ihn nur die ganze Zeit schlechtredest, damit du ihn ganz für dich allein haben kannst«, ärgerte mich Sophia, und ich riss meine Augen auf.
»Wie kannst du so etwas überhaupt nur denken?« Ich war fassungslos.
»Vielleicht mag er dich auch einfach nicht«, mutmaßte Damian, und ich verschluckte mich an meinem Wein. Dieser Abend lief irgendwie komplett aus dem Ruder.
»Pass auf, was du sagst, Kleiner. Ich kann dich jeden Augenblick von dem E-Book-Projekt streichen!«
»Das würdest du nicht wagen«, meinte er selbstsicher und wusste, dass er recht hatte. Ich schmunzelte nur und sah aus dem Augenwinkel, wie Dylan und Sophia zusammen lachten und sich unterhielten. Hoffentlich bekamen die beiden es auf die Reihe.
Zufrieden lehnte ich mich zurück und genoss es, von so tollen Freunden umgeben zu sein.
***
Heute war mein vierter Tag als Mr Hunters Assistentin.
Ich schuftete mich ab, tat ihm jeden Gefallen und versuchte dabei, seinem Charme nicht gänzlich zu erliegen. Er verhielt sich höflich und formell, nur in seinen Augen konnte ich manchmal dieses Schimmern entdecken, das mir verriet, dass er auch eine andere, eine menschlichere Seite hatte.
»Wie weit sind Sie mit der Meldung bezüglich unserer E-Books?« Er steckte den Kopf in dem Moment in mein Büro und sah mich fragend an.
»Ich wollte sie gerade abschicken. Möchten Sie noch einen Blick darauf werfen?« Wir hatten uns am Vortag für eine Auswahl an Titeln entschieden, die wir auch elektronisch verlegen wollten. Das Haus sollte heute darüber informiert werden, damit die Marketingabteilung mit ihren PR-Ideen brillieren konnte.
Der Verkauf und die Vermarktung von E-Books war ein großer Schritt in die richtige Richtung für den Erfolg von Desmond. Diese Meldung war also nicht nur als Info gedacht, sondern auch als Zeichen, dass der Verlag noch lange nicht den Geist aufgegeben hatte.
Mr Hunter nickte und kam zielstrebig zu mir, stellte sich rechts hinter mich und begann die Mail zu lesen. Er stützte sich mit seiner linken Hand auf der Rücklehne meines Stuhles ab, und seine Nähe ließ mich unruhig werden.
Plötzlich lehnte er sich etwas vor und änderte eine Formulierung. Er tippte einhändig die Korrektur und umschloss mich so mit seinem Körper. Sein ziemlich betörender Duft stieg mir in die Nase, und ich musste mich bemühen, ruhig zu atmen. Dann lehnte er sich wieder zurück.
»Perfekt, das können Sie so abschicken.«
Ich wollte gerade nach meiner Maus greifen, als Mr Hunter meinen Stuhl samt meiner Wenigkeit drehte, sodass ich ihn direkt ansehen konnte. Er selbst lehnte lässig an meinem Schreibtisch.
»Ich habe heute Abend ein Geschäftsessen mit den Inhabern von einer unserer Druckereien, die gegebenenfalls als Investoren infrage kommen. Ich möchte, dass Sie mich begleiten.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich mehr oder weniger neutral an. Seine Tonlage ließ keinen Raum für eine Absage.
Was mich provozierte.
»Was, wenn ich heute Abend schon andere Pläne habe?«
»Dann sagen Sie diese ab. Sie werden mitkommen.«
»Und was tun?«
»Zuhören. Sich Details merken. Lernen, wie man ein solches Geschäftsessen handhabt. Dabei sein, wenn wir hoffentlich einen guten Deal verhandeln.«
Ich wollte schon immer bei so einem wichtigen Geschäftsessen dabei sein. Aber ich hasste, dass Mr Hunter wie selbstverständlich davon ausging, dass ich alles stehen ließ, um ihn zu begleiten. Mein Stolz und meine Neugierde fochten einen inneren Kampf aus.
Mr Hunter deutete mein Schweigen, wie er es wollte.
»Ich lasse Sie um halb sieben abholen«, sagte er und ging an mir vorbei Richtung Tür. Bevor er mein Büro verließ, drehte er sich noch einmal zu mir um. »Ziehen Sie sich etwas Schönes an.« Ich hob eine Augenbraue und erwiderte seinen Blick, der sich ins Unendliche zog, ohne mit der Wimper zu zucken.
Dann wandte er sich ab und ging.
***
Um Punkt halb sieben klingelte es an meiner Tür. Genau wie Mr Hunter war also auch sein Chauffeur pünktlich.
»Einen Moment«, sagte ich in die Lautsprecheranlage und schnappte mir meine Tasche. Ich trug noch einmal ein wenig Lippenstift auf, nahm meine Schlüssel und sah mich ein letztes Mal im Spiegel an.
Ich hatte ein knielanges, ärmelloses und eng anliegendes Kleid mit schwarzer Spitze angezogen, dessen Grundton Hautfarben war, sodass man fast meinen könnte, das Kleid sei durchsichtig. Mein Dekolleté sah darin nicht schlecht aus, ohne jedoch zu freizügig oder billig zu wirken. Ich hatte schwarze High Heels an und mir noch eine bombastische Kette um den Hals gelegt, die durch meine hochgesteckten Haare gut zur Geltung kam.
Das sollte für Mr Hunter und seine Geschäftspartner schön genug sein, dachte ich grimmig.
Ich verließ die Wohnung, tippelte die Treppen nach unten und wurde von einem Mann im Anzug empfangen. Er ging voraus und hielt mir die Hintertür eines schwarzen Mercedes auf, in den ich mich mit pochendem Herzen hineinsetzte. Ich war mehr als nur gespannt, was mich erwartete. Ich wurde durch die Stadt gefahren und betrachtete die Gebäude, an denen wir vorbeifuhren. Nach zwanzigminütiger Fahrt hielt der Wagen vor einem noblen Restaurant, der Chauffeur stieg aus, öffnete mir die Tür und hielt mir seine Hand hin, um mir beim Aussteigen zu helfen. Ich strich mein Kleid glatt, bevor ich die Schultern straffte und zum Restaurant ging.
Die Türen wurden von innen geöffnet, und ich sah mich im Foyer um. Ein dunkler Teppich bedeckte den Boden, ein Kronleuchter hing von der Decke und gediegene Klaviermusik drang aus dem Speisesaal. Ich drehte mich um und entdeckte einen Mann mit mir wohlbekannten grünen Augen, die auf mich gerichtet waren.
Mr Hunter stand bei der Garderobe und knöpfte gerade sein Jackett zu, als er in der Bewegung innehielt und seinen Blick über mich gleiten ließ. Der Blick, den er mir sandte, war weder begierig noch lüstern. Er war anerkennend und ein wenig erstaunt. Er war zufrieden. Und trotzdem jagte er mir einen Schauer über den Rücken.
Ich hatte mir vorgenommen, heute Abend höchst professionell aufzutreten, mir keine Nervosität anmerken und mich vor allem nicht von Mr Hunter aus dem Konzept bringen zu lassen. Voller Selbstvertrauen ging ich ihm entgegen.
Und stolperte und fiel der Länge nach hin.
Stellte ich mir zumindest gerade vor meinem inneren Auge vor, so nervös war ich.
Bedacht setzte ich einen Fuß vor den anderen und hatte meinen Chef nach wenigen Metern erreicht. Er hielt meinen Blick gefangen. Ich konnte nicht leugnen, dass ich mich zu Mr Hunter hingezogen fühlte, dass er unverschämt gut aussehend war, vor allem in seinen maßgeschneiderten Anzügen, und dass sein Eigengeruch und der Duft seines Parfüms meine Sinne benebelten.
Trotzdem versuchte ich einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht zu vergessen, wie unnahbar und arrogant er sich benehmen konnte. Sein Charakter schien mir bis jetzt bei Weitem nicht so anziehend wie sein Äußeres. Dazu war er noch mein Chef.
»Ms Morrison«, begrüßte er mich und hielt mir seinen Arm hin. Ich hakte mich unter. Ein Feuer lief von meiner Hand meinen Arm hinauf und über meinen ganzen Körper. Ich spürte Mr Hunters Blicke auf mir, und ich drehte den Kopf, um ihn genauer anzusehen.
»Sind Sie bereit?«, fragte er mich.
»Selbstverständlich.«
»Halten Sie sich anfangs erst ein wenig zurück«, wies er mich an. »Mr Sanders hält nicht viel von Frauen in hohen Positionen.« Ich hob eine Augenbraue. So einer war er also.
»Verstanden.« Ich war Mr Hunter dankbar, dass er mich vorbereitete.
»Hinterfragen Sie alles, was er von sich gibt. Und merken Sie es sich. Nehmen Sie sich außerdem vor Mr Sanders' Sohn in Acht«, raunte Mr Hunter mir plötzlich zu, während wir den Speisesaal betraten, und sein Atem strich mir dabei über den Hals. Ich nickte kaum merklich, unfähig, etwas zu sagen.
Als wir uns einen Tisch näherten, an dem ein älterer Herr mit einer jüngeren Kopie seiner selbst saß, legte Mr Hunter seinen Arm locker um meine Taille. Ich verstand wieso. Mr Sanders und sein Sohn waren auf uns aufmerksam geworden, und Junior fuhr sich mit der Zungenspitze über seine Unterlippe, als er seinen Blick über meinen Körper fahren ließ.
Ihhh, ich fühlte mich gerade ausgezogen. Von einem absoluten Widerling.
Meine Hand wanderte wie automatisch zu Mr Hunters Hand, die noch auf meiner Hüfte lag. Ich berührte sie kurz und zuckte im selben Moment zusammen.
Was tat ich denn da? Da war ich wohl gerade ein bisschen abwesend.
Doch ich hatte tausendmal lieber Mr Hunters Hand auf meiner Hüfte als auch nur einen weiteren Blick von Mr Sander junior auf meinem Körper. Ein Schauer durchfuhr mich, und ich spürte, wie mich Mr Hunter noch ein wenig enger an sich zog. Ihm war die Sache mit dem Sohn wohl auch nicht ganz geheuer. Versuchte er, mich zu beschützen?
Mr Sanders erhob sich und stupste seinen Sohn an, damit er es ihm gleichtat.
»Mr Hunter!«
Mr Hunter schüttelte beiden die Hand und stellte danach mich vor. »Das ist Ms Morrison, meine Partnerin.« Ich erstarrte kurz. »Geschäftspartnerin«, korrigierte er schließlich und warf mir einen amüsierten Blick zu.
Als ich die Hand von Mr Sanders junior nahm, grinste er mich anzüglich an. Sein Händedruck war feucht und lasch, und ich hätte ihm fast auf seine teuren, hässlichen Schuhe gekotzt.
»Martin Sanders, sehr erfreut«, stellte er sich vor. »Ich kann Ihre Wahl verstehen«, meinte er dann an Mr Hunter gewandt, und ich wollte ihm am liebsten diesen widerlichen Ausdruck aus dem Gesicht wischen.
»Ms Morrison ist eine wertvolle Kollegin, deren Arbeit wir nicht entbehren könnten«, hörte ich meinen Chef sagen, während ich auch Mr Sanders senior begrüßte, der sich als Albert Sanders vorstellte. Für Mr Hunter war die Diskussion zu Ende, keine Frage.
»Es freut uns sehr, Sie kennenzulernen«, meinte Mr Sanders höflich, und er und sein Sohn setzten sich wieder, während Mr Hunter zuerst mir den Stuhl zurechtschob und sich dann neben mich setzte.
»Ich habe mir die Freiheit genommen und schon einmal den Wein bestellt«, säuselte Mr Sanders, als in dem Moment ein Kellner zu uns trat und ihm eine Flasche hinhielt. Uns allen wurde nach seinem Akzept eingeschenkt, und sofort hob Mr Sanders sein Glas, um anzustoßen.
»Auf einen interessanten und ergebnisreichen Abend.« Wir hoben unsere Gläser, und ich betrachtete Mr Sanders über den Rand meines Glases, während ich einen Schluck nahm. Er hatte graue, zurückgekämmte Haare und Augen, die einen genauso hellen Grauton besaßen. Er hatte kaum Falten im Gesicht, aber seinem starren Ausdruck zufolge lag das höchstwahrscheinlich an einer beträchtlichen Portion Botox. Mr Sanders junior saß mir gegenüber, und ich spürte deutlich, dass er mich ansah. Ich versuchte ihn so gut wie möglich zu ignorieren, ohne dabei unhöflich zu wirken. Immerhin wollte ich nicht schuld daran sein, wenn wir diese beiden nicht als Investoren bekamen.
Als sich der Kellner mit unserer Essensbestellung wieder zurückgezogen hatte, konnten die Verhandlungen beginnen.
»Mr Hunter, wir haben uns sehr gefreut, dass Sie diesem Treffen zugestimmt haben. Wir sind uns sicher, dass wir Ihnen eine Lösung anbieten können, die alle Beteiligten zufriedenstellt.« Bei seinen letzten Worten spürte ich, wie sein Sohn meinen Fuß unter dem Tisch anstupste. Ich zog meine Füße ganz unter meinen eigenen Stuhl zurück und hielt meinen Blick starr auf Mr Sanders gerichtet.
»Wie am Telefon erläutert, sind wir an einer langfristigen Kooperation interessiert. Wir möchten Ihnen den Vorschlag unterbreiten, in Zukunft mit uns als Ihrer Hauptdruckerei zusammenzuarbeiten. Im Gegenzug sind wir bereit, Ihnen Sonderkonditionen anzubieten. Außerdem sind wir aktuell auf der Suche nach weiteren Investitionsmöglichkeiten und wären bei einer erfolgreichen Zusammenarbeit gewillt, uns mit Ihnen auch darüber detaillierter zu unterhalten, sofern dies für Sie ebenfalls eine Option wäre.«
Daraufhin wurde die nächste Stunde angeregt diskutiert, wie diese Zusammenarbeit aussehen könnte. Ich hing an Calebs Lippen, lauschte fasziniert seinen Worten, konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Ich verstand, weshalb er als Nachfolger für Charles ausgewählt wurde. Er wusste, was er tat, und trat mit einer Souveränität auf, die jeden von seinen Ideen überzeugen würde, und dafür bewunderte ich ihn.
Als das Essen abgetragen wurde, hatte ich das Gefühl, dass eine Seifenblase um mich herum geplatzt war. Mr Sanders und sein Sohn schienen ebenfalls überaus zufrieden mit dem Gesprächsverlauf zu sein.
»Und wo genau passen Sie in das Bild hinein, Ms Morrison?«, fragte in dem Moment Mr. Sanders junior mit seiner unangenehmen Stimme.
Ich sah ihn ein wenig überrascht an und versuchte auszublenden, dass er mich abermals mit seinem Blick auszog.
»Ms Morrison steht mir mit Rat und Tat zur Seite«, antwortete Mr Hunter für mich und zwang meinen Gegenüber dadurch dazu, ihn anzusehen. »Sie hat die Verantwortung für das Zusammenspiel aller Abteilungen, sie weiß, wie es um die einzelnen Abteilungen steht, und sie meldet Resultate, Probleme und Erfolge an mich zurück.«
»Ihre rechte Hand, sozusagen?«, warf Mr Sanders ein, und wir bestätigten dies.
»Ich gehe davon aus, dass Ms Morrison mehr als gut ist in dem, was sie tut?«, fügte Mr Sanders junior mit einem anzüglichen Unterton an Mr Hunter gewandt hinzu, und mir blieb die Luft weg. Wie konnte er es wagen ...?
»Ms Morrison verrichtet ihre Arbeit tatsächlich ausgezeichnet«, antwortete ihm Mr Hunter, und ich konnte sehen, wie angespannt sein Kiefer war. Immerhin mochte er Mr Sanders junior genauso wenig wie ich. Wie konnte ein doch recht netter Mann wie Mr Sanders solch einen missratenen Sohn haben? Oder hatte der alte Mann selbst eine derart unangenehme Seite, die er jedoch gekonnt zu verheimlichen wusste?
Meine Gedanken jagten mir schon wieder einen Schauer über den Rücken. Ich hielt es hier gerade nicht mehr aus.
»Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment.« Ich lächelte einmal höflich in die Runde und stand auf, um zu den Toiletten zu flüchten. Zum Glück war ich dort allein. Ich stützte meine Hände auf dem Waschbecken ab und versuchte mich erst einmal wieder zu sammeln. Dass Männer wie Mr Sanders junior tatsächlich dachten, so ein Verhalten sei in irgendeiner Weise angebracht, schockierte mich.
Ich ließ mir kaltes Wasser über die Hände laufen und ging wieder nach draußen. Als ich auf den Tisch zulief, verhakten sich Mr Hunters und meine Blicke, und ich versuchte ihm nur mit meinen Augen »Danke« zu sagen, dass er mir den Rücken stärkte. Als er kaum merklich nickte, hatte ich das Gefühl, dass wir gerade durch ein mentales Band verbunden waren.
Als ich mich wieder gesetzt hatte, erwiderte ich Mr Sander juniors Blick mit einer Stärke, die ihn blinzeln ließ. Ich war aufgrund meiner Fähigkeiten im Büro dabei. Und das durften die Herren vor mir gern spüren.
»Vielen Dank für das Konzept, das Sie uns gerade vorgestellt haben. Legen Sie uns doch gern in den nächsten Tagen Ihren Vorschlag vor, dann werden wir diesen noch mit unserem Finanzberater und unserem Anwalt besprechen«, bot ich den beiden kühn an und hoffte inständig, dass ich damit nicht meine Kompetenzen komplett überschritt.
Aber Mr Hunter blieb gelassen und wies mich nicht in meine Schranken. Im Gegenteil, ich hätte schwören können, dass ich einen amüsierten Zug um seinen Mund wahrnehmen konnte. Er stand auf und richtete sein Jackett, beugte sich zu mir herunter und kam ganz nah an mein Ohr heran.
»Ich werde nur schnell die Rechnung begleichen, dann können wir gehen«, erklärte er mir, bevor er verschwand.
»Ms Morrison, Sie scheinen mir eine bemerkenswerte Frau zu sein«, schmeichelte mir Mr Sanders senior, kaum dass Mr Hunter außer Hörweite war. »So jung und schon so erfolgreich. Sie müssen wirklich kompetent sein.« Ich wusste nicht genau, worauf er hinauswollte.
»Danke sehr«, sagte ich deshalb nur und lächelte ihn unverbindlich an. Bloß nicht zu viel, nicht dass er noch auf falsche Gedanken kam.
»Wenn Sie eine neue Herausforderung suchen, melden Sie sich bei mir. Ein Vorstellungsgespräch haben Sie jederzeit sicher.« Er wollte mich abwerben? Mein Blick flog kurz zu Junior, der sich schon wieder über die Lippen leckte. Ewww.
Nur über meine Leiche!, dachte ich, erwiderte jedoch laut: »Vielen Dank für das Angebot, aber im Moment bin ich sehr zufrieden mit meiner Position.« Da kam glücklicherweise auch schon Mr Hunter zurück und rettete mich aus dieser komischen Situation.
»Nun, es war uns ein Vergnügen. Wir werden ja bald wieder voneinander hören«, verabschiedete er sich formvollendet und reichte beiden die Hand.
»Das Vergnügen war ganz unsererseits.« Die Sanders standen ebenfalls auf, und gemeinsam gingen wir nach draußen, wo sich unsere Wege trennten, und mit kaum zu verbergender Erleichterung sah ich zu, wie sich unsere potenziellen Investoren in ihr Auto setzten und davonfuhren.
»Sie haben Ihre Sache heute Abend wirklich gut gemacht, Ms Morrison. Sie haben es geschafft, dass sie mit nur wenigen Worten ernst genommen wurden, das habe ich bisher nur selten erlebt«, sagte Mr Hunter zu mir, und ich kaufte es ihm sogar ab. Er öffnete mir die Autotür des schwarzen Mercedes, und ich setzte mich hinein. Ich wollte mich gerade verabschieden, als er einfach die Tür wieder schloss.
Entgeistert sah ich aus dem Fenster. Ein Schritt vorwärts, vier zurück.
Plötzlich jedoch wurde die Tür auf der anderen Seite geöffnet und Mr Hunter setzte sich ins Auto. Überrascht sah ich ihn an.
»Was? Wir sind mit dem Arbeiten noch lange nicht fertig.« Er setzte dieses unwiderstehliche Lächeln auf, und ich biss mir leicht in die Lippe. Dann wurde ich wieder ernst.
»Die Sache hat doch einen Haken, oder?«, wollte ich wissen. Während sich Mr Hunter mit einer Antwort Zeit ließ, versuchte ich seine Gesichtszüge zu deuten, was in der abendlichen Dunkelheit nicht gerade einfach war. Nur die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos und die Straßenlaternen warfen Licht in das Auto.
»Dass die Sanders von sich aus anbieten, eine mögliche Investition zu tätigen, macht mich ebenfalls hellhörig. Ich bin dem Vorschlag nicht abgeneigt, da eine finanzielle Absicherung bei unseren Plänen, den Buchshop zu eröffnen, von Vorteil wäre. Doch ich könnte mir vorstellen, dass sie dafür eventuell einen Platz im Vorstand oder ähnlichen Einfluss wollen«, erläuterte Mr Hunter. »Den Vertrag werden wir ja bald zugeschickt bekommen, dann werden wir ja sehen, was sie sich erhoffen«, sagte er leise und sah mich dabei intensiv an und rutschte wie zufällig näher zu mir rüber. »Sie haben den Sanders mit Ihrer Entschlossenheit zum Ende des Gesprächs hin ganz schön Feuer unter dem Hintern gemacht.« Ich merkte, wie sich meine Mundwinkel nach oben bewegten. »Aber ziehen Sie sich bitte das nächste Mal kein Kleid an, das auf den ersten Blick durchsichtig wirkt.«
Überrumpelt starrte ich ihn an.
»Nicht nur Sanders junior musste sich beherrschen.« Fast flüsterte er. Ich wusste nicht, auf wen er dabei anspielte. Auf Sanders senior? Auf unsere Tischnachbarn?
Oder auf sich selbst?
Wie ein Magnet wurde ich von Mr Hunter angezogen, und ich musste all meine Kraft zusammennehmen, um mich zu beherrschen. Sein Blick flatterte zu meinen Lippen, wieder zu meinen Augen zurück, und ich sah einen inneren Kampf in seinen Augen. Nur wenige Zentimeter waren zwischen uns. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Die Intensität seiner Nähe legte gefühlt einen Schleier über mein Denkvermögen. Ich wollte Caleb näherkommen. Ich wollte ...
Abrupt wandte ich mich von ihm ab, setzte mich wieder aufrecht hin und sah aus dem Fenster.
Verdammt! Was war hier gerade passiert? Das war mein Chef! Ich konnte doch nicht ... Ich durfte einfach nicht ...
In meinem Hirn herrschte ein einziges Chaos. Caleb, ähm, Mr Hunter war auch nicht zurückgewichen. Er war geblieben.
Und zum Teufel mit diesem »Mr Hunter«!
Irgendetwas entwickelte sich da gerade zwischen uns, und ich wusste noch nicht genau, was ich davon halten sollte. Es verursachte ein Prickeln in meinem Bauch, es brachte mich durcheinander und ließ mich dämlich grinsen. Dabei kannten wir uns gar nicht. Ich wusste nichts über ihn, er wusste nichts über mich. Ich wusste noch nicht einmal, ob ich ihn überhaupt mochte.
Im Spiegelbild der Fensterscheibe konnte ich Caleb undeutlich erkennen. Er sah nachdenklich vor sich hin. Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung. Sein Kiefer war angespannt. Er ignorierte mich.
Innerlich schnaubend sah ich, wie wir vor dem Verlag zum Stehen kamen. Caleb hatte gesagt, dass wir noch arbeiten würden, also nahm ich meine Tasche und machte mich fürs Aussteigen bereit, doch Caleb hielt mich davon ab, indem er seine Hand auf meinen Arm legte und sich zum Chauffeur vorbeugte.
»Bitte fahren Sie Ms Morrison nach Hause.« Seine Berührung bereitete mir Gänsehaut. Seine abweisende Art machte mich wütend.
»Gute Nacht, Ms Morrison«, sagte er, ohne mich jedoch direkt anzusehen, und stieg aus. Verwirrt sah ich ihm hinterher, wie er mit eiligen Schritten zum Firmengebäude ging und dabei eine gähnende Leere neben mir im Auto hinterließ.
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