18 - Tag 6

[Harry]

5 Tage später war ich mit meinem Latein am Ende. Ich hatte viel recherchiert und mit dem Anwalt gesprochen, doch Louis wollte nichts davon hören.
Oder viel mehr, so glaubte ich zumindest, konnte er nichts davon hören.
Er kümmerte sich zwar liebevoll um Grace, beschäftigte sie auch und ließ mich nur wenig helfen, den Rest der Zeit lag er jedoch im Bett und war wie versteinert.
Ich war krank vor Sorge und ich wusste nicht mehr weiter.

Es war Vormittag und ich hatte mit Grace gespielt, bis sie müde gewesen war. Heute war der erste Tag, an dem Lou nicht aufgestanden war, als Grace gequengelt hatte. Er hatte mich angesehen und mich gefragt, ob ich das ausnahmsweise übernehmen könnte, woraufhin ich natürlich genickt hatte. Es war selbstverständlich für mich, ihn mit Grace zu unterstützen und das tat ich auch. Doch es machte mir auch noch mehr Sorgen.
Stacey war nicht aufgetaucht, doch ich konnte mir denken, dass es bald soweit war und es graute mir extrem vor dem Moment, denn ich hatte Angst was sie sagen würde.
In Louis' Zustand würde es definitiv nicht gut ausgehen.

Grace schlief immer mehr ein, sodass ich sie ins Schlafzimmer brachte und zu Louis legte. Er öffnete die Augen, streichelte ihre Wange sanft und sah mich an. Seine Augen wirkten leer, dennoch tieftraurig. Eine Mischung, die eine unangenehme Gänsehaut bei mir verursachte.
Ich hockte mich vor das Bett und strich ihm durch die Haare.
„Guten Morgen, mein Schatz." flüsterte ich und er rang sich ein kleines Lächeln ab. Immerhin etwas, ich lächelte zurück. „Möchtest du aufstehen?"
Er schüttelte den Kopf. „Keine Kraft..." sagte er leise und ich nickte und kraulte ihn weiter, was er zu genießen schien.
„Okay. Hör mal..." Das Klingeln der Tür unterbrach meine Worte und ich sah zum Flur. „Bin gleich wieder da, ja?"
Louis nickte nur und ich stand auf, schloss die Schlafzimmertür hinter mir und ging zur Tür, um sie zu öffnen.

Meine Mom stand vor mir, in einer Hand zog sie ihren kleinen Koffer hinter sich her, sofort umarmte sie mich fest.
„Hey Mom." sagte ich lächelnd und erwiderte die Umarmung sofort.
„Hallo Liebling. Wie ist die Lage? Darf ich rein kommen?"
Ich machte ihr den Weg frei und sie stellte ihren Koffer ab und drehte sich zu mir um. „Also, erzähl."

„Ich weiß nicht mehr weiter, Mom." sagte ich hilflos und wir setzten uns an den Küchentisch. „Ich hab dir ja erzählt, was passiert ist. Nun, ich dachte, ich bekomm das hin und kann ihn über Wasser halten, aber Mom...Es geht nicht. Ich bin ratlos." erklärte ich.
Sie sah mich an. „Ist es denn wie damals? Sein Zustand, meine ich?"
Kopfschüttelnd sah ich sie an. „Es ist viel schlimmer. Er ist gar nicht mehr richtig da. Es ist, als würde er sich auflösen."
Sie sah mich bedrückt an und ich strich mir über die Augen. „Er isst praktisch nichts mehr, außer ich zwinge ihn dazu. Aber er kümmert sich um Gracey, die ganze Zeit. Heute war das erste Mal, dass er mich gebeten hat, sie zu betreuen. Er nimmt endlich Hilfe an, doch ich habe eine Befürchtung, Mom. Ich weiß auch nicht..." Ich schüttelte den Kopf. „Ich denke, ich habe Angst. Das hat ihm den Rest gegeben." sagte ich mit Blick auf die zwei Dokumente auf dem Tisch.

Meine Mom nahm sie in die Hand und sah sie sich an. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich fasse das einfach nicht, wie ein Mensch so abgebrüht sein kann."
„Ich auch nicht." murmelte ich frustriert. „Mom, ich habe Angst, dass er sich was antut. Er macht mir den Eindruck."
Mom sah mich besorgt an. „Gut. Ich sehe jetzt nach ihm. Wann kommt Lottie?"
„Müsste auch gleich eintrudeln." antwortete ich ihr und sie stand auf.
„Ich gehe mal, zeigst du mir wo er ist? Ich will sehen, womit wir es zutun haben." Sofort stand ich auf und brachte sie zum Schlafzimmer.
„Lass mich kurz Grace holen." flüsterte ich, ging hinein und holte Grace. Beide schliefen, sodass ich Grace in ihr Bettchen legte und dann Louis sanft aufweckte.

Er sah mich müde an. „Ja?" hauchte er.
„Baby, es ist Besuch für dich." sagte ich leise und gab den Blick frei auf meine Mutter, die im Türrahmen stand.
Louis' Augen weiteten sich leicht, als er sie erkannte, füllten sie sich mit Tränen. Ich war im ersten Moment erschrocken über seine Reaktion. Doch es war unbegründet. Meine Mom ging zu ihm und setzte sich an die Bettkante.
„Na hallo, Liebling." sagte sie sanft und Lou setzte sich sofort auf und umarmte sie. Überrascht beobachtete ich die Situation.
Mom schlang die Arme um ihn und drückte ihn fest, während sie ihm durch die Haare strich. „Schön dich zu sehen."
„Anne..." sprach er weinerlich.
„Ich weiß, Schatz. Wir kriegen das alles wieder hin. Es wird alles gut."
„Ich weiß nicht..." sagte er und schluchzte auf.

Ich beschloss, den beiden einen Moment allein zu geben und verließ das Schlafzimmer. Es freute mich, wie er auf sie reagiert hatte, er schien wirklich froh zu sein, dass sie da war.
Mir war schon vorher aufgefallen, dass er zu ihr eine besondere Bindung zu haben schien, und ich freute mich darüber. Genau das war damals mein Plan gewesen, als es ihm nicht gut ging. Und weil das so gut geklappt hatte, hatte ich nun die volle Familienkraft angefordert, also auch Lottie. Louis wollte zwar nicht, dass jemand die Mühe auf sich nahm, aber ich war nicht mehr Herr der Lage.
Louis löste sich immer mehr auf und ich brauchte Hilfe, damit nicht noch etwas Schlimmes passierte.

Genau in diesem Moment klingelte es und ich war beinahe erleichtert, wieder eine Aufgabe zu haben.
Ich ließ Lottie hinein, die mich sofort umarmte und fest drückte.
„Wie geht's euch?"
„Halten uns über Wasser?" Es war mehr eine Frage als eine Antwort und sie nickte verstehend. „Und die Schlampe ist noch immer nicht aufgetaucht?"
„Nein..."
Lottie schnaubte und nickte. „Wo ist mein Bruderherz?"
„Er ist im Schlafzimmer. Meine Mom ist gerade bei ihm..." Lottie sah mich an und lächelte. „Das ist sehr gut. Er liebt deine Mom."
Ich sah sie an und lächelte. „Wirklich?"
„Oh ja!" antwortete sie. „Er hat mir gesagt, sie fühlt sich fast schon wie eine Mom für ihn an. Sie ist ihm sehr wichtig."

Ich war gerührt und sah sie lächelnd an. „Als sie reinkam, hat er angefangen zu weinen und sie sofort umarmt."
Lottie lächelte traurig. „Ich würde gern zu ihm."
„Klar! Ich bring dich hin..."
Sie winkte ab. „Ich weiß, wo er ist. Alles gut." Sie ging schnurstracks in Richtung Schlafzimmer, ich folgte ihr dennoch, denn ich wollte ihn nicht allein lassen und sehen, wie er reagiert.

„Lou!" sagte Lottie erschrocken und ging zu ihm, setzte sich auf meine Bettseite und umarmte ihn. „Lots..." hauchte er und erwiderte die Umarmung, wirkte verwirrt. „Seid ihr jetzt alle gekommen?"
„Logisch! Familie ist Familie." sagte sie und sah Anne an. „Hi, ich bin Lottie." sagte sie lächelnd und Anne erwiderte das Lächeln warm. „Anne, Harry's Mom."
Lottie nickte. „Hab schon viel von dir gehört. Danke, dass du dich so um meinen Bruder und meine Nichte gekümmert hast."
Anne lächelte. „Natürlich."

Lou saß zwischen den beiden und wirkte verwirrt, sah mich aber an. Ich lächelte ihn sanft an. „Ich wusste mir nicht mehr zu helfen." sagte ich schulterzuckend und er nickte nur.
Lottie ließ sich auf den Rücken fallen und Louis sah zu ihr, dann wieder zu Anne. „Könntet ihr mir einen Moment mit Harry geben?"
Die beiden nickten und gingen aus dem Zimmer, ich setzte mich zu Louis.
„Bist du sauer?" fragte ich besorgt, doch er schüttelte den Kopf und umarmte mich fest. „Du bist ein Engel, Haz. Keine Ahnung womit ich dich verdient habe..." flüsterte er und ich zog ihn ab mich.
„Sag sowas nicht. Lou, ich mach mir solche Sorgen." hauchte ich und er kuschelte sich fester an mich. „Ich liebe dich, das weißt du oder?"
Er nickte. „Ich liebe dich auch." sagte er leise. Dann sah er hoch zu mir. „Haz, ich möchte schlafen." sagte er und ich nickte. „Tu das. Danach reden wir, ja?"
Er nickte wieder und legte sich zurück ins Bett, ehe er die Decke über sich zog.
Ich streichelte ihn noch einen Moment, ehe ich zu Mom und Lottie zurück ging.

Die beiden unterhielten sich, sahen jedoch sofort zu mir, als ich zu ihnen in die Küche kam. „Er schläft jetzt nochmal." sagte ich und Anne nickte. „Hat er denn schon Schritte unternommen?" fragte Lottie mich.
Ich schüttelte den Kopf. „Er ist gar nicht in der Lage dazu. Alles was er tut ist sich um Grace kümmern und schlafen."
Sie nickte nachdenklich. „Wissen wir schon, was wir tun können?"
„Ja." sagte ich. „Ich habe recherchiert und mit meinem Anwalt geredet. Es ist so, dass er das alleinige Sorgerecht beantragen kann, auch ohne biologische Vaterschaft. Dafür muss er beweisen, dass er seit der Geburt als Vater für sie aufgetreten ist und eine tiefe emotionale Bindung zu ihr hat." erklärte ich ihnen den Sachverhalt. „Moment...das klingt doch aber gut! Das kann er doch!?" sagte Lottie und fing an, zu lächeln.

Ich nickte. „Stacey muss es jedoch anerkennen. Und wenn sie das Sorgerecht verliert, verliert sie auch die finanzielle Zuwendung." sagte ich.
„Und das wird ein Problem..." ergänzte Lottie und ließ die Schultern sinken.
„Ich prügle ihr das einfach raus, bis sie zustimmt."

Ich musste lachen und schüttelte den Kopf. „Ich vermute, dass das Gericht sie sowieso nicht ernst nimmt. Ehrlicherweise stehen die Chancen wirklich gut. Solange er sich wieder fängt, muss ich sagen. So wie er jetzt drauf ist, kann er vor kein Gericht gehen. Er ist nicht stabil."
Anne stand auf und lief nachdenklich durch den Raum, dann sah sie uns an.
„Gut. Wir haben jetzt eine Mission und die heißt, Louis wieder auf die Beine bringen." sagte sie ernst und lächelte uns an. „Ich fange an, indem ich jetzt was Vernünftiges koche."
„Ich kann auch vernünftig kochen!" sagte ich sofort und sie winkte ab.
„Weiß ich doch. Aber jetzt bin ich dran. Und du kümmerst dich um Louis und du Lottie..." Sie stoppte sich. „Entschuldige, dir kann ich nun wirklich eigentlich keine Anweisungen geben." Sie sah Lottie entschuldigend an, die lachte jedoch.
„Doch, bitte. Ich will Anweisungen!" rief sie aus und sah Mom auffordernd an.

Schmunzelnd beobachtete ich sie und Mom lachte. „Gut. Du wärst ein Schatz, wenn du Grace betreuen könntest. Ich höre Gequengel."
Und tatsächlich hörten wir es nun auch. Lottie sprang auf und es wirkte, als würde sie salutieren wollen, stoppte sich aber selbst und ging zum Schlafzimmer.
Ich sah meine Mom an. „Danke."
„Nicht dafür. Ich kann ihn so auch nicht sehen." sprach sie ernst und dann kam sie zu mir und umarmte mich. „Du hast das Richtige getan. Ich bin sehr stolz auf dich, Liebling."
Ich lächelte traurig. „Danke." sagte ich leise und in mir keimte die Hoffnung, dass es Louis jetzt besser gehen würde mit dem Zusammenhalt der Familie um ihn herum.

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