»I'm so done, I'm so done - you're messin' with a loaded gun«
O'Dowd fuhr sie zum Flugzeug, doch sie blickte immer wieder durch den Rückspiegel auf Moriarty, der zusammen mit Medea auf die Rückbank verfrachtet worden war. Er starrte gelangweilt aus dem Fenster und summte einen Queensong, aber dass er O’Dowds Blicke dennoch bemerkte, war spätestens ersichtlich, als er spöttisch fragte: „Wollen Sie ein Autogramm?“
O’Dowd schnaubte verächtlich und blickte wieder nach vorn. „Ich bin nur noch immer überrascht.“ Wieder huschte ihr Blick kurz zu Moriarty. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand wie Sie hinter all dem steckt.“
Moriarty riss sich ruckartig vom Fenster los und lehnte sich nach vorn, woraufhin Sebastian, der mit seiner Waffe auf dem Beifahrersitz Position bezogen hatte, ihm diese warnend ins Gesicht hielt. Sein Boss schlug sie nur genervt fort und fixierte O’Dowd. „Jemand wie ich?“, hakte er nach und selbst, wenn man ihn nicht kannte, klang aus seinem leicht überdrehten Tonfall deutlich eine Drohung heraus. Sebastian sah, wie O'Dowds Griff um das Lenkrad sich festigte.
„Ich meine ja nur … Sie sind so normal.“
Moriarty grinste breit und lehnte sich wieder zurück, aber allein, dass Medea sich leicht von ihm fortlehnte, zeigte, dass die Gefahr noch nicht vorüber war. „Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber mein zweiter Kopf wurde mir bei meiner Geburt leider entfernt. Sie müssen wohl mit meiner Normalität leben, meine Liebe.“
O’Dowd öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber doch anders. Sebastian hielt das für klug, auch, wenn er es O’Dowd ungern anrechnen wollte. Er wusste nicht, ob Moriarty ihren Plan über seinen Stolz stellen würde, aber er wusste, dass er Moriarty garantiert nicht aufhalten würde, würde der in irgendeiner Art und Weise auf O’Dowd losgehen. Lieber stellte er sich gegen O’Dowds Männer, egal wie zahlreich, als gegen Moriarty. Er hatte Moriarty nie wirklich mörderisch oder wütend erlebt. Obwohl er in den letzten Tagen nahe drangekommen war, aber das war nur Gereiztheit, das war nichts gegen das, von dem Sebastian während seiner relativ kurzen Zeit in Moriartys Netzwerk gehört hatte. Und nachdem er Moriarty erst vor Kurzem eine seiner größten Schwächen präsentiert hatte (er hoffte, er würde nie bereuen, dass er Moriarty mit zu Willard genommen hatte), würde er kein Risiko eingehen. Egal, wie nervtötend Moriarty mitunter war, Sebastian war nicht so dumm zu vergessen, dass Moriarty ebenso gefährlich war.
Vor einem Tor hielten sie und O’Dowd winkte dem Mann, der dahinter stand, kurz zu. Er blickte in den Wagen und runzelte die Stirn, öffnete jedoch das Tor für sie und blickte ihnen hinterher, während O’Dowd, nun im Schritttempo, über den Asphalt fuhr. Sie waren jetzt in der Nähe der Flugbahn und überall standen Flugzeuge, die gewartet wurden oder auf Starterlaubnis warteten oder gerade abhoben und selbst im Auto war es so ohrenbetäubend laut, dass Sebastian sich für einen kurzen Moment an einen der Militärflughäfen zurückversetzt fühlte, die immer einen weiteren Außeneinsatz, immer mehr Monate bedeutet hatten, während der er wie auf Autopilot funktioniert hatte – nur die nächste Mission im Blick, in einer Zeit existierend ohne Vergangenheit oder Zukunft, und mit Staub in der Kehle und kochendem Blut in den Venen.
O’Dowd hielt in der Nähe eines Jets, der etwas größer war als der, mit dem sie hierher geflogen waren. Sebastian sah, wie sie versuchte, die Handbremse mit dem Ellenbogen ihres verletzten Arms zu ziehen, und erbarmte sich schließlich und half. Daraufhin starrte sie mit so etwas wie Wut auf ihre Hand, an deren Gelenk der Knochen einen Huckel warf und die leicht schief am Arm saß. „Musstest du mir wirklich die Hand brechen?“
Sebastian hob die Schultern. „Das passiert schneller, als man glaubt. Und du hast auf mich geschossen, also musste ich schnell reagieren und da war es ein Reflex.“ Er blickte aus dem Fenster und sah vor dem Flugzeug noch zwei Männer. Der eine saß hinter einem Gabelstapler, während der andere sich über ihn beugte und mit ihm diskutierte. „Wer sind die?“
„Der eine ist mein Pilot. Den anderen kenne ich ni-“
Sebastian sah die Bewegung aus dem Augenwinkel und konnte gerade noch seinen Arm hochreißen, um das Messer, das für seine Kehle bestimmt war, abzuwehren. Die Klinge schlitzte schwungvoll die Seite seines Unterarms auf und sofort lief ihm warmes Blut den Arm herunter und einige der Tropfen, die von der Klinge in die Luft geschleudert wurden, landeten auf O’Dowd, die aufschrie, während Sebastian sich unter einem weiteren Angriff wegduckte, der O’Dowd stattdessen traf und ihr einen tiefen Schnitt an der Taille verpasste. O’Dowd öffnete hektisch die Tür und fiel geradezu hinaus; das Messer erwischte sie noch einmal am Nacken und stach dann wieder nach Sebastian.
Er hörte Moriarty auflachen und fand das ganz und gar nicht hilfreich, während er versuchte, Medeas Arm, der wild mit dem Messer herumfuchtelte – welches sie woher auch immer hatte – auszuweichen und gleichzeitig Gelegenheit zu finden, ihr das Messer abzunehmen. Die wildesten Flüche sprudelten von seinen Lippen und Medea stach weiter wie eine Furie um sich und wären seine Reflexe auch nur etwas schlechter, wäre er mittlerweile als Schaschlik-Spieß geendet. „Verdammte Scheiße, lass das, Medea!“
Medea hörte natürlich nicht zu, immerhin hielt sie ihn für einen Verräter. Sie erwischte ihn an der Schulter, genau dort, wo seine gerade erst genähte Schusswunde war. „Fuck!“ Sebastian tat etwas, das nicht gut überlegt war, aber funktionierte: Er zog seine Pistole aus dem Fußraum, in die sie ihm bei Medeas Überraschungsangriff gefallen war, und schleuderte sie Medea ins Gesicht. Sie traf sie quer über dem Auge und der Nase und Medea japste erschrocken auf und war lang genug abgelenkt, damit Sebastian sich zwischen die Sitze stürzen und ihr Messer und Pistole entwinden konnte.
Aus Medeas Nase strömte das Blut und Sebastian verzog das Gesicht, als er realisierte, dass sie vermutlich gebrochen war – das würde Medea ihm ewig vorhalten. Und Moriarty möglicherweise auch. Er sah jedenfalls nicht sonderlich beeindruckt aus, als er auf Sebastian blickte, der halb über die Autositze gestreckt dalag und mit seiner Waffe wieder auf Medea zielte, die ihn hasserfüllt und mit einer Hand an ihrer Nase ansah. Lachen tat er nicht mehr, aber der Laut klingelte Sebastian noch immer in den Ohren nach, zusammen mit dem Geräusch, mit dem das Messer die Luft und seine Haut zerschnitten hatte. Es erweckte die altbekannte Wut, die stets in ihm schlummerte, von Neuem und er biss fest die Zähne zusammen, um seine Pistole nicht auch noch in Moriartys Gesicht zu schleudern. „Hättest du einfach zugelassen, dass sie mich aufschlitzt?!“
Wieder schlich sich ein Grinsen auf Moriartys Züge, das Sebastians Griff um die Pistole stärkte und so etwas wie Galle in seinen Hals stiegen ließ. „Ich wollte sehen, wie du reagierst.“ Moriarty zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Wenn du Medea nicht überlebst, solltest du mich vielleicht nicht nach London begleiten.“
„Was?“, fragte Medea mit leicht nasaler Stimme.
„Fick dich!“, knurrte Sebastian, ehe er sich aufhalten konnte und er hatte langsam wirklich die Nase voll von alldem, genauer von Moriarty. Das war, als wäre man mit jemanden verbündet, der einem nur aus Spaß immer wieder mit einem Messer in den Rücken stach! Das war … Verdammt, es war zu viel und Sebastian wollte explodieren.
Moriarty lachte ihm ins Gesicht. „Drama, Sebastian. Wir wollten doch ein gutes Theater.“
„Tja, die Show ist jetzt vorbei.“ Sebastian stieß die Tür härter auf, als nötig gewesen wäre und umrundete den Wagen, um zu O’Dowd zu gelangen, die blutend auf dem Asphalt lag und schon ziemlich hinüber aussah. Oder vielleicht hatte sie genau wie Sebastian einfach keine Lust mehr auf das Ganze. Jedenfalls war sie noch genug bei sich, um Sebastian anzusehen, als der auf sie zutrat. Am Rande fragte Sebastian sich, wo O’Dowds Pilot und dieser andere Mann hin waren, aber er konnte sie nicht in nächster Nähe entdecken und war gerade sowieso zu gereizt, um sich zu sorgen. Er blickte auf O’Dowd hinunter und die seufzte schwer.
„Ich schätze, du arbeitest nicht wirklich für Belkov, hm?“
„Belkov wünschte es wäre so.“ Sebastian schnaubte und fragte sich, ob ein russischer Mafioso ihn besser behandeln würde als Moriarty oder ihn zumindest weniger nerven würde. Vielleicht hätte er Belkovs Angebot damals tatsächlich annehmen sollen. Möglicherweise wäre er dann mittlerweile tot – aber besser ein solcher schneller Tod, denn Sebastian vermutete, dass Moriarty wie eine Katze mit ihm spielen, bevor er ihn töten würde. Egal, was er von Gnadenschüssen geredet hatte – solange Gnade nicht interessant für Moriarty war, bezweifelte Sebastian, dass er sie walten lassen würde. „Wie auch immer. Ich habe keine Lust mehr auf mehr Lügen. Also, so wird es ablaufen: Wir haben das Flugzeug und fliegen zurück nach London. Moriarty wird dich töten für deine Verwicklungen in die Verschwörung gegen ihn und dann werde ich ein paar Zigaretten rauchen, um nicht erst ihn und dann mich zu erschießen. Klingt nach einem Plan?“
O’Dowd starrte zu ihm auf. „Müssen wir das Ganze so hinausziehen? Wieso hast du mich nicht schon längst getötet?“
„Wie wären wir sonst an dieses schöne Flugzeug gekommen?“ Sebastian seufzte einmal und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Hinter sich hörte er, wie Moriarty und Medea ebenfalls ausstiegen. „Hör mal, ich kann dich wirklich nicht leiden, aber ich möchte trotzdem erwähnen, dass das alles hier nicht meine Idee war. Du hast dich mit Moriarty angelegt, du bezahlst den Preis.“ Er zuckte mit den Achseln. „Ist nichts Persönliches.“
„Fühlt sich aber so an.“ O’Dowd ließ ihren Kopf langsam wieder auf den Asphalt sinken – es musste schmerzen, ihn mit dem Schnitt am Nacken überhaupt so lang oben gehalten zu haben. Sebastians eigener Arm pulsierte von der Schulter bis in die Fingerspitzen.
„Nun, den persönlichen Aspekt liefere ich.“ Moriarty trat neben ihm und Sebastians ganzer Körper verkrampfte sich in dem Wunsch, ihn zu schlagen. Er wusste genau, dass Moriarty es bemerkte und dass das der Grund war, wieso er seine Finger Sebastians verletzten Arm hinauflaufen ließ, um wenige Millimeter von seiner neu aufgerissenen Schusswunde zu verharren. Sebastian zitterte beinahe vor Zorn, aber er hielt sich davon ab, Moriarty die Finger abzubeißen. „Sebastian ist etwas eingeschnappt und möchte mir deshalb den Spaß vermiesen. Das wird ihm aber leider nicht gelingen. Also werde ich eine kleine Geschichte erzählen – ich liebe Geschichten, wissen Sie. Und diese gefällt mir ganz besonders. Ich habe sie selbst verfasst.“ Er umfasste Sebastians Kinn und zwang seinen Kiefer auf und zu: „Es war einmal …“ Sebastian riss sich los und trat zurück und Moriarty grinste und fuhr unbekümmert fort: „ein Ritter, der wurde in die Höhle einer Löwin geschickt.“ Er deutete mit überschwänglichen Gesten auf O’Dowd, die zu ihm aufstarrte und nun langsam die Augen schloss, als wüsste sie bereits, was kommen würde. Sebastian musste sich zurückhalten, Moriarty nicht zur Eile zu bewegen – sie waren noch immer mitten auf einem Flugplatz und irgendwann würde einer der Arbeiter, die in der Nähe geschäftig herumwerkelten, doch auf sie aufmerksam werden, oder O’Dowds Leute würden zurückkehren und dann würden sie von ihnen oder der Polizei überwältigt werden, weil Moriarty unbedingt noch seinen Monolog halten wollte. Zu gern hätte Sebastian ihm genau das mit einigen Flüchen dargelegt, aber er wollte nicht, dass Moriarty ihn doch in Dublin zurückließ.
„In dieser Höhle hatte die Löwin ihre drei Jungen zurückgelassen und der Ritter wusste, dass die Löwin alles tun würde, um ihre Jungen zu schützen und so war er beauftragt worden, einem der Jungen das Fell abzuziehen und es mitzunehmen, um der Löwin zu zeigen, dass er auch wusste, wo ihre beiden anderen Jungen noch waren.“ Moriarty hielt kurz inne und verzog das Gesicht. „Ich weiß, ich weiß, eigentlich war es nur ein Selfie, aber ich wollte keine moderne Geschichte schreiben, und ich finde, so klingt es viel dramatischer, nicht?“ Er blickte sich um, aber niemand reagierte auf diese rhetorische Frage und so hob er nur die Schultern und erzählte weiter: „Der Ritter zeigte der Löwin das Fell und wie erwartet, war sie sofort bereit, den Ritter zu begleiten, um ihre Jungen zu schützen. Und er führte sie zu dem König, der ihn geschickt hatte.“ Er deutete mit einem begeisterten Lächeln auf seine Brust und Sebastian konnte nicht anders, als die Augen zu verdrehen. Gerade, da er dies tat, sah er hinter dem Flugzeug eine Bewegung, die ihn wieder seine Waffe ziehen ließ. Medea hatte es ebenfalls gesehen und sie warf ihm einen kurzen Blick zu, der noch immer skeptisch war, ehe sie zu beschließen schien, dass sie ihm doch wieder vertraute, und mit einem Nicken in die linke Richtung wies, während sie sich abwandte, um das Flugzeug von Rechts zu umrunden.
Moriarty sprach laut genug, dass Sebastian ihn weiterhin hörte, während er langsam auf das Flugzeug zuschlich. „Was die Löwin nicht wusste, war, dass der König ihresgleichen verachtete und deshalb sie und alles, was sie liebte, zerstören wollte. Deshalb war der Ritter unwissentlich nicht nur wegen der Löwenjungen in die Höhle geschickt worden. Der König hatte ihm nämlich etwas gegeben, einen Feuerstein, der magisch war und unsichtbare Funken sprüht. Und als der Ritter die Höhle mit dem Löwenfell verließ, sprang ein Funken auf das trockene Heu, das die Löwin gesammelt hatte, um ihre Jungen warm zu halten. Bald breitete sich daraus ein großes, großes Feuer aus, das die Jungen und die Höhle und alles in seiner Reichweite verschlang.“
Die Worte schlängelten sich durch Sebastians Gehirn und fanden doch keinen Sinn; er hatte nichts angezündet. Er wusste nicht, wieso Moriarty seine Geschichte so dramatisierte und was das Ganze bringen sollte, aber er sagte sich, dass er sich darüber nicht den Kopf zerbrechen wollte. Stattdessen nahm er zügig die letzten Schritte um das Flugzeug herum und hob seine Pistole – sie zeigte auf den Mann, den er aus dem Auto gesehen hatte und von dem er geglaubt hatte, dass er gesessen hatte; was er auch tat, allerdings in einem Rollstuhl. Der andere Mann, mit dem er geredet hatte, O’Dowds Pilot, lag bewusstlos neben ihm. Der Rollstuhlfahrer hob langsam die Hände, während Sebastian stirnrunzelnd die Situation zu erfassen versuchte. „Wer sind Sie?“, fragte er schließlich, doch noch bevor der Mann antworten konnte, umschritt auch Medea das Flugzeug und als der Mann sich bei dem Laut ihrer Schritte zu ihr umsah, ließ sie ihre Waffe sofort wieder sinken.
„Akono!“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen, was ein so abstruses Bild war, dass Sebastian seine Pistole ebenfalls nicht weiter auf den Mann richtete, sondern auf Medea starrte, die blutbesudelt und erschöpft aussah und die den Rollstuhlfahrer ansah wie einen Geist und schließlich ein kleines Schluchzen hören ließ. „Kaka yangu mdogo!“ Swahili, wie Sebastians Gehirn langsam registrierte – er hatte es in Somalia gelernt und verstand somit, was Medea sagte, ehe sie auf den Mann im Rollstuhl zustürzte und ihn in ihre Arme schloss: »Mein kleiner Bruder.«
Zu spät erinnerte er sich daran, dass Moriarty angekündigt hatte, dass Medeas Bruder sie nach London begleiten würde, gegeben, er schaffte es zum Flughafen. Offensichtlich hatte er es geschafft. Und sich mit O’Dowds Piloten angelegt.
Sebastian versuchte, nicht zu starren, während die beiden Geschwister einander tränenreich begrüßten und schnell aufeinander einredeten und abtasteten, als wollten sie den jeweils anderen auf Wunden untersuchen. Jetzt, wo Sebastian die beiden nebeneinander sah, war die Ähnlichkeit immens. Sie beide hatten Haut wie Ebenholz, dieselben stählernen Muskeln und Augen mit einem feurigen Blick, der beim Anblick des jeweils anderen schmolz.
Für einen Moment verlernte Sebastian das Atmen und sein Herz krampfte so heftig zusammen, dass er glaubte, sogleich tot umfallen zu müssen. Trauer fraß an seinen inneren Organen und er wandte sich ruckartig ab, um nicht daran erinnert zu werden, was er alles verloren hatte, und so bekam er gerade noch das Ende von Moriartys Geschichte mit, der eine dramatische Pause gemacht hatte, als hätte er gewusst, was hinter dem Jet vor sich ging.
„Als sie dies hörte, kniete die Löwin vor dem König nieder und bat ihn darum, sie zu töten, denn ohne ihre Jungen wollte sie nicht mehr leben. Und der König tat ihr den Gefallen, denn er war gnädig und er hasste die Löwen und wollte, dass sie alle starben.“
Sebastian drückte den Schmerz irgendwo tief in sich hinein, irgendwo, wo kein Licht hineindrang, dort, wo er alles lagerte, das ihn fühlen ließ, als würde er lebendig beerdigt werden. Er kam wieder hinter dem Jet hervor und sah, wie Moriarty sich vor O’Dowd hingehockt hatte und sie mit einem leichten Lächeln bedachte, das noch so viel grausamer als sein breites Grinsen aussah. „Ihre Wohnung ist vor genau drei Minuten in die Luft geflogen, als nächstes ist Ihr Revier dran. Wir wollen ja nicht, dass irgendetwas von Ihnen und Ihren Tätigkeiten übrigbleibt, hm? Nein, das wäre nicht gut.“ Er schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Wissen Sie, es war tatsächlich schwer, Bomben aufzutreiben, aber wie der Zufall so wollte, habe ich hier viele gute Kontakte. Dublin ist meine Heimatstadt, wissen Sie. Ich kenne sie wie meine Westentasche.“
Ohne ihn anzusehen, winkte Moriarty Sebastian heran, der kurz zögerte, sich dann aber in Bewegung setzte, zum Teil, um die Beschwörungen von Medea und ihrem Bruder, darüber, wie sehr sie einander vermisst hatten, nicht mehr zu hören.
„Einer dieser Kontakte hat sich auf eine interessante Art von Bomben spezialisiert. Bomben, die, sobald sie angeschaltet sind, registrieren können, wann sich ein Mensch in ihrer Nähe befindet und die als Reaktion darauf einen individuellen Timer aktivieren.“ Moriarty blickte zu Sebastian auf, als der sich einen knappen Meter von ihm entfernt stellte. „Als unser Ritter in Ihre Wohnung kam, hat er einen Timer von zwei Stunden gestartet. Die liebe Brenda Baker – Sie kennen sie, nicht wahr? Sie putzt Ihr Revier, wenn Sie Ihren dreckigen Geschäften nachgehen. Jedenfalls hat sie mir geholfen, die Bomben zu platzieren. Die in Ihrem Revier hat einen etwas kürzeren Timer, damit man sie nicht vorher finden und entschärfen kann. Deshalb wird Brenda es nicht mehr rechtzeitig herausschaffen. Aber dafür wird man ihrem Sohn helfen, ein besseres Leben zu führen. Der Arme ist leider stark drogenabhängig, aber ich werde dafür sorgen, dass er sich selbst nicht mehr zugrunde richtet, wie ich es seiner Mutter versprochen habe.“ O’Dowd sah Moriarty nicht mehr an. Sie hatte den Kopf zur Seite gedreht und starrte auf den Asphalt, auf dem sie lag und der sich mehr und mehr mit ihrem Blut dunkel färbte. Sebastian hingegen kletterte ein Schauder wie eine von O’Dowds Katzen mit ihren spitzen Krallen den Rücken hinauf: Brenda Baker, die ihn zu O’Dowds Wohnung gefahren hatte, würde bald tot sein – gestorben für Moriartys Racheaktion und als Austausch für die Hilfe für die Genesung ihres Sohnes.
Er wusste, dass Moriarty so arbeitete. Er wusste, dass viele seiner Angestellten für ihn arbeiteten, weil er sie in der Hand hatte – weil er ihre Sucht finanzierte oder weil sie in seiner Schuld standen oder weil ihre Familie nur so sicher war. Aber die Selbstmörder hatte er immer für ein Gerücht gehalten. Vielleicht würde jemand für einen Gefallen von Moriarty Drogen ausliefern oder Menschen töten oder Kinder entführen – aber er hatte sich bisher nicht ausmalen können, was jemanden dazu bewegen könnte, sein Leben für Moriarty zu opfern. Doch … ein Leben für ein Leben. Das klang nach einem Deal würdig für den Teufel, der in Moriarty heimisch war. Das klang nach einem Deal, den Sebastian vielleicht auch angenommen hätte, wäre es noch möglich, Severin zu retten.
Moriarty blickte auf O’Dowd hinunter und seufzte tief. „Ich erzähle Ihnen, was passiert, weil es nur wegen Ihnen passiert. Sie hätten sich nicht gegen mich oder meine Angestellten stellen sollen. Sie hätten sich nicht einmischen sollen. Nun sorge ich dafür, dass alles, das Ihnen etwas bedeutet, alles, das Sie sich aufgebaut haben, zerstört wird. Bevor ich Ihnen den Gnadentod zugestehe, sollen Sie davon erfahren. Und bevor Sie nicht mehr reden können, möchte ich noch etwas von Ihnen erfahren.“ Er griff nach ihrem Kinn wie er es zuvor noch bei Sebastian getan hatte, nur noch härter, nur noch unvorsichtiger, und zwang O’Dowds Kopf in seine Richtung. O’Dowd schloss die Augen, aber Moriarty schüttelte sie zweimal heftig, bis sie ihn ansah. „Wer genau hat Sie angeheuert, meine Liebe?“
O’Dowd schüttelte schwach, so gut es ihr in Moriartys festem Griff möglich war, den Kopf. Sebastian sah genau, wie sich daraufhin Moriartys Kiefer anspannte und wie sein Lächeln etwas strenger, etwas gefährlicher wurde. „Es ist nicht weise, mir in einer solchen Situation nicht zu antworten. Besonders, wenn Ihr Schweigen Sie nicht retten und mich nur wütend machen wird.“
„Ich weiß nicht, wer es war“, nuschelte O’Dowd, schüttelte erneut den Kopf und verzog vor Schmerzen das Gesicht. Sie hatte mittlerweile genügend Blut verloren, um selbst neben Moriarty, der einen Dracula-Teint hatte, blass auszusehen. Ihre Augen fielen immer wieder zu, aber er glaubte, dass das weniger mit Trotz als mit Schwäche zu tun hatte. „Er … er hat keinen Namen genannt. Hat … einen Stimmverzehrer genutzt. Nur- nur gut bezahlt.“
Moriarty ließ ruckartig von ihr ab und schüttelte den Kopf, seine Miene zerfurcht von Wut. Er wandte sich plötzlich Sebastian zu und deutete auf O’Dowd, deren Kopf, als Moriarty ihn nicht mehr gehalten hatte, nach hinten gefallen war. „Ich würde ja sagen, wir lassen sie verbluten, aber ich will nicht länger warten. Beende es, Sebastian.“
Sebastian hatte noch nie jemanden erschossen, der sowieso schon im Sterben lag, aber er beschloss, dass es nicht der richtige Moment war, darüber nachzudenken. Er hielt O’Dowd den Lauf seiner Waffe an die aschfahle Stirn, ihre Augen waren wieder geschlossen. Der Lärm des Flughafens war laut genug, um das Geräusch des gedämpften Schusses restlos zu verschlucken, aber Sebastian fragte sich dennoch, ob es eine so gute Idee war, O’Dowd einfach auf dem Flughafen liegen zu lassen.
Das schien Moriarty allerdings nicht vorzuhaben. Er rief nach Medea, die sofort zu ihm kam und sich dabei unauffällig die Tränen vom Gesicht wischte. Moriarty bedachte sie mit einem abschätzigen Blick, nickte ohne ein weiteres Wort auf die Leiche zu Sebastians Füßen und schritt dann Richtung Jet, dessen Tür erwartungsvoll offenstand. Ein kurzer, auffordernder Blick über seine Schulter genügte, damit Sebastian ihm zähneknirschend folgte.
Hoffentlich gab es an Board etwas, womit er seine Wunden versorgen konnte. Hoffentlich würde die Leiche nicht neben ihm sitzen. Und hoffentlich wusste irgendjemand, wie man einen Jet flog.
<>
It's me, again too late. Sorryy
Dieses Mal habe ich aus meinen Fehlern gelernt und mir von nun an einen Wecker für die Sonntage gestellt ':)
Ich bin ehrlich recht zufrieden mit diesem Kapitel (I love my angry boy, Sebby) und freue mich auf die nächsten Kapitel, da ich jedes einzelne sehr mag und es kaum erwarten kann, eure Reaktionen zu erleben, wenn gewisse Dinge geschehen. Anders als bei »How To: Stay Alive« habe ich hier tatsächlich von Anfang an recht genau geplant und daher werden sich bestimmte Lücken, die ihr vielleicht noch nicht seht, schließen und es wird mir so einen Spaß machen ^^
Naja, eigentlich hatte ich vor, dieses Buch im September jetzt zu beenden, aber das wird höchstwahrscheinlich nichts. Dieses Baby wächst immer mehr ':)
(Wir sind schon bei weit über 200 Word-Seiten, meine Lieben. Can't stop, won't stop.)
Ich hoffe, ihr habt noch eine angenehme Woche und ich hoffe, wir lesen uns!
With much love,
Tatze.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top