»And I hate when things are over, when so much is left undone«
Als Sebastian zurückkehrte, schritt Moriarty unruhig in seinem Zimmer auf und ab – die Schritte hörte Sebastian schon auf dem Flur – und richtete den geliehenen Revolver auf Sebastian, kaum, dass der durch die Tür geschritten war. Sebastian hob gar nicht erst die Hände, sondern ließ nur die Beutel neben der Tür fallen, lief dann weiter ins Zimmer hinein und legte die Mappe mit den Akten auf eines der Betten.
„Wieso hat das so lang gedauert?“, fragte Moriarty, doch sein Blick klebte bereits auf den Dokumenten und er klang nicht so zornig, wie erwartet, und schon hatte er die Waffe achtlos beiseite gelegt und die Mappe stattdessen an sich genommen. Er öffnete sie und durchblätterte die Dokumente und Sebastian glaubte schon, er würde keine Antwort mehr erwarten, als Moriarty doch noch einmal aufsah und ihn erwartungsvoll anblickte.
„Ich hab noch einmal kurz angehalten und uns etwas zu essen besorgt.“ Sebastian spannte sich an, in der Erwartung einer Tirade, dass er Moriartys Zeit so verschwendete und dass er aus einem solch trivialen Grund zu lang gebraucht hatte. Aber wieder überraschte Moriarty ihn mit einer milden Reaktion: Er blickte kurz zu den Tüten, die Sebastian bei der Tür abgestellt hatte und hob die Schultern.
„Okay, gut. Ich hoffe, es ist nichts mit Knoblauch.“ Er rümpfte die Nase und ging wieder dazu über, in seinen Papieren zu blättern, wobei er leicht die Stirn runzelte.
„Ich hoffe doch nicht. Es ist Sushi.“
Moriarty summte kurz und deutete beim Blättern nachlässig mit einem Finger auf den kleinen Tisch, der an einer Wand stand und an den drei Stühle geschoben waren. Sebastian verkniff sich das Augenverdrehen und holte die Tüten von der Tür, um ihren Inhalt auf dem Tisch zu verteilen. Er hatte keine Ahnung gehabt, welche Sorte Sushi Moriarty mochte – und ob überhaupt – deshalb hatte er etwa zwanzig verschiedene und zusätzlich Fleischspieße (in der Hoffnung, dass Moriarty kein Vegetarier war) geholt, die er jetzt alle auf dem Tisch drapierte zusammen mit den Stäbchen und dem Besteck (er hatte auch nicht gewusst, ob Moriarty mit Stäbchen essen konnte und er hatte es ihnen beiden ersparen wollen, was auch immer gekommen wäre, könnte Moriarty es nicht).
Nachdem Sebastian fünf Minuten an dem gedeckten Tisch gesessen und darauf gewartet hatte, dass Moriarty sich zu ihm gesellte, der aber nur durch seine Papiere geblättert hatte, räusperte Sebastian sich und beschloss, dass Moriarty es ihm schon nicht übelnehmen würde, würde er bereits mit dem Essen anfangen. Er hatte zwar gerade erst die halbe Pizza bei Cherrie gegessen, aber sein Magen fühlte sich noch immer an wie ein schwarzes Loch, das gefüllt werden wollte, und seine Zeit beim SAS hatte ihn gelehrt, möglichst jede Gelegenheit, zu essen, mitzunehmen. „Cherrie sagte, meine Wohnung wird von einem Scharfschützen überwacht.“
„Ja“, antwortete Moriarty und drehte sich zu ihm um, sah aber weiter auf die Dokumente. Er runzelte erneut die Stirn und warf eines der Blätter einfach über seine Schulter, ehe er sich dem nächsten zuwandte.
„Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du einen USB-Stick in meiner Wohnung versteckt hast?“
Einen Moment folgte keine Antwort, dann: „Wieso hätte ich das tun sollen?“ Die Antwort verwunderte ihn nicht und er hatte damit gerechnet, aber irgendwie hatte er doch auf mehr gehofft.
Ein weiteres Blatt segelte zu Boden und Sebastian hob etwas verwundert die Augenbraue. Wenn das in dem Tempo weitergehen würde und angesichts dessen, wie dick die Mappe war, würde er bald durch ein Meer aus geheimen Dokumenten waten. Außerdem hatte er gedacht, Moriarty wäre eher ein ordentlicher Mensch, der keinerlei Chaos ertrug. Von Ordnung schien Moriarty allerdings gerade nicht viel zu halten: Er ging die Dokumente schneller durch und verzog die Mundwinkel dabei immer weiter nach unten, ehe er die Mappe einfach zu seinen Füßen fallen ließ (einige Blätter rutschten heraus), darüber stieg und sich gegenüber von Sebastian niederließ.
Sebastian wollte sich wirklich, wirklich einen Kommentar verkneifen, aber er hatte sich noch nicht auf die Zunge gebissen, als er schon fragte: „Ist Papiere durch die Gegend werfen das Wichtige, das du so zu tun hast?“
Moriarty warf ihm einen solch feurigen Blick zu, dass Sebastian sich fühlte, als würde er die Worte zurück in seinen Rachen stopfen. Dann brach Moriarty etwas sehr schwungvoll seine Stäbchen auseinander und nahm sich einige der kleinen Sushiröllchen mit Avocado auf den gekauften Pappteller, womit er Sebastian nicht mehr ansah. Er legte sein Handy neben sich auf den Tisch und scrollte darauf herum, während er Sojasauße über seinem Essen verteilte. „Diese Dokumente sind wertlos. Sie bringen mir im Moment absolut gar nichts.“
„Dann ist ja gut, dass ich sie geholt habe.“ Sebastian erwischte sich dabei, wie er mit schiefgelegten Kopf beobachtete, wie Moriarty geübt nach der ersten Rolle griff und schon fast nachdenklich kaute, ehe er die nächste Rolle einfach aufspießte und völlig abwesend damit durch die Pfütze aus Sojasoße strich. „Welche Dokumente brauchst du dann? Die vom USB-Stick?“
Moriarty benötigte einen Moment, um zu antworten – Sebastian bemerkte, dass er erst fertigkaute, ehe er sprach und es amüsierte ihn auf unerklärliche Weise, dass ein solches Verbrechergenie, wie Moriarty es war, gute Tischmanieren hatte. Andererseits … Es war ja nicht so, als hätte Jim damals barbarisch gegessen. Nur eben wenig. Sebastian war da als Jugendlicher schlimmer gewesen und Jim war es immer gewesen, der ihn dafür gescholten hatte. „Nein, die sind eher für die besonders großen Fische wie Belkov. Aber Belkov ist ein Problem für … nicht jetzt.“
„Okay …“, sagte Sebastian langsam, „und was brauchst du für die kleineren Fische?“
Moriarty blickte von seinem Handy auf und sah ihn prüfend an, als wolle er herausfinden, ob er es ihm anvertrauen sollte. Schließlich zuckte er leicht die Schultern wie im Selbstgespräch mit sich selbst, und deutete mit dem Daumen auf sein Handy. „Ich muss wissen, wer meiner Angestellten Gelegenheit hatte, sich an den Servern zu vergreifen, die unsere Handys gesperrt hatten. Der Hacker hatte zu leichten Zugriff, als dass er es ohne Hilfe getan haben kann. Und ich muss wissen, wie groß der Kreis dieser Verschwörer ist, was ich nur herausfinden kann, wenn ich weiß, wie viele Menschen möglicherweise Kontakt zu bereits bekannten Verrätern hatten.“
Sebastian stützte sein Kinn auf eine Hand und drückte etwas Wasabi mit der anderen auf seinen Teller. „Es überrascht mich etwas, dass du das nicht aus dem Stehgreif weißt. Ich hätte gedacht, du kennst das Netzwerk wie deine Westentasche.“
„Tue ich.“ Ein grimmiger Zug legte sich um Moriartys Mund. „Aber selbst ich brauche etwas Hilfe für das Loch in der Tasche, das ins Innere des Mantels führt. Mein Netzwerk ist in den letzten Jahren beinahe sprunghaft gewachsen, da behalte selbst ich nur den Überblick über die wichtigsten Mitglieder. Aber es gibt Menschen, die nur für einen Auftrag angeheuert werden, Menschen, die nicht wichtig genug sind, um überhaupt zu wissen, dass sie für etwas Größeres arbeiten, Menschen, die im Netzwerk integriert sind, für die ich mich aber nicht weiter interessiere.“ Moriarty zuckte erneut mit den Schultern. „Sie sind kleine Schwächen, diese Menschen, das gebe ich zu. Aber normalerweise machen sie mir keine Probleme.“
„Du glaubst, diese Bedrohungen kommen von so weit außen?“ Sebastian runzelte die Stirn. Das erschien ihm wenig sinnvoll; er war vielleicht von Anfang an eine Ausnahme gewesen, da er sogleich zu Moriarty persönlich gebracht worden war, aber er wusste doch, wie wenig Einfluss die Personen am Rande des Netzes auf das große Ganze hatten, wie unwichtig und entbehrlich sie waren. Wie Moriarty gesagt hatte: Die meisten dort wussten nicht einmal, dass sie für Moriarty oder für eine Organisation arbeiteten. Es war nicht möglich, dass jemand von außen, der keinen Lageplan besaß, sich durch das Labyrinth, das Moriartys Reich war, vorgedrängt haben sollte bis zu Moriarty persönlich.
Als Moriarty abfällig schnaubte, schaute Sebastian ebenfalls wieder von seinem Sushi auf. „Sie kommen nicht von dort, aber die Menschen dort werden von jemandem aus dem inneren Kreis benutzt, vermutlich, um die Spuren zu verwischen. Aber wenn wir einen dieser Hilfslanger finden, finden wir vielleicht einen Weg, den Spuren dennoch zu folgen und zu sehen, welcher Insider hinter all dem hier steckt.“ Er zeichnete mit seinen Stäbchen einen Kreis um sie herum und meinte damit vielleicht ihre jetzige Situation im Hotel oder den Zustand des Netzwerkes in London oder seinen Einfluss über England hinaus, der schwinden könnte.
„Es sollte nicht so schwer sein, einen … Kleinkriminellen zu fassen.“ Sebastian hob die Schultern.
„Aber so leicht, wie es klingt, ist es auch nicht. Wir versuchen, die Verbindung dieser Menschen, die kein langwieriger oder essentieller Teil des Netzwerkes sind, zu uns möglichst nicht existent zu halten, damit die Kleinkriminellen nichts verraten können, werden sie doch erwischt. Das macht es für die Polizei schwerer, Verbrechen auf eine ganze Organisation zurückzuführen, aber es erschwert uns auch die Suche nach einer passenden Person, die uns in diesem kleinen Debakel helfen kann.“
„Und es gibt keine Aufzeichnungen darüber, wen du so anstellst?“
„Oh, Unmengen.“ Moriarty winkte ab. „Aber keine dieser Akten kann uns sagen, wer in der ganzen Sache verwickelt ist.“
Sebastian nickte langsam und begann dann, sein Sushi weiterzuessen, während er nachdachte. Die Lage schien tatsächlich sehr verzwickt – sie bräuchten jemanden, der mit den Verrätern gemeinsame Sache machte (der vermutlich jedoch nicht einmal wusste, dass er gegen Moriarty, gegen ein Verbrecherimperium, arbeitete), damit der sie zu ebendiesen Verrätern führen könnte. Mit der unzureichenden Datenlage könnte das jedoch beinahe jeder Kriminelle in ganz London und darüber hinaus sein und selbst, wenn es möglich wäre, sich einige wenige herauszupicken, war es ziemlich unwahrscheinlich, dass auch nur einer von ihnen über seinen letzten Auftrag reden würde. Verbrecher tendierten dazu, nicht an die große Glocke zu hängen, was sie so Unrechtmäßiges getan hatten, und wenn sie weder Sebastian noch Moriarty kannten, würde das das Ganze nicht einfacher machen.
… Oder es würde es erleichtern.
„Du siehst aus, als würde dein Kopf gleich Feuer fangen, Tiger.“ Moriarty lächelte spöttisch, doch als Sebastian ihn ansah, musste er irgendetwas in Sebastians Augen lesen, denn sein Blick wurde aufmerksamer. „Irgendeine Idee?“
„Deine Identität … Wie vielen Menschen ist sie bekannt?“
„Zwölf“, antwortete Moriarty sofort. „Wieso?“
„Was, wenn wir doch nicht bei den kleinen Fischen anfangen? Wenn wir stattdessen die großen Fische angeln – genauer gesagt, deine großen Fische?“ Sebastian legte die Stäbchen beiseite und beugte sich über den Tisch leicht zu Moriarty, der die Stirn runzelte und ihm bedeutete, fortzufahren. „Wer dieser zwölf Menschen ist im Netzwerk besonders bekannt? Bei wem weiß jeder, dass er deine Identität kennt? Wer ist am entbehrlichsten?“
Moriarty schwieg einen Moment, schien zu versuchen, zu erraten, worauf Sebastian hinauswollte, und legte schließlich nur leicht den Kopf schief und sah ihm in die Augen. „Du.“
Sebastian hob einen Mundwinkel. „Genau. Sie wissen, dass ich weiß, wer der berüchtigte Moriarty ist. Und weißt du, wen sie niemals als Moriarty vermuten würden?“ Er machte eine Kunstpause, war aber zu aufgeregt ob seiner eigenen Idee, um auf eine Reaktion von Moriarty zu warten: „Den Mann, der einen von Moriartys Vertrauten ausliefert. Ein »Kleinkrimineller«“, Sebastian zeichnete Gänsefüßchen in die Luft, „der nur an einem alten Preis interessiert ist, der in der Unterwelt auf meinem Kopf ausgesetzt wurde und der vorgibt, nichts von einem Moriarty zu wissen. Der Mann, der sich preisgibt.“ Er deutete mit dem Zeigefinger auf Moriarty, dessen Stirn nun dauerhaft in Falten gelegt schien. „Dieser Mann bist du.“
„Sebastian …“, fing er dann langsam an und es klang mehr als nur zweifelnd.
Sebastian unterbrach ihn. „Hör mir nur kurz zu! Du gehst quasi … undercover. Du gibst dich als jemand aus, der mich zufällig irgendwo überwältigen konnte und du verbreitest die Nachricht, dass ich bei dir bin. Die Verräter werden als erstes reagieren, weil sie hoffen werden, Informationen über dich – über Moriarty herauszubekommen – und deshalb werden sie dir ein Angebot machen. Alles, was wir tun müssen, ist zu warten, wer kommt, um mich zu befragen und schon haben wir das erste Glied in der Kette der Verräter und müssen ihr nur noch zum Anfang folgen.“ Sebastian breitete stolz die Arme ob dieses Plans aus und nickte Moriarty, der noch immer skeptisch dreinblickte, zu, damit der auf seine Idee reagierte.
„Du guckst zu viele Filme“, sagte Moriarty und Sebastian ließ seine Arme sinken. „Andauernd möchtest du versuchen, irgendwo Doppelspione einzuschleusen. Aber es ist viel zu riskant. Du könntest das Risiko völlig falsch einschätzen, du könntest einfach getötet werden, ohne mir irgendwelche Informationen einzubringen- ich könnte einfach getötet werden. Warst du schon einmal bei der Übergabe eines Kopfgeldziels? Die wenigsten wollen dieses Kopfgeld tatsächlich an den Fänger zahlen.“
„Du vergisst, dass ich mich eine ganze Zeit lang in der Unterwelt über Wasser gehalten habe.“ Sebastian zuckte mit den Schultern. „Es gibt Wege, die ganze Sache so angenehm wie möglich für uns alle zu machen. Du musst nur mitspielen.“
„Es ist ein viel zu gefährliches Spiel, Sebastian. Und wir wissen nicht, ob es tatsächlich etwas bringen würde.“
Sebastian seufzte tief. „Wieso vertraut niemand von euch auf meine Ideen?!“ Er lehnte sich noch etwas weiter vor. „Hör zu, ich weiß, es ist riskant. So plane ich eben. Aber ich weiß, wie riskant es sein kann, bis es leichtsinnig wird-“
„Nein, weißt du eben nicht“, unterbrach Moriarty ihn. „Du wusstest es nicht als Jugendlicher, nicht als Soldat und jetzt nicht. Wahrscheinlich lernst du es nie. Es muss nur eine Kleinigkeit schiefgehen und alles andere geht ebenfalls den Bach herunter. Ich will mein Reich zurück, Sebastian, das will ich wirklich. Und denk nicht, dass ich nicht bereit wäre, dich dafür zu opfern. Aber ich werde keine unnötigen Risiken eingehen, bei denen am Ende doch nichts bei rumkommen könnte.“
„Es ist kein unnötiges Risiko“, sagte Sebastian mit zusammengebissenen Zähne. „Ich weiß, du bist clever und jedem einen Schritt voraus und juchhe, aber ich kenne mich mit solchen Menschen aus, okay? Wenn sie nicht wissen, wer du bist, wenn sie immer nur wussten, wo du sein würdest, aber nicht wie du aussiehst, werden sie so schnell wie möglich an mehr Informationen gelangen wollen. Informationen sparen Zeit und Ressourcen und sie werden sich darauf stürzen, sobald sie die Gelegenheit haben. Aber wir könnten diejenigen sein, die Zeit sparen. Oder möchtest du Monate damit verbringen, nach jemanden zu suchen, der das winzigste Bisschen wissen könnte?!“
Moriarty musterte ihn so gründlich, dass Sebastians Haare sich aufstellten und ein Schauder über seinen Rücken lief und Sebastian begann, unruhig auf seinem Stuhl herumzurutschen, wartete mit angehaltenem Atem ab, ob er Moriarty umstimmen konnte. Doch Moriarty blieb still.
Sebastian seufzte erneut. „Weißt du, was ich glaube?“ Er erwiderte Moriartys durchdringenden Blick so gut es ging, besah sich dieser leeren Züge, die Moriarty nur preisgab, wenn es ihm ernst war, wenn er keine Maske trug – aber Sebastian vermutete, dass sie jetzt gerade doch als Maske fungierten. Er wusste nicht genau, woran er es sah und woher er plötzlich glaubte, irgendetwas über Moriarty zu wissen – aber die Art, wie sein Blick nachdenklich und nicht abwertend war und dass er nicht über seine Idee gelacht oder ihn dafür beleidigt hatte (wenn er ihn auch als leichtsinnig betitelt hatte) … all das deutete darauf hin, dass er Sebastians Idee nicht ganz so abgeneigt war, wie er vorgab. „Ich glaube, mein Plan ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass du mit mir zusammenarbeiten müsstest. Darauf vertrauen, dass ich dich nicht wirklich verrate. Ich glaube, dir fehlt einfach dieses Vertrauen in mich.“
„Ich vertraue dir“, erwiderte Moriarty, aber es klang, als wolle er noch etwas sagen. Als er das nicht tat, übernahm Sebastian es für ihn:
„Du vertraust mir, stimmt. Du arbeitest zumindest daran, mir zu vertrauen. Aber nur solange, wie du die Kontrolle hast, nur solange, wie du weißt, dass das einzige, für das ich zuständig bin, das ist, der Mann mit der Waffe hinter dir zu sein. Du vertraust mir nicht genug, als dass du nicht befürchten würdest, dass ich dich verrate, wenn ich die Chance bekomme.“
„Du hattest diese Chance bereits“, widersprach Moriarty. Es klang auf seltsame Weise wie ein Argument für Moriarty, nicht für Sebastian – als wolle er sich selbst von seiner Entscheidung, auf Sebastian zu setzen, überzeugen.
Sebastian verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. „Ich war dir in jeder Situation noch immer unterlegen oder zumindest auf dich angewiesen. Du befürchtest, dass ich dir in den Rücken falle, sobald das nicht mehr so ist.“
„Du vermutest da ziemlich viele Dinge, die du nicht mit Gewissheit wissen kannst.“ Moriarty lächelte schmallippig. Er hatte das Sushi von sich geschoben, nachdem Sebastian mit der Erklärung seines Plans begonnen hatte und jetzt nahm er die Stäbchen wieder in die Hand und pflückte es systematisch auseinander, als bräuchte er etwas zu tun.
Sebastian beobachtete ihn kurz dabei, riss sich dann aber von dem Anblick des massakrierten Essens los. „Es sind Vermutungen, ja. Aber ich glaube, dass sie stimmen.“
Moriarty legte die Stäbchen wieder ab und schob den Pappteller endgültig von sich – offenbar war ihm der Appetit vergangen. „Sie stimmen“, gab er überraschend zu, sodass Sebastian kurz blinzelte und zeitgleich etwas wie Stolz, dass er Moriarty richtig gelesen hatte, und Unsicherheit fühlte, weil er nicht wusste, was es für ihn bedeutete, wenn Moriarty ihm misstraute – es konnte immerhin nichts Gutes sein. „Ich misstraue jedem, Sebastian. Dir, Medea, Cherrie, meiner Familie, einfach jedem. Manchen misstraue ich nur weniger als anderen.“ Dieses Mal war er es, der sich an einem schiefen Grinsen versuchte. „Nenn mir einen Grund, wieso ich dir in dieser Sache vertrauen sollte, Sebastian. Einen, der nichts damit zu tun hat, dass nicht viele andere Optionen bleiben.“
Sebastian öffnete den Mund, schloss ihn dann aber schnell wieder und biss sich auf die Zunge, ehe er mit etwas herausplatzte, das nicht vollständig durchdacht war, das nicht reichen würde, um Moriarty von sich zu überzeugen. Moriarty gab ihm eine Chance, also wollte er sie so gut wie möglich für sich nutzen.
„Ich habe dir von Namir erzählt“, fing er schließlich langsam an. „Der Mann, der Charlie getötet hat und wegen dem ich diese Narben auf meinem Rücken trage.“ Es war noch immer ein seltsames Gefühl – Moriartys intensiver Blick, der ihn bis zu seinem kleinsten Atom zu durchleuchten schien. Sebastian ging auf, dass es sich so anfühlte, wenn er Moriartys vollständige Aufmerksamkeit hatte. „Ich habe dir erzählt, dass er gestorben ist. Ich denke, du weißt bereits, dass ich ihn getötet habe.“ Moriarty nickte kaum wahrnehmbar. Sebastian fuhr sich durch die Haare und bemerkte dabei, dass er vergessen hatte, die unangezündete Zigarette von vorhin hinter seinem Ohr hervorzunehmen. Er nahm sie zwischen zwei Finger und rollte sie hin und her. „Ich habe ihn gejagt, bis ich den richtigen Moment gekommen sah. Erst dann habe ich ihn getötet. Es hat Monate gedauert.“ Er fühlte den rauen Stoff von Namirs verschwitztem Hemd in seinen Händen, hörte Namirs gequältes Stöhnen und sein Flehen, spürte, wie an ihm gezerrt wurde, wie jemand ihn zurückzerren wollte. Spürte die warmen Blutspritzer auf seinem Gesicht, als er den Abzug betätigte. Die Zigarette zerbrach zwischen seinen Fingern und Sebastian schloss seine Augen – nur für zwei Sekunden – und sah dann wieder zu Moriarty, der seinen Blick nicht ein einziges Mal abwandte. „Ich handle vielleicht manchmal … impulsiv. Und ich gehe Risiken ein, das stimmt. Aber ich bin gut darin, den richtigen Moment abzuschätzen. Und das hier ist der richtige Moment. Je länger wir brauchen, um die Verräter zu finden, umso mehr Schaden werden sie anrichten. Und jetzt gerade weiß niemand, wo du bist. Jedenfalls wollen wir das hoffen. Das heißt, diejenigen, die dich suchen, können gerade wirklich gut jedwede Information gebrauchen. Was wiederum heißt, dass sie verzweifelt genug sind, in eine Falle zu tappen. Was der Erfolgsrate meines Planes zugute kommen dürfte.“
Moriarty stützte sein Kinn auf seine Hand und schloss einen Moment die Augen, wobei seine Lider flatterten und er leicht die Lippen spitzte. Er schien nachzudenken. Sebastian wagte aus irgendeinem Grund kaum, zu atmen.
„Gut, ich gehe auf deinen Plan ein“, sagte Moriarty schließlich, eine Ewigkeit später, und er schlug die Augen wieder auf – es überraschte Sebastian jedes Mal aufs Neue, wie dunkel sie waren, und wie leer. Auf Moriartys Worten hin wollte sich ein zufriedenes Lächeln auf Sebastians Lippen schleichen, aber er hielt sich zurück. Triumph war kein Gefühl, mit dem er Moriartys Vertrauen gewinnen könnte. Stattdessen nickte er Moriarty nur kurz zu und versuchte so etwas wie Dankbarkeit für diese Chance zu übermitteln. Moriarty hob warnend einen Finger. „Wenn das hier funktionieren soll, darf allerdings niemand – und ich wiederhole: niemand – davon erfahren. Wenn irgendjemand meine wahre Identität herausbekommt, ist alles vorbei, verstehst du, Sebastian? Und ich würde das alles hier für nichts auf der Welt aufgeben.“
„Das wirst du auch nicht. Und ich helfe dir dabei, den Rest deines Reiches zurückzubekommen.“
Moriarty nickte langsam. „Sag mir nur eines: Wieso solltest du mir überhaupt helfen wollen?“
Sebastian zögerte mit der Antwort, selbst unsicher, wieso er sich so bereitwillig in Gefahr begab. Es war nicht so, als würde er eine Verpflichtung gegenüber Moriarty empfinden, immerhin hatte er schon weitaus mehr getan als das, das auf seinem Arbeitsvertrag stand. Es war nur … Sebastian war gut in alledem. Jedenfalls war er das früher immer gewesen. Und er war gern gut in Dingen.
„Andere Frage“, unterbrach Moriarty seine Überlegungen. „Wieso hast du Namir getötet?“
Auch dieses Mal wollte Sebastian nicht sofort eine Antwort über die Lippen, obwohl es doch eindeutig sein sollte: Namir hatte Charlie getötet und ihn selbst verunstaltet. Namir hatte ihn hilflos erlebt und Sebastian hasste dieses Gefühl bis heute. Nichts war schlimmer als dass er sich damals nicht hatte wehren können. Nichts war schlimmer als die Erinnerung an seine Hände, die nach seinem Gewehr, nach seiner Waffe, nach Charlie tasteten, und nur durch Luft fuhren. „Aus Rache?“, schlug Sebastian schließlich vor, hörte aber den verunsicherten Ton selbst heraus.
Moriarty betrachtete ihn noch einen Moment länger, dann wandte er sich wieder seinem Handy zu. „Das glaube ich nicht. Aber ich denke, ich beginne den wahren Grund zu verstehen.“
<>
Hello guys. Been a long time.
Ich schäme mich schon ein bisschen dafür, dass ich mich jetzt erst melde :')
Tut mir wirklich leid :(
Ich hoffe, ihr habt noch eine Ahnung, was in dieser Geschichte überhaupt abgeht - falls nicht, ist es definitiv okay, zu fragen. Wenn ich euch etwas schuldig bin, dann kurze Zusammenfassungen ':)
Und ich meine, ich musste mich auch erst einmal hineinleisen, bevor ich weiterschreiben konnte xD
Aber hoffentlich geht es jetzt weiter voran und ich komme regelmäßig zu Updates. So sehr ich diese Geschichte liebe, es wird langsam Zeit, sie zu beenden (in Word, wo ich sie schreibe; ihr Lieben hier auf Wattpad habt noch relativ viele Kapitel vor euch ':D )
Anyway, ich hoffe, ihr gebt diesem Buch und mir weiterhin eine Chance. Ich wünsche euch eine schöne restliche Woche - worauf könnt ihr euch denn derzeit so freuen? ^^
Love you,
Tatze.
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