Tag 64 ~Vormittag
Mit gefalteten Händen betrachtete Thoran Fae, die gerade die verschiedenen Unterlagen auf seinem Tisch ausbreitete. Sie trug eine schwarze Hose und ein elegantes, mitternachtsblaues Top, mit einem weiten Ausschnitt. Gewagt, aber nicht unpassend. Und verdammt, Thoran wusste nicht ob es ihre Absicht war, aber wie sie da die Farbentwürfe auf seinem Tisch ausbreitete, blieb sein Blick nur an ihren Brüsten hängen, die beinahe provokativ direkt auf Augenhöhe vor ihm hingen.
„Thoran?", fragte sie und er presste kurz die Augen zusammen und lächelte sie dann wieder an. Sie war gut darin, gut in diesem kalten, anonymen Spielchen, dass sie spielten. Zumindest empfand er es so. Sie behandelte ihn wie eine Autoritätsperson, die sie kaum kannte und sie war gut. Unwillkürlich fragte er sich, was sie noch alles gespielt hatte. War ihr Lachen echt gewesen? Ihre Witze, ihre heißen Blicke? Was hatte sie alles so gemeint und was war Farce gewesen?
Das hier war ihre zweite Arbeitswoche und dank ihres guten Heilungsprozesses, hatte sie das Krankenhaus schnell verlassen können und lebte jetzt in einem Hotel, zumindest solange, bis sie eine Wohnung hatte und sich damit noch weiter von ihm distanzieren würde.
„Die Farben sind elegant und passen gut zur Firma, nur muss das Thema wirklich 50 Shades of Grey sein? Kann es nicht irgendwie... farbig sein?"
Fae lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schlug ein Bein über das andere. Provokativ. „Was schlägst du vor?"
„Mitternachtsblau," erwiderte er wie aus der Pistole geschossen und räusperte sich kurz darauf, versuchte seinen Blick von ihrem Top zu heben, doch immer wieder senkte er den Kopf und sein Herz klopfte schneller. Merkte sie, was er gerade durchmachte? Dass er mit einem gehörigen Ständer zu kämpfen hatte, nur weil er sie ansah? „Dunkel kann es ja bleiben, aber halt blau, dass beinahe in schwarz mündet, so etwas in die Richtung. Verführerisch, wunderschön." Sprach er noch immer von der Firma? „Oder so in die Richtung," fügte er lächelnd hinzu.
Sie zog eine Augenbraue hoch und richtete sich wieder auf. Sie nahm ihn nicht ernst, oder besser, sie nahm ihn genauso ernst, wie ein Erwachsener die Drohungen eines kleines Kindes. Gar nicht. Und sie hatte recht. Fae Gilbert hatte ein ganzes Team hinter sich stehen, ein Team, dessen größte Sorgen die Serifen in Times New Romans waren. Experten auf ihrem Gebiet. Was hatte er dabei schon zu sagen?
„War das alles?" Sie nahm ihre Entwürfe von seinem Tisch und ging zur Tür. Der Klang ihrer High Heels wurde vom Teppich fast vollständig verschluckt.
„Wie geht es dir, Fae?", platzte es ihm heraus und er sah, wie sie mitten in der Bewegung inne hielt, wie ihre Hand, die gerade dieTürschnalle ergreifen wollte, erstarrte. Langsam, bedacht drehte sie sich wieder um und sah ihn zum ersten Mal richtig an. Als Thoran ihr im Krankenhaus gesagt hatte, dass sie sich wahrscheinlich nie sehen würden, hatte er unwissentlich gelogen.
Thomas Flux, sein eigener Vater, hatte ein Meeting angeordnet, welches jeden dritten Tag anstand, wo die Fortschritte überprüft und weitere Vorgehensweise ermittelt wurden. Sie sahen sich jetzt oft, fast jeden Tag, seit einer Woche schon und trotzdem blieben sie immer distanziert, bis jetzt. Ihr erstes Treffen hatte für ihn rein aus Schmerz bestanden und er hatte kein Wort herausbekommen. Genauso wenig wie sie. Beide hatten sie nur auf die ersten Entwürfe gestarrt, ehe sie sich geräuspert hatte. Und dann zögerlich, mit gebrochener Stimme zu sprechen begonnen hatte.
Sie ging wieder zurück auf ihren Platz und schluckte. Er wollte wirklich mit ihr reden. Der Schmerz, den sie zu unterdrücken pflegte, war wieder so präsent wie am ersten Tag und sie fuhr sich über die Stirn. „Meine Fäden werden übermorgen gezogen, ich brauche da einen Tag frei."
Er legte seine Hände seitlich von sich auf den Tisch. „Ich habe gefragt, wie es dir geht, Fae."
Thoran beobachtete, wie ihre Hände an ihre Seite glitten, dort wo ihre Narbe war und er versuchte ihre Gesichtsregung zu lesen, doch umsonst, sie versteckte sie hinter einer kalten Maske.
„I-ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir gut geht," sagte sie schnell und begutachtete ihre Hände. Erst dann sah sie auf. „Und dir?"
„Natalia hat sich wieder gemeldet." Auch er wich der Frage aus, denn die Wahrheit war nur, dass es ihm genauso ging wie ihm, oder zumindest glaubte er das. In ihren Augen flackerte es kurz und sie sah schnell wieder auf den Boden. War sie eifersüchtig? Neugierig? Er würde es so gerne wissen, doch hatte er das Recht dazu verloren, als er gegangen war. „Anscheinend glaubt sie, ich habe noch immer nicht von meiner Lektion gelernt."
Sie lächelte leicht und in diesem Lächeln war so viel. Ein Friedensangebot, eine Chance, eine einfache Gelegenheit alles besser zu machen. Sie fingen wieder bei null an, auch wenn es für die beiden nie etwas wie einfachen Smalltalk gegeben hat. Auch wenn sie beide Fehler gemacht hatten.
„Ich habe eine Wohnung gefunden," sagte Fae und lächelte ihn unter Tränen an, die sie mit einer Bewegung über das Gesicht wegwischte und zog ein Kärtchen aus der Tasche. Warum ihr jetzt die Tränen kamen war ihr nicht ganz klar, aber sie unterdrückte sie mehr oder weniger erfolgreich. „In drei Tagen ist eine kleine Einweihungsfeier. Also eigentlich kommen nur Nick und Alistair und seine Frau, Ruby. Und die können auch nicht lange bleiben, weil Ruby ja schwanger ist. Also im Endeffekt wird es ein gemütlicher Fernsehabend mit Nick. Da steht die Adresse drauf."
Und damit stand sie auf und ließ die kleine Karte da. Es stand weder ein Name drauf, nur eine Adresse.
East Side Manhattan Brokerage
38 East 61st Street
New York
Es war ein Friedensangebot, eine Chance, eine einfache Gelegenheit alles besser zu machen. Und es war so viel mehr. Es war eine Entschuldigung, eine einfache Entscheidung zwischen einem Neuanfang und einem endgültigen Abschluss.
Immer wieder las er die Adresse durch und knüllte sie dann zu einer Papierkugel zusammen, ehe er sie zielgenau in den Mistkübel warf.
Thoran Flux brauchte diesen Zettel nicht mehr, denn die Adresse hatte sich in sein Hirn gebrannt.
Er würde sie nicht mehr vergessen. Nie mehr.
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