Kapitel 9: Rückschläge


Liebes Tagebuch,
kennst du das, wenn dein Leben gerade richtig gut läuft und du das Gefühl hast zu fliegen? Nein? Ich auch nicht. Denn immer wenn es mir gerade gut geht und ich "abhebe" werde ich von meinem Schicksal wieder zurück auf den Boden gezogen. 
Bei mir wurden wieder neue Entzündungen in meinen Kniegelenken festgestellt, und eine Überlastung am linken Daumen. Ich gebe zu, ganz überraschend kam das ganze nicht, denn so wirklich gut geht es mir schon lange nicht mehr. Morgens gehe ich gar nicht mehr aus dem Haus ohne vorher eine Schmerztablette zu nehmen.
Gut laufen, dass konnte ich in meinem Leben vielleicht insgesamt sieben oder acht Jahre, was erschreckend ist, denn das ist etwas weniger als die Hälfte meines Lebens. Dazwischen hatte ich immer Rückschläge. Ich musste mir schon tausend Mal vom Arzt anhören was als nächstes passiert, dabei ist es doch immer das Selbe: erst eine Punktion bei der, meistens in Vollnarkose, die Entzündungsflüssigkeit aus dem Gelenk raus und Cortison rein gespritzt wird. Das bedeutet für mich mindestens eine Woche Krankenhaus, eher zwei. Danach ein neues Medikament, ein neues Schmerzmittel oder ein Basismedikament, dass die Entzündung hemmt, oder beides. Und dann lebt man seinen Alltag wieder so vor sich hin und wartet auf den nächsten Rückschlag. Etwas mehr als zwei Jahre habe ich gewartet. Das ist die längste Zeit, in der es mir am Stück "gut" ging. Zwei Jahre war ich nicht länger als ein paar Stunden zur Kontrolle im Krankenhaus, zwei Jahre habe ich kein Basismedikament genommen, zwei Jahre hatte ich keine Schmerzen. Fast, denn wie gesagt habe ich mich schon seit über einem halben Jahr nicht mehr wohl gefühlt. Zwei Jahre können so lang sein. Man kann von der Mittelstufe in die Oberstufe kommen, man kann so viele Urlaube in Städten verbringen und den ganzen Tag rumlaufen, man kann ein neues Hobby anfangen, nur um es dann wieder aufzugeben, weil die Schmerzen wieder da sind. Und zwei Jahre können auch verdammt kurz sein. Zu kurz um richtig Luft zu holen, um Schwung zu holen und Fahrt aufzunehmen. Und dann passiert es eines Tages. Man wacht morgens auf und hat Schmerzen. "Das wird schon nicht so schlimm sein" denkt man "sicher nur Muskelkater". Aber eigentlich weiß man es besser, schließlich ist dieser Schmerz schon fast dein ganzes Leben dein ständiger Begleiter. Und wenn du nicht mehr nur einmal in der Woche mit Schmerzen aufstehst, sondern jeden Tag,  die "bei- Bedarf -nehme- ich-sie" Tablette eigentlich zum täglichen Begleiter geworden ist und du nach zwei Stunden Klausur deinen Daumen nicht mehr bewegen kannst, dann weißt du das die Zeit um ist. Wieder und wieder, Mal für Mal, immer das Gleiche. Und trotzdem will man es jedes Mal nicht wahr haben. Solange es der Arzt noch nicht als "dringend notwendig" einstuft, lässt du dich nicht punktieren. Und dann ist er irgendwann da, der Tag an dem der nächste Rückschlag durch die Ritzen unter der Tür hindurch quillt und sich nicht mehr aussperren lässt. Wo der Arzt dir sagt, dass du zwar selber entscheiden musst ob du ins Krankenhaus willst, aber es eigentlich notwendig ist. 
Jetzt, wo ich älter bin darf ich das selbst entscheiden, aber ist das wirklich das Beste? Ich will nicht ins Krankenhaus, zu schön waren diese zwei Jahre. Ich habe die Wahl. In einer anderen Klinik könnte ich die Punktion vielleicht ambulant machen, so wie früher immer, denkt man sich. Vielleicht, ist das möglich. Vielleicht muss ich dann nicht ins Krankenhaus und vier Stunden meiner Leistungskurse pro Woche verpassen. Vielleicht...aber vielleicht sagen sie auch nein in dem anderen Krankenhaus. Und so bleibt diese Wahl, die Qual der Wahl, die eine ganz neue Bedeutung bekommt. Ich weiß nicht wie ich mich entscheiden werde und wann ich es tue. Aber irgendwann muss ich es wohl. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top