Kapitel 8: Tiefpunkte

Liebes Tagebuch,
ich frage mich, ob ich meinen persönlichen Tiefpunkt erreicht habe. 
Es ist kurz vor drei, ich fahre in strömendem Regen mit dem Fahrrad nach Hause. Gut, es ist vielleicht nicht das Schlimmste im Regen mit dem Fahrrad zufahren, aber von der Schule nach Hause zu fahren, von dem Ort wo man gerade seine beste Freundin angeschrien hat, weil sie dir gesagt hat das du sie nervst, ist vielleicht nicht das beste. Und ehrlich gesagt war der Tag danach auch für mich gelaufen. Nach einer kurzen Heulattacke (einer von vielen in letzter Zeit), habe ich schon wieder dieses ohrenbetäubende Piepsen im Ohr. Trotzdem, obwohl ich unfassbar sauer auf meine beste Freundin bin, hat sie doch irgendwie recht.  Ich nerve, denn ich rede die ganze Zeit nur von der bescheuerten Englisch Klausur die wir Morgen schreiben. Ja, ich rede davon, denn ich hab Angst. Angst zu wenig gelernt zu haben, Angst nicht das Richtige zu machen, Angst die Aufgabe nicht zu verstehen, Angst auf einmal gar nichts mehr zu wissen und vor einem leeren Blatt zu sitzen. Ich habe Angst, aber ich kann sie nicht abschalten. Und ich frage mich, ob  in dem Moment, in dem ich beschloss meine Freundin zurück anzumotzen, eine Freundschaft zerbrochen ist, eine Freundschaft auf die ich sonst immer bauen konnte. Ja, ich hab Angst,so bescheuert viel Angst. Angst davor, dass mein Charakter so furchtbar ist, dass keiner mehr etwas mit mir zu tun haben will, dass ich alleine bin, ohne Freunde, ohne Irgendwen, das ich am Ende nichts mehr habe. Nur von einem hab ich zu viel -Angst. Ich hab so beschissen viel Angst davor, wie mein Arzt Termin morgen Nachmittag ausgehen wird, Angst davor das die Ärzte sagen ich muss wieder ins Krankenhaus. Ich hab Angst, dass meine Krankheiten wieder schlimmer werden oder das neue dazu kommen. 
Ja, ich frage mich, ob ich meinen Tiefpunkt erreicht habe, aber das denke ich bestimmt schon zum tausendsten Mal und ich denke auch nicht zum ersten Mal daran, wie es wäre einfach nicht mehr da zu sein. Würde mich jemand vermissen? Würden sie um mich trauern? Ich weiß es nicht und ich verwerfe diesen Gedanken auch immer ganz schnell wieder, denn selbst davor hab ich Angst. Ich hab Angst davor aus dem Fenster zu springen oder zu viele Tabletten zu schlucken. Aber das ist wohl ausnahmsweise mal etwas wovor jeder Angst hat oder? Aber ich hab trotzdem so beschissen viel Angst.  Ich hab Angst im Dunkeln, Angst vor Spinnen und vor Wespen, Angst mit dem Flugzeug abzustürzen, Angst Opfer eines Terroranschlages zu werden. Ja ich hab Angst. Meine Freunde sagen mir immer ich brauche mehr Selbstvertrauen, mehr Selbstbewusstsein, ich muss mir mehr zutrauen. Nur von einem hab ich zu viel- Angst. 
Und ich hab am meisten Angst davor, dass mir diese Angst alles kaputt macht. Während meine Freundinnen über die neue Serie bei Netflix reden oder sich über Hausaufgaben beschweren, habe ich Angst. Ich habe einfach nur Angst, dass ich irgendwann alleine bin, dass mich niemand mehr mag, dass ich nicht mehr mit den anderen über so banale Dinge wie Serien und Hausaufgaben reden kann.
Mein Leben ist halbwegs normal, sagen immer alle. Aber ist es das wirklich? All diese Angst, wird die sich irgendwann auflösen? Ich weiß es nicht, denn ich kann nicht in die Zukunft schauen, aber wenn ich es könnte würde ich es machen, aber vielleicht hätte ich dann auch zu viel Angst davor. 
Und während ich mich so frage ob ich meinen Tiefpunkt erreicht habe, frage ich mich auch, ob die anderen gar keine Angst haben. Keine Angst davor nicht genug gelernt zu haben, keine Angst die Aufgabe nicht zu verstehen oder nichts mehr zu wissen. Keine Angst davor alleine zu sein, keine Angst davor, dass keiner mehr mit einem spricht. Und während ich da sitze und mich frage ob ich meinen Tiefpunkt erreicht habe stelle ich fest, dass wohl jeder mal solche Angst hat wie ich, mal mehr mal weniger, denke ich. Und dann ist es umso wichtiger, das ich für sie da bin und mit ihnen über Serien und Hausaufgaben rede. Und nicht über Angst, denn die hat schon zu viel Platz in meinem Leben eingenommen. 

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