Kapitel 37
Ich hatte meine Mutter erst einmal gesehen. Da war ich verletzt und verwirrt. Jetzt sehe ich sie erneut und ich bin wieder verletzt und verwirrt.
"Woran denkst du?", fragte mich Jason leise, als wir nebeneinander her gingen, auf dem Weg zu dem Büro seines Onkels.
"Das letzte Mal bin ich, wie von der Tarantel gestochen, aufgesprungen und wegerannt.", sagte ich nur und sah weiter gerade aus.
"Na dann machst du es jetzt eben besser.", rief Jasper von vorn über seine Schulter. Er lief vor uns und führte uns quasi.
"Ich verspreche nichts!", rief ich zurück und lachte leise. Dann kamen wir an und Jasper steiß schwungvoll die auf Hochglanz polierte Holztür auf und sicherte uns so einen dramatischen Auftritt.
"Mr. und Mrs. Miller: Hier sind sie.", erklärte Jasper, verbeugte sich feierlich, worauf hin ich lachte und Jason nur genervt die Augen verdrehte. Dann erhob er sich, drehte sich um und ging. Zum Abschied klopfte er Jason noch einmal auf die Schulter und zwinkerte mir verführerisch zu. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, hatte das etwas Endgültiges.
"Catheriné.", hauchte meine Mutter und ich wandte meinen Blick zu ihr. Sie saß in einem Sessel, der etwas weiter im Raum stand. Mir war die kleine Sitzgruppe noch nie wirklich aufgefallen, doch jetzt erhob sich meine Mutter und stellte ihr Glas Tee vor ihr auf den zur Sitzgruppe gehörigen Tisch. Nun hatte ich das erste Mal so richtig Zeit, sie genauer zu betrachten. Sie war groß und schlank, trug schwarz, aber ohne emo-mäßig oder wie ein Agent zu wirken, vielmehr ließ es sie elegant erscheinen. Ihre Haare hatten immer noch den hellbraunen Ton mit dem leichten Rotstich, doch sie waren etwas kürzer. Offenbar hatte sie sie abgeschnitten. Ihre Augen, die den meinen so ähnlich sahen, blickten mich an und ich fragte mich zum ersten Mal in meinem Leben, wie mein Vater wohl ausgesehen haben mochte.
"Hi.", antwortete ich schließlich und dass ich ihr tatsächlich antwortete, ohne schnippig zu werden, entlockte ihr ein erleichtertes Lächeln.
"Wartet mal.", meldete sich plötzlich Jason zu Wort. "Jas hat gesagt, dass er sie hergebracht hat. Ich dachte, es ginge nur um Kate." Den letzten Teil stellte er an seine Tante und seinen Onkel.
"Das war ich.", sagte meine Mutter und lächelte auch ihn warm an. "Ich wollte mich bei dir bedanken. Dafür, dass du so gut auf sie aufpasst."
"Äh ja klar. Nichts zu danken.", sagte Jason wiegelte es ab. Da erhob sich das Direktorenpaar und Mr. Miller kam zu meiner Mutter und legte ihr eine Hand auf den Rücken. Die Geste hatte etwas Freundschaftliches, als er sich zu ihr hinunterbeugte.
"Wir gehen dann jetzt. Lasst euch alle Zeit der Welt. Unser Koch hat euch etwas zurecht gemacht. Es steht auf dem Tisch.", erklärte er und dann lief er mit seiner Frau auf seinen Neffen zu und zusammen verließen sie das Büro.
"Komm her und setzt dich, Catheriné.", sagte meine Mutter und setzte sich wieder in ihren Sessel. Ich folgte ihr und ließ mich ihr gegenüber auf einen Zweisitzer gleiten.
"Kate. Nenn mich Kate.", korrigierte ich und griff nach einem kleinen Sandwich.
"Aber so heißt du nicht, meine Liebe.", rechtfertigte sich meine Mutter und lächelte wieder.
"Doch, genau so ist mein Name." Ich blieb stur und meine Mutter ließ es auf sich beruhen, da sie einen Streit offenbar verhindern wollte.
"Nun. Mein Name ist Clarisse. Aber du kannst mich Clary nennen.", erzählte sie und griff wieder nach ihrem Tee. Na, wenigstens musste ich nicht Mom sagen, dachte ich und nickte nur.
"Okay. Schluss mit Small Talk. Ich habe Fragen.", sagte ich und schluckte den letzten Bissen Sandwich hinunter.
"Deshalb bin ich hier." Ich nickte wieder und überlegte, wo ich bloß anfangen sollte. Ich entschloss mich für den Anfang: meine Zeugung.
"War ich ein Wunschkind?", fragte ich und blickte Clary interessiert an. Doch diese brach plötzlich in schallendes Gelächter aus.
"Was ist?!"
"Du triffst deine Mutter nach fast 17 Jahren zum ersten Mal wieder, nachdem du auf eine fremde Schule geschickt und mehrmals angegriffen wurdest und das erste was du fragst ist, ob du ein Wunschkind bist?" Lachend wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
"Ja wo würdest du denn anfangen?!", fauchte ich und nahm automatisch Abwehrhaltung ein. Clary kicherte immernoch, nickte aber.
"Pass auf, ich erzähle dir die Geschichte. Also, als junge Frau - ich war 23 vielleicht - traf ich bei einem Einsatz auf deinen Vater. Er war groß und sportlich und verdammt clever. Ich hatte zu tun, um mit ihm mitzuhalten und sein Charme, mit dem er mir ganz schön zu schaffen machte, erleichterte mir die Sache auch nicht gerade. Ich wollte besser sein als er, verdammt, ich musste besser sein als er."
"Warum?", unterbrach ich sie.
"Weil er derjenige war, gegen den wir vorgingen.", erklärte sie. Ich schluckte und starrte sie mit großen Augen an.
"Und jetzt keine Unterbrechungen mehr!", keifte sie und fuhr fort.
"Als meine Kollegen merkten, dass ich ihm gefiel, wollten sie mich als Köder benutzen. Ich steckte in der Zwickmühle, denn an dem Punkt merkte ich, dass er mir gefiel und dass er mir gegenüber nichts Böses wollte. Hätte er mich töten wollen, hätte er mehr als genug Gelegenheiten dazu gehabt, glaub mir. Er arbeitete für den Iniuria-Zirkel, der schon viele Jahre vor uns gegen uns vorging. Schließlich jedoch ging ich schweren Herzens meiner Arbeit nach und stellte ihm die Falle. Ich muss zugeben, der Moment, in dem ihm klar wurde, dass ich doch tatsächlich mal besser war als er, war wirklich grandios! Doch schon im nächsten Moment hatte ich ein schlechtes Gewissen. Etwas was tödlich für Spione sein kann. Und ich sollte es am eigenen Leib erfahren.
Bei Nacht schlich ich mich zu ihm und erklärte ihm alles. Auch er erzählte mir vom Zirkel und dass er aussteigen wollte. Wir liebten uns und-"
"Clary!", rief ich und war kurz davor ein Sandwich nach meiner Mutter zu werfen.
"Ach jetzt hab dich doch nicht so!", sagte sie und winkte mit einer Hand ab. "Wo war ich? Achja: Wir liebten uns nach langem Hin und her kamen wir alle zu dem Schluss ihm zu helfen. Wir täuschten seinen Tod vor und änderten unsere Identitäten. Ich reiste mit deinem Vater quer durch's Land und naja dann wurdest du geboren. Um deine Frage von vorhin zu beantworten: Du warst nicht direkt ein Wunschkind. Es passierte plötzlich, aber als wir es dann wussten, waren wir glücklicher denn je. In einer kleinen Klinik in Plymouth gebar ich dich und als wir dich so im Arm hielten, kamen wir zu dem Schluss, dass diese Welt - unsere Welt - kein sicherer Ort für dich ist. Wir waren hin und hergerissen, wollten dich eigentlich nicht hergeben, doch als ich eines Abends mit dir allein zuhause war, überfielen uns unbekannte Männer. Wir kämpften miteinander und ich versteckte dich im Küchenschrank. Als sie gingen, war ich in meinem Entschluss gestärkt. Dein Vater kam wieder und als er unsere verwüstete Wohnung sah, wusste auch er, dass wir dich weggeben mussten. Denn diese Männer suchten ihn. Der Iniuria-Zirkel will deinen Vater zurück. Einmal Mitglied, immer Mitglied, bis zum Tod und darüber hinaus. Du bist das Kind deines Vaters und somit automatisch ihnen zugesprochen. Wir gaben dich zur Pflege frei und brachen jeglichen Kontakt ab. Gott, Catheriné, du warst noch so klein." Meine Mutter kam um den Tisch auf mich zu und kniete sich vor mich. Eine Hand legte sie an meine Wange und ich meine darüber.
"Wir reisten zu zweit weiter. Aber wir sind deine Eltern und hielten es nicht aus nicht zu wissen, wo du warst. Also suchten wir dich und seit jeher kamen wir einmal im Jahr zum gleichen Tag zurück zu deinen Pflegeeltern und folgten dir einen Tag lang. Danach änderten wir unsere Identitäten und verschwanden wieder. Aber an diesem einen Tag, waren wir fast wieder eine Familie. An deinem Geburtstag. Doch letztes Jahr entlarvte man uns und wir wurden angegriffen. Wir flohen und trennten uns. Durch Zufall sah ich einen Mord des Zirkels mit an, er tötete einen amerikanischen Senator. Sie entdeckten mich und als ihnen bewusst wurde, dass es einen Zeugen gab, jagten sie mich. Sie wissen eigentlich nichts von dir, aber sicherheitshalber wollte ich dich hier wissen, in Sicherheit. Ich wollte, dass du lernst, dich zu verteidigen und dass du bemerkst, wenn dich jemand observiert. Ich mahlte mir aus, dass sie dich hier nicht finden, doch-"
"Die Angreifer aus dem Wald. Die Typen auf dem Dach.", hauchte ich und blickte Clary in ihre Augen. Sie nickte.
"Ja, Spione vom Iniuria-Zirkel. Sie sind hinter dir her."
"Und was jetzt?", fragte ich, plötzlich in Panik. Meine Mutter erhob sich und zog mich auch mit auf die Beine. Zusammen gingen wir auf die Tür des Büros und traten schließlich auf den Flur.
"Sei stark, Catheriné! Stark und sei klug. Bleibe vorerst hier und rede mit niemanden, dem du nicht vertraust, hört du?" Ich nickte brav.
"Deshalb hast du mich also ins Zeugenschutzprogramm gesteckt.", flüsterte ich.
"Wenn du es so nennen willst, ja.", lachte meine Mutter und küsste mich schließlich auf die Stirn. Mr. Miller kam um die Ecke und Jason folgte ihm. Kurz überlegte ich, ob er zugehört hatte, aber wurde dann von Clary wieder aus meinen Gedanken gerissen.
"Ich muss jetzt gehen. Ich werde dir schreiben, meine Liebe.", verabschiedete sie sich und dann ging sie, zusammen mit Mr. Miller und zum ersten Mal sah ich mehr in dieser Frau, die für mich nur diejenige war, die mich hierher geschleppt hatte. Ich sah meine Mutter in ihr.
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