Kapitel 35
Als ich wieder aufwachte, blinzelte ich wieder in das grelle Neonlicht unseres Krankenflügels. Und wieder hing ich an Schläuchen und wieder sah ich Mr. Miller vor mir.
"Mr. Miller.", flüsterte ich. Er kam bedrohlich näher und stützte sich auf das Geländer am Ende meines Bettes. Unwillkürlich zog ich meine Deck bis zum Kinn. Jetzt blühte mir Ärger.
"Ich hatte gesagt keine Dummheiten.", sagte er in einem ziemlich ruhigem Ton. Ich schluckte. Das bedeutete er war richtig wütend. Als Ausenstehender hätte man wahrscheinlich gedacht, er ermahnte mich nur, aber die Tatsache, dass seine grauen Augen immer dunkler wurden, machte deutlich, dass er mir bei nur einem falschen Wort den Kopf abriss. Deshalb schwieg ich.
"Ich habe dir deine Freunde an die Seite gestellt. Ich habe dir Jason an die Seite gestellt. Als deine Beschützer. Weil das der einzige Weg war, damit du auch an den außerschulischen Übungen teil nehmen kannst. Aber das ist jetzt vorbei!", zischte er. Aber ich schwieg immer noch. Irgendetwas sagte mir, dass er noch nicht fertig war.
"Und wenn du es wagst, dich auch nur einmal, für eine Sekunde, ja wenn du auch nur daran denkst, dich ohne Aufsicht irgendwo hinzubegeben, dann schwöre ich dir, Kate, kette ich dich an mich heran und dann werde ich höchstpersönlich für deine Sicherheit sorgen, kapiert?!", blaffte er und er durchbohrte mich mit seinem Blick. Ich nickte stumm und völlig perplex.
"Ich habe dich etwas gefragt, Catheriné!"
"J-Ja.", hauchte ich und spannte mich unbewusst an. Mr. Miller richtete sich wieder auf und sah mich noch einmal kurz an, ehe er sich zum Gehen wandte. Kurz vor der Tür blieb er stehen und drehte sich noch einmal um.
"Und übrigens bist du zur Strafarbeit eingeteilt. Melde dich am Wochenende in der Küche." Und dann ging er und ich sank erschöpft in meine Kissen zurück.
Stimmen weckten mich das nächste Mal. Es war dunkel im Zimmer und ich lag von den Sprechenden abgewandt. Ich erkannte Mrs. Miller, welche gerade sprach.
"Das arme Mädchen. Wie kam es dazu, dass sie plötzlich da oben war?", fragte sie und klang sehr niedergeschlagen.
"Ich weiß es nicht, Sandra. Elyas war mit ihr da oben, vielleicht weiß er mehr.", hörte ich eine zweite, männliche Stimme. Jason! Erschrocken riss ich meine Augen auf und starrte stumm in das Dunkel vor mir.
"Er wird befragt werden. Alle werden befragt werden.", murmelte seine Tante.
"Hast du das Überwachungsvideo inzwischen?", fragte er und ich runzelte kurz die Stirn. Überwachungsvideo?
"Ich dürfte es morgen erhalten. Das arme Mädchen. Wir haben ihrer Mutter versprochen, dass sie hier sicher ist.", sagte Mrs. Miller und ich konnte förmlich sehen, wie sie sich die Hände bestürzt vor den Mund schlug.
"Wieso sicher? Wusstet ihr denn schon vorher, dass sie in Gefahr ist?", fragte Jason plötzlich, wohl etwas schärfer als beabsichtigt. Während ich in Mrs. Miller's Worten nichts Verdächtiges herausgehört hatte, hatte er sofort die tiefere Bedeutung bemerkt.
"Nun ja.", druckste seine Tante herum. "In etwa", antwortete sie vage.
"Sandra!", zischte er plötzlich und ich spürte durch das Dunkel schon fast die Itensität seines drohenden Blickes, den er seiner Tante zuwarf.
"Das ist nichts, was du wissen müsstest. Es geht dich nichts an, Jason. Ich werde jetzt gehen, und das solltest du auch tun! Kate braucht ihren Schlaf.", tadelte sie und in der nächsten Sekunde hörte ich die Tür zuschlagen. Sie war bestimmt hammermäßig abgerauscht. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Doch dann erinnerte ich mich an Jason, der ja noch immer hier im Zimmer war und versuchte sofort, ruhig zu werden. Aber ich konnte ihn nicht täuschen. Nicht eine Minute lang.
Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Hüfte. "Ich weiß, dass du wach bist, Katie.", flüsterte er an meinem Ohr. Erschrocken zuckte ich zusammen. Mein Herz machte einen Satz und schlug dann doppelt so schnell weiter. Ich drehte meinen Kopf leicht und sah, dass er sich von der anderen Seite über mich drüber gebeugt hatte. Schelmisch grinste er mich an.
"Was hat mich verraten?", fragte ich leise und rollte mich ganz herum.
"Deine Atmung und einmal bist du zusammen gezuckt. Du hast Glück, dass meine Tante so aufgewühlt war, sie hätte es sonst bestimmt auch bemerkt.", sagte er und richtete sich wieder auf. Auch ich rutschte etwas zurück und lehnte mich aufrecht gegen das Kopfgeländer meines Krankenbettes. Die Decke zog ich mir bis zum Kinn hoch, als wäre sie eine Schutzmauer.
"Warum bist du hier?", hauchte ich und starrte ihm leicht verängstigt in die Augen. Er war bestimmt sauer.
"Ich hatte eigentlich vor dich zu wecken, bin aber dann auf meine Tante gestoßen.", erklärte er und sah mich nur an. Noch immer zeigte sich keine Regung in seinem Gesicht.
"Wieso?", flüsterte ich jetzt noch leiser. Ich fürchtete mich vor der Antwort.
"Weil", setzte er an und kam langsam und bedächtig auf mich zu. "ich dir deinen kleinen, verdammten Arsch aufreißen wollte. Was zur Hölle hast du dir bei dieser Aktion gedacht? Hast du dir überhaupt etwas gedacht?!" Jetzt war er an meinem Bett und sah auf mich herab.
"Dein Onkel hat schon -", stammelte ich und versuchte so, ihn irgendwie zum Schweigen zu bringen, doch er gab mir mit einer schneidenden Handbewegung zu verstehen, still zu sein.
"Mein Onkel und ich sind zwei Paar Schuhe, Süße.", sagte er. Ich schluckte hörbar.
"Du hast nicht einmal Bescheid gesagt, dass du verschwindest. Du hast nicht auf mich gehört, als ich dir sagte, du solltest warten. Du bist einfach auf dieses Dach marschiert, völlig planlos." Jetzt beugte er sich runter zu mir und stützte seine Hände einmal an das hohe, breite Kopfgeländer ab und einmal auf dem Bett neben mir. Kaum merklich rutschte ich wieder etwas tiefer und zog die Decke noch etwas höher. Mit großen Augen starrte ich ihn an.
"Du hast dich nicht verhalten, wie die Agenten zu der du ausgebildet wirst. Du hast nichts von dem Gebrauch gemacht, was du hier schon alles gelernt hast, welche Bildung du hier schon genossen hast. Du hast nur um Hilfe geschrien und gehofft, ich würde kommen und dich retten. Du hast dich aufgeführt, wie eine kleine, zickige Göre aus einer reichen, teuren Privatschule von der Ostküste Englands! " Sein Gesicht kam meinem ganz nah und ich wollte nicht länger in seine stechend eisblauen Augen sehen. Meine Handflächen kribbelten und ich spürte, wie die Angst mir allmählich die Kehle zuschnürte.
"Aber das bist du nicht.", zischte er und lehnte sich weiter zu mir. Ich drückte mich ängstlich gegen das Bettgeländer und kam mir vor wie ein Kaninchen, was vor der Schlange kauerte, völlig in die Ecke getrieben.
"Und ich warne dich Kate, wenn du noch einmal so eine Aktion startest, wenn du dich auf einer Übungsmission auch nur eine Sekunde ohne Begleitung und Schutz irgendwohin begibst, dann schwöre ich dir, wirst du danach nicht mehr in der Lage sein, auch nur noch an so eine dämlich Aktion zu denken, kapiert?" Er starrte mir wütend ins Gesicht und als er fertig war mit seiner Standpauke, oder eher Drohung, linste er kurz zu meiner Decke hinunter, welche ich völlig verängstigt und geschockt umklammert hielt.
"Dann kann dich auch nichts mehr vor mir schützen. Und schon gar nicht eine Decke.", zischte er und packte mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung meine Decke und riss sie mit einem Ruck von mir weg. Selbst wenn ich darauf vorbereitet gewesen wäre und mich mit aller Kraft daran geklammert hätte, so hätte ich die Decke nicht bei mir behalten können. Jetzt fühlte ich mich ziemlich nackt. Ich drückte mich noch mehr von ihm weg und zog die Hände und Beine an meine Brust. Ich fühlte mich klein und verletzlich.
Jason jedoch besaß die Dreistigkeit und stützte sich mit einem Knie sogar noch auf das Bett, sodass er jetzt fast auf mir lag.
"Halt dich daran, kleine Kate, und dir wird nichts passieren.", flüsterte er und jetzt sah ich den Schalk in seinen Augen aufleuchten. Grinsend stieß er sich ab und stand jetzt aufrecht an meinem Bettrand.
"Ich würde dann sehr gern weiterschlafen.", murmelte ich eingeschüchtert. Ich wollte ihn jetzt eigentlich nur noch los werden. Jason lachte leise. Schnell packte er mit der einen Hand meinen Oberarm, mit der anderen meinen Oberschenkel und schneller, als ich gucken konnte, zog er mich vom Bett und ich stand aufrecht und leicht schwanked vor ihm.
"Du kannst dich jetzt wieder hinlegen und deinen kleinen Schock verdauen, oder du kommst mit mir und wir finden heraus, wovon meine Tante gerade gesprochen hat. Also, was sagst du?" Oh, das war verlockend und ich biss mir unschlüssig auf die Lippen.
"Okay, gehen wir.", murmelte ich und Jasons Augen leuchteten auf. Bevor er losging, glitt sein Blick noch über meinen Körper. "Wird dir nicht kalt?" Auch ich sah an mir herunter. Ich trug nur ein dunkles weites Shirt und eine Hotpen-Jogginghose mit Sneakersocken dazu.
"Egal.", flüsterte ich und Jason zog mich nickend aus dem Raum. Wie gut, dass Madame Triffey schon schlief. Wir liefen durch das Schloss und schon bald wusste ich nicht mehr, wo wir waren. Jason nahm einige Geheimgänge und ehe ich mich versah, steckten wir beide in einem dunklen, schmalen Gang, der verstaubt war und bestimmt der Lieblingsplatz sämtlicher Spinnen.
"Jason", murmelte ich, doch er schob mich unerbittlich weiter.
"Still!", zischte er, als wir weiter liefen. Er packte mich an der Hüfte und führte mich völlig blind durch den Tunnel. Ich bin mir sicher, dass er ihn in- und auswendig kannte.
"Gleich da.", hauchte er in mein Ohr und ich spürte, wie sich eine Gänsehaut ausbreitete, als sein Atem auf meinen Hals trat.
Plötzlich hörten wir Stimmen. Gedämpft und leise zwar, aber dennoch Stimmen. Wir liefen noch ein Stück und schließlich blieb er stehen. Wortlos drückte er mich runter und so hockten wir beide vor der Wand. Ich schlang die Arme um meine Brust und zitterte leicht. Hier - quasi in den Mauern des Schlosses - war es wirklich kalt.
Jason tastete kurz an der Wand und fand schließlich einen Knopf, an dem etwas befestigt war. Er beugte sich zu mir und sprach mir direkt ins Ohr.
"Jetzt kein Wort, oder sie hören dich.", warnte er und ich nickte nur. Dann löste er das etwas von dem Knopf und ich sah, wie sich eine graue Decke löste. Vor uns kam eine kleine hölzerne Tür zum Vorschein. Jason schob sich sanft auf und mit mir an der Hand schlüpften wir in den Raum dahinter.
Es war eng. Gott, es war wirklich eng. Ich drückte meine Nase in seine Brust, als er die Tür hinter mir leise zuschob. Und er schaffte es wirklich dabei keinen Mucks zu machen.
Wir befanden und in einer kleinen hölzernen Kammer und Jason presste sein Auge an die Ritzen der Platten der einen Seite. Nach kurzem Zögern tat ich es ihm gleich und ich konnte ein Teil von Mr. Millers Büro ausmachen. Es waren die Millers anwesend und sie diskutierten gerade mit Ms. Haydn und Mr. Crown.
"Vielleicht sollten wir sie wegschicken. Wir können nicht mehr für ihre Sicherheit garantieren.", schlug Ms. Haydn vor und alle im Raum schwiegen. Ich war mir zu 100% sicher, dass sie über mich sprachen.
"Ich glaube nicht. Hier ist sie am sichersten. Es ist die beste Idee. Sie hat kaum Kontakt zur Außenwelt und ihre Mutter bleibt über ihren Zustand und ihren Fortschritt auf dem Laufenden.", sagte Mr. Crown.
"Ich weiß nicht.", murmelte Mr. Miller.
"Cal, denk doch nur, wohin das Programm das Mädchen sonst hinschicken würde.", sagte seine Frau mit trauriger Stimme.
"Aber wenn es für sie von Vorteil ist?", bekundete Ms. Haydn. Mrs. Miller wandte sich mit glühenden Blick an unsere Anstandsdame.
"Petunia bitte. Was sollten wir ihr sagen? Sie wusste bis vor kurzen noch nicht einmal, dass sie bei Pflegeeltern gelebt hat, dass ihre Mutter Agentin ist, hergott, sie wusste ja noch nicht mal, dass sie in Gefahr schwebt, geschweige denn im Zeugenschutzprogramm ist!", herrschte die Direktorin sie an.
Doch ich sog scharf die Luft ein und zuckte zurück. "Zeu-", setzte ich an, doch Jason fuhr sofort herum zu mir. Er sah mir eindringlich in die Augen, doch jetzt hatte ich das Wort angefangen und mein Mund bewegte sich von ganz allein, um es jetzt auch ganz auszusprechen. "Zeugen-", setzte ich erneut an und das war der Moment, in dem Jason sich zu mir lehnte, mich packte und stürmisch seine Lippen auf meine legte.
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