Kapitel 2
zwei Monate später
Ich saß gerade in dem schwarzen Wagen der zwei Agenten-Bodyguard-Typen auf dem Weg zu meiner neuen Schule. Oder besser gesagt: meinem neuen Internat.
Meine Schule lag in der Nähe von Penzance, einem kleinen Städtchen an der Landzunge/Halbinsel/Spitze im Südwesten Englands, dem Land's End. Vier Autostunden von Plymouth und nochmals drei Autostunden von Luke und meinen Eltern und meiner gesamten Kindheit entfernt.
Ich war dankbar für die letzten zwei Monate. Ich hatte Zeit, mich zu verabschieden. Luke erzählte ich alles. Da bildete er aber auch die Ausnahme. Ich hatte ihm eingeschärft mit niemandem darüber zu reden und niemandem zu sagen, dass er es wusste.
Meinen Eltern dankte ich für all die Zeit und versicherte ihnen, dass sie immer meine Eltern bleiben würden, egal was auch passieren würde. Meine Freunde schmissen eine Abschiedsparty für mich - ich lies sie in dem Glauben, dass ich auf ein gewöhnliches Internat gehen würde - und betrank mich. Luke musste mich nach Hause schaffen und wir schliefen zusammen in meinem Bett. Als wir aufwachten, sahen wir uns an und lachten dann beide gleichzeitig los. Ich fragte ihn, warum wir nie zusammen gekommen sind und er strich mir nur liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sagte: "Ich kenne dich seit mehr als 10 Jahren. Ich habe alles gesehen, alles erlebt und alles gehört. Ich glaube, dass wenn man, so wie wir, alle pubertären Phasen als Freunde miteinander durchlebt, kann man sich nicht mehr ineinander verlieben. Aber du sollst wissen, dass du meine beste Freundin bist und ich dich trotzdem liebe. Vielleicht nicht auf die Weise, aber dennoch auf genau so eine intensive Art. Und damit das klar ist, Kate: Ich will, dass du irgendwann mit deinen Kindern neben mir wohnst, damit unsere Kinder auch beste Freunde werden, so wie wir, also wenn du nicht irgendwann mal wieder kommst, trete ich dir in deinen Arsch!"
Daraufhin musste ich wieder weinen und er nahm mich einfach nur stumm in den Arm. Zum Abschied schenkte er mir ein selbstgeflochtenes Armband. Es war aus braunem Leder und roter Wolle. Ich fand es sehr schön und gab Luke dafür einen Kuss auf die Wange.
Ich weinte viel in den letzten zwei Monaten und auch jetzt hier in diesem Auto - meinem Henkerswagen - drohten mir die Tränen aus den Augen zu schießen. Schnell blinzelte ich und wischte mir über die Wangen.
"Sie sehen genau so aus wie Ihre Mutter.", sagte Harvey (Charles und Harvey sind die zwei Agenten-Bodyguard-Typen) von vorn. Durch den Rückspiegel beobachtete er mich. Sie waren nett. Nett aber distanziert. Und leider unbestechlich. Ich hatte wirklich alles versucht, aber diese verdammten Idioten nahmen ihren Job sehr, sehr ernst. Auch wenn das hieß, eine zickige 16jährige durch England zu fahren.
"Es sind Ihre Haare.", fügte Charles hinzu.
"Schön, dann werde ich sie abschneiden.", sagte ich schnippisch und sah wieder aus dem Fenster. Im Glas erhaschte ich einen Blick auf mein Spiegelbild. Ich hatte braune, lange Locken. Meistens trug ich sie in einem Zopf, da sie so störrisch waren. Nervig. Ich hatte ein schmales Gesicht, mit großen, grün-braunen Augen. Ganz normal. Von der Statur her bin ich eher zart gebaut. Muskeln habe ich nicht viele. Luke hat mir mit 13 gezeigt, wie ich so zuschlagen muss, dass ich auch mit wenig Armmuskeln was erreichen kann. Ich glaube mittlerweile bereute er das. Wenn ich ihn jetzt gegen die Schulter boxe und dabei gut ziele, heult er rum wie ein Baby. Bei dem Gedanken musste ich lächeln.
"Ihre Haare können sie vielleicht abschneiden, Miss Hathaway, aber gegen Ihr Temperament können Sie nichts machen. Und das haben Sie zweifellos von Ihrer Mutter.", lachte Harvey und riss mich damit wieder aus meinen Gedanken.
"Meine Mutter sitzt zu Hause und backt wahrscheinlich gerade einen Kuchen, während sie Whitney Houston Songs schmettert.", sagte ich und darauf waren beide stumm.
Als wir nach drei Stunden eisigen Schweigens endlich ankamen, war ich einfach nur noch müde. Wir fuhren durch ein großes schwarzes, schmiedeeiserenes Tor, welches inmitten von drei Meter hohen, sandsteinfarbenen Mauern eingelassen war. Es war schon dunkel und deshalb konnte ich durch die getönten Scheiben nicht viel erkennen. Ich wusste nur, dass vor uns ein gewaltiges Schloss aufragte und wir nochmal zwei Minuten fuhren, ehe wir an den Garagen ankamen. Charles hielt mir sogar die Tür auf, aber ich konnte ihm nur dankend zulächeln. Für ein 'Danke' war ich einfach zu erschöpft. Wir liefen über gepflasterte Wege zu einer Seitentür des Schlosses. Drinnen traf man auf eine bizarre Vermischung von neu und alt. Es sah komisch aus, ein so altes Schloss mit moderner Technik zu sehen.
"Hier entlang.", sagte Harvey und wir marschierten über Treppen und Gänge bis hin zu der Tür des Direktors und der Direktorin. Ja, anscheinend gab es hier gleich zwei headteacher, die das Sagen hatten. Charles klopfte an.
"Herein", hörten wir eine herrische Stimme und wir betraten das Büro des Direktorengespanns. An einem Schreibtisch, der direkt gegenüber der Tür stand, saß ein älterer Mann. Er sah knallhart aus und hatte etwas von militärischer Strenge. Eine Frau stand an einem der großen Bogenfenster. Sie war wunderschön mit ihren langen blonden Haaren und dem freundlichen Gesicht.
"Das ist Catheriné Alienor Hatha-", setzte Harvey an, doch ich unterbrach ihn.
"Kate!", zischte ich. Harvey sah mich irritiert an, korrigierte sich aber.
"Kate Hathaway."
"Watson!", wieder fiel ich ihm ins Wort. "Mein Name ist Watson."
"Der Ihrer Pflegeeltern ist Watson. Ihr Geburtsname ist Hathaway.", stellte der knallharte Militärstyp klar und erhob sich. Er kam um den Tisch herum, lehnte sich gegen die Stuhllehne, des davor stehenden Stuhls und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich musste mich beherrschen, um nicht zurück zu weichen.
"Dieses Mädchen hat vor zwei Monaten erst von ihrem Geburtsnamen erfahren, Cal.", mahnte die Blondine und gesellte sich zu uns.
"Mein Name ist Sandra Miller. Und dieser ungehobelte Flegel ohne Manieren ist mein Mann Callum. Hattest du eine angenehme Fahrt, meine Liebe?", fragte sie und lächelte warm. Auf Anhieb war sie mir sympathisch und ich lächelte automatisch zurück.
"Ich bin etwas müde.", gestand ich. Just in dem Moment knurrte mein Magen. "Und offensichtlich auch hungrig.", fügte ich verlegen hinzu.
"Keine Sorge, Kate. Es wird nicht lange dauern, dann kannst du noch etwas essen und zu Bett gehen.", versicherte sie mir und ging zu einem Schrank. Währenddessen nahm ihr Mann das Wort wieder auf.
"Sie können gehen. Ich danke Ihnen, dass Sie das Mädchen her gebracht haben.", sagte Mr. Miller an meine Bodyguard-Typen-Freunde gewandt. Als sie sich zurückzogen, winkte ich ihnen zum Abschied und drehte mich wieder zu dem Miller-Paar um. Jetzt, ohne meine muskelbepackten Beschützer, fühlte ich mich unter Mr. Miller's Blick ziemlich klein und verletzlich.
"Hier, das ist deine Schuluniform.", sagte Mrs. Miller und gab mir ein dunkelblaues Set. "Wenn die Größe nicht passt, gebe ich dir morgen früh ein neues, okay?" Ich nickte.
"Ich will dich hier nicht lange aufhalten, Kate, aber du sollst wissen, dass das hier kein Zuckerschlecken wird. Im Gegensatz zu den anderen Schülern in der Obersekunda wirst du keine Vorkenntnisse haben. Die gilt es aufzuholen. Immerhin musst du am Ende des Jahres eine Prüfung zu bestehen.", sagte Mr. Miller.
"Obersekunda?", fragte ich ratlos und sah hilfesuchend zu seiner Frau.
"Das erklären wir dir morgen früh.", sagte sie aufmunternd.
"Du hast Glück, dass deine Mutter so eine berühmte und einflussreiche Frau in dieser Branche ist. Diese Ausnahme machen wir hier nicht für jeden. An diese Akademie kommen nur die klügsten Köpfe, das wirst du bald noch merken.", schmetterte mir Callum Miller an den Kopf. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten.
"Ich habe nicht darum gebeten!", fauchte ich und sofort verdunkelte sich sein Blick. Seine Frau schob sich zwischen uns. Mir entging der Blick nicht, den sie Mr. Miller zu warf.
"Komm, Kate. Lass uns nachsehen, ob in der Küche noch was zu essen da ist und dann zeige ich dir dein Zimmer.", sagte sie und zog mich schon aus dem Raum. Ich starrte Mr. Miller noch finster an, bevor ich mich abwandte. Und während ich mit Sandra Miller durch die Gänge zur Küche lief, schlich sich ein Gedanke in meinen Kopf. Wenn ich einfach genug Scheiße baute, würden sie mich rausschmeißen. Dann mussten sie mich rausschmeißen und ich wäre wieder bei Luke und meiner backenden Mutter und meinem Rasen-mähenden Vater zu Hause.
Ich grinste, als ich von Mrs. Miller durch das Schloss gezogen wurde.
Der Koch - ebenfalls ein muskelbepackter Typ (wahrscheinlich können mich hier alle mit dem kleinen Finger umlegen, Flucht ist da also schon mal ausgeschlossen) - zauberte mir ein himmlisches Abendessen und deshalb lief ich nun völlig gesättigt mit Mrs. Miller an meiner Seite zu den Schlafzimmern der Mädchen. Sie öffnete eine große Tür und dahinter kam ein großer Raum zum Vorschein.
"Der Aufenthaltsraum.", informierte mich Mrs. Miller.
Wir liefen weiter. Es gab einige lange Gänge mit vielen Türen. Sie jedoch steuerte auf eine steinerne Treppe zu.
"Du hast dein Zimmer in der zweiten Etage. Dein Gepäck wurde schon hergebracht.", sagte sie und marschierte an den Türen (hier waren es deutlich weniger) auf eines der hinteren zu. Davor stand mein Koffer. Sie klopfte dreimal energisch.
Kurz drauf wurde die Tür geöffnet und ich blickte ind drei Mädchen-Gesichter.
"Mrs. Miller!", rief das erste, was die Tür geöffnet hatte.
"Guten Abend, Ladys. Bitte, lasst und kurz herein kommen.", sagte sie und schon standen wir in dem großen, geräumigen Zimmer.
"Christal, Amanda, Jessy. Das hier ist eure neue Mitbewohnerin Kate. Sie wird ab morgen mit euch in die Obersekunda gehen. Ich denke, ich brauche euch nicht zu fragen, ob ihr Kate unter die Arme greift?", sagte Mrs. Miller und sah sie alle drei liebevoll streng an. Alle drei grinsten und nickten.
"Nun gut. Kate, bitte komme morgen nach dem Frühstück zu uns ins Büro. Dort werden wir dir alles weitere erklären.", rief Mrs. Miller mir noch zu, bevor sie die Tür hinter sich zu schlug.
Ich drehte mich um und sah meine Mitbewohner an.
"Du siehst ziemlich fertig aus.", sagte Amanda. Sie hatte schwarze lange Haare und etwas dunklere Haut. Aber ihre Augen waren freundlich und ihr Grinsen ansteckend.
"Ja bin ich auch.", gestand ich und lächelte verlegen.
"Dann belagern wir dich am besten nicht weiter.", lachte Christal. "Du schläfst da" Sie zeigte auf ein frisch bezogenes Bett, was unter dem Fenster an der Wand stand. Ich sah mich weiter genauer um. Wir konnten eine Leiter hoch klettern und saßen dann auf einer geraden Fläche. Das musste daran liegen, dass das Schloss hier so komisch gebaut war. Christal bemerkte meinen Blick.
"Cool, oder? Wir sind das einzige Zimmer, das sowas hat. Wirklich praktisch.", Christal lächelte mich an. Sie hatte einen kurzen rotblonden Bob und einige Sommersprossen im Gesicht. Außerdem trug sie eine schwarze große Brille. Sie stand ihr.
"Los kommt. Morgen wird ein harter Tag.", sagte Jessy und warf sich auf ihr Bett. Sie hatte blonde gewellte Haare und strahlend blaue Augen. Die Kerle mussten ihr scharenweise nachlaufen.
Alle legten sich in ihr Bett und auch ich kramte nur schnell mein Schlafzeug und meine Waschtasche raus, wusch mich und zog mich um. Dann schmiss auch ich mich aufs Bett und Christal löschte das Licht.
Augenblicklich schlief ich ein. Morgen würde ein langer Tag werden.
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