Kapitel 16

Jason's POV

Geschockt starrte ich ihr hinterher. Sie hatte mir einfach so eine verpasst. Eiskalt. Was zur Hölle war nur los mit ihr?

Ich sah Cal auf uns zu kommen, sah wie er mit ihr redete und wie sie ihn ignorierte, sah seinen verständnislosen Blick.

"Was ist passiert?", fragte er mich. Ich verdrehte die Augen und seufzte entnervt.

"Sie hat ihr dummes Armband verloren. Ihr Armband!", schnaubte ich und schüttelte ungläubig den Kopf.

"Ja, aber seid ihr verletzt?", fragte Cal.
Ich schüttelte den Kopf und fing an auf und ab zu laufen.

"Was ist jetzt, Cal? Ich meine, ich kann nichts dafür, dass sie eine Kurzschlussreaktion hatte und sich in den Ärmelkanal stürzt! Ich habe dir gesagt, dass diese Partner-Trainings-Sache eine schlechte Idee ist, ich habe es dir gesagt!"

"Du hättest sie aufhalten sollen, Jason.", tadelte mich mein Onkel.

"Ist das dein Ernst?!", rief ich aufgebracht. "Ich habe es ja versucht, Cal! Aber reden bringt da nichts. Hast du doch gesehen, sie ist einfach so in das Meer gesprungen!"

Callum Miller sah mich eine Weile stumm an, ehe er mir auf die Schulter klopte und sagte: "Wir sollten zurück gehen, ehe ihr euch noch erkältet." Ergeben nickte ich und so liefen wir über den Strand und die Promenade zum Marktplatz, wo wir uns treffen sollten.

"Wir haben 0 Punkte bekommen, oder?", fragte ich nach einer Weile.

"Nein. Das Ergebnis hattet ihr ja. Ich denke ein paar Punkte könnte ich noch rausschlagen."

"Du weißt dass ein paar Punkte nicht mein Ziel, geschweige denn mein Können sind.", murmelte ich. "Und ich glaube Kate's auch nicht.", fügte ich widerstrebend hinzu.

"Ich weiß, Jason. Ich weiß.", erwiderte Mr. Miller resigniert.

Beim Marktplatz stiegen wir alle schnell in das Fahrzeug ein. Man warf und komische Blicke zu, weil wir klatschnass waren. Kate zitterte und hatte schon leicht bläuliche Lippen, bemerkte es aber offenbar gar nicht. Stattdessen drückte sie ihr Armband an die Brust.

Bei der Schule stiegen wir alle aus, zogen uns um und gingen essen. Unterwegs erzählte ich meinen Freunden alles.

"Die Kleine überrascht mich immer wieder.", lachte Jasper und schüttelte ungläubig den Kopf.

"Das wird bestimmt noch lustig mit ihr.", stimmte auch Sam zu.

Kate fehlte während des Essens. Wahscheinlich war sie im Kranknflügel oder schlief oder so. Ich verdrängte es und aß.

Nach dem Essen lief ich mit Jasper gerade die Gänge zu Cal's Büro entlang.

"Was denkst du, was er von dir will?", fragte Jasper und sah mich von der Seite an. Ich zuckte die Schultern.

"Bestimmt noch was wegen heute Nachmittag.", sagte ich und seufzte.

"Wenn die Kleine dir deine Abschlussnote versaut, birngst du sie um, richtig?", lachte Jasper schadenfroh. Unwillkürlich musste ich grinsen. Dann verabschiedete er sich und lief den Flur weiter, während ich zum Direktoriat ging.

Bei dem Direktorenbüro klopfte ich und trat danach ein, ohne auf Cal's Aufforderung zu warten.

"Was gibt's?", rief ich, als ich sah, dass Kate auch anwesend war. Sie stand neben einem der Sessel und hatte die Arme um sich geschlungen. Verwirrt schaute ich sofort zu meinem Onkel.

"Schön, dass du auch da bist, Jason. Dann können wir ja anfangen.", sagte Cal und lehnte sich etwas über den Tisch.

"Ich möchte euch eine zweite Stadtübung anbieten. Eine Art Nachhol-Termin.", eröffnete er. Dann sah er von mir zu Kate und wieder zu mir zuück.

"Zu zweit?", fragte Kate schließlich zaghaft.

"Ja zu zweit. Es wird so ablaufen wie die eigentlich Übung."

"Ohne mich!", sagte ich sofort. "Ich werde keine Übung noch einmal mit ihr machen."

"Gleichfalls!", fauchte Kate augenblicklich.

"Entweder ihr macht die Übung zu zweit oder gar nicht!", erwiderte Callum. Er stand auf und stützte sich mit den Händen auf dem Tisch ab. "Ich biete euch beiden hier eine einmalige Chance. In allen anderen Fällen hätte ich den Punktwert stehen gelassen, aber bei euch mache ich eine Ausnahme. Und zwar deshalb weil ich euch dazu verdonnert habe, miteinander zu trainieren und Partner zu sein. Ich hielt es für eine gute Idee. Ich halte es auch jetzt noch für eine gute Idee. Ihr müsst lernen, miteinander auszukommen."

"Ich habe es dir schon einmal gesagt: Du irrst dich!", entgegnete ich scharf. Neben mir hörte ich, wie Kate empört schnaubte.

"Ich will sowieso nicht hiersein!", rief sie schnippisch und als ich zu ihr sah, funkelte sie mich böse an. Ich starrte wütend zurück und wir lieferten uns ein Blickduell erster Klasse.

"Haltet die Klappe, alle beide!", schrie Callum. Wir unterbrachen unseren Fight und sahen zu ihm zurück.

"Jason, ich weiß ganz genau, dass du diese Punktzahl nicht da stehen haben willst, wo sie gerade steht! Und Kate, hör auf dich ständig zu beschweren, dass du hier bist. So ist es jetzt nun mal, also schluck's runter!", sagte er und sah von mir zu ihr.

"Ihr werdet jetzt diesen Raum verlassen und zwar ohne euch die Köpfe abzureißen und dann steht ihr morgen Abend pünktlich nach dem Essen hier vor meinem Büro, verstanden? Wenn ich auch nur einmal mitbekomme, dass ihr gegenüber dem anderen handgreiflich werdet, ihn beleidigt, ja sogar wenn ihr einander nur böse Blicke zuwerft, dann werdet ihr Strafarbeiten bis zum Rest des Schuljahres machen und zwar welche, bei denen euch Hören und Sehen vergeht, haben wir uns verstanden?"

Widerstrebend nickte ich und Kate tat es mir gleich. Dann drehte sie sich um und ging aus dem Raum. Nach ein paar Sekunden folgte ich ihr.

"Das ist alles deine Schuld, das weißt du, oder?", fragte ich sie draußen provozierend auf dem Gang. Sofort fuhr sie herum.

"Meine Schuld?!", schrie sie. "Wieso bist du mir überhaupt hinterhergerannt, hm?!"

Ich wollte gerade Luft holen, als mein Onkel "Was habe ich gesagt?" aus dem Büro schrie. Kate sah mich noch einen Moment voller Mordlust an, ehe sich herumwirbelte und davon rauschte.

Am Abend lag ich im Bett und starrte an die Decke. Warum war ich ihr hinterher gegangen? Warum habe ich mich mit ihr über die Brüstung gestürzt? Fragen über Fragen schwirrten mir im Kopf herum und ich wusste zu keiner einzigen eine Antwort.

Seufzend setzte ich mich auf und schwang mich aus dem Bett. Ich zog mich an und lief über die Korridore Richtung Dach. Wenn man wie ich zusätzlich zur Schulzeit auch noch die Ferien hier verbringt, dann kennt man irgendwann alle Winkel dieses Schlosses auswendig. Das Hierbleiben in den Ferien hatte eben auch sein Gutes. Zum Beispiel jetzt: Ich lief hinauf in die höchsten Dachböden. Dann kam ich auf das Dach. Es gab hier einige - vor allem auf den kleineren Türmen - Flachdächer. Diese konnte man als Art kleine Balkone nutzen. Aber dieser hier, wo ich gerade war, war der beste. Denn er war der höchste.

Manchmal saß ich hier und wartete auf den Sonnenaufgang oder genoss die Ruhe auf dem Schulgelände. Von hier oben konnte ich alles überblicken und musste nicht auf eine Rückendeckung vertrauen oder mich selbst ständing umsehen. Hier oben war ich der höchste und nicht zurückzublicken fühlte sich verdammt schön an.

Und während ich über die Landschaft blickte, sah ich sie. Kate.

Sie lief über den Rasen Richtung Tor und ab und zu sah sie über die Schulter. Wo sie wohl hinwollte?

Ehe ich mich versah, stand ich schon wieder in den Gängen und lief auf den Ausgang zu. Im Schatten der Bäume folgte ich ihr und immer wieder fragte ich mich, wo sie hinging.

Ich lief ihr bis nach Penzance nach, gute 30 Minuten musste man da laufen. Sie schlich durch die Gassen und Straßen bis sie an die Promenade kam. Über dem Strand waren von der Promenade kleine Stege ins Wasser hineingebaut. Sie waren ziemlich breit und nicht sehr lang. Auf ihnen standen ein paar Bänke und auf eine von ihnen steuerte sie zu. Ich versteckte mich derweile hinter der Ecke von Luigi's.

Ein Junge saß auf einer der Bänke und erhob sich, als sie näher kam. Sie standen ungefähr zehn Meter von mir entfernt, aber aufgrund des Windes und der Wellen hatte ich Mühe sie zu hören.

"Kates", begrüßte der Junge sie. Kate sagte nichts und warf sich stattdessen in seine Arme. Sie umarmten sich lange und innig, als ob sie sich ewig nicht gesehen hätten.

"Ich hab dich auch vermisst.", antwortete der Kerl, als Kate etwas in seine Brust murmelte. Dann schob er sie von sich und hielt sie ein Stück auf Abstand, um sie ansehen zu können.

"Und? Wie ist es so einen auf James Bond zu machen?", fragte er scherzhaft. Doch anstatt dass sie anfing zu lachen oder wenigstens zu lächeln, brach sie in Tränen aus. Sie schlug sich die Hände vors Gesicht und heulte was das Zeug hielt. Ihr zierlicher Körper erbebte unter ihren Schluchzern.

Der Junge nahm sie sofort wieder in den Arm und murmelte ihr beruhigend zu.

"Scht, Kate, ganz ruhig. Alles wird gut, hörst du?", sagte er und strich ihr über die Haare. "Was ist denn los, Süße?"

"Ich kann das einfach nicht länger, Luke. Ich will nach Hause kommen.", klagte sie und lies ihren Kopf mutlos herabhängen. Luke hob ihr Kinn an.

"Doch Kates, du kannst es. Und du wirst es. Und weißt du auch, wieso ich das weiß?", fragte er und Kate schüttelte - so gut es ging - den Kopf.

"Weil du stark bist.", sagte er nur.

"Bin ich nicht. Ich stehe hier und heule, nur weil ich ständig kämpfen muss und jedem im Weg stehe und -"

"Komm mit!", unterbrach er sie und zog sie mit zu den verspiegelten Fenstern des Luigi's.

"Sieh da hinein. Was siehst du?", fragte er.

"Dich. Mich.", antwortete sie.

"Ich sehe ein Mädchen, was unterschätzt wird. Von allen anderen und von sich selbst. Ein Mädchen, dass stark ist und clever und witzig und schlagfertig. Ein Mädchen, das eine Agentin wird und das auch durchzieht."

"Und ich sehe den besten Freund der Welt.", sagte sie und lächelte. Schließlich drehte sie sich zu ihm um.

"Woher willst du wissen, dass ich die Ausbildung durchziehe?"

"Ich weiß es, weil du ein schlechter Verlierer bist. Und der Moment, in dem du aufgibst, ist der Moment, in dem du jemand anderem gewinnen lässt.", sagte er und lächelte ebenfalls.

Sie unterhielten sich weiter, aber ich zog mich zurück. Ich wartete in einer Gasse, bis sie fertig war und an mir vorbei lief. Dann folgte ich ihr wieder in unauffälligem Abstand.

Als wir am Schloss ankamen, lief sie in ihr Zimmer und ich blieb im Gang stehen und sah ihr hinterher. Dieses Mädchen war so stark, aber gleichzeitig auch so schwach und ich fragte mich, wie sich diese zwei Gegensätze überhaupt miteinander verbinden ließen.

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