Kapitel 15
Nach ungefähr 10 Minuten Fahrt waren wir schon da. Jason und ich waren die dritten, die aus dem Wagen raus gelassen wurden. Schnell versteckten wir uns hinter ein paar Büschen, bis der Wagen weiter fuhr.
"Na dann los.", sagte Jason und öffnete unseren Umschlag. Wir hatten eine Omi wie aus dem Bilderbuch. Klein, mit Brille und kinnlangem, silbernen Haar.
"Elisabeth Grey. 74. Einwohner in Penzance. Wir sollen rauskriegen, wie lange sie mit ihrem bereits verstorbenen Mann verheiratet war.", las Jason vor.
"Das dürfte nicht so schwierig sein.", sagte ich und überlegte schon, wie wir vorgehen könnten.
"Wir müssen aber darauf achten, dass uns die Angestellten ihres Altersheims nicht sehen.", las Jason weiter. "Und wir müssen sie erst ein mal finden.", sagte er und klappte die Akte zu.
Die nächste halbe Stunde verbrachten wir damit, durch Penzance zu laufen, auf der Suche nach Elisabeth Grey. Als wir an einem kleinen Altersheim vorbei kamen, blieb ich stehen.
"Da ist sie bestimmt drin.", sagte ich und deutete auf das Gebäude.
"Ja und was schlägst du vor? Reinmarschieren können wir ja schlecht.", entgegnete Jason. Kurz musste ich lachen. Deswegen also durften die Angestellten uns nicht sehen. Mr. Miller wollte uns das hier nicht zu einfach machen.
"Komm, lass uns erst mal irgendwo hinsetzen.", schlug ich vor und wir setzten uns auf eine Parkbank. Hinter uns war ein kleiner Park, in dem auch einige Heimbewohner saßen und lachten.
"Wir können nicht einfach reingehen und sie suchen. Wir können aber auch nicht ohne die Anzahl der Jahre zurück gehen.", analysierte Jason unsere Situation.
"Scharf kombiniert, Sherlock.", sagte ich. Jason schnaubte nur empört.
"Ich schätze du bist nicht so der Typ, der schummelt?", fragte ich und sah ihn an.
"Was hast du vor?", fragte er misstrauisch. Ich grinste.
"Also entweder wir werden das hier los", sagte ich und deutete auf unsere Accessoires mit den kleinen Kameras, "oder wir raten die Zahl einfach."
"Wenn du deine Kette jetzt wegwirfst, sind wir draußen.", sagte Jason.
"Wer hat den was von wegwerfen gesagt? Ich bin sicher wir finden genug Mädchen, die so eine Kette schon immer wollten."
"Die Lehrer sind nicht bescheuert, Kate. Wir müssen uns was-", setzte er an, verstummte aber, als eine kleine Gruppe Damen aus dem Heim kam. Zwei Schwestern folgten ihnen und redeten vor der Tür mit ihnen.
Jason machte Anstalten aufzuspringen, aber ich zog ihn schnell wieder runter.
"Was machst du?", zischte ich.
"Die Pflege-Leute dürfen uns nicht sehen, schon vergessen?", zischte er zurück.
"Sie sehen uns ja auch gar nicht, denn sie beachten uns ja auch nicht. Aber wenn du jetzt wie von der Tarantel gestochen aufspringst und in den nächstbesten Busch hüpfst, dann werden sie dich sehen!"
"Ich hatte nicht vor in einen Busch zu springen", beschwerte er sich, doch ich ignorierte ihn und heftete meine Augen auf die 3 Frauen.
"Das da ist Elisabeth", sagte ich und deutete auf die mittlere Frau. "Komm, hängen wir uns ran."
Wir warteten kurz, bis die Frauen auf der Straße waren und folgten ihnen dann. Ich achtete nicht länger auf Jason, sondern darauf, die drei Omas nicht aus den Augen zu lassen. Immer wieder verlangsamte ich meine Schritte, damit ich mehr mit der Menschenmenge verschmolz. Ich blieb ab und zu stehen, sah mir etwas im Schaufenster an, bevor ich weiter ging. So erweckte ich den Eindruck einer ganz normalen Passantin und keiner angehenden Agentin.
Als sie sich in einem kleinen Café niederließen, lief ich ein Stück weiter und blieb schließlich stehen. Ich drehte mich um und suchte Jason. Wo zum Teufel war er?
"Suchst du mich?", ertönte da seine Stimme hinter mir. Erschrocken fuhr ich herum und starrte ihn mit geweiteten Augen an. Er lachte nur uns zog mich in das Café. Wir liesen uns an einem Tisch neben Elisabeth Grey und ihren Freundinnen nieder. Eine Bedienung kam zu uns und fragte, was wir bestellen wollten. Schnell suchten wir uns Getränke aus und widmeten uns wieder den älteren Damen zu unserer Rechten.
"Wie wollen wir jetzt diese Zahl rausbekommen?", fragte ich. Kurz sah Jason zu den Frauen und dann wieder zu mir. Dann stand er auf und zog mich mit. Er trat an ihren Tisch.
"Entschuldigung?", begann er und wartete, bis die 3 Damen uns ihre Aufmerksamkeit schenkten. "Mein Name ist Todd Anderson und das ist meine Freundin Marie Davis.", sagte er und legte einen Arm um mich. "Wir sind von der Welton Academy und müssen ein Projekt durchführen. Es geht um Partnerschaften."
Schnell sprang ich ihm zur Seite. "Wir müssen für Soziologie 100 Passantan befragen, ob sie in einer Beziehung sind oder verheiratet. Ob sie geschieden sind oder wie lange sie schon verheiratet oder in einer Beziehung sind. Daraus müssen wir dann Diagramme entwickeln. Würden Sie es uns erlauben, wenn wir Ihnen ein paar Fragen stellen?"
"Oh natürlich, Liebes.", sagte die eine Freundin von Elisabeth Grey. Schnell nahmen wir unsere Stühle und setzten uns zu ihnen.
"Okay. Fangen wir an. Sind sie alle verheiratet?", fragte ich.
Elisabeth sah uns an und lächelte. "Gewesen", sagte sie. "Unsere Erica hier hat ihren Mann an Krebs verloren und meiner ist letztes Jahr im September gestorben. Und Rosie-"
"Rosie war ganze fünf Mal verheiratet!", lachte Erica.
"Wirklich?", fragte Jason ungläubig nach. Rosie lachte.
"Ja und es war jedes Mal wieder auf's Neue ein schönes Erlebnis." Sie lächelte.
"Nun, wie lange waren Sie denn alle verheiratet?", fragte ich.
"Ich 48 Jahre.", sagte Erica. "Und unsere Elli hier ganze 54 Jahre!" Elisabeth Grey lächelte.
"Ich habe nach Ehemann Nummer 3 aufgehört zu zählen.", erzählte Rosie und alle drei Frauen begannen herzlich zu lachen.
Da hörten wir Mr. Millers Stimme in unseren Ohren: "Ergebnis erhalten. Beenden Sie in nächter Zeit das Gespräch und gehen Sie zum Marktplatz."
"Du hast da aber ein schönes Armband.", sagte Elisabeth plötzlich und deutete auf das Band, was Luke mir geschenkt hatte. Ich lächelte, machte es ab und reichte es ihr, damit sie es sich genauer ansehen konnte.
Sie reichten es herum und sahen es sich an, bis mich Jason plötzlich auf die Beine zog. Er deutete auf eine Schwester aus dem Altersheim was durch die Straßen lief. Schnell bedankten wir uns und gingen.
Auf halber Strecke zum Marktplatz blieb ich plötzlich stehen.
"Mein Armband!", rief ich, riss mich von Jason los und lief zurück.
"Kate! Kate, warte!", rief er mir hinterher und ich hörte, dass er mir nachsetzte.
Doch ich rannte und rannte mitten auf das Altersheim zu. Doch Jason bekam mich an der Schulter zu fassen und wirbelte mich herum.
"Kate!", schrie er mir ins Gesicht! "Du machst alles kaputt! Wenn du da jetzt rein rennst, sind wir draußen und bekommen 0 Punkte!" Doch statt einer Antwort riss ich mich los.
"Du verstehst das nicht", sagte ich. Ich riss mir die Kette über den Kopf und drückte sie Jason in die Hand. Dann drehte ich mich um und rannte weiter. Dieses Armband war von Luke und es bedeutete viel für mich. Ich verband damit meine Vergangenheit. Mein Leben als ganz normale Schülerin ohne die Gewissheit, dass die Personen bei mir zu Hause nur meine Pflegeeltern sind.
Als ich reinrannte, ertönte wieder Mr. Miller's Stimme in meinem Ohr: "Kate. Verlassen Sie sofort das Gebäude!" Ich fluchte und riss mir das Headset aus dem Ohr. Auf einem Sofa im Eingangsbereich sah ich die drei Damen sitzen.
"Entschuldigung? Haben Sie noch mein Armband?", fragte ich völlig außer Atem.
"Oh Liebes, ihr wart so schnell weg. Es tut uns leid, wir wollten es aber nicht liegen lassen.", entschuldigte sich Elisabeth und reichte mir mein Armband. Ich nickte und drehte mich ohne einen Abschiedsgruß um.
Draußen war von Jason keine Spur und ehrlich gesagt hatte ich keine Lust zum Marktplatz zu gehen. Wir waren draußen. Ich nahm mein Headset und steckte es probehalber in mein Ohr. Es ertönte ein durchegehendes Piepen. Verbindung abgebrochen.
Mutlos lief ich zum Pier. Dort stand ich am Geländer über dem Wasser. Mein Armband versuchte ich gerade mit einer Hand zu schließen, als mich ein kleines Kind anrempelte und mir das Band aus der Hand rutschte und ins Wasser fiel. Geschockt sah ich hinterher. Das darf doch nicht wahr sein! Mir schossen Tränen in die Augen. Jetzt war es weg. Luke würde mich umbringen.
Doch dann wischte ich mir die Tränen weg und kletterte über das Geländer.
"Kate!", rief eine Stimme hinter mir und gerade als ich halb auf der Brüstung stand, umfassten mich zwei Arme. Derjenige der mich umklammerte, sprang selbst und so fielen wir beide in das eiskalte Meer.
Japsend tauchte ich wieder auf. Neben mir schwamm Jason. Ich starrte ihn kurz verwirrt an, ehe ich mich umsah, auf der Suche nach meinem Armband.
Als ich es fand, schwamm ich schnell das Stück und umklammerte es mit meiner Hand.
"Komm, Kate", sagte Jason, packte mein Handgelenk und zog mich aus dem Wasser. Am Strand hustete ich und stützte mich auf meine Knie. Und dann sah ich zu Jason. Er starrte mich wütend an.
"Das alles wegen eines dämlichen Armbands?! Hast du sie nicht mehr alle?", schrie er. Ich stand nur da, das Armband an meine Brust gepresst.
"Du hättest dir auch einfach ein Neues kaufen können oder es ein ander Mal holen können.", tobte er weiter. "Wir sind jetzt draußen. Wir sind die Schlechtesten und das alles für ein Stücj beschissenes Leder!"
"Ehrlich Kate, du solltest dir das nächste Mal überlegen was wichtiger ist. Deine Note oder dieses dumme Band!" Und während er mich so anging, hob ich meine Hand und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Jason verstummte und hielt sich seine rote Wange.
Ich war sprachlos vor Wut. Ich wollte ihn anschreien, was er sich ja dachte. Wollte ihm erklären, dass mir dieses Band etwas bedeutete und wollte ihn fragen, ob er denn nichts hätte, was er nicht verlieren wollte. Stattdessen sah ich ihm in die Augen und sagte: "Ich würde mich wieder so entscheiden."
Dann ging ich an ihm vorbei. Ich lief über den kurzen Strand, über die Strandpromenade. Mr. Miller kam mir entgegen und fragte mich, ob alles okay sei und was passiert wäre, aber ich lief nur stumm an ihm vorbei. Das Armband immer noch an mich gepresst. Die Verbindung zu meinem früheren Leben, zu Luke, zu meinen Eltern.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top