𝑲𝒂𝒑𝒊𝒕𝒆𝒍 𝒛𝒆𝒉𝒏

-Nalan-

Es ist soweit. Heute ist der 14. März. Absolut jeder weiss, was heute ist. Und wahrscheinlich läuft sogar an den Arbeitsstellen der Fernseher. Es wurde bereits morgens auf jeglichen Bildschirmen der Stadt verkündet, dass die jeweiligen Vertreter von Lumin, Greenhave und Aquadise nun Aria Ashoak, William Harvell und Carol Brown sind. Und da es offensichtlich war, ist auch schon die Rede von einem Ball, den Aria angeblich veranstalten soll. Sie musste sich ziemlich sicher gewesen sein, zu gewinnen, wenn eine halbe Stunde nach dem ganzen die Leute schon ihre Einladungen zu zeigen beginnen. Zugegeben war es klar, dass sie gewinnen wird. Ich habe heute Morgen schon von mehreren gesehen, dass sie eine Einladung bekommen haben. Hauptsächlich bekannte und reiche Personen, viele unter ihnen sind Influencer, Schauspieler oder Sänger, aber auch mehrere Journalisten sind angeblich eingeladen.



Archie spaziert zu mir rüber und stützt sich auf meinem PC ab. „Schau Mal dein Postfach an." Meint er mit einer Kopfbewegung gegen meinen Monitor. Seufzend aktualisiere ich die Seite. Ja, ich hinterfrage nichts mehr, was Arch mir sagt. Er würde es mir eh nicht sagen und mich als hirnverbrannt betiteln, weil ich nicht einfach selbst schaue, obwohl ich die Möglichkeit habe.

Ein neuer Brief.

Weitergeleitet von Mrs. Yarber.

„Will die alte etwa schon wieder Journalistenleistung?" Ich verziehe genervt das Gesicht. Ich mag sowas einfach nicht. Vor allem, weil es nachher meine Schuld ist, falls es nicht gut ankommt oder sonst etwas passiert. Bedauerlicherweise - richtig, ich finde es Schade - ist bisher alles ausgezeichnet gewesen, wenn ich Laurens Job übernommen habe. So langsam fühle ich mich wie Arch, ich bin für jeglichen Krimskrams zuständig, der mich kein bisschen interessiert. Archie wippt mit dem Kopf hin und her. „Nicht wirklich. Na ja, ich habe die zweite Einladung gekriegt. Aber wir können es uns einfach machen, ein zwei Sachen notieren und den Rest dann einfach neu recherchieren, wir können es uns gutgehen lassen." Meint er schulterzuckend. Als ich realisiere, dass es um den Ball geht - um was auch sonst, naives Ding - verziehe ich das Gesicht. Ich habe keine Lust auf eingebildete Leute, die denken, sie wären irgendwie auserwählt oder einfach besser. Andererseits wusste ich auch nicht, dass Archie da hin wollen würde. „Du hast ja mal gewaltige Lust auf einen schicken Ball." Erwidere ich nur überrascht und gehe auf den anderen Brief, der reingekommen ist.

Absender: Aria Ashoak

Betreff: Einladung

Ich lache auf. Archie blickt überrascht auf den Monitor. „Noch eine geheime Beziehung?" Ich verziehe ein zweites Mal das Gesicht.

„Vielleicht hat sie durch das Internet gescrollt und nach Leuten gesucht, die ihr ähnlich sehen." Daraufhin schneide ich eine noch tiefere Grimasse. Ich bin heute in Grimassenstimmung. „So ähnlich sehen wir nicht aus." Ich suche im Internet nach ein Paar Bildern von ihr. Archie wippt erneut mit dem Kopf hin und her. Und er ist heute wohl in Kopf-wippen-Stimmung. „Es geht." Murmelt er dann.

„Oder sie hat unser Video gesehen?" Rate ich. Zumindest halbwegs. Kann auch sein, dass Arch das nicht glaubt - scheinbar hat er keine zweite Einladung - und vor allem wenn Alice, Naomi und Elodie keine kriegen, kann ich das nicht darauf schieben. „Und was will sie damit erreichen? Will sie ganz lieb fragen, ob wir das Video runternehmen?" Fragt Archie mit kindlicher Stimme und stirbst mir in die Schulter. Sofort gleitet meine Hand an dieselbe Stelle und verdeckt sie schützend. „Ist deine Theorie wahrscheinlicher?" Archie wippt - schon wieder - mit dem Kopf hin und her. (Er soll damit aufhören.) „Ansichtssache."

„Vergiss es." Sage ich dann. Archie sieht mich verwirrt an.

„Wieso?"

„Wozu?"

„Für die Erfahrung, komm schon. Du wolltest dich bestimmt auch Mal in 'nem Prinzessinhaften Kleid kleiden, nicht?" Fragt er neckend. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Wolltest du das denn? Ich meine, dich in einem Prinzessinhaften Kleid kleiden?" Werfe ich die Frage zurück. Er schüttelt verwirrt den Kopf. „Nein, wieso?"

„Ich zitiere: auch." Ich schweige kurz und füge dann Hinzu: „Was, wenn ich von einem Anzug und keinem Kleid geträumt habe?" Lächle ich. Archie hockt sich vor meinem Stuhl auf die Knie und legt die Handflächen aneinander. „Verzeihung, geehrte Nalan Bunn." Meint er und verbeugt sich. „Sie dürfen sich erheben, Mr. Olden." Erwidere ich und mache mich wieder an die Arbeit. „Ha! Du hast mitgemacht!" Triumphiert Arch. Ich verdrehe nur die Augen.

Er wendet sich ab, dreht sich aber dann nochmal kurz um: „Das mit dem Anzug wäre eher ein Naomi-Ding, nicht?"

„Als langjährige Freundin kann ich dem nur zustimmen." Naomi würde höchstens zu ihrer Hochzeit ein-

Ich ziehe meine Aussage zurück. Sie würde auch an ihrer Hochzeit einen Anzug tragen.

Ihre Frau wäre die im Kleid. Sie bestimmt nicht.

Simpel ausgedrückt ist Naomi im stereotypischen Sinne ziemlich maskulin. Wenn man sich vorstellt, wie sie neben einem jungen Mann steht, in einem Hochzeitskleid, ist sie eben eine attraktive Frau. Nur, wird dieses Szenario nie passieren. Erstens weil sie lesbisch ist und zweitens weil sie lieber von einer Klippe springen, als ein Kleid anziehen würde. Wobei die Wahrscheinlichkeit, dass es keine Klippe sondern ein Wolkenkratzer wäre höher ist.

Das ist auch okay. Beides, meine ich.

Ich bin auch nicht so der Typ für schicke Kleider. Aber wenn ich mich zwischen einem Ballkleid und einem Anzug entscheiden müsste, würde ich anders als Naomi das Kleid wählen. Ich weiss nicht wieso. Kleider sind hübsch. Das ist alles.

Wobei man Kleider hübsch finden kann, ohne dass man sie tragen will. Naomi hat auch schon auf Kleider - oder Mädchen in Kleidern - als hübsch betitelt, aber sie selbst würde keines tragen. Und das ist gut so, weil es zu ihr passt. Und wenn sie ein Kleid tragen würde, würde es leuchten und schweben, von kleinen Planeten umgeben sein oder es würde aussehen, als wäre es verpixelt. Weil das zu einhundert Prozent Naomi ist. 80% ein Technikfreak und die restlichen 20% ihres Lebens drehen sich um Science Fiction Filme und Musik. 20% klingt nicht nach viel, aber über das ganze Leben ist es doch eine Menge.

Erinnerung: Etwa zehn Prozent vom menschlichen Körper wären ungefähr der Kopf. So würde ich das Alice zumindest erklären. Weil sie weiss, was ich meine.

Zu ihrem Leben aus Technik, SciFi und Musik kommt noch eine Sache, die sie selbst ständig betont. Und ich finde es witzig, wie sie das sagt. Und wie oft sie das sagt. Denn währenddessen ist sie auch eine 100%ige Vollzeitlesbe. Finde ich lustig. Und das nicht, weil ich eine Homophobin bin und lachen muss, wenn jemand das Wort „gay" sagt. Es ist eher witzig, weil sie es in Situationen sagt, in denen dieser Satz nicht besser passen könnte.

Beispiel:

Naomi und ich gehen gerne zusammen einkaufen. Oder spazieren einfach durch die Stadt, weil wir nichts besseres zu tun haben und labern wie zwei Vollidioten. Wie auch immer. Es war vor paar Monaten, wo ein Junge sie dann angesprochen hat und meinte, dass er sie hübsch findet. Sie hat ihn mit gekräuselter Stirn angeschaut und meinte dann todernst: „Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes eine Vollzeitlesbe. In drei Tagen vergesse ich sowieso, dir je begegnet zu sein." Sie hat die Augen verdreht und ist weitergegangen. „Autsch." Habe ich das kommentiert, woraufhin wir beide angefangen haben zu lachen.

Ich bin gerade für ein paar Minuten in meinen Gedanken versunken. Aber kurz: Naomi würde niemals ein Kleid anziehen.

„Du, Nalan?" Alice, die gerade ihre Nägel lackiert, streicht mit dem Pinsel über ihren Nagel. „Ja?" Frage ich und blicke von meinem Handy auf. Sie sieht mich ebenfalls an. „Hast du was vom Ball mitgekriegt?" Ich halte ihr mein Handy hin, scrolle durchs Internet und sage: „Nein. Welcher Ball? Wie kommst du da drauf, keine Ahnung, was du meinst." Alles ist voll mit dem Ball. Leute, die eingeladen wurden und sich freuen, Leute, die diese Nachricht überbringen und so weiter. Alice lacht. (Ihre Lache ist recht hoch. Ein bisschen sehr Mädchenhaft. Ich finde es aber ganz süß.)

„Archie hat mir erzählt", fängt sie an und ich fasse mir da schon an die Stirn, „dass ihr eingeladen seid?" Sie sieht mich lächelnd an. „Ich passe, du kannst gerne mit ihm hin." Ich schüttle den Kopf und klicke mich wieder durch das Internet. „Ich will aber mit dir hin." Bettelt Alice. „Hast du eine Einladung?" „Nein." „Na siehst du. Du bekommst meine, bist glücklich und ich habe meine Ruhe." Alice sieht mich kalt an und wartet kurz. „So sehr willst du mich loswerden?" Fragt sie dann. „Vielleicht."

Ich stütze mich auf dem Tisch an und schaue meine Mails durch- und bereue es. Ein neuer Brief. Absender: Aria Ashoak. Betreff: Einladung. Angeekelt verziehe ich mein Gesicht und stelle mein Handy aus. „Genug Bildschirmzeit für heute." „Einen Moment mal!" Unterbricht Alice mich. Ich bleibe in meiner Umdrehung stehen und mein Finger zuckt ganz leicht. „Du hast eine zweite Einladung." Ich schließe meine Augen und atme ein paarmal. Archie hat es ihr also nicht gesagt. „Richtig. Lade ruhig Naomi oder Elodie dazu ein." Winke ich ab und gehe in mein Labor. Alice folgt mir empört. „Nur schade, dass die beiden bereits Einladungen haben." Giftet sie mich an. „Haben sie das?" Hacke ich nach. Sie nickt. „Elodie wurde eingeladen und darf jemanden zweites mitnehmen." Erklärt sie.

Eigentlich wissen wir wahrscheinlich beide, wie das endet. „Komm schon!" Sie schlägt mir gegen die Schulter, die ich sofort mit meiner Hand abdecke. Ihr Blick gleitet zu meinem Arm und zurück. Sie wird mich sowieso zwingen. „Vielleicht finden wir ja etwas mehr über Aria raus." Stichelt sie. Letztendlich kann man sie ständig beobachten und sie verfolgen, wenn sie sich unauffällig wegschleichen will. Aber das wäre nicht besonders intelligent von ihr. „Oder es ist eine Falle." Alice runzelt die Stirn. „Was für eine Falle soll das schon sein?" Sie zückt ihr Handy und tippt etwas in den Gruppenchat. Dann hält sie mir den Bildschirm entgegen. „Nalan und ich haben auch Einladungen, dann sehen wir uns ja spätestens dort."

Ich verdrehe dramatisch die Augen und setze mich hin. „Das war kein Nein." Freut sie sich. Schlau erkannt. Anscheinend ist es mittlerweile für alle ein ja, wenn ich nichts erwidere oder nicht alles verneine. Toll.

Ich habe eine Bedingung aufgestellt, um an Aria Ashoaks Ball zu gehen: Wir versuchen mehr über sie herauszufinden. Mehr oder weniger beschatten wir sie. Falls sie irgendwo in einem Nebenraum verschwindet, folgen wir ihr.

Der Wolkenkratzer, in welchem der besagte Ball stattfindet, ist derselbe, wo Aria auch wohnt. Ihr Studio und alles andere drum und dran befinden sich ebenfalls dort. Als ich den anderen genau das berichtete, hat mich Alice nur fragend angestarrt, genau wie Elodie. „Woher weißt du das?" Fragt El. Naomi lacht. „Recherche."

Alice lacht auf. „Ist das der erste Text, der geschrieben steht, wenn man danach sucht, wo der Ball stattfindet?" Fragt sie ironisch. Ihre Haare trägt sie in einem lockeren Dutt und ihr Jäckchen ist von ihrer Schulter heruntergerutscht. Archie fummelt an den herausgefallenen Haarsträhnen herum - ihm hat Alice die Frisur zu verdanken. „Quatsch, du musst schon ein bisschen stalken um da drauf zu kommen." Sagt er, steht auf und verschwindet aus dem Zimmer. Etwas später ist er wieder da. „Du kannst alles finden, wenn du weisst, wonach du suchst." Erklärt er. Alice dreht sich zu ihm um - woraufhin er sie augenrollend anschaut, weil er bis vor kurzem eine ihrer Haarsträhnen in der Hand hielt - und fragt: „Also, ich könnte wirklich alles im Internet finden?" Arch lacht nur.

„Ich denke, das Wort Internet ist nicht gefallen. Aber ja, darauf war es ebenfalls bezogen." Meldet sich Naomi zu Wort. „Bin ich wirklich so dumm?" „Nein. Ich bin auch zu blöd." Sagt Elodie. „Dann seid ihr ja schon zwei. Wir sind nur zu fünft. Also schon fast die Hälfte. Ist nicht so übel für... Und das macht Mal wieder gar keinen Sinn." Bemerkt Naomi noch während dem reden und zeigt mit dem Zeigefinger ziellos in die Luft. „Ich denke, es steht zweieinhalb die's verstehen zu zweieinhalb die's nicht tun." Bemerkt Archie.

Er fordert Alice auf, sich zu ihm zu drehen. Er tunkt seine Finger in die kleine Schüssel Wasser, die er vorhin ins Zimmer geholt hat und benetzt die Haare meiner Mitbewohnerin mit Wasser. „Hey, ich verstehe es wohl!" Mault Naomi. „Dafür verstehst du andere Sachen nicht ganz, das gibt Abzug." Neckt Arch sie weiter. „Wer von uns hat 'nen Technikladen?" Provoziert Naomi. Doch es ist umsonst. „Das hat nichts mit Intelligenz zu tun. Alleine dass du das glaubst macht dich blöd." Gibt er seelenruhig von sich. Naomi sieht ihn empört an. „Und jetzt überlege, wer in einem der angesehensten Wolkenkratzer arbeitet." Stille. „Jetzt kannst du reden." Meint er lächelnd. Naomi winkt ab, woraufhin der

Archie wickelt Alice' Haare von seinem Finger und wiederholt den Prozess auf der anderen Seite. Zufrieden betrachtet Alice sich danach in Elodies Spiegel. „Die Locken sind toll, du musst mir beibringen, wie das geht." Sagt sie zu Archie, der ihr nett zulächelt.

Auf den Sitzsäcken verteilt sitzen Naomi, Alice, Archie und Elodie und ich immernoch so, wie auch vor einer halben Stunde. „Leute?" Fragt Elodie irgendwann in die Runde, nachdem es eine Weile still war. Archie, in dessen Mund ein Haargummi ist gibt ein fragendes „hmm?" von sich. „Ich fühle mich in letzter Zeit irgendwie beobachtet." Sagt sie mit gesenkter Stimme. Archie bindet einen weiteren kleinen Zopf mit dem Gummi zusammen. „Definiere beobach-" Naomi stupst mir gegen den Arm, den ich mir daraufhin abdecke. Alice sieht kurz hin und schaut dann wieder zu Naomi. „Was?" Zische ich sie an. „Sie ist nunmal bekannt, und wir mittlerweile auch. Unser Video hat einen Viertel der Menschen erreicht, natürlich starren uns Leute auf der Straße komisch an!" Verteidige ich mich. „Nein, ich meine nicht auf diese Weise." Winkt Elodie ab. „Auch hier zu Hause, wenn ich alleine bin. Es fühlt sich an, als würde jemand nicht aufhören mich anzustarren." Erklärt sie verunsichert.

„Geht mir genauso." Alle schauen zu Naomi. Wenn sie uns nicht ernst ansehen würden, wäre es witzig. Es wäre witzig, weil sie Nachbaren sind. Ich meine, es ist irgendwie komisch, dieselben Probleme zu haben wie der Nachbar. Naomi steht auf und geht zu Elodies Schminktisch, um einen Keks zu essen. „Echt? Den Lichtern sei Dank bin ich nicht die ein- Okay, es ist vielleicht etwas gemein zu sagen, dass ich mich freue." Sagt Elodie nervös lachend. „Allerdings." Stimme ich ihr zu und mustere sie mit gerunzelter Stirn. Beige Flecken strecken sich über ihre türkise Haut. Sie sieht mich einen Moment fragend an, wendet sich dann aber ab, als Naomi das Thema wechselt: „Arch, kannst du mir sowas wie einen Haarreifen aus einem Zopf machen?" Fragt sie interessiert und beugt sich über seine Schulter, um Elodies Haare anzusehen. Er zögert keine Sekunde. „Klar."

Ich wusste nicht, dass Archie so geschickt mit Haaren umgeht. „Woher kannst du sowas?" Erkundigt Alice sich plötzlich. Archie hebt seinen Kopf, um sie anzuschauen. „Ich habe als Kleinkind immer irgendwas an den Haaren meiner Mutter gemacht. Vielleicht kommt es daher. Wie auch immer, ich habe dann angefangen, immer irgendwelche Frisuren an meiner besten Freundin auszuprobieren. Und irgendwann auch an anderen Mädels aus meiner Klasse und sowas."

„Gab wohl ordentlich Pluspunkte bei den Mädels, was?" Fragt Naomi mit einem Zwinkern. „Das ist Archie doch egal." Widerspricht Elodie. „Denkst du?" Fragt Naomi zurück, sieht aber Archie an. Dieser beachtet die beiden aber nicht.

Erneut steht Naomi auf und mustert Archie. Als würde es etwas bringen, näher ranzugehen. „Nee, der ist doch Straight." Meint sie. Alice gesellt sich zu ihr. „Findest du?" Sie zögert, als würde Alice ganz genau überlegen, welche Sexualität er hat, statt einfach zu fragen. „Wenn ich auf Jungs stehe, ist Alice hetero." Archie sieht sie vielsagend an. „Wann habe ich gesagt, dass ich Gay bin." Alice sieht ihn empört an. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du es verneint hast." Schießt er zurück und bindet das letzte Haargummi in Elodies Haare. Naomi sieht Alice an. Diese bleibt Stumm. Naomi lehnt sich zu Arch und flüstert ihm was zu. „Eben." Murmelt er triumphierend. Alice lässt sich wieder auf den Sitzsack neben mir fallen.

„Nächste." Archie nimmt einen kleinen Spiegel von Elodies Tisch und drückt ihn in ihre Hand, während er Naomi zu sich runter zieht. „Gute Arbeit, Arch!" Meint sie begeistert. „Ich weiss." Sagt er, grinst ihr dann aber vielsagend zu. „Und was willst du für 'ne Frisur?" Fragt Alice mich. „Keine, ist gut so." „Ach komm schon!" Mault Naomi. „Ach lass sie, die vertraut meinen herausragenden Künsten nicht." Winkt Archie ab.

Naomi verdreht dramatisch ihre Augen. „Die enthält sich doch bei allem." Mault sie, wobei sie ziemlich genervt klingt. „Name: Nalan Bunn. Alter: keine Ahnung, ist nur eine von vielen Zahlen, Geschlecht: wieso interessiert das andere?, Pronomen: ist doch egal, Sexualität: muss doch keinen interessieren, Aussehen: Wie immer. Wie genau? Tja: Is' egal."

Alle lachen über Naomis Darstellung von mir. So ganz recht hat sie nicht. Aber ein paar Dinge stimmen. Trotzdem finde ich es nicht lustig. „Witzig." Sage ich. „War zwar kein Witz, weil du bei genau diesen Fragen so ungefähr genau diese Antworten geben würdest, aber schön, dass wir denselben Humor teilen." Naomi lächelt mir zuckersüß zu - natürlich nur gespielt.

„Dieser Aussage werde ich definitiv nicht zustimmen." Sage ich. „Wie Alt bist du eigentlich? Und ich meine es ernst." Fragt Elodie. „Neunzehn."

Naomi äfft Elodie glucksend nach: „Und dein Geschlecht? Und ich meine es ernst?" „Körperbautechnisch, wovon gehst du aus?" Erkundige ich mich. „Kann ich dir leider erst sagen, wenn du dich ausziehst." Antwortet Naomi und zwinkert mir zu. Alle beginnen zu lachen - ich gehöre dazu. Heute Morgen, als ich aufgestanden bin, hätte ich nicht damit gerechnet, dass Naomi einen Anmachspruch raushaut - vor allem, für mich nicht. „Spaaaß", sagt sie gedehnt, „sonst wird die angeblich heterosexuelle hier noch neidisch." Unterbricht uns Naomi als das Gelächter verklingt und ich klopfe aufmunternd auf Alice' Schulter. Auch wenn wir alle wissen, dass nichts vom momentanen Gespräch ernst genommen werden kann. „Einen Scheiß werde ich neidisch." Verdreht Alice die Augen. „Und wie." Widerspricht Naomi kalt. „Du wärst an Nalans Stelle rot geworden." „Wie selbstbewusst", Alice klingt beeindruckt, „nein." Beendet sie ihren Satz emotionslos. Ich muss lachen - wobei sich Elodie dazu schaltet.

Ich mache wirklich keine Witze, wenn ich sage, dass mir mein Geschlecht egal ist. Es gibt abgesehen vom Aussehen und vielleicht ein bisschen vom Verhalten keine großen Unterschiede. Hallo, wir haben 4421. Natürlich gibt es ab und zu Sexismus - genauso wie Rassismus und Queerfeindlichkeit ist es für manche heute noch ein Thema, doch die meisten interessiert sowas nicht - aber sonst? Und ich meine nicht, dass jeder komplett okay mit allem ist, aber die meisten sind es, oder sprechen es zumindest nicht aus, wenn es nicht so ist. Und Pronomen sind für mich persönlich auch nicht wichtig. Natürlich heisst das nicht, dass es mich nicht interessiert, womit andere Leute sich wohlfühlen, aber es ist mir egal wie jemand über mich redet. Denn ich selbst werde definitiv nicht in der dritten Person über mich reden. Sprich: Eigentlich benutzen meine Pronomen eh nur andere Menschen, somit spielt es für mich keine grosse Rolle. Meine Meinung.

„Aber Nalan, du kennst die Farbkombination schon, richtig?" Fragt Elodie und hält mir ihr Handy hin. Es ist mein Profil. Beziehungsweise mein Profilbild (das mit dem Häschen). „Ja, weiss ich." Meine ich, verdrehe die Augen und öffne die App. Alice beugt sich zu Elodie und redet irgendwas mit ihr. „Pronomen?" Fragt Archie. „She, hers." Verkündet Naomi. „Das weiss sich auswendig." Meint sie stolz. „Das ist creepy." Erwidert Alice. „Du Stalkerin." Fügt sie hinzu. „Wieso nur das?" Fragt Naomi grinsend. Wahrscheinlich hat sie gewartet, mir diese Frage zu stellen, seit sie mein Profil gesehen hat. „Ich kann's auch gerne für euch löschen, ist mir herzlich egal." Bemerke ich unbeeindruckt. Naomi zieht eine Augenbraue hoch. „Wenn du das tust bist du für mich ab jetzt ein er." Sagt Archie mit herausforderndem Ton. „Ist mir herzlich egal. Wieso sollte ich sagen, wie über mich gesprochen wird? Pronomen werden doch gefühlt eh nur dann benutzt." Winke ich ab. Naomi lacht triumphierend: „Hab' ich's doch gesagt! Ist ihr völlig egal." Grinst sie.

Elodie sieht mich beeindruckt an. „Wie kann dir dein Geschlecht egal sein?" Fragt sie - und klingt dabei ehrlich beeindruckt - und stellt das Handy aus. Als ich mein Profilbild geändert habe, lege ich es ebenfalls weg. Ich zuckte mit den Schultern. „Was spielt es für eine Rolle?" Frage ich zurück.

So ziemlich alle sehen mich entgeistert an. Als würden sie denken 'wie kann dir so etwas Wichtiges im Leben egal sein?', aber es spielt für mich wirklich - auch zum hundertsten Mal - keine grosse Rolle. „Also ich wäre beleidigt, wenn jemand mich als Mann betrachten würde." Gibt Naomi von sich. „Ich weiss, das würde dein lesbisches Ego herausfordern." Antworte ich, woraufhin wieder alle lachen.

„Du bist zwar der komischste Mensch, den ich kenne, aber ich mag dich trotzdem." Sagt Naomi, als das Lachen verklingt und lächelt mir zu. Genau das ist auch der Abschluss für dieses Thema.

Keine Ahnung, wie ich in diese Situation geraten bin, aber ich sitze im Schneidersitz vor Archie, der meine nassen Haare kämmt. „Wenn es nicht gut aussieht, werde ich dich langsam und qualvoll ermorden." Zische ich. „Beruhige dich." Meint Archie nur seelenruhig. Er antwortet auf alle Drohungen seelenruhig. Ich frage mich, ob er es auch bei einer ernsthaft gemeinten Drohung tun würde.

Alice sieht mich mit offenem Mund an. Naomi unterstützt sie. „Wenn du meinen neuen Friseur umbringst, foltere ich dich." Schaltet Naomi sich wenige Sekunden später ein. „Du willst jeden foltern, sobald du die Gelegenheit hast." Bemerke ich trocken. „Der arme, deine Frisur wird am Ende bestimmt die beste und du bist unzufrieden." Sagt Elodie mitfühlend. Gespielt, falls unser Humor noch nicht klar genug ausgedrückt wurde.

Naomi wechselt ihren Gesichtsausdruck zu einem eingebildeten Blick und springt auf. Alle Blicke richten sich auf sie - wobei Archie womöglich der einzige ist, der sie nicht beachtet, da er weiterhin meine Haare kämmt. Vielleicht sieht er aber ab und zu trotzdem hoch. „Meine Haare sind so oder so besser." Verkündet Naomi und wirft ihre Haare dramatisch nach hinten. „Natürlich doch. Mal wieder das Gegenteil von mir wird als bestes betrachtet." Seufzt Archie. „Armes Ding." Gluckst Naomi. „Was hast du denn für ein Trauma, das klang gerade sehr traurig." Fügt Elodie hinzu. Archie lacht auf. „War ein Witz. Wenn ich weisse Haare wollen würde, würde ich sie färben." Ich sehe ihn zwar nicht, aber ich weiss, dass Archie grinst. Dann steht auch Alice auf und sieht sich Naomis Haare an. „Sind die eigentlich gefärbt?" Fragt Alice interessiert. Naomis Haar ist - ohne spass - weiss. Da hat Archie ausnahmsweise einen Wirz gemacht, der zur Gesamtsituation gepasst hat. Naomi sieht Alice an und klappt Beleidigt ihren Mund auf. „Gefärbt? Tss." Dann ändert sich ihre Mimik und sie fügt hinzu: „Aber nein, Schätzchen, dafür wäre ich zu faul." Und das sagt sie überdramatisch sarkastisch.

Sie setzt sich endlich wieder hin und zuckt mit den Schultern. „Die sind einfach so. Habe ich von meinem Vater geerbt." Erklärt Naomi. Alice nickt nur. „Apropos", Naomi zückt ihr Handy, „ich schreibe ihm kurz." Entschuldigt sie sich.

„Okay, Nalan, dreh dich um." befiehlt Archie. „Arch, nein." Ich sehe ihn entschlossen an. „Doch, vertrau mir." Versucht er mich zu beruhigen. „Tu ich nicht." Gifte ich zurück und sehe mit kritischem Blick auf die Schere in seiner Hand. „Erstens kommen deine Haare schon wieder fast zu den Schultern. Zweitens hast du immer dieselbe Frisur. Komm schon, es ist nichts krasses." „Wenn du die Spitzen schneiden willst, wieso sitze ich dir gegenüber?" Frage ich unbegeistert und stehe auf, um mich umzudrehen, doch Archie hält mich fest. „Das hier", er winkt mich an sich ran, woraufhin ich mich setze und er nimmt vorne zwei Strähnen und legt sie über mein Gesicht, „ich könnte dir ein bisschen Stufen verpassen." „Was? Nein, kommt nicht infrage!" Rege ich mich auf und streiche die nassen Haare hinter mein Ohr.

Archie sieht mich genervt an. Soweit ich es einschätzen kann, hätte ich an seiner Stelle die Augen verdreht. „Nalan, das wird toll aussehen." Redet Alice mir zu. Ich drehe meinen Kopf. Elodie tippt etwas auf ihrem Handy und scrollt dann ein paar Sekunden. „Meinst du sowas, Arch?" Fragt sie und streckt ihren Arm aus. Archie lehnt sich nach vorne und stimmt sich auf seinen Händen ab. „Exakt." Mein Blick gleitet wieder zum Bild. „Du kannst nicht sagen, es wäre nicht hübsch." Grinst Alice. „Zugegeben: Es sieht gut aus." Seufze ich und drehe mich wieder um. Schweigen. „Na mach schon, bevor ich es bereue!" Grinse ich Arch an. Er setzt sich lachend wieder hin. „Sind doch nur Haare, oder?" Sonst erfinde ich kurz etwas, was die Haare schnell wachsen lässt, denke ich.

4056 Wörter

Jaa, habs auch mal wieder geschafft

Btw hab ich im gesamten (laut Google docs) 35'912 Wörter (nehmt noch zwei weg, weil ich fürs nächste Kapi den Titel (wird zwischenkapitel) schon habe xD 

Joa, wie immer bin ich dankbar für Feedback (Kommentare und/oder Votes wären toll)

𝐌𝐚𝐫𝐢𝐧𝐚 𝐀𝐫𝐚𝐜𝐞

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top