𝑲𝒂𝒑𝒊𝒕𝒆𝒍 𝒇𝒖̈𝒏𝒇

-Alice-

Während Nalan in ihrem Labor rumbastelt - keine Ahnung woran sie arbeitet, ich würde es sowieso nicht verstehen -, sitze ich auf der Couch und lese eines ihrer Bücher. Ich mag Nalans Wohnung. Wahrscheinlich hätte ich sie völlig anders eingerichtet, aber trotzdem finde ich es sehr gemütlich hier.

Das meiste in der Wohnung ist violett, schwarz und weiss. Es passt zu der Stadt, nachts leuchten die Lichter von Lumin in einem bezaubernden lila Licht. Ich kann verstehen, wieso so viele sich das ansehen, es sieht wirklich schön aus. Ich fand Großstädte schon immer auf eine spezielle Art faszinierend. Jedes Licht, das durch eine Fensterscheibe tritt, steht für eine belebte Wohnung. Ob Familien, oder Leute, die alleine leben, hinter jedem Licht steckt eine Seele. Manche von ihnen sind gerade glücklich, während andere gerade eine schlimme Phase durchleben. Natürlich will ich nicht, dass es Menschen schlecht geht, aber ich finde es wahnsinnig, wie viele Menschen in einer Staft leben. Alleine in einem Wolkenkratzer sind Millionen Erinnerungen und hunderte Gefühle, Gedanken und Gespräche. Während einige gerade das Spielzeug der Geschwister klauen, planen andere einen Umzug. Einige sind Hals über Kopf verliebt und blicken verträumt in die Stadt, während andere zusehen, wie sich die Liebesgeschichte von zwei fiktiven Charakteren in einem Film abspielt. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand gerade darüber nachdenkt, dass jemand genau dasselbe denkt, so wie ich? Verwirrend, egal.

Ich lege mich hin. Das Sofa ist in drei Teile geteilt und steht in einem Ecken des Raumes. Die ersten - ungefähr zwei - Meter sind dunkelblau. Pinke Kissen liegen auf dem Nacht-düsteren Stoff und die nächsten zwei Meter des Sofas sind pink wie die Kissen, doch da sind die dunkelblauen Kissen platziert. Dieser zweite Teil des Möbels führt bis kurz vor dem Ecken. Denn dort, wo die beiden Seitenwände aneinander schmiegen, verbindet sich der letzte und längste - wieder blaue - Teil der Couch mit dem Rest. Das Ende dieses Seitenteils ist in die Richtung von Nalans Labor ausgerichtet. Ein gläserner Tisch - mit violettem Rahmen - steht vor dem Sofa und darauf ist eine Zimmerpflanze mit langen grünen Blättern. Auch die Vase der Pflanze ist lila.

Ich bin seit einer Woche hier. Nalan und ich haben uns ziemlich gut angefreundet, wir verstehen uns echt gut und sie hat gesagt, dass ich so lange bleiben kann, wie ich will. Sie sagte, ihr tut etwas Gesellschaft, abgesehen von Arbeitskollegen ganz gut. „Ich find's toll dass Bücher nicht abgeschafften wurden." Sage ich plötzlich, kurz nachdem mein Blick für ein paar Sekunden den modernen Raum mustert.

„Mhm", macht Nalan, ohne aufzublicken, „was nochmal?" Fragt sie dann nach, als sie ihren Blick von ihrer Arbeit wendet, weil sie mir nicht zugehört hat. Ich tippe auf das Cover des Buchs. Es fühlt sich ein bisschen anders an als damals, wahrscheinlich sind es nicht mehr die exakt selben Materialien, die man braucht, um ein Buch zu machen. Es fühlt sich etwas hölzerner an als damals, aber nicht zu schwer.

„Bücher sind so ziemlich das einzige, was noch an Papier zu finden ist. Beziehungsweise - das einzige, was noch aus Papier hergestellt wird." Meint sie. Erstaunend, dass sie ohne aufzublicken erkennt, dass das Geräusch meines Nagels auf dem Cover ein Buch ist. Oder es liegt daran, dass ich gefühlt sonst nichts tue. Sie senkt ihren Kopf und betrachtet das Gerät vor ihr, murmelt leise etwas und nimmt einen Schraubenzieher in die Hand. „Eine Zeit lang gab es das auch nicht. Das war ungefähr 2070, als es anfing. Na ja, 2089 schon wurde es wieder eingeführt, wenn ich mich recht besinne. Man hat angefangen mehr Flächen für Pflanzen und weniger für Tierhaltung oder Gebäude und sowas zu benutzen. Es war schwer, das hinzukriegen, aber wenigstens das hat man geschafft. Und dann wurde es gesetzlich erlaubt, Bäume zu fällen, um Bücher zu produzieren. Für Romane und Novellen ging das ganz einfach, bei Comics und Ähnlichem musste man eine Genehmigung erhalten. Dementsprechend gibt es nicht mehr so viele."

Wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es somit keine Notizbücher, Zeichnungspapier und Ähnliches. „Karton gibts auch nicht mehr." Ergänzt Nalan und schwenkt ihren Kugelschreiber. Zumindest sieht es aus wie einer, eigentlich ist er für ihr Tablet. Ich lege das Buch zur Seite und erhebe mich.

„Was machst du da?" Vor ihr ist eine heruntergeschraubte Klappe und der Schraubenzieher, mit dem sie das Ganze abmontiert hat.

„Ich habe versucht etwas zu machen, um zu Beweisen, dass Arias Zeug Bullshit ist, wie du sagen würdest." Recht hat sie, etwas als Bulllshit zu bezeichnen ist eher mein Ding. „Sie ist der Führung inkompetent." Fügt sie hinzu. Besser.

„Tja, ich hätte die Nächte durchmachten soll, ich kriege es so oder so nicht hin. Wenn ich heute Nacht nicht eine krasse und hundert Pro sichere Info kriege - und selbst dann vielleicht - schaffe ich das nicht."

Ich habe total vergessen, dass morgen die regionalen Wahlen stattfinden. Ich habe mich über das Thema informiert, genau wie über einige andere. „Oh Fuck, das ist ja Morgen." Nalan nickt stumm und seufzt. „Wie auch immer. Acht Jahre sind zu überleben... irgendwie." Dann überlegt sie und runzelt die Stirn. „Wow, wenn ich genauer überlege... das ist verdammt viel, ich bin nur fast zweieinhalb mal diese Zeit alt", überlegt sie, „ich hasse diese Regeln und Systeme." Beschließt sie und lacht sarkastisch auf.

Man kann ab dem 9. März um 00:01 Uhr bis 23:59 Uhr seine Wahl einreichen. Das kann man jeweils natürlich nur in der eigenen Region. Es gibt klare Grenzen zwischen Lumin, Greenhave und Aquadise. Jede Stadt, selbst weit entfernte Orte, haben ihre Zugehörigkeit zu einer dieser drei Regionen. Die drei Hauptstädte befinden sich ziemlich zentral und nahe beieinander. Mit einem Neon braucht man höchstens eine Stunde, um nach Greenhave oder zum nächsten Hafen mit Unterwasserstadt zu kommen.

Am 14. wird ausgewertet und ab dem 16. kann man genau wie morgen wählen. Nur wird es bei dieser Wahl international sein. Ziemlich wenig Zeit, um sich zwischen drei Leuten zu entscheiden. Meistens kann man aber dabor schon erahnen, welche drei Menschen Vertreter der Region werden. Und meistens gibt es einen klaren Favoriten unter den ganzen Kandidaten.

So ist es dieses Jahr Aria, die wahrscheinlich mit klarem Abstand gewinnen wird.

21. März ist der Tag, an dem das Ganze verkündet wird.

Ich sehe den Sinn dahinter, die Leute so lange warten zu lassen nicht. Okay, ganz fair bin ich nicht, seit dieses System so aufgebaut ist gibt es eigentlich jedes mal eine Party - einen Ball -, um zu feiern. Natürlich vom Gewinner und Vertreter - oder eher Herrscher - der gesamten Menschheit.

Acht Jahre sind ziemlich lang, in dieser Zeit könnte zumindest einiges schiefgehen. Ab sechzehn darf man wählen, für mich ist das ziemlich ungewohnt und ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich theoretisch morgen wählen darf. Ich meine, ich bin knapp vor über einer Woche wieder aufgewacht.

Ein bisschen wie eine extremere Version von Captain America. Am Anfang war ich mir ehrlicherweise nicht ganz sicher, ob das nicht irgendeine Einbildung ist und mir einfach die ganzen Science Fiction Filme und Bücher zu Kopf gestiegen sind. Ich wäre nicht überrascht - höchstens enttäuscht - gewesen, wenn ich aufgewacht wäre und bemerkt hätte, dass es nur ein Traum war, Unmengen an Papierkram auszufüllen, um Kryokonserviert zu werden. Wobei, Captain America wurde nicht eingefroren - nun ja, er wurde 70 Jahre in Eis konserviert, aber er bekam nicht eine Überdosis Narkosemittel, um „getötet" zu werden. So lange wie ich eingefroren war, bin ich mir gar nicht mehr sicher, wie genau sich die Story angespielt hat.

„Hey, gibt es noch Marvel Filme oder sowas?" Frage ich. Nalan sieht mich verwirrt an. Es gibt zwei Möglichkeiten warum: Nummer eins ist, dass sie keinen blassen Schimmer von Marvel hat, Nummer zwei ist die Option, dass ihr der Themenwechsel zu abrupt kommt.

„Ja, es gibt eine Menge Filme, die Marke hat sich zwar stark verändert - einige Jahre lang gab es sehr wenige bis gar keine Filme -, aber eigentlich ja. Aber die, die du wohl damals geguckt hast sind wohl nicht wirklich bekannt. Für eure Zeit waren sie gut, ja! Aber mittlerweile ist es für jeden Menschen normal 3D, wenn nicht sogar 4D Filme von zuhause aus schauen zu können, Schätzchen." Sie zuckt mit den Schultern.

Ich bin davon ausgegangen, dass Nalan fragt, was das ist. „Und wieso weisst du so viel drüber?"

„Fiktive Welten sind mein Leben." Sie steht auf und kommt zu mir ins Wohnzimmer. „Zu deiner Zeit war Zurück in die Zukunft doch schon bisschen veraltet, richtig?" Fragt sie. Ich bin überrascht, dass sie weiss, was das für Filme sind. Ich nicke. „Und du, als Person, die nach 2000 geboren wurde, findest es doch sicher irgendwie interessant, wie sich Leute die Zeit vorgestellt haben, nicht?" Ich nicke wieder - ich verstehe was sie meint. Es ist schon spannend, zu sehen, was Leute dachten, wie die Welt wohl irgendwann aussehen wird.

Nalan stellt den Fernseher an. „Nun, ich habe ein paar Filme aus deiner Zeit gesehen. Es sind verwirrend viele." Ich lache.

„Aber bevor ich dir Filme zeige, die ein paar Jahre nach deiner kryokonservierung veröffentlicht wurden, will ich dir mal unseren Luxus zeigen." Ich lache und warte, bis Nalan einen Film aussucht. „Hast du denn die Ehre in 4D schauen zu können oder bist du doch nicht so reich?" Scherze ich. Sie grinst und stellt dann den Fernseher wieder aus. Ich sehe sie verdutzt an.

„Du willst 4D, du kriegst 4D." Sie greift nach meiner Hand und steht auf. Ich sage nichts und gehe ihr hinterher, eine andere Wahl habe ich nicht, weil sie mich hinter sich herzieht.

„Wie funktionieren diese Schlösser eigentlich?" „Netzhautscan, erkläre ich dir irgendwann genauer." Winkt sie ab und zieht mich zum Fahrstuhl, während die Tür hinter uns ins Schloss fällt.

Ich weiss nicht, ob ich es hasse oder liebe, dass sie mich immer auf die Folter spannt. Statt Sachen zu erklären, zeigt sie es mir einfach.

Ich informiere mich gerade über die Welt, als Nalan von der Arbeit nach Hause kommt. „Wie sind Greenhave und Aquadise eigentlich so?" Frage ich sie. Sie kommt ins Zimmer und überlegt sich scheinbar, wie sie antworten soll. „Hübsch, ich kann's dir gern zeigen." Meint sie schulterzuckend und kommt zu mir rüber. „Ich kann mir auch einfach Bilder im Netz..." Sie reißt mir das Tablet aus der Hand, schüttelt den Kopf und hebt den Zeigefinger. „Na, na, na", sie deutet mir an, aufzustehen, „ich sagte doch ich zeige es dir."

Wir steigen aus dem Fahrstuhl und gehen die Garage entlang, bis wir zu Arax kommen. Nalan befiehlt dem Neon, die Türen zu öffnen und gibt Bescheid, dass es wohl ungefähr eine halbe Stunde dauern sollte. „Wobei, wenn viele von der Arbeit nach Hause gehen, könnte es eine Dreiviertelstunde werden." Fügt sie hinzu. Arax labert uns voll, Nalan regt sich auf, ich lache.

Irgendwann sind da die ersten Bäume, als wir aus der Stadt kommen. Hauptsächlich sind die Gebiete die zuerst kommen Wiesen und Felder. „Das hier alles gehört schon zu Greenhave." Erklärt Nalan und deutet auf die Felder. Ich sehe, dass die Strasse etwas weiter vorne an einer Kreuzung in einen Kiesweg übergeht.

„Arax." Nalans Stimme klingt mahnend. „Ja?" Da Arax' Stimme ziemlich Menschlich klingt, imitiert er ziemlich gut eine zuckersüsse „ich-mache-doch-gar-nichts"-Stimme. „Kies. Weg." Nalan redet als wäre der Nein schwer von Begriff - eigentlich scheint das Fahrzeug das teils sogar zu sein - und lässt sich das Wort wütend auf der Zunge vergehen. Es klingt gar nicht wirklich nach einem einzigen Wort.

„Das dauert doch noch." Murmelt die Stimme. „Was?" Schakte ich mich ein. „Da vorne endet die Strasse. Weisst du wie Neons und die Strassen funktionieren?" Ich schüttle den Kopf, natürlich weiss ich das nicht.

„Die Straße und die Unterseite von Neons haben gegensätzliche Magnete eingebaut, deshalb schweben sie und sind auch so schnell. Aber auf einem normalen Kiesweg braucht es Räder. Und Arax spart immer und lässt sie erst in letzter Sekunde ausfahren."

Arax fängt an langsamer zu werden und seine Sensoren überprüfen, ob etwas kommt. „Arax!" Rufe ich jetzt auch. „Jaaa?" Der Neon gibt Gas und biegt ab. Ich spüre wie wir uns senken, doch wir fallen nicht zu Boden. In letzter Sekunde scheint er die Räder aus seinem inneren geholt zu haben. Der Weg ist uneben und der Wagen zittert. „Ach fick dich doch." Gurre ich. Er entgegnete nur, dass doch nichts passiert ist.

Nalan klickt auf die digitale Anzeige des Fahrstuhls und nach kurzem warten öffnet sich die Tür. Sie wählt eine Etage aus, auf der ich bisher noch nicht war. Wir steigen aus. Es ist nicht wie die Etage auf der Nalan wohnt. Es gibt zwar Zwei Türen aber haben kein solches Schloss wie bei Nalan. „Warte kurz, zuerst..." Sie öffnet die von uns aus linke Tür. Mir steigt der Geruch von Chlor in die Nase. Sie geht mit mir den Gang entlang durch ein paar Garderoben und öffnet eine andere Tür.

„Niemals." Ein riesiges Schwimmbecken ist durch die Lichter in violettes Licht getaucht. Genau ab der Höhe des Wassers erstrecken sich Fenster bis zu der Decke. Man kann einfach aus dem Fenster blicken, während man im Becken schwimmt. „Ich zeige dir dann später noch die Details."

Ich denke, ich habe mich entschieden: Ich hasse sie für solche Aktionen.

Irgendwann, nachdem wir durch einige Wälder sind, mit hohen Bäumen, deren Blätter eine Farbpalette aus saftigem grün bishin zu blutrot waren, sehe ich ein erstes Gebäude. Es ist riesig und weiss, aber es ist von Pflanzem umklammert und auch auf den Terrassen und Balkonen sind Pflanzen hingestellt. Die Stadt befindet sich im Grunde in einem Tal, nach oben hin sind Berge, an deren Füßen dichte Wälder sind. Irgendwo verschwinden die Bäume in der Höhe.

„Wow." Staune ich, als wir durch die Stadt fahren. Nalan und Arax halten Ausschau nach einem Parkplatz, während ich auf die Häuser schaue. Sie sehen alle anders, aber auch gleich aus. Das meiste ist in weißen Farbtönen, die Pflanzen und das warme gelbe Licht bringen Farbe in die Großstadt.

Nach etwas weiterer Zeit, als wir endlich stoppen, öffne ich die Tür und steige aus. Die Luft stinkt nicht so sehr nach Feuer wie in Lumin, es riecht frisch nach Tau und Blumen.

Nalan zieht an meiner Hand, wieder durch die Garderoben und durch die Tür, um dann die andere zu öffnen. Sie öffnet eine von fünf weiteren Türen. „Ups, da sind Leute", flüstert sie und schliesst sie wieder. Sie öffnet die nächste und führt mich in eine Art kleinen Kinosaal. „Boah", ich setze mich hin, „Luxus zu ernst genommen." Kommentiere ich die Tatsache, dass auf einer Etage fünf - wenn auch etwas kleinere - Kinosäle sind.

„Auf jedem fünften Stock gibt's so eine Etage." Erklärt Nalan und lässt meine Hand los. Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich sie immer noch festhalte. „Pro Etage guvts zwei bis drei Wohnungen, immer abwechselnd." Fährt sie fort. Das wären dann Kinosäle und ein großer Pool für jeweils zwölf bis dreizehn Wohnungen, die das haben. „Manche leben einzeln - wie ich", fängt sie an, ihr Blick bleibt auf mir haften und sie fügt hinzu: „nun ja, nicht mehr." Grinst sie. „Manche leben zu zweit, manche zu dritt. Vierköpfige Familien oder größere gibt es hier nicht wirklich, alle Wohnungen haben dieselbe Anzahl Zimmer wie meines." Beendet sie die Erklärung über die Wohnsituation.

Ich nicke und setze mich hin. Das heißt, es sind um die fünfundzwanzig Leute pro Stockwerk. Zumindest denke ich das. Im enormen Fall nur zwölf oder dreizehn. Ich bezweifle aber, dass es fünf Stockwerke hintereinander gibt, in deren Wohnungen immer nur eine Person lebt.

Der Raum hat drei Reihen an Sitzen, jede Reihe hat fünf Stühle. Vorne ist eine große Leinwand.

„Bei manchen anderen Wolkenkratzern, mit größeren Wohnungen, gibt es das alle zwei bis drei Stockwerke." Fügt sie zu ihrer Erklärung hinzu.

Die Wege sind zwar gepflastert, aber in der Mitte der Straße ist ein Streifen mit Erde, in dem Blumen und Bäume gepflanzt sind. Ich muss nur hinsehen, um die nasse Wärme der Erde unter meinen Fingern zu spüren. „Willkommen in Greenhave, die Staft der Vegetation, gefällt es dir?" Grinst Nalan und breitet die Arme aus und dreht sich im Kreis. Es sieht lustig aus, aber ich kommentiere es nicht weiter. Ich habe nur einen Bruchteil gesehen und finde es schon bezaubernd. „Es ist wunderschön." hauche ich und laufe neben Nalan her, nachdem sie mir andeutet, ihr zu folgen.

„Die Hauptstädte sind nach den Sachen benannt, die wir zum Leben brauchen." Informiert sie mich. Ich sehe sie von der Seite an, doch sie blickt weiterhin gerade aus. „Aquadise ist bekannt als die Stadt des Wassers. Ergibt Sinn, sie liegt Unterwasser, oder?" Ich nicke zustimmend. Dann muss Greenhave die Stadt der Vegetation sein, so wie sie vorhin gesagt hat. „Greenhave ist die Stadt der Vegetation. Hier sind Pflanzen und Wälder, in denen Tiere leben können. Nicht zu vergessen die Felder, von denen wir viele Lebenswichtige Nährstoffe haben. Ohne einen solchen Ort gäbe es wohl kaum Essen." Setzt sie ihre Aufzählung fort. „Lumin ist das Zentrum, die Stadt des Lichts. Deshalb die ganzen Atraktionen mit Hologrammen und Lichtspielen, die die Touristen wie Magnete anlocken." Sagt sie und lächelt. Bisher hat sie sich immer nur darüber beschwert, wie viele Leute in Lumin sind, aber trotzdem scheint sie die Stadt zu mögen.

„Du magst es dort." Necke ich sie grinsend. „Quatsch, es stinkt überall nach Brennstoff." Nun sieht sie mich an und versucht, ihr Lächeln zurückzuhalten.

„Komm schon, ich bin bestimmt nicht die einzige Freundin, die du hast." Ich ziehe eine Augenbraue hoch und piekse mit dem Zeigefinger in ihre Schulter. Nalan zieht ihren dünnen Arm Weg und deckt die Stelle mit ihrer Hand ab. „Ach komm schon, es ist doch 'wack' mit Leuten aus dem selben Jahrhundert Dinge zu unternehmen." Winkt sie ab. „Bitte benutze nie wieder Jugendwartes aus dem 21. Jahrhundert." Erwidere ich trocken.

Dann gehe ich auf ihre Antwort ein: „Und woher ist deine wunderbare Tasse mit dem Motivationsspruch drauf?" Scherze ich, auch wenn es alles andere als ein positiver Spruch ist. „Von Archie, wieso erkundigst du dich nach der Tasse, meine liebste?" Nalan sieht mich erwartungsvoll an. „Wer ist dieser Archie denn?" Hacke ich nach. „Nur ein Arbeitskollege." „Aha." Mehr sage ich nicht und sehe einfach zu Boden, lachend. „Wenn ich etwas sage, meine ich es auch so." Fügt Nalan hinzu. Ich lache auf: „Schon okay, ich wollte dich nur nerven."

Ich bleibe noch sitzen, als Nalan aufsteht und die Lichter anstellt. „Na?" Fragt sie. „Ich liebe 4D, am liebsten würde ich mein Leben lang jeden Abend einen Filmeabend mit dir machen!" Schwärme ich lächelnd und stehe auf. „Tss, wenn du dich bei mir einnistest, verlange ich, dass du arbeiten gehst und die Hälfte meiner Wohnung zahlst, meine liebste." Spottet sie nur. „Ich dürfte wirklich bei dir wohnen?" Frage ich und erhöhe mein Tempo kurz, um sie einzuholen. Nalan antwortet nicht, sondern zuckt nur mit den Schultern. „Nalan?" Ich spreche ihren Namen gedehnt aus, um zu betonen, dass ich eine Antwort will. „Ich finde es ja eher komisch, dass du hier wohnen willst." Sie lächelt - schon wieder - und sieht mich Stirnrunzelnd an.

„Dein ernst?" Frage ich zurück. „Du bist richtig cool." Meine ich dann und gehe mit ihr zum Fahrstuhk. Dieses Mal drücke ich den Knopf. „Definiere 'cool', absonderliches Mädchen aus dem 21. Jahrhundert." Fordert sie mich auf. „Ich mag deinen Humor, es nervt zwar ein bisschen, dass du mir nie sagst, was du tun willst oder dich über mich lustig machst..." Ich kann nicht zu Ende sprechen, weil sie mich unterbricht: „Wir wissen beide, dass du's magst." Grinst sie provozierend.

Ich weiss mittlerweile gar nicht mehr so genau, was genau ich so toll an ihrem lächeln finde. Vielleicht die Natürlichkeit. Es gibt hier so viele Leute, denen man ansieht, dass sie zu dünn, zu kurvig oder was weiss ich sind, damit es normal ist. Nalan sieht auf eine andere Weise hübsch aus. Ihr hellbraunes kurzes Haar lässt ihren Hals lang und ihren Blick selbstbewusst aussehen, unter den Tops, die sie trägt treten ihre Schlüsselbeine markant hervor. Sie ist gross und sieht irgendwie sportlich aus, auch wenn ich weiss, dass sie nicht wirklich Sport macht. Sie sieht dünn aus, aber auf jeden Fall gesund. Ihre Fingernägel sind weder besonders lang, noch kurz und ihre Wimpern haben einen perfekten Schwung. Ihre Lippen sind ebenfalls ein Mittelmass zwischen weit und bogenförmig, verlieren aber einen Teil ihres Schwungs aber, wenn sie lächelt und auf ihrer linken Wange sich ein kleines Grübchen bildet, welches man kaum erkennt. Und sie trägt keine Farbigen Kontaktlinsen. Klar, nicht jeder macht das, weil blaue, grüne oder irgendeine andere Farbe, die so natürlich nicht als Augenfarbe existiert nicht jedermanns Sache sind, aber trotzdem ist es eine weitere Sache, die sie natürlich wirken lässt. Es ist weder ein besonders dunkles Braun, noch hat es irgendeinen Farbverlauf. Das simple Haselnussbraun ihrer Augen schimmert in gelb-goldenen Farben, wenn nicht gerade violettes Licht - das es hier in Lumin zu Haufen gibt - darauf fällt.

Ich antworte nicht. Vielleicht finde ich es ja insgeheim wirklich nicht so schlimm. Ich weiss, dass sie es nicht abwertend meint. „Du siehst irgendwie stylisch aus und ich mag die Art, wie du dich manchmal ausdrückst." Fahre ich dann die Aufzählung, wieso ich sie cool finde fort, versuche jedoch mich kurz zu halten. „Ist das so?" Fragt sie zurück. „Ich zitiere: absonderliches Mädchen aus dem 21. Jahrhundert." Grinse ich ihr ins Gesicht. Nalan zieht ihren linken Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. Von den paar verschiedenen Varianten, mag ich dieses leicht zweifelnde Lächeln, bei dem sie sich nicht sicher sein scheint, was sie von etwas halten soll, am unterhaltsamsten. „Ich sage doch, du magst es." Ach stimmt, vergessen: Manchmal drückt das schiefe Lächeln Triumph aus, weil sie immer versucht zu beweisen, dass sie recht hat. Bei den Dingen, wo es eine Diskussion ist, ist das jedoch Ansichtssache.

„Und ich finde dein Tech- Krams beeindruckend." Endlich öffnen sich die Türen des Aufzugs und wir gehen hinein. Nalan hält ihr Gesicht in die Höhe, als würden die Komplimente sie streicheln wie warme Sonnenstrahlen. Als sie wieder zu mir runterblickt, sehe ich ihr in die Augen und dann zu ihren Füssen, um einen abwertenden Blick zu simulieren, der ihr sagen sollte, wie eingebildet sie doch sei. „Höherer Intelligenzauotient weil ich 2400 Jahre weiter entwickelt bin eben." Winkt sie dann ab und ich sehe sie böse an.

Nalan und ich spazieren durch die Strassen. Der Himmel, mit seinem leichten violetten Farbstich, verdüstert sich langsam. Wir streifen durch Läden und kaufen Klamotten. Im Institut hat man immer automatisch mein Geld immer in die aktuelle Währung geändert, somit habe ich jetzt hauptsächlich digitales Geld auf dem Handy vom Institut. Nalan hat mir geholfen, es vollständig einzurichten.

„Wieso ist der Himmel so?" Frage ich irgendwann. Umrisse von Sternen zeichnen sich im Himmel ab und leuchten auf uns herab. „Du meinst das lila?" Ich nicke. Es ist nicht besonders stark, aber es ist ein Unterschied zum blauen Himmel, so wie ich ihn kannte.

„Man hat es gegen die Wärme in den Himmel katapultiert." Sagt Nalan. Sie seufzt und fährt dann fort: „Wir nennen es Frostnova. Es ist an sich ein Gas, welches sich nicht erwärmen kann. Es spielt keine Rolle, ob du an einem warmen Strand oder umgeben von Schnee bist, solange es dieselbe Menge Gas ist, die Temperatur passt sich nicht der Umgebung an. Es ist neu entdeckt worden, vor etwa... zehn, vielleicht fast elf Jahren?" Nalan überlegt irritiert. „Nein, ich glaube, vor zwölf Jahren." Korrigiert sie ihre Aussage.

„Vor zehn Jahren hat man eine kleine Menge in den Himmel geschossen, nachdem man darüber geforscht hat. Es ist nicht schädlich, kühlt aber die Umgebung ab. Man hat in Laboren Tests durchgeführt, einen violetten Himmel nahm man gerne in Kauf, im Gegenzug für das Ende einer Apokalypse, ausgelöst durch den Klimawandel."

„Natürlich musste etwas schief laufen: Das Gas verteilte sich nicht gleichmässig und an manchen Orten wurde es sehr kalt. Orte, die durch die Wärme zerstört wurden, wurden nun zu Eiswüsten und auch andere Gebiete wurden so kalt, dass die Leute weiterhin flüchten mussten."

Davon habe ich bisher gar nichts mitbekommen, es musste echt schlimm gewesen sein, wenn nach Unmengen an Hitzetoden Leute daran starben, dass sie erfroren

„Lumin wurde kurz davor angefangen zu bauen, für Greenhave waren die Pläne fertig und Aquadise wurde gerade entworfen." Ich hätte gedacht, dass die Städte schon etwas länger existieren, als dass Nalan miterlebt hat, wie sie gebaut werden. „Das heißt, du warst da dabei?" Frage ich dann. Sie nickt. „Wir haben damals in der Nähe gewohnt und uns dann in einem neuen Wolkenkratzer eine Wohnung gekauft." Berichtet Nalan. „Krass, wie schnell man drei so Monsterstädte gebaut hat." Staune ich nur. Ich denke an die riesigen Wolkenkratzer von Lumin, sie Pflanzenbewachsenen Balkone von Greenhave und daran, dass Aquadise sich großteils unter Wasser befindet.

„Und wie ist es heute mit dem Wetter? Ich meine, abgesehen von hier?" Frage ich. Nalan sieht bedrückt auf den Boden. „Die meisten Teile der Welt haben sich nie von den extremen Wetterkatastrophen erholt. Hurricanes, Flugkatastrophen, unregelmässige Vulkanausbrücke, ein- zwei explodierte Atomkraftwerke, Hungersnöte und Massensterben sind nicht Mal eben rückgängig zu machen." Ich stutze.

Okay, klar, extremes Wetter und Naturkatastrophen, wo Menschen umkommen, umgekippte Ökosysteme und tote Tiere und Pflanzen, weshalb die Menschheit ebenfalls Stück für Stück ausstirbt. „Wieso die Vulkanausbrücke und die Explosion von Atomkraftwerken?"

„Okay, du weißt ja, wie ein Vulkan ausbricht, richtig? Unter der Erde ist eine Magmakammer, das solltest du wissen. Und das Lava schießt ja in die Höhe, weil sich die Kammer füllt und es durch Spalten einen Weg nach aussen sucht, wobei sehr starker Druck entsteht, richtig?" Fragt sie und hilft mir auf die Sprünge. Ich nicke, daran kann ich mich noch erinnern. Ich finde so etwas interessant und war ausserdem nicht gerade schlecht in der Schule. „Nun, durch schmelzende Gletscher, steigende Meeresspiegel und mehr Niederschlägen übte sich Druck auf die Magmakammer auf, die Bodenfeuchtigkeut veränderte sich und destabilisierte Teilweise die Vulkane. Die Menschen in der Umgebung konnten sich nicht sicher sein, wann der nächste Vulkan sein Feuer auf die Menschheit loslässt."

„Das muss schrecklich gewesen sein." Murmle ich und Nalan bewegt ihren Kopf zustimmend auf und ab.

„Nun, zu den Atomkraftwerken: Du weisst bestimmt, dass sie mit Wasser abgekühlt wurden, damit sie nicht überhitzten. Zudem kamen einige Sicherheitsmassnahmen für Notfälle. Trotz all dem konnten die Menschen ein paar von ihnen nicht kontrollieren: Als der Klimawandel vor etwa 35 Jahren einen neuen Höhepunkt erreichte - es gab Zeiten, in denen es immer wärmer wurde und Zeiten, an denen die Menschen es schafften, dass es gleich blieb und tatsächlich anfing wieder an Wärme abzunehmen, aber es kamen immer Geldgeile Idioten die irgendein Buisness machten, welches den Teufelskreis von vorne auslöste -, erwärmten sich auch die Temperaturen des Wassers an manchen Seen und Flüssen enorm. Es gab Atomkraftwerke, die sich nicht mehr abkühlen konnten. Das Ganze wurde irgendwann so extrem, dass manche explodierten."

Fast 2400 Jahre lang scheint es ein ständiges Auf und Ab des Klimas gewesen zu sein. Es würde wärmer, immer mehr Menschen starben, es nahm wieder ab und die Menschen achteten sich mehr, dann wurde es wieder verschlimmert und es fing von Neuem an, und noch einige andere Male.

„Als etwa 15 Jahre nach deinem Einfrieren endlich so ziemlich allen klar wurde, dass es so nicht weitergehen kann, wurden extreme Maßnahmen ergriffen, bestimmte Sachen verboten und es wurde langsam besser. Jedoch, nach - schätzungsweise - spätestens hundert Jahren wurde es wieder schlimmer, irgendwann wieder besser und so weiter. Ab den 3000-er Jahren waren vielleicht noch vier Milliarden Menschen da. Ziemlich wenig. Ab 4000 möglicherweise wohl etwa zwei Milliarden, vielleicht etwas weniger. Mittlerweile nicht Mal eine Milliarde Menschen."

Ich starre sie an. Klar, eine Milliarde ist eine riesige Zahl, aber wenn es Menschen sind, die auf dem Planeten leben?

„Du weißt ja, es gibt nur noch Bücher in Form von Papier. Das war ein Schritt, der gut war und es ist gut, dass das heute noch so ist aber die Flächen, die man damals für Wälder geplant hat, sind mittlerweile großteils ausgerottet." Diese Sätze beenden das Thema jedoch endlich, weil wir kurz darauf in einen Laden gehen, in dessen Schaufenster ich ein cooles Outfit sehe.

4651 Wörter

𝐌𝐚𝐫𝐢𝐧𝐚 𝐀𝐫𝐚𝐜𝐞

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