7. K A P I T E L
~It's in the eyes, always the eyes.~
In den Tagen nach Maras Beerdigung unternahmen Aylin und ich jeden Tag etwas zusammen, um uns von der Realität abzulenken.
„Aylin?" Wir lagen gerade in ihrem Bett und sahen uns einen Film an. Hangover, lustig mag man meinen, aber traurig wenn man Erinnerungen damit verbindet.
„Denkst du Mara hätte gewollt, dass wir uns selbst verlieren?"
Fragend sah mich Aylin an. „Wie meinst du das?"
„Als wir sie verloren haben, haben wir auch einen Teil von uns verloren. Findest du nicht?", flüsterte ich ehrlich.
Tröstend strich sie mir über den Rücken und seufzte einmal tief. „Ich glaube etwas anderes, ich glaube...dass das Leben uns viele harte Proben mit auf unseren Weg gibt. Es macht uns stärker, durch jede dieser Proben, wachsen wir über uns hinaus."
War dieser Unbekannte meine Probe? Ist es Schicksal, dass er auf mich getroffen ist?
Das ist doch lächerlich. Er hat sich selbst zu meinem Schicksal gemacht. Er hat genommen, ohne zu geben.
Vielleicht war ich jetzt freier, aber bin ich auch glücklicher?
„Ich mag deinen Gedanken." Sie kicherte. „Ich auch, er spendet mir Kraft. Dies ist nur einer dieser Proben, auch diese wird vorüber gehen."
Aylin nickte fest überzeugt. „Da bin ich mir sicher!"
-
Im Schulhof hingen drei schwarze Flaggen, als Trauerzeichen für die verstorbenen Schüler.
Eine Traube an Schülern hatte sich darum gebildet und starrte auf die davor aufgestellten Bilder.
Sie empfanden keine Trauer, nicht diesen Schmerz, ihnen war es schlichtweg egal. Diese vorgespielte Betroffenheit kotzte mich an. Alle sahen mich mitleidig an, natürlich bestens darüber informiert, dass eine von den beiden meine beste Freundin war.
„Lou!", rief eine tiefe Stimme nach mir. Verwirrt drehte ich mich um und sah direkt in die grünen Augen von Freddy. „Hey.", sprach ich leise. „Hey.", erwiderte er flüsternd.
Ich warf einen Blick hinter ihn, alle seine Jungs standen in einer Gruppe zusammen, schrieen und lachten. Frei und voller Freude. Dieses Gefühl musste wunderschön sein.
„Ich wollte dich nur nochmal daran erinnern dich zu uns zu setzen." Er lächelte mich an.
Lange starrte ich auf seine Lippen und dieses Lächeln, nicht im klaren was ich dachte oder fühlte. Laut räusperte ich mich und sah ihm wieder in die Augen.
„Ich glaube deine Freunde warten schon auf dich." Mit einem Nicken deutete ich auf die Gruppe die uns bereits anstarrte.
„Stimmt. Wir sehen uns.", sagte er schlichtweg und wurde grölend in seiner Gruppe aufgenommen.
Aylin und ich sahen uns in der Mittagspause nach dem Tisch von Freddy um und entdeckten ihn in der Ecke mit seinen Freunden sitzen.
„In die Hölle des Löwen..." Ich musste kichern. „Du sagst es. Mara hätte es gefallen, da bin ich mir sicher.", erwiderte ich schmunzelnd.
Gespielt selbstbewusst schritten wir auf den Tisch zu und blieben unentschlossen davor stehen. Ein braunhaariger Junge schlug Freddy auf die Schulter und zeigte auf uns.
„Deine Freundinnen sind hier, Freddy."
„Oh, hey ihr Zwei." Einladend winkte er uns auf seine Seite des Platzes. „Setzt euch doch." Freudig klatschte er auf die freien Plätze neben sich.
„Freddy, willst du uns nicht einmal deine Freunde hier vorstellen?" Schelmisch zwinkerte uns ein schlaksiger Junge zu.
„Wo bleiben nur meine Manieren?.", lachte Freddy. Er richtete sich auf und sah uns stolz entgegen, als wären seine Freunde ein Preis, den er gewonnen hätte.
„Alsoo." Freddy machte eine Sprechpausen und sah uns allen fest in die Augen.
Wow, er machte es ja spannend. Es ist nur eine kleine Vorstellungsrunde weiter nichts.
Ich drehte mich Richtung Aylin und verdrehte die Augen. Sie fing an zu kichern und formte lautlos mit ihren Lippen das Wort „Jungs".
„Der Typ hier vor mir ist Tyler.", hielt Freddy seine Rede weiter. Es war der Junge mit den schokobraunen Haaren.
„Tyler, das sind Lou und Aylin" Unverhohlen starrte er uns an und schien ein besonderes Auge auf Aylin geworfen zu haben. Dieser Tyler wollte sie garnicht mehr aus den Augen lassen.
Das kann spannender werden als gedacht. Leise lächelte ich in mich hinein.
„Und ich bin Nox." Grinsend streckte der schlaksige Junge uns seine Hand entgegen.
„Freut mich euch kennenzulernen." Perplex schüttelten wir beide seine Hand, etwas überfordert mit der Höflichkeit und Freundlichkeit dieser Leute.
„So, das war es vorerst, die anderen sind noch beim Direktor, deshalb werdet ihr sie wohl erst später kennenlernen.", erwiderte Tyler und sah uns neugierig an. Wieder viel mir auf, wie genau er Aylin unter die Lupe nahm.
„Gott sei Dank seid ihr hier. Mit den beiden halte ich es alleine keine Sekunde aus!", rief Nox laut in mein Ohr, so dass es schmerzte und klopfte mir dabei auf die Schulter. Theatralisch ließ er den Kopf hängen und seufzte schwer. Alle, ausnahmslos alle an diesem Tisch begannen zu lachen und hielten sich dabei die Bäuche.
Interessant, ja das kann es noch werden.
Nach dem wir gegessen hatten lachten und scherzten wir weiter, meist auf die Kosten von Tyler, welcher uns bereits seit Minuten ignorierte und nur noch böse Blicke zu warf.
Der Arme.
Es fühlte sich an als würde ich sie schon seit Jahren kennen und endlich nach langer Zeit alte Freunde wieder sehen.
So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr und war umso trauriger als wir uns trennten, um in unseren jeweiligen Unterricht zu gehen.
Ich glaubte...nein ich wusste, dass ich hier gerade neue Freunde gefunden hatte.
„Wow, sie sind so nett.", sprach ich gut gelaunt zu meiner besten Freundin. „Ja, oder? Die Stimmung war so ausgelassen und lustig."
Ich stupste sie in die Seite. „Und hast du Tylers Blicke gesehen? Er hat nur dich angesehen! Im Ernst, Aylin." Ich konnte erkennen wie sich die Wangen von Aylin feuerrot färbten.
Gefiel er ihr etwa auch?
„Meinst du? Hab ich garnicht bemerkt.", gab sie scheinheilig zu, genau im Wissen, dass ich wusste, dass sie log.
Lachend bogen wir um die Ecke in die Klasse und setzten uns auf unsere Plätze.
Schlagartig wurde ich traurig und sah auf den leeren Stuhl neben mir.
Ich hatte sie ganz vergessen. Ich fühlte mich schlecht, mehr als das. Ich fühlte mich schuldig.
Mara hatte hier immer gesessen und mit uns gelacht, geweint oder uns von unserer Englisch Lehrerin ausschimpfen lassen.
So viele Erinnerungen spielten hier, gute und schlechte und ich hatte sei einfach vergessen. Anstatt um sie zu trauern, habe ich ausgelassen gelacht.
Viel hatte sich verändert seit der erste Mord begangen war. Neue Verluste, neue Freunde.
Das Leben ging weiter, die Erde würde sich immer weiter drehen, möge passieren was will.
Das was mir aber am meisten Angst machte, wovor ich mich so sehr fürchtete war, dass ich glücklich war. Ich wollte es mir nie eingestehen, doch änderte es nichts daran, dass es stimmte. Ich war glücklicher, als vor diesen Morden.
Dieses Monster, dieser Mörder hatte mir durch Trauer, etwas an Glück geschenkt. Ich verstand nicht wie das sein konnte, doch es war so.
Eine kleine Freudenträne glitt langsam an meiner Wange herunter, befeuchtete sanft meine Lippen.
Insgeheim wusste ich, dass ich nicht, damit wie ich noch vor ein paar Tagen gelebt hatte, hätte länger leben können.
Ich akzeptierte nicht die Taten des Unbekannten, aber ich konnte ihn etwas besser verstehen.
Leise brummte mein Handy und riss mich damit aus meinen Gedanken.
‚Treffe mich heute am See, meine Rose. 23 Uhr.', stand auf meinem Display.
Ich konnte es nicht verhindern, aber ein kleines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen.
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