3. K A P I T E L
~ She was like the moon - Part of her was always hidden away ~
Ich verstand gar nichts mehr. Warum sollte ich eine Mörderin sein?
Hilfe suchend sah ich mich im Flur um, doch jeder sah mich nur aggressiv an. Kann denn nicht ein Tag normal beginnen.
Auf einmal legte sich eine Hand auf meine Schulter, erschrocken zuckte ich zusammen und wirbelte herum. Ein erleichtertes Keuchen entledigte sich meiner Kehle, als ich Aylin und Mara mir gegenüber stehen sah. Keine von beiden schien sich zu freuen, mich zu sehen.
Mit zusammen gezogenen Augenbrauen lehnte sich Aylin vor und ihr Atem streifte meine Ohrmuschel. „Warum bist du hier?! Ich habe dir doch geschrieben du sollst zu Hause bleiben!", zischte sie.
Als sie sich wieder zurück lehnte, konnte ich ihren von Sorgen gequälten Blick erkennen. Mara sah nicht besser aus.
„Ich habe mir um dich Sorgen gemacht! Du hast nicht mehr zurück geschrieben." Schuldbewusst sah Aylin zu Boden, Mara begann statt ihr mit fester Stimme zu sprechen. „Ihr ist das Handy aus der Hand gefallen, weil sie so gezittert hat vor Aufregung und dann war es kaputt, aber jetzt hat sie wieder ein neues und alles ist gut., aber das ist alles jetzt nicht so wichtig"
Plötzlich packt Mara uns beide am Arm und zog uns Richtung Toiletten, vor der Jungs Toilette blieben wir stehen. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. „Was machen wir hier?, fragte ich verunsichert und versuchte durch den offenen Spalt zu spähen. Erkennen konnte ich nichts als Dunkelheit, was ungewöhnlich war, denn eigentlich war sie so gut wie immer in Betrieb. „Warum ist hier denn niemand?" Fragend sah ich sie an, worauf wollen sie denn hinaus? „Sagt doch bitte etwas.", zum Schluss wurde meine Stimme um zwei Oktaven höher, sie verunsicherten mich.
Ihr Brustkorb bewegte sich schnell auf und ab, zittrig versuchte sie Luft in ihre Lungen zu bekommen. „Nachdem du gestern überstürzt aus der Schule geflohen bist, sind wir hinter dir her gerannt, wurden aber von einem Hilferuf unterbrochen. Der Schrei kam aus diesem Raum."
Mit ihrer rechten Hand zeigte sie auf die Jungstoilette. „Wir hatten solche Angst.", erzählte Aylin weiter. „Als wir dann die Tür öffneten um nachzusehen wer Hilfe braucht..." Ihre Stimme bricht, langsam wurden ihre Augen glasig, bis schließlich viele Tränen begannen über ihre Wangen zu kullern.
Im Versuch sie zu trösten, schritt ich auf sie zu und nahm sie in den Arm, wie sie es bei mir schon viele Male gemacht hatte. Das war das mindeste, was ich für sie tun konnte. Etwas fester atmete sie einmal aus und drückte mich von sich. Sie sah zu Mara und diese nickte ihr ermutigend zu. „Dieses Bild was sich vor mir abspielte, werde ich nie wieder vergessen können. Vor den Waschbecken lag Bent, voller Blut, nur mehr ein lebloser Körper, die Kehle wurde ihm aufgeschlitzt und seine rechte Hand lag abgetrennt neben ihm.
Kannst du dir das vorstellen, Lou? Was muss das für ein Monster gewesen sein?" Sie begann wieder bitterlich zu weinen, Mara und ich zogen sie sofort wieder in unsere Arme. Wir spendeten uns gegenseitig Trost. Unsere Herzen schlugen um die Wette, trotzdem schafften wir es alle wieder zur Ruhe zu kommen. Als ich mich langsam von unserer Gruppenumarmung löste, erkannte ich wie ernst Mara in all dieser Zeit aussah.
Zögerlich blickte ich ihr in die Augen. „Alles okay bei dir, Mara?" Wenn es möglich war, zog sie ihre Augenbrauen noch weiter zusammen und sah mich mit diesem Blick an. Automatisch machte ich mich klein, um ihr und ihrem stechenden Blick zu entkommen. „Mir geht es gut, ich mache mir nur Sorgen um dich, Lou!"
Ein leichtes Flimmern von Angst, glaubte ich in ihren Augen zu erkennen, was aber wahrscheinlich nur ein Streich meiner Sinne war. „Alle denken du hast ihn getötet. Du solltest heute lieber nicht mehr in den Unterricht gehen, sie werden dich zerfleischen." Mit zitternder Stimme meldete sich nun auch Aylin. „Mara hat recht, am besten gehst du zum See und bleibst da für den Rest des Tages." Ich nickte etwas zögerlich. „Wenn ihr meint, Englisch ist sowieso nicht mein Lieblingsfach, da ist mir der See um einiges lieber." Ein kleines Lächeln umspielte nun meinen Mund und meine Freundinnen stimmten ein. „Genau, das „Biest" macht einem das Leben sowieso nur schwer."
Ich zwang ihnen nochmal eine feste Umarmung auf und rannte dann schon los, um möglichst schnell dieses Gebäude zu verlassen. Das einzig Gute war, dass es bereits zur Stunde geklingelt hat und keine Menschenseele mehr im Flur hauste.
Erleichtert atmete ich aus, als die Tür hinter mir zu fiel. Es waren nur wenige Kilometer bis zum See und in einer halben Stunde sollte ich da sein. Im Laufschritt begann ich am Straßenrand entlang zu laufen, bis plötzlich ein mulmiges Gefühl von mir Besitz nahm. Irgendetwas stimmte hier nicht, ganz und garnicht. Verwirrt von meinem Bauchgefühl blieb ich stehen und schaute mich um, ich konnte keine einzige Person erblicken, aber warum fühlte ich mich dann so beobachtet? Sind es etwa nur meine Paranoia?
Mit dem Entschluss es nicht weiter zu beachten, lief ich weiter, bis ich schließlich Schritte hörte. Ich ließ mir keine Zeit über die Schulter zu sehen, sondern sprintete sofort los in Richtung Wald, doch die Schritte wurden immer schneller und kamen stetig näher. Meine Nerven waren aufs höchste angespannt und ich konnte nicht mehr richtig denken, das einzige was ich noch vor meinen Augen sah, war dieser Wald meine Rettung, dort konnte ich mich bestimmt verstecken.
Meine Beine begannen zu zittern vor Adrenalin, ich wurde immer schwächer und somit auch langsamer. Tränen quollen aus meinen Augen und versperrten mir die Sicht. Leise begann ich zu schluchzen, es waren nur mehr wenige Meter bis zu den ersten Bäumen.
Kurz bevor ich meinen Fuß auf den Waldboden setzen konnte, packte mich etwas von hinten und zog mich in eine feste unangenehme Umarmung. „Hab ich dich, Nutte.", als ich diese Stimme hörte wusste ich sofort wer hinter mir stand. Es war Garry, der beste Freund von Bent.
Ich bin so dumm, so dumm, dabei hätte ich mir doch denken können, dass er sich an mir rächen will.
Aber das Schlimmste ist, dass ich unschuldig bin und dass hier alles Unrecht ist. Mein Leben ist Unrecht, es ist so unfassbar schwer zu überstehen. Sollte es denn nicht leicht sein? Schwerelos?
Sein ekliger Atem berührte meinen Nacken, vor Ekel kam mir die Galle hoch. Jetzt nur nicht kotzen. Sein Arm war fest um meine Brust geschlossen und versperrte mir jeden Ausweg. Ich will nicht mehr klein beigeben, ich möchte endlich kämpfen! Noch einmal atmete ich fest aus, bevor ich mich klein machte und mich schwach stellte. Mein Plan funktionierte Garry dachte ich würde aufgeben und er lockerte seinen Griff. Keine Sekunde zu spät stieß ich meine Ellbogen nach hinten und hörte sein schmerzvolles Stöhnen. Ich nutzte meinen Moment und stieß mich von ihm los. Das einzige was ich noch hörte war mein schnell schlagendes Herz. Als hätte ich meinen Körper verlassen und keine Kontrolle mehr darüber, lief ich einfach immer weiter.
Meine Füße flogen nur so über den Boden und endlich konnte ich das blaue Glitzern des Sees erblicken .
Ein stechender Schmerz durchzog meine Hüfte und ich sah plötzlich nur noch Waldboden. Mein Fuß hatte sich in einer Wurzel verfangen und ich war gestürzt.
Panisch zuckte mein Blick hinter mich, Garry hatte mich bald erreicht. Sein Gesicht war zu einer aggressiven Fratze verzogen und seine Hände waren zu Fäusten geformt. Bitte nicht. Eilig rappelte ich mich auf, ignorierte dabei den Schmerz in meiner Hüfte, sondern lief gleich weiter.
Aber schon nach wenigen Sekunden wurde ich brutal von hinten auf den Boden gestoßen. Die Luft wurde bei dem Aufprall aus meiner Lunge gepresst und ein stechender Schmerz durchzog meinen Brustkorb. Ich bekam keine Luft mehr und Sterne tanzten vor meinen Augen.
„Dachtest du wirklich du könntest vor mir abhauen, Lou?" Er spuckte meinen Namen regelrecht aus und sein Hohn war deutlich zu hören.
Hatte ich wirklich gedacht ich könnte fliehen? Verdammt ja, das habe ich und nun habe ich mich abermals enttäuscht.
„Was willst du von mir?" Es ärgerte mich das meine Stimme so ängstlich klang, dabei wollte ich doch einmal stark wirken, auch wenn ich mich nicht so fühlte. „Glaubst du du kannst meinen besten Freund einfach so töten und ungestraft davon kommen?" Er sprach so voller Abscheu, dass ich mich begann selbst in diesem verabscheuenden Licht zu sehen.
Du. Bist. Nicht. Schuld. Lou. Versuchte ich mir immer wieder in Erinnerung zu rufen. Warum füllte ich mich dann so schuldig?
„Ich habe ihn nicht getötet!", versuchte ich ihn zur Vernunft zu bringen. Es war vergeblich, er wurde noch zorniger. „Lüg mich nicht an, du Hure." Garry spuckte mir ins Gesicht und holte mit seiner Faust aus. Knackend landete sie in meinem Gesicht, immer wieder schlug er auf mich ein, bis er schließlich mit seinen Füßen begann auf mich einzutreten. Mittlerweile hatte ich keine Kraft mehr zu weinen, geschweige denn zu schreien, meine Sicht wurde immer schwärzer und die Dunkelheit war bereits dabei mich zu umschmeicheln.
Kurz bevor ich dabei war, mein Bewusstsein zu verlieren, hörte ich plötzlich einen lauten Schrei, welcher nicht meiner war. Als sich meine Augen schärften erkannte ich Garry wie er am Boden lag und sich vor Schmerzen krümmte. Über ihn stand breitbeinig, eine große Gestalt in einem Kapuzenpulli mit breiten Schultern und schlug auf ihn ein. Ich konnte das Knacken der Knochen hören und der Körper von Garry war bereits blau geschlagen. Mittlerweile spuckte er Blut, aber der Fremde hörte einfach nicht auf ihn zu verprügeln. Er wird ihn noch umbringen, wenn er jetzt nicht aufhört.
Auf einmal ertönte eine rauchige Stimme, die meinen Körper wie elektrisiert. „Du wirst sie nie wieder anfassen." Knurrte diese engelsgleiche Stimme. Ein letzter Schlag war zu hören und angestrengtes Atmen. Ängstlich sah ich die Person an, die einen der größten Schläger meiner Schule mit Leichtigkeit niedergeschlagen hat.
Garry lag bewusstlos am Boden, was mir aber Angst machte war, das ich ihn nicht Atmen hören konnte. Panisch robbte ich zu ihm ohne die dunkle Gestalt aus den Augen zu lassen, die mittlerweile zurück getreten war. Man konnte das Gesicht nicht erkennen, da es von einer weißen Maske bedeckt wurde. Das einzige was ich sah waren diese wunderschönen blauen Augen. Sie blickten mich sanft an. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Wer ist das?
Als ich bei Garry angekommen war legte ich meine zitternde Hand an seine Kehle. Verzweifelt suchte ich nach einem Puls, immer fester drückte ich meine Finger an seinen Hals in der Hoffnung ein Pochen zu spüren. Nichts.
„Er ist tot, Lou." Erschrocken fuhr ich herum und sah ihn wie ein verschrecktes Reh an. „Woher kennst du meinen Namen?"
Schon wieder bildeten sich Tränen in meinen Augen und ich nahm meine Umgebung nur mehr verschwommen war. So bemerkte ich auch nicht, das er immer näher kam und mich schließlich in den Arm nahm. Es war mir in dem Moment egal, dass er ein Mörder war, ich brauchte einfach diesen Halt. Ich wusste ich war schwach, aber ich brauchte die Geborgenheit.
Verzweifelt presste ich mein Gesicht in seine Schulter und saugte den beruhigenden Geruch nach Tannennadeln und Natur in mich ein.
Ich konnte nicht aufhören zu weinen, mein Schluchzen tönte durch den gesamten Wald. Die Hand des Unbekannten streichelte immer wieder beruhigend über meinen Rücken und spendete mir die Sicherheit, die ich so dringend brauchte. Leise begann er zu summen, eine wunderschöne Melodie, die ich glaubte zu kennen aber doch nicht erkannte.
Wer ist dieser Mann, der zuerst mordet und mich dann so sanft tröstet. Kaum zu hören hauchte ich im sein Ohr: „Wer bist du?"
Ein leises Seufzen war zu hören, bevor seine ruhige Stimme erklang, viel zu ruhig für diese Situation.
„Ein Monster." Ich konnte nicht mehr über diese Worte nachdenken, denn die Dunkelheit hatte mich bereits in Besitz genommen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top