2. K A P I T E L

~When I found you, my heart found a home~

Ich schlug meine Augen auf, um direkt in das Gesicht von Aylin zu sehen. Sie war blass um die Nase und Schweißtropfen hatten sich auf ihrer Stirn gebildet. Sichtlich verwirrt begann ich zu blinzeln und sah mich weiter um, hinter Aylin stand Mara an die Tür gelehnt und sah etwas weniger geschockt aus. Ich lag wohl auf einem Sofa, denn ich konnte den Stoff unter meinen Fingerspitzen fühlen.

„Gott sei Dank, sie ist aufgewacht, wir dachten wir müssten einen Krankenwagen rufen, aber es ist ja noch einmal gut gegangen.", meldete sich eine männliche Stimme hinter mir.

Ich versuchte mich aufzusetzen, um zu sehen, wem diese Stimme gehörte, wurde jedoch im nächsten Moment von Aylin wieder auf das Sofa gedrückt. „Nichts da du ruhst dich jetzt erstmal aus! Dein Papa ist schon auf dem Weg hier her."

Der Schatten in meinem Rücken trat endlich hervor und ich erkannte einen älteren Jungen mit verwuschelten blondem Haar.

„Du musst wohl Lou sein, ich bin Frederick, du kannst mich aber auch Freddy nennen, schön dich kennenzulernen." Mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen streckte er mir seine Hand entgegen.

Lange starrte ich auf diese, zu überfordert mit dieser Situation um sie zu ergreifen. Freddy ließ seine Hand lange in der Luft schweben, bis er sie mit einem Seufzen fallen ließ. „Du bist anscheinend nicht der Mensch für das traditionelle Hand schütteln." Leicht lächelnd blies er sich eine Locke aus dem Gesicht.

Mara begann sich zu räuspern und die ganze Aufmerksamkeit lag nun auf ihr. „Wenn wir jetzt diese äußerst peinliche Situation beenden könnten, dafür wäre ich übrigens sehr dankbar, würde ich zu meiner Aufgabe zurück kommen, Lou zu sagen, dass ihr Vater da ist, aber nicht reinkommen darf und du, Lou, zu ihm rauskommen sollst."

Aylin warf ihr einen, wie kannst du nur, bösen Blick zu und wendete sich dann zu mir. „Nimm es ihr nicht zu persönlich, dass sie so kalt ist, ich glaube, sie hat heute nur einen schlechten Tag." Tröstend streichelte sie mir über die Schulter und flüsterte mir dann noch ins Ohr. „Und jetzt auf, die Schule hat dir einen Tag freigegeben, genieß die Zeit, Süße." Sie ist zu nett. Wie habe ich sie nur verdient?

„Klar. Ich geh gleich zu ihm." Kaum hatte ich mich aufgesetzt und meine Füße auf den Boden gestellt, stich es mir schon den Rücken entlang. Keuchend hielt ich inne und suchte nach dem nächst besten Halt. Mir wurde schwarz vor Augen und als sich meine Sicht klärte, sah ich direkt in zwei freundlich glänzende Augen. Eng lag meine Wange auf Freddys Brust.

Hilfe. Gott, lass mich bitte im Boden versinken.

Meine Wangen färbten sich augenblicklich rot und ich stolperte so schnell wie möglich von ihm weg, flüsterte ein „Entschuldige" und sprintete unter Schmerzen zur Tür. Sichtlich gestresst bat ich Mara zur Seite zu treten und mir meinen Fluchtweg somit frei zu machen.

Schon riss ich die Tür auf und sah in die erschrockenen Gesichter der Lehrer die davor standen. Kann diese Situation denn noch schlimmer werden. Ich hasse diese starrenden Gesichter. Mitleidig alle samt, helfen würden sie mir trotzdem nicht wenn sie könnten. Erinnerungen durchfluteten meine Gedanken. Panik nahm mich immer mehr in Besitz und ich wusste, dass ich so schnell wie möglich aus diesem schrecklichen Gebäude raus musste, es war einfach alles zu viel.

Zu viel Lärm. Zu viele Menschen. Zu viel Aufregung.

Stumm liefen Tränen meine Wangen entlang. Immer hektischer wendete ich meinen Kopf in alle Himmelsrichtungen. Schließlich begann ich zu rennen, vorbei an all diesen schlechten Menschen, immer schneller trugen mich meine Füße den Flur entlang, bis endlich die Tür in mein Sichtfeld kam. Voller Erleichterung zerrte ich an ihr und trat in die erlösende Freiheit. Zischend ließ ich Luft in meine Lungen fließen.
Frei. Endlich.

Meine Hände zitterten von dem Adrenalin, mein Puls raste und ich war kurz vorm kollabieren als sich zwei Arme um mich schlangen. Ein bekannter Duft trat mir in die Nase, beruhigend wie immer, mein zu Hause. Papa.

Seine beruhigende Stimme drang in meinem Verstand ein und sagte mir immer wieder, dass alles gut werden würde. Langsam fing ich an mich zu beruhigen, das Adrenalin hatte meinen Körper verlassen und wie ein nasser Sack lag ich in seinen Armen. Ein nasser Sack der sich die Augen ausheulte und seinen Rollkragenpullover dreckig machte.

„Lass alles raus, Krümel." Immer wieder fuhr er mit seiner Hand über meinen Rücken und ließ mich noch mehr geborgen fühlen. „Du sollst mich doch nicht so nennen.", schluchze ich in seine Schulter.

„Da ist ja wieder mein Mädchen." Sanft drückte er mich von sich und sah mich mit seinen warmen braunen Augen an. „Wir fahren jetzt heim und dort erzählst du mir alles was passiert ist, ja?" Ich nicke leicht, sah ihn dann doch erschrocken an. „Aber wir erzählen doch Mama nichts, oder?", traurig sehe ich zu Boden, „Sie soll sich keine zu großen Sorgen um mich machen." „Krümel, du weißt..." „Ja, ja, wir sagen es ihr schon irgendwann, nur noch nicht jetzt." Flehend sah ich ihn an. „Bitte!" Seufzend und sichtlich schweren Herzens gab er dann nach. „Na schön, aber wir sagen es ihr bald!" Damit war das Thema beendet und wir liefen Richtung Auto.

Papa und ich saßen nun schon seit Ewigkeiten am Esstisch und keiner hatte bis jetzt ein Wort gesagt, ich wollte ihm ja alles erzählen, wirklich, aber es war so schwer.

„Weißt du was, Krümel? Morgen ist ein neuer Tag, ich sehe du bist heute noch nicht bereit dazu, mir alles zu erzählen. Das ist okay. Nimm dir deine Zeit, ruh dich morgen aus und dann erzählst du mir irgendwann, wenn du bereit bist, das Geschehene." Liebevoll sah er mich an und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich hab dich lieb, Papa." „Ich dich auch, Krümel." Mit einem etwas leichterem Herzen stand ich auf und ging in mein Zimmer. Dort angekommen ließ ich mich erschöpft auf mein Bett fallen und schlief sofort ein.

-

Den ganzen nächsten Tag lag ich nur im Bett, meiner Mama sagte ich, ich fühlte mich nicht so gut, ihre treue Seele glaubte mir natürlich sofort, weshalb sie zu Hause bleib und mich mit Essen und Trinken an meinem Bett versorgte.

Ich realisierte, dass ich das perfekte Leben hätte, wenn es nicht diese Menschen in der Schule geben würde. Wer hat diese Seelen so sehr verletzt, dass sie so geworden sind. Kein Mensch ist mit kaputtem Geist geboren.

Plötzlich vibrierte mein Handy, es war eine Nachricht von Aylin. Die Nachricht machte mir schreckliche Angst und ein leichtes Zittern konnte ich nicht unterdrücken.

‚Komm bloß nicht morgen in die Schule' stand da mit drei Ausrufezeichen.

Wieso sollte ich denn nicht in die Schule kommen? Verwirrt fuhr ich mir durch meine bereits fettigen Haare. Wegen Bent und seiner Clique? Aber nein das kann es nicht sein, er wurde sicher suspendiert. Schnell schrieb ich ihr zurück. ‚Warum denn nicht??'

Keine Antwort. Minuten vergingen, vielleicht auch Stunden, keine Nachricht erreichte mein Handy. Unzählige Fragen quälten mich und langsam fing mein Kopf an schmerzhaft zu pochen. Hoffentlich ist Aylin nichts passiert, wir kennen uns seit dem Kindergarten und waren seit wir das erste Mal im Sandkasten gemeinsam gespielt haben, beste Freunde, ich würde es mir niemals verzeihen, wenn ihr etwas zu stoßen würde.

Aber es könnte auch einen ganz natürlichen Grund haben, dass sie nicht zurück schreibt, vielleicht ist ihrer Akku leer. Genau! Das wird es sein. Aber sie hätte es sicher schon längst aufgeladen. Hör auf, Lou. Innerlich schäle ich mich meiner Dummheit, das bringt mich immerhin auch nicht weiter. Mir bleibt nichts anderes übrig als trotz ihrer Nachricht morgen in die Schule zu gehen, um nach ihr zu sehen. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit, das kann nur schlimm enden.

-

Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zu getan, die Sorgen quälten mich jede Sekunde mehr und das spürte ich in jedem einzelnen Knochen. Shit. Wenigstens etwas schlaf wäre gut gewesen, um diesen ganzen Schlamassel zu überstehen, aber das muss jetzt reichen.

Frisch geduscht sah ich mich im Spiegel an, dunkle Ringe zeichnen sich unter meinen haselnussbraunen Augen ab, diese sahen mich unendlich traurig an. Wie immer. Seufzend streifte ich mein Kleid glatt und ging Richtung Ausgang, bei welchem meine Mama bereits mehr als bereit auf mich wartete. „Ich bin schon da." Beruhigend streckte ich meine Hände in die Luft. Über ihre Lippen zog sich ein leichtes Lächeln und sie antwortete: „Das sehe ich, aber wo sind bitte deine Schuhe und Jacke?" „In meinen Händen und bereit im Auto angezogen zu werden.", versuchte ich mit einem Scherz meine traurige Stimmung zu verbergen. „Na gut, dann los."

Gemischte Gefühle machten sich in mir breit, als wir mal wieder vor dem Schulgebäude anhielten. „Raus mit dir und viel Spaß", mit diesen Worten schmiss mich meine liebenswürdige Mutter auch schon aus ihrem Auto.

Als ich den Weg entlang zum Schulhof antrat, wurde mein schlechtes Bauchgefühl immer stärker, als ich dann schließlich den Hof betrat, wusste ich auch warum.

Alle, ausnahmslos alle, starrten mich an. Entweder hasserfüllt oder ängstlich.

Bitte nicht. Mein Alptraum wurde Realität, ich wollte diese Aufmerksamkeit nicht. Lasst mich bitte in Ruhe, würde ich so gern schreien, wäre da nicht dieser Zwang leise zu sein und alles einfach so hinzunehmen. Und so ging ich weiter, einfach immer weiter bis ich in das Schulgebäude trat.

Alle Augenpaare lagen wieder auf mir und die Schüler wichen vor mir zurück.

Ich verstehe nicht. Was habe ich falsch gemacht?

Leise begannen sich alle etwas zu zu flüstern.

Ich will ihren Hass nicht hören, will nicht wieder diesen Schmerz spüren. Langsam begann ich den Flur entlang zu rennen, auf der Suche nach einem freundlichen Gesicht, nach meinen Freundinnen. Wo seid ihr?

Plötzlich schrie, ein mir fremdes Mädchen, ein Wort, welches mich stocksteif stehen bleiben ließ. Tränen bildeten sich in meinen Augenwinkeln, wollten jedoch nicht auf meine Wangen tropfen.

Sie schrie voller Hass:

„Mörderin!"

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